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Stratifizierte Pharmakotherapie: Machbarkeitsstudie gefordert
Professor Dingermann wirbt für Initiative aus der Apothekerschaft
Personalisierte Medizin ist ein Schlagwort unserer Zeit. Was zunächst wunderbar individuell und patientenorientiert klingt, wird in den Medien allerdings schon vielfach in Zweifel gezogen. Wer es ernst meint, spricht heute lieber von stratifizierter Medizin. Auch wenn die Forschung hier noch einen weiten Weg vor sich hat – die stratifizierte Pharmakologie könnte in nicht allzu weiter Zukunft viel bewegen. Davon ist Professor Theodor Dingermann vom Institut für Pharmazeutische Biologie an der Frankfurter Goethe-Universität schon lange überzeugt. Er wirbt daher für eine von der Apothekerschaft ausgehende Initiative: Der stratifizierte Arzneimitteleinsatz auf Basis einer pharmakogenetischen Analyse sei eine fast einmalige Chance, ein neues Feld für die öffentliche Apotheke zu besetzen.
Der Patient im Mittelpunkt
Wie wäre es, wenn Apothekerinnen und Apotheker künftig mit dafür sorgen würden, dass Patienten künftig nur noch mit solchen Arzneimitteln behandelt werden, die bei ihnen auch tatsächlich wirken? Und das mit so wenigen Nebenwirkungen wie möglich? Die Idee, der "richtigen Dosis des richtigen Arzneimittels für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit" klingt einleuchtend und gut. Doch leider sieht die Wirklichkeit oft anders aus. So sind 38 Prozent der Depressionspatienten, die mit SSRI behandelt werden, Non-Responder. Diabetes-Therapeutika schlagen bei 43 Prozent nicht an. Noch spezieller wird es bei Alzheimer mit einer Non-Responder-Quote von 70 Prozent – Tumortherapeutika wirken gar nur bei einem Viertel der Patienten. "Wir behandeln Krankheiten, nicht kranke Patienten", erklärt Dingermann das Problem. Doch Patienten sind nun einmal eine heterogene Gruppe. Arzneimittel, die bei einem Diabetiker wirken, können für einen anderen sogar gefährlich sein. Studien zufolge ist in den USA die falsche Arzneimitteleinnahme nach KHK, Krebs und Schlaganfall die vierthäufigste Todesursache von Krankenhauspatienten. In Deutschland, so Dingermann, gingen konservative Schätzungen davon aus, dass jährlich 17.000 Menschen aus diesem Grunde sterben. Es sind die Gene, die den Unterschied machen. Mit prädiktiven pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Tests ließe sich im Vorfeld klären, ob ein Arzneimittel bei einem Patienten wirksam und verträglich ist und in welcher Dosis es zu verabreichen ist. "Hier sollten Apotheker als Arzneimittelfachleute Verantwortung übernehmen", fordert Dingermann.
Nach Angaben des Verbands forschender Pharma-Unternehmen sind in Deutschland derzeit 23 Arzneimittel – überwiegend Onkologika – auf dem Markt, für die ein genetischer Vortest Pflicht (18) oder zumindest ratsam ist (5). Beispiel für erstere Variante ist etwa das HIV-Therapeutikum Abacavir. Nicht verpflichtend, aber empfohlen ist etwa der Test vor einer Behandlung mit dem Pro-Drug Tamoxifen zur Behandlung von Brustkrebs. Doch auch abseits dieser Spezialfälle gibt es eine Reihe von weniger teueren Arzneimitteln, von denen es gut und zuweilen auch lebensrettend wäre, zu wissen, ob sie bei einem Patienten anschlagen. So macht es etwa keinen Sinn, einen Schlaganfallpatienten mit Clopidogrel zu behandeln, wenn dieser aufgrund seiner genetischen Disposition ein Problem mit dem Arzneimittel hat – und das sind Dingermann zufolge immerhin rund 40 Prozent der Menschen.
Indikationsspezifische und Rundum-Tests
Neben den speziellen Tests, die erst durchgeführt werden, wenn eine Indikation feststeht, gibt es auch die Möglichkeit, das Genom als Ganzes zu analysieren. Letzteres ist etwas teurer – 400 Euro habe seine eigene Analyse gekostet, berichtete Dingermann. In der Masse könnte sich der Preis aber verringern. Zudem sei ein solcher Test nur einmal im Leben nötig. Während sich die Interpretationen der Analyse ändern könnten, gelte dies für ihre Fakten nicht. Mit den Ärzten kämen sich die Pharmazeuten bei einem ausgeweiteten Begriff der molekularen Diagnostik auch nicht ins Gehege. Schließlich geht es den Pharmazeuten nicht um das Erkennen von Krankheiten und Krankheitsrisiken, sondern um eine Vorhersage, ob und wie gut Arzneimittel bei einem Patienten wirken. Lässt der Kunde etwas Speichel oder eine Haarprobe in der Apotheke, kann der Apotheker diese analysieren lassen. Es gebe bereits zwei Firmen, die Kits mit PZN für Apotheken anböten (z. B. Humatrix). Auch unter www.bio.logis.de sind Gentests zu haben. Ursprünglich hatte Dingermann die Vorstellung, dass das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) hier tätig werden könnte – doch diese Idee ging nicht auf.
Datenbank wird erstellt
Dingermann geht es jetzt vor allem darum, dass die Apothekerschaft generell Achtsamkeit für das Thema entwickelt. Seine Studentinnen und Studenten will er so früh wie möglich mit diesen Fragen in Kontakt bringen. Denn noch ist die Arbeit mit dem analysierten Genom nicht ganz so einfach. Auch mit der harten Evidenz hapert es noch. Dennoch sollte man das vorhandene Wissen nicht ignorieren, meint Dingermann. Plausibilität kann aus seiner Sicht in vielen Fällen ein Evidenzdefizit ausgleichen. An seinem Institut arbeitet man jedenfalls gerade an einer Datenbank, die – so sie mit einer Genomanalyse "gefüttert" wird – Handlungsoptionen für Pharmazeuten auswirft. Denn auch den besten Apothekerinnen und Apothekern wird es nicht gelingen, alles im Kopf zu haben. Anfang nächsten Jahres, so Dingermann, soll der Prototyp der Datenbank stehen.
Noch ist man früh dran mit dem Projekt. Doch nach der Enttäuschung über das Gendiagnostikgesetz – in dem die Apotheker gänzlich außen vor blieben – will Dingermann diesmal zur Stelle sein, wenn es so weit ist. Er träumt von einem "Überraschungs-Coup" der Apotheker, den er sich von keinem Politiker vorwegnehmen lassen will. Die Vorteile für die einzelne Apotheke sieht der Frankfurter Professor in der verstärkten Kundenbindung und einer stärkeren Vernetzung mit Ärzten. Für die Apothekerschaft als Ganzes gebe die Übernahme der Verantwortung für die Arzneimittelwirksamkeit und -verträglichkeit Gelegenheit, sich klar als Arzneimittelexperten zu positionieren. Und dies wiederum gebe einen guten Anlass in die Honorierung von Beratungsleistungen einzusteigen.
Bei der Mitgliederversammlung der Kammer Brandenburg (siehe auch unseren Bericht in der Rubrik "Kammern und Verbände" in dieser DAZ) kam Dingermann mit seinen Ideen an. "Dieses Feld müssen wir besetzen", betonte Vizepräsident Eckhard Galys. Man darf gespannt sein, wie im Oktober der Deutsche Apothekertag über den Antrag Brandenburgs entscheiden wird.
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