Tierversuche

"Airbag" Versuchstiere

Alternativmethoden dringend gesucht – doch sie haben ihre Grenzen

Kirsten Sucker-Sket | Wer kennt sie nicht: Bilder von fixierten Affen mit Elektroden im Kopf, von Kaninchen mit rot verätzten Augen, von verfetteten Mäusen oder Beagles hinter Gitterstäben. Ob im Internet, in Broschüren oder auch auf Wahlplakaten – Tierversuchsgegner setzen auf die Sprache der Bilder. Vor allem, wenn es um die uns so ähnlichen Primaten oder um Haus- und Kuscheltiere geht, lassen uns diese Fotos nicht unberührt. Doch inwieweit bilden sie das wirkliche Geschehen ab? Und inwieweit können Tierversuche bereits durch Alternativmethoden ersetzt werden?
Foto: Novartis

Zuweilen wird in der Öffentlichkeit der Anschein erweckt, dass Wissenschaftler Tierversuche durchführen, weil es ihnen Spaß macht, Tiere zu quälen, und dass sie nach Gutdünken und ohne Kontrolle experimentieren. Doch jeder, der mit Arzneimitteln zu tun hat, weiß, dass diese an Tieren erprobt werden müssen – so sieht es das Gesetz vor.

Tierversuche sind ein ethisch höchst heikles Thema im Spannungsfeld zwischen Tierschutz- und Verbraucherschutzinteressen. Doch derzeit führt kein Weg an ihnen vorbei: Bevor ein neues Medikament am Menschen getestet werden kann, müssen die gröbsten Risiken so gut wie möglich ausgeschlossen sein – und zwar durch Tierversuche. Schön wäre es, wenn es bereits ausreichend alternative Testmethoden gäbe. Aber noch sind diese begrenzt.

Dass Tierversuche in der breiten Öffentlichkeit kritisch gesehen werden, wundert nicht. Schließlich sind es bislang vor allem die Tierversuchsgegner, die auf die Straße gehen. Sie vermitteln die Botschaft, Tierversuche seien nicht nur grausam, sondern auch untauglich und daher überflüssig. Diejenigen, die die Versuche durchführen, sprechen lieber nicht darüber. Doch Fakt ist: 2010 wurden allein in Deutschland 2,856 Millionen Tiere für Versuche und wissenschaftliche Zwecke verwendet [1]. Tierversuche gibt es an Universitäten, sie werden in der Lehre ebenso durchgeführt wie in der Forschung. Zudem gibt es eine Reihe von Instituten, die Grundlagenforschung betreiben. Aber auch Chemikalien in Gegenständen des täglichen Gebrauchs, etwa in Lacken oder Reinigungsmitteln, müssen hinsichtlich ihrer Sicherheit für Gesundheit und Umwelt beurteilt werden.

Nicht zuletzt finden Tierversuche in der Pharmaindustrie statt. Wer hier mehr erfahren will, wird durchaus informiert, etwa über den Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Doch auch dieser Verband hat es nicht leicht, Vertreter aus der in Deutschland ansässigen Industrie zu finden, die sich der Presse stellen. Wer in großen Pharmakonzernen mit dem Tierschutz beauftragt ist, lebt lieber zurückgezogen – denn es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass ihm militante Tierrechtsaktivisten gefährlich werden könnten. Im Sommer vor drei Jahren traf es auch den damaligen Chef des Schweizer Pharmakonzerns Novartis, Daniel Vasella. Sein Familiengrab wurde geschändet, die Urne seiner Mutter entwendet, kurz darauf sein Ferienhaus in Brand gesteckt. Danach gab es noch weitere Anschläge auf Novartis-Mitarbeiter in verschiedenen Ländern sowie am Basler Standort.


"Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen."


§ 1 Satz 2 Tierschutzgesetz

Die Basler Deklaration

Einige Wissenschaftler wollten jedoch aus der Defensive heraus. Im Herbst 2010 verabschiedeten rund 80 Forscher und Forscherinnen der Lebenswissenschaften aus der Schweiz, Deutschland, England, Frankreich und Schweden die "Basler Deklaration" [2]: einen Aufruf für mehr Vertrauen, Transparenz und Kommunikation in der Tierforschung. Ihr Ausgangspunkt ist, dass trotz neuer und verfeinerter alternativer Methoden Tierversuche in der vorhersehbaren Zukunft für die biomedizinische Forschung unverzichtbar sein werden. Angesichts dessen verpflichten sich die Unterzeichnenden zu mehr Verantwortung bei Tierversuchen – insbesondere schreiben sie das 3-R-Prinzip groß:

  • Replace, Reduce, Refine.

Zu deutsch meist übersetzt mit den 3 V:

  • Vermeiden, Vermindern, Verbessern.

Zudem wollen sie den Dialog zum Tierschutz in der Forschung durch "transparente und faktenbasierte" Information der Öffentlichkeit befördern. Im September 2012 zählte die Deklaration bereits mehr als 1400 Unterzeichner, in erster Linie einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch ganze Universitäten und Forschungsinstitute.

Prof. Dr. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums Göttingen (DPZ), gehört zu den drei Erstunterzeichnern der Deklaration, heute ist er Vorstandsmitglied der Fachgesellschaft "Basel Declaration Society". Im DPZ wird in den Gebieten der Infektionsforschung, der Primatenbiologie und der Neurowissenschaften Grundlagenforschung betrieben – die Mittel stammen vornehmlich vom Bund und von den Ländern. Das DPZ bietet aber auch Serviceleistungen für externe Institute und Wissenschaftler an – und es werden Primaten für die akademische Forschung gezüchtet. Der Neurowissenschaftler Treue wird immer wieder mit Vorbehalten konfrontiert, wenn er über seine Arbeit spricht: "Es ist noch nicht bei jedem angekommen, dass in Deutschland kein Tierversuch ohne eine Genehmigung durchgeführt werden darf" – damit hat er wohl vor allem die Versuche an seinem eigenen Institut vor Augen. Denn es gibt durchaus Tierversuche, die gesetzlich gefordert sind und der Behörde lediglich angezeigt werden müssen – überwacht werden diese Versuche allerdings auch. Tierversuche, die einfach "gemacht" werden, ganz ohne öffentliche und behördliche Kontrolle, gibt es hierzulande nicht. Doch den wenigsten Menschen sei die umfangreiche Genehmigungsprozedur, die Forscher oder Unternehmen durchlaufen müssen, ehe sie einen Tierversuch durchführen dürfen, bekannt, so Treue. Schon gar nicht, dass an diesem beispielsweise auch Tierschutzorganisationen beteiligt sind. Der Göttinger Wissenschaftler will daher Einblick in die Forscherwelt gewähren. Sein DPZ präsentiert sich ungewöhnlich transparent, Öffentlichkeitsarbeit wird groß geschrieben. Fast jede Woche gibt es Führungen für Interessierte. "Man weiß viel über unsere Arbeit – und so wird sie auch akzeptiert", erklärt Treue. Von Angriffen oder Demonstrationen, wie sie der Pharmaindustrie bekannt sind, vermag der DPZ-Direktor nicht zu berichten.

Auch Dr. Dr. Karin Blumer, Senior Manager Scientific Affairs bei Novartis und ebenfalls Mitunterzeichnerin der Basler Deklaration, kennt die gängigen Meinungen zu Tierversuchen – speziell in der pharmazeutischen Industrie – nur zu gut. "Es herrscht noch immer die naive Annahme, man könnte heute den kompletten Organismus im Computer nachbilden", so die promovierte Tierärztin und Philosophin. Viele Menschen glaubten, Tierversuche würden nur aus Kostenspargründen unternommen. "Das ist falsch", betont Blumer. Tierversuche seien immer teurer als Simulationen am Computer oder beispielsweise an künstlichem Zellgewebe – schon allein wegen der Logistik. So müssen Tiere auch am Wochenende betreut werden. Dem kann Treue nur beipflichten: Tierversuche nicht durchzuführen, wäre die beste Methode zur Kostensenkung. Doch in der Grundlagenforschung sei ein echtes "Replacement" schwierig.


Schweine (Minipigs) im Dienst eines forschenden Pharmaunternehmens. Die Kugeln enthalten Futter und sind zugleich Spielzeug. Foto: vfa

Novartis gibt Einblick in die Tierhaltung

Novartis präsentiert sich als offenes Unternehmen – der DAZ gewährt man in Basel Einblick hinter die Kulissen. Zwar bleiben die Labors auch für uns verschlossen, aber wir können uns anschauen, wie einige der Tiere gehalten werden, so auch die Makaken und die Hunde. An ihnen werden gesetzlich vorgegebene regulatorische Versuche vorgenommen: die Pharmakokinetik und die Verträglichkeit neuer Substanzen werden überprüft. Dies geschieht in der Regel durch Injektionen des zu untersuchenden Wirkstoffs. Dann wird den Tieren mehrfach Blut abgenommen und untersucht. Es ist die letzte Stufe der präklinischen Studien. In der Regel läuft die Verstoffwechselung gut, so Blumer. Tolerieren die Tiere den neuen Arzneistoff, kann er in die Phase 1 der klinischen Prüfung am Menschen gehen. Sämtliche Tiere befinden sich in einem modernen, verglasten Bau auf dem Basler Novartis-Campus. Jedes Stockwerk ist einer eigenen Tierart vorbehalten. Für die Tierhaltung gibt es strenge Vorgaben – ganz besonders in der Schweiz. Die Käfige der Affen erinnern an einen Zoo. Allerdings fehlt das Außengehege. Es ist sauber, die Makaken haben Spielzeug und zeigen sich erstaunlich zutraulich. Sie kommen sofort zu uns an die Glasscheibe und nehmen Kontakt auf. Sie sind Menschen gewohnt – sie zeigen uns sogar erwartungsvoll ihre Ärmchen, in die sie gewöhnlich Substanzen injiziert bekommen. Die Tiere wirken kaum anders, als man sie aus Tierparks kennt. Einige haben zwar offensichtlich Haarausfall – doch dies, so erklärt man uns, sei ein Phänomen, das häufig bei Affen auftrete, die in Gefangenschaft leben. Auch die Hunde, Beagles, die in Rudeln gehalten werden, sind zwar lautstark, als wir zu ihnen kommen, aber keinesfalls apathisch. Sie interessieren sich auch hinter der Glasscheibe für uns und wedeln mit ihren Schwänzen. Sie nutzen den Auslauf aus, den ihnen die an sich beschränkten Räumlichkeiten dank verschiedener eingezogener Ebenen bieten. Ruhe kehrt ein, als sie Futter bekommen. Jeder Hund hat eine eigene Box, in die er zum Fressen gesperrt wird – es soll schließlich friedlich bleiben. Auf dem Dach des Gebäudes befindet sich ein überschaubares Freigelände für die Hunde. Alles ist gut abwaschbar, auf Hygiene wird geachtet. Kein Tier sieht aus wie auf den Horror-Fotos der Tierversuchsgegner. Und doch bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn man sie eine Weile beobachtet. Hunde wie Affen – übrigens allesamt Männchen – bleiben zumeist mehrere Jahre bei Novartis. Vor allem die Makaken sind teuer, man will lange etwas von ihnen haben. Wenn die Tiere einen Arzneistoff getestet haben, bleiben ihnen ein paar Wochen, in denen die Substanz ganz aus dem Körper schleichen kann. Anschließend stehen sie bereit für den nächsten Wirkstoff. An den Beagles werden dabei die niedermolekularen Substanzen getestet. Die Affen sind für Biologicals zuständig, denn diese wirken auf das Immunsystem – und hier können nur Affen als Vergleich für den Menschen herangezogen werden.


Tierversuche für Tierarzneimittel


Es gibt ein Gebiet, in dem man wohl niemals auf Tierversuche wird verzichten können: bei der Entwicklung von Tierarzneimitteln. Dies erklärt auch, dass die Tierversuchsstatistiken eine ganze Reihe weiterer Tierarten als Versuchstiere aufzählen: beispielsweise Katzen, Pferde, Ziegen, Schafe, Rinder und Wachteln. Fragen kann man sich allerdings, ob tatsächlich alle Tierarzneimittel vordergründig die Gesunderhaltung der Tiere bezwecken. Gerade wenn sie im landwirtschaftlichen Bereich zum Einsatz kommen, dürfte der Nutznießer zumeist der Mensch sein. Doch selbst daran kann man zweifeln, denkt man an die seit Jahren geführten Debatten um den Antibiotikaeinsatz bei Nutztieren.


Sowohl die Forschung als auch die Haltung werden Blumer zufolge engmaschig und kritisch überwacht. Denn mit der bloßen Genehmigung eines Versuchs ist es noch nicht getan. Zwei Mal jährlich stehen dem Unternehmen Inspektionen durch Amtstierärzte ins Haus. Einmal angekündigt, einmal nicht. Doch Novartis als global aufgestellter Konzern führt selbstverständlich nicht nur in der Schweiz Tierversuche durch. Das Unternehmen ist auch in Gegenden tätig, in denen noch niemand daran gedacht hat, ein Tierschutzgesetz zu erlassen. Doch gerade wegen der unterschiedlichen nationalen Vorgaben setze Novartis seit 2005 auf eine explizite Tierschutzpolitik, erläutert Blumer. Weltweit habe man in den eigenen Häusern einheitliche Richtlinien. Auch Drittparteien, die für oder mit dem Schweizer Konzern Versuche durchführen – beispielsweise Universitäten – werden einem Audit unterzogen. "Wo wir Studien machen, müssen Standards eingehalten werden", sagt Blumer – schließlich hat man einen Ruf zu verlieren. Auch wenn sie ihre Hand nicht dafür ins Feuer legen will, dass es in der Branche keine schwarzen Schafe gibt – Blumer versichert, dass die Industrie sehr engagiert sei, dieses Risiko zu minimieren. Wenn ein Pharmaunternehmen wegen zweifelhafter Tierversuche schlechte Schlagzeilen macht, trifft das schließlich die gesamte Branche. Blumer hält auch wachsame Tierschützer für notwendig: "Sie geben uns die Außenperspektive, um besser zu werden."

Doch es sind gemeinhin nur die großen Pharmaunternehmen, die sich eigene Labore und Einrichtungen für Versuchszwecke leisten können. Kleine Biotechfirmen haben diese Möglichkeiten kaum. Ihnen bleiben dann Kooperationen mit Universitäten – oder auch ein Outsourcing. Es gibt Firmen, die Versuche nach Vorgaben anderer Unternehmen ausführen; häufig werden hier auch Tiere gezüchtet.

Tierversuchsstatistik in Deutschland

Und wie sieht die Situation nun in Deutschland aus? Zunächst ein paar blanke Zahlen: 2,856 Millionen Tiere wurden hierzulande im Jahr 2010 für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendet (Tab. 1) [1]; 31 Prozent von ihnen von Arzneimittel- und Medizinprodukteherstellern. Der Blick in die Tierhaltung bei Novartis sollte den Blick nicht verstellen, dass in erster Linie kleine Nagetiere in der Grundlagenforschung, der Pharmaforschung und für toxikologische Untersuchungen genutzt werden. Und zwar wirklich viele: 2010 waren es 1,963 Millionen Mäuse und 442.448 Ratten. Zehn Jahre zuvor waren es noch eine Million Mäuse weniger! Die Gesamtzahl aller anderen verwendeten Arten blieb in den letzten zehn Jahren hingegen in etwa gleich.


Tab. 1: Anzahl der in Deutschland im Jahr 2010 in Tierversuchen eingesetzten Tiere [1]

Art
Anzahl
Mäuse
1.963.000
Ratten
442.448
Fische
166.002
Kaninchen
89.960
Schweine
15.999
Hunde
3.004
Affen
2.789

Hintergrund des rasanten Anstiegs bei Mäusen ist, dass immer mehr transgene – d. h. genetisch veränderte (gv) – Tiere zum Einsatz kommen. Schon das Schaffen einer transgenen Maus gilt als eigener Tierversuch. Bei der sogenannten Knockout-Maus werden etwa mittels einer genetischen Manipulation gezielt ein oder mehrere Gene deaktiviert. Mit der Methode lässt sich für viele Erkrankungen des Menschen ein jeweils geeignetes Tiermodell schaffen. Das spätere Weiterzüchten transgener Tiere zählt in Deutschland derzeit noch nicht als Versuch. Dies wird sich jedoch künftig ändern – so sehen es die Vorgaben aus Europa vor. Hinzu kommt die Entwicklung in der Epigenetik, auch in der Grundlagenforschung der Pharmaindustrie. Insgesamt ist daher nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der verwendeten transgenen Tiere zurückgehen wird.

Ratte Die "große Schwester" der Maus ist das zweitwichtigste Labortier. Foto: vfa

Und so machen die kleinen Nager in der Arzneimittel- und Medizinprodukteindustrie auch rund 80 Prozent aller Versuchstiere aus. An dritter Stelle der offiziellen Versuchstierstatistik 2010 stehen Fische (166.002). Der Zebrafisch, so erklärt Blumer, sei eines der besten Modelle, um schnell genetische Mechanismen zu studieren. Seine Vorteile: Der durchsichtige Fisch produziert schnell Nachkommen, und seine Embryonen kann man direkt unterm Mikroskop untersuchen, ohne dabei die Mutter töten zu müssen. Dass dabei Rückschlüsse auf den Menschen gezogen werden können, steht für die Forscher außer Frage. "Wir sind genetisch von niedrigeren Tieren gar nicht so weit weg, wie viele glauben", sagt Blumer.

Die Tierversuchsstatistik 2010 zählt weiterhin 89.960 Kaninchen, 15.999 Schweine, 3004 Hunde und 2789 Affen auf. Schweine dienen vor allem der Erforschung von Herzkrankheiten – ihr Herz ist dem des Menschen anatomisch besonders ähnlich – , Diabetes und Osteoporose. Sie werden aber auch zur Testung von Wirkstoffkandidaten herangezogen. In der Pharma- und medizintechnischen Industrie stellen sie allerdings nur knapp ein Prozent der Versuchstiere. Bei Novartis findet man sie gar nicht.

Unter den Affen sind es vor allem die sogenannten Altweltaffen aus Afrika, die hierzulande als Versuchstiere herangezogen werden (2277). In der pharmazeutischen Industrie hält man sich in erster Linie an Makaken. 1695 Altweltaffen kamen bei toxikologischen Untersuchungen und anderen Sicherheitsprüfungen zum Einsatz. Tests an Menschenaffen sind in Europa schon lange ein Tabu. Laut der Begründung zur jüngsten Novelle des Tierschutzgesetzes wurden in der EU Menschenaffen zum letzten Mal im Jahr 1999 für Tierversuche eingesetzt, in Deutschland 1992. Und zwar, "ohne dass sich Auswirkungen auf die wissenschaftliche Forschung ergeben haben". Der vfa verweist allerdings darauf, dass es anderenorts solche Versuche durchaus noch gibt. Und davon profitieren auch europäische Patienten: HIV-Therapeutika beruhen nicht zuletzt auf Erkenntnissen von Versuchen mit SIV-infizierten Menschenaffen.

Laut vfa sind drei Viertel der Tierversuche in der pharmazeutischen Industrie nicht belastender als eine typische tierärztliche Behandlung [3]. Es werde ihnen lediglich ein Medikament gespritzt oder Blut abgenommen. Schwererwiegende Tierversuche fänden vielfach unter Narkose statt. Bei den pharmakologischen Krankheitsmodellen entspreche die Beeinträchtigung der Tiere derjenigen eines Patienten mit der betreffenden Krankheit. Bei all dem werde jedoch stets darauf geachtet, das Leid der Tiere zu gering wie möglich zu halten.


Zebrafische Ihre Vorteile im Tierversuch: Sie vermehren sich schnell, und man kann ihre Embryonen von außen untersuchen. Foto: Novartis

Die EU-Versuchstierrichtlinie

Wer in Deutschland für ein Projekt Tierversuche durchführen will, muss sich an vielerlei gesetzliche Vorgaben halten – insbesondere das Tierschutzgesetz, aber auch an darauf basierende Rechtsverordnungen. So regelt die "Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes" unter anderem Details zu Tierversuchen. Innerhalb der Europäischen Union hat Deutschland bereits eines der umfassendsten Tierschutzgesetze. Dabei ist nicht zu vergessen, dass der Tierschutz im Grundgesetz als Staatsziel verankert ist. Diese Regelungen werden nun nochmals angezogen – und das EU-weit. Vor zwei Jahren haben Europäisches Parlament und Rat die sogenannte Versuchstier-Richtlinie erlassen [4], die eine Richtlinie aus dem Jahr 1986 ablöst. Denn in den vergangenen 25 Jahren hat sich in der Wissenschaft viel getan – die einschlägigen Vorschriften der EU-Mitgliedstaaten sollen daher neu harmonisiert werden. Bis zum 10. November 2012 müssen die Mitgliedstaaten die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt haben, ab 1. Januar 2013 sind diese Vorgaben anzuwenden. Vermutlich werden nicht alle EU-Länder diese Frist wahren. Am leichtesten scheint die Situation in Dänemark: Hier gilt die Richtlinie bereits ohne ein Gesetzgebungsverfahren als erfüllt – wenn nicht gar übererfüllt. Weit fortgeschritten ist man überdies in Spanien. Aber auch in Deutschland liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der bereits den ersten Durchlauf im Bundesrat hinter sich hat. Zu den Empfehlungen der Länder hat die Bundesregierung Ende August Stellung genommen [5], die erste Lesung im Bundestag ist für den 27. September vorgesehen. Für Mitte Oktober ist die öffentliche Anhörung im federführenden Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geplant.

Langfristiges Ziel: Tierversuche vollständig ersetzen

Die EU-Richtlinie konstatiert, dass es "erstrebenswert ist, den Einsatz lebender Tiere in Verfahren möglichst durch andere Methoden zu ersetzen, bei denen keine lebenden Tiere verwendet werden". Letztendliches Ziel sei es, Tierversuche für wissenschaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen, "sobald dies wissenschaftlich möglich ist". Zu diesem Zweck soll die Weiterentwicklung alternativer Ansätze erleichtert und gefördert werden. Zudem soll mit der Richtlinie für Tiere, die in Verfahren weiterhin verwendet werden müssen, ein möglichst hohes Schutzniveau gewährleistet werden. Im Zentrum der EU-Richtlinie und damit auch der deutschen Tierschutz-Novelle steht die gesetzliche Verankerung des 3-R-Prinzips. Allerdings verpflichtet auch schon das jetzt noch geltende Tierschutzgesetz zu einer Prüfung vor Beginn von Tierversuchen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann. Künftig wird dies jedoch noch deutlicher normiert sein. Zunächst ist also nach alternativen Methoden zu schauen: Wie weit kommt man mit Computermodellen oder In-vitro-Verfahren? In der frühen Phase der Arzneimittelentwicklung – so bei der Suche nach einem Angriffspunkt im Krankheitsprozess – ist hier noch einiges möglich. Insgesamt, so hört man aus der Industrie, gebe es heute einen sehr langen Vorlauf, bis man mit einer neuen Substanz ans Tier gehe. Doch je weiter man in der Entwicklung kommt, desto begrenzter sind die Möglichkeiten. Man setzt dann in der Regel auf eine Kombination von In-vitro- und In-vivo-Techniken. Schließlich wirken so gut wie alle Arzneimittel auf den ganzen Organismus. Eine Zellkultur hat nun einmal keinen Blutdruck und keinen Stoffwechsel. Mangelt es an anerkannten Alternativmethoden, soll die Anzahl der Versuchstiere möglichst verringert werden. Darüber hinaus gilt es, das Leiden der Tiere sowohl bei Versuchen als auch in der Haltung so gut wie möglich zu verringern. Gerade bei der Haltung hat sich – jedenfalls bei den großen Unternehmen – in letzter Zeit schon viel getan. Den Tierschutzbeauftragten ist daran gelegen, dass ihnen die Tiere lange erhalten bleiben. Dr. Joachim Coenen, der diese Position bei Merck Serono innehat, betont, wie wichtig es sei, dass sich die Tiere vernünftig bewegen können. Spielzeug soll sie bei Laune halten. Zugleich hat sich bei Merck Serono die Gruppenhaltung von Kaninchen bewährt. Auch die Gesundheit abseits der eigentlichen Versuche soll geschützt sein: So setzt das Unternehmen beispielsweise auf keimfreie Bio-Einstreu für die Kaninchen.

Neue Vorgaben für Deutschland: Das Tierschutzgremium

Die EU-Richtlinie schreibt weiterhin vor, dass Betriebe, die Tierversuche durchführen, ein Tierschutzgremium einrichten müssen. Während eine solche Institution in einer Reihe europäischer Staaten fehlt, ist ein weisungsunabhängiger Tierschutzbeauftragter in Deutschland bereits etabliert. Er hat beispielsweise darauf zu achten, dass Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im Interesse des Tierschutzes eingehalten werden, muss zu jedem Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchs Stellung nehmen und innerbetrieblich darauf hinwirken, dass Verfahren und Mittel zur Vermeidung oder Beschränkung von Tierversuchen entwickelt und eingeführt werden. Diese Regelungen müssen nun ergänzt werden. Nach dem neuen Gesetzentwurf müssen künftig auch Einrichtungen und Betriebe, die Tiere halten oder züchten, die in Tierversuchen verwendet werden, über einen Tierschutzbeauftragten verfügen. Sie alle müssen zudem einen Tierschutzbeirat einrichten, der aus dem Tierschutzbeauftragten und weiteren Personen, die mit den Tieren befasst sind, besteht. Zudem muss der Tierschutzbeauftragte künftig ein Tierarzt sein. Das ist er heute häufig schon – jedoch nicht immer. Näheres soll eine Verordnung regeln.

Nicht im neuen Tierschutzgesetz, sondern auch erst in einer Verordnung wird die ebenfalls von der EU-Richtlinie geforderte Kategorisierung von Tierversuchen nach Schweregraden erfolgen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält keine Definitionen, wann ein Versuch als gering, mittel oder schwer belastend für das Tier einzustufen ist. Die EU-Richtlinie macht hierzu jedoch Vorgaben. Relevant wird diese Einordnung etwa bei der Frage, ob ein Tier einem erneuten Versuch zugeführt werden darf. In einigen Bundesländern sowie in der Schweiz und Großbritannien existieren bereits Schweregrad-Kataloge. Sie sind jedoch nicht einheitlich. Überdies will die EU-Richtlinie für mehr Transparenz sorgen: Zu geplanten Tierversuchen müssen künftig nicht-technische Versuchsbeschreibungen öffentlich zugänglich gemacht werden.

Genehmigungs- und anzeigepflichtige Tierversuche

Nach dem alten wie nach dem neuen Tierschutzgesetz gibt es zwei Arten von Tierversuchen, die eine unterschiedliche Beteiligung der Behörden vorsehen. Zum einen sind dies die genehmigungspflichtigen Versuche. Hierunter fallen Eingriffe oder Behandlungen an Wirbeltieren oder am Erbgut von Wirbeltieren, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere, die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können (§ 8 TierSchG). In ihrem Antrag müssen die Forschenden darlegen, warum für ihr Projekt überhaupt Tierversuche nötig sind, warum sie gerade diese Tierart wählen und nicht eine geringer entwickelte. Ebenso müssen sie angeben, wie viele Tiere sie benötigen werden. In einem solchen Genehmigungsverfahren muss auch eine Tierschutzkommission ihr Votum abgeben. § 15 TierSchG schreibt vor, dass die Mehrheit der Kommissionsmitglieder die für die Beurteilung von Tierversuchen erforderlichen Fachkenntnisse der Veterinärmedizin, der Medizin oder einer naturwissenschaftlichen Fachrichtung haben muss. Zudem sind geeignete Mitglieder aus Tierschutzorganisationen zu berufen. Die Zusammensetzung dieser Kommission ist von Bundesland zu Bundesland etwas unterschiedlich. In Berlin besteht sie beispielsweise aus vier Wissenschaftlern, zwei Vertretern von Tierschutzverbänden und einem Ethiker.


Ethisch vertretbar?


Viele Tierversuche sind gesetzlich vorgeschrieben – aber bedeutet dies zwangsläufig, dass sie auch ethisch vertretbar sind? Welcher Art muss der Erkenntnisgewinn aus einem Tierversuch sein, damit er diesen rechtfertigen kann? Reicht es, zu wissen, dass ein Autolack, der eine neue Substanz enthält, die Gesundheit schädigt, wenn man ihn schluckt? Tierversuchsgegner glauben dies jedenfalls nicht. Auch bei genehmigungspflichtigen Versuchen haben sie ihre Bedenken. Nach einer Erhebung der Akademie für Tierschutz werden 99 Prozent aller Anträge von den Behörden genehmigt. Dennoch ist nicht immer klar, welche Bedeutung dem Forschungsergebnis tatsächlich zukommt. Pharmaunternehmen erklären in ihren Anträgen gerne, mit ihrem Präparat stehe ein medizinischer Durchbruch bevor. Ob dies am Ende wirklich immer der Fall ist, kann bezweifelt werden. Möglicherweise fragen sich nicht nur engagierte Tierversuchsgegner: Wie viele Blutdrucksenker brauchen wir noch?


Zum anderen gibt es Versuche, die der Behörde lediglich angezeigt werden müssen. Das ist dann der Fall, wenn sie aufgrund ausdrücklicher Rechtsvorschriften durchgeführt werden müssen, sowie bei Impfungen, Blutentnahmen oder Maßnahmen diagnostischer Art (§ 8 Abs. 7 TierSchG – alt – § 8a TierSchG-E). Hierzu zählen auch die nach dem Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen toxikologischen Tests, ebenso die Prüfung von Impfstoffen und Seren im Rahmen von Chargenprüfungen oder von Zulassungsverfahren. Die allermeisten Tierversuche in der pharmazeutischen Industrie sind lediglich anzeigepflichtig. Von einem großen forschenden Pharmaunternehmen war zu erfahren, der Anteil seiner – genehmigungspflichtigen – Versuche aus Eigeninitiative habe im vergangenen Jahr bei lediglich zwei Prozent gelegen. Das könnte sich künftig ändern – vor allem im Hinblick auf toxikologische Tests mit Primaten. Nach dem aktuellen Entwurf des Tierschutzgesetzes werden gesetzlich vorgeschriebene Versuche, die einen höheren Schweregrad als "niedrig" haben oder mit Primaten durchgeführt werden, künftig generell genehmigungspflichtig sein.

Zwingende – mithin bislang grundsätzlich nur anzeigepflichtige – Versuche sieht zudem das Chemikalienrecht vor. Hier ist die 2007 in Kraft getretene europäische REACH-Verordnung (Registration, Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals) zu beachten. Sie bestimmt, dass nicht nur neue, sondern auch alte Substanzen, die vor 1981 auf den Markt gekommen sind, auf ihre möglichen Risiken für Mensch und Umwelt zu überprüfen sind – vielfach in Tierversuchen. Hierdurch sind die Tierversuchszahlen allerdings nicht so in die Höhe geschnellt, wie anfänglich befürchtet. Auch in dieser Verordnung ist das 3-R-Prinzip verankert. Seit ihrem Inkrafttreten wurden von der OECD – der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – tierversuchsfreie Methoden akzeptiert, die beispielsweise den für Kaninchen schmerzhaften Draize-Test ersetzen. Das augenreizende Potenzial von Substanzen kann heute in vitro getestet werden. Ebenso gibt es eine tierversuchsfreie Methode, mit der Hautreizungen vorausgesagt werden können: mithilfe künstlich gezüchteter menschlicher Haut.

Alternativmethoden

Weniger Tierversuche in der Pharmaforschung wären möglich, wenn die Zulassungssysteme weltweit einheitlicher wären. So kommt es durchaus vor, dass beispielsweise in Europa bestimmte Nachweise schon in einem Alternativversuch erbracht werden können, in Japan hierfür aber noch ein Tierversuch verlangt wird. Dass man hier näher zusammenkommt, ist das Ziel der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH). Diese von den Zulassungsbehörden und Pharmaverbänden Europas, Amerikas und Japans gegründete Organisation arbeitet daran, die Beurteilungskriterien für die Zulassung von Humanarzneimitteln zu harmonisieren. Schon aus finanziellen Gründen beteuert die Pharmaindustrie, es sei ihr Interesse, validierte Alternativmethoden in der globalen Zulassung voranzutreiben.

In Deutschland ist vor allem die am Bundesinstitut für Risikobewertung angesiedelte "Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch" (ZEBET) damit befasst, Alternativmethoden zum Durchbruch zu verhelfen. Die 1989 ins Leben gerufene ZEBET berät Behörden bei der Erfüllung tierschutzrechtlicher Vorschriften und beantwortet Anfragen von Wissenschaftlern, Tierschutzbeauftragten und anderen Interessenten zur Anwendung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen. Darüber hinaus erforscht, entwickelt und validiert die ZEBET im eigenen Labor – vorwiegend im Bereich gesetzlich vorgeschriebener, toxikologischer Testverfahren. Nicht zuletzt ihr ist zu verdanken, dass es nunmehr validierte Alternativmethoden im Bereich der Phototoxizität (relevant etwa für Kosmetika) und der Toxizität an Haut und Auge gibt. Die ZEBET ist auch engagiert, Empfehlungen zur zügigen Validierung und behördlichen Akzeptanz von Alternativmethoden zum höchst umstrittenen LD50 - Test für die Zulassung und chargenweise Freigabe von Botox-Produkten zu erarbeiten (LD50: Dosis, die für 50 Prozent der Tiere tödlich ist).

Bei all dem ist auch eines nicht zu vergessen: Mit keiner Methode – nicht mit Tierversuchen und auch nicht mit klinischen Studien – kann man alle Arzneimittelrisiken für Menschen ausschließen. Es ist auch bekannt, dass Arzneimittel bei Männern und Frauen, bei Asiaten und Europäern oder Afrikanern unterschiedlich wirken können. Selbst in recht homogenen Gruppen, etwa ausschließlich europäischen Männern, gibt es Unterschiede beim Ansprechen auf ein Medikament – dies ist der Ansatz für die personalisierte Medizin.


Personalisierte Medizin


Einen positiven Einfluss auf die Tierversuchszahlen könnte das Fortschreiten der personalisierten Medizin haben. Allerdings ist die Entwicklung solcher gezielt wirkenden Substanzen, die Nebenwirkungen möglichst gut ausschalten können, noch mehr eine Vision denn Wirklichkeit. Absehbar ist aber: Es wird sich um hochmolekulare biologische Substanzen handeln – vor allem im Bereich der Antikörper. Als Versuchstiere kommen daher nur Primaten infrage. In der Industrie besteht aber die Hoffnung, dass angesichts der gezielten Wirkung nur wenige Tiere für Tests herangezogen werden müssen.


Da wäre es vermessen, zu sagen, Tierversuche ließen sich eins zu eins auf den Menschen übertragen. Wir wissen heute: Der Mensch verträgt Acetylsalicylsäure, ebenso der Hund – die Katze hingegen nicht. Eine Art Contergan-Skandal könnte sich heute nicht wiederholen, glaubt man der forschenden Industrie. Anders als damals sind heutzutage bei neuen Wirkstoffen Prüfungen auf Teratogenität – also eine Missbildungen hervorrufende Wirkung auf Embryonen und Föten – fester Bestandteil des vorklinischen Testprogramms. Wird eine solche Wirkung festgestellt, heißt dies aber noch nicht, dass das Medikament keine Chance im Markt hat. Überzeugt das Arzneimittel im Übrigen, wird in solchen Fällen die Anwendbarkeit beschränkt. Allerdings zeigten im Fall von Contergan auch spätere Tests an schwangeren Ratten und Mäusen keine teratogene Wirkung. Die Industrie suchte eine Weile, bis sie das richtige Kaninchen fand, bei dem derartige Schädigungen der Leibesfrucht beobachtet werden konnten. Seit der Contergan-Katastrophe müssen Tests in der Pharmaindustrie auch stets an mindestens zwei Spezies durchgeführt werden – zumeist an einem Nager und einer anderen Art. Bei Biologicals muss diese zweite Spezies einer EU-Richtlinie zufolge ein Affe sein. Allerdings gab es auch hier schon einen berüchtigten Fehlschlag, den Tierversuchsgegner immer wieder zitieren: Eine deutsche Biotechnologie-Firma hatte einen monoklonalen Antikörper entwickelt (TGN1412, TeGenero), der die Tests an Primaten erfolgreich überstanden hatte. Ein erster Test an Menschen im Jahr 2006 ging jedoch komplett daneben: Innerhalb weniger Stunden nach der Injektion erlitten die gesunden Probanden ein multiples Organversagen.

Trotz aller Bedenken hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf den Menschen: Tierversuche können einiges abfangen, sie sind quasi ein "Airbag". Eine retrospektive Studie aus dem Jahr 1962 zeigte, dass rund 70 Prozent der bei Tierversuchen beobachteten Nebenwirkungen auch beim Menschen auftraten. 80 Prozent der ausgeschlossenen Nebenwirkungen kamen auch beim Menschen nicht vor. Diese Ergebnisse wurden immer wieder infrage gestellt. 2000 wurde abermals eine retrospektive Studie durchgeführt, die die 70 Prozent bestätigt [6]. Einige Nebenwirkungen – etwa solche auf das psychische Befinden – werden im Tierversuch aber immer verborgen bleiben. Offen bleibt, wie viele Medikamente wegen ihrer Nebenwirkungen bei Tieren gar nicht erst bis zum Menschen vordrangen, obwohl diese möglicherweise keine Nebenwirkungen erlitten hätten.


Internet


Weitere Informationen rund um das Thema Tierversuche:

Mediziner, die sich für eine Forschung ohne Tierversuche einsetzen: www.aerzte-gegen-tierversuche.de

Mehr zur ZEBET und der Forschung an Alternativmethoden zu Tierversuchen: www.bfr.bund.de/de/zebet-1433.html

Gebündelte Informationen gibt es auch bei der beim Deutschen Tierschutzbund e.V. angesiedelten Tierschutzakademie: www.tierschutzakademie.de

Deutsches Primatenzentrum: www.dpz.eu

Über das Internet können Sie die vfa-Broschüre "Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaindustrie" (Stand: Februar 2012) als Download speichern oder kostenlos bestellen: www.vfa.de/publikationen



Quellen

[1] Versuchstierzahlen 2010, veröffentlicht vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Eine Auswertung speziell für die pharmazeutische und medizintechnische Industrie findet sich in der vfa-Broschüre "Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaindustrie".

[2] www.basel-declaration.org > Download the Declaration in German.

[3] vfa-Positionspapier "Tierversuche in der pharmazeutischen Forschung” (24. 2. 2012); www.vfa.de > Wirtschaft & Politik > Positionen.

[4] Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere; http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm > CELEX-Nummer 32010L0063.

[5] Entwurf eines Gesetzes Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes, Bundestagsdrucksache 17/10572 vom 29. August 2012; http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/105/1710572.pdf.

[6] Olson H, et al. Concordance of the toxicity of pharmaceuticals in humans and in animals. Regul Toxicol Pharmacol 2000 August; 32(1): 56 – 67.



DAZ 2012, Nr. 39, S. 58

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