Fragen aus der Praxis

Kinder mit Neurodermitis

Wann sind Pflegeprodukte, wann Rezepturen verordnungsfähig?

Frage


Ein dreijähriges Mädchen mit Neurodermitis hat lange Zeit vom Kinderarzt verordnete Pflegeprodukte erhalten, die Kosten wurden von der Krankenkasse übernommen. Doch nun können nach mehreren Retaxationen die Produkte (z. B. Neuroderm® Pflegecreme, Excipial®) trotz ärztlicher Verordnung nicht mehr zulasten der GKV abgegeben werden. Warum?

Antwort geben


Apothekerinnen und Wissenschaftlerinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen.


Das Problem wird sich in der Praxis immer wieder stellen. Unser Kind ist nur eines von vielen Neurodermitis-Kindern, bei denen die akuten Krankheitszeichen durch sorgfältige Hautpflege zurückgedrängt werden konnten. Doch eine Verordnung zulasten der GKV ist meist nicht möglich, auch wenn der Arzt sie für unbedingt notwendig hält.

Anlage V der AM-RL entscheidend

Die meisten Pflegeprodukte bei Neurodermitis sind keine Arzneimittel, sondern Medizinprodukte oder "medizinische Hautpflegeprodukte" (kein geschützter Begriff); so auch die im Eingangsbeispiel genannten Pflegeprodukte. Keines dieser Medizinprodukte steht auf der Anlage V der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) und ist damit weder für Erwachsene noch für Kinder unter zwölf Jahren verordnungsfähig. Daneben gibt es eine überschaubare Anzahl von apothekenpflichtigen Präparaten, die zumindest für Kinder unter zwölf Jahren (und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen) verordnungsfähig sind. Für Erwachsene gibt es keine Pflegeprodukte zulasten der GKV, wie unlängst das Bundessozialgericht urteilte (Az: B 1 KR 24/10 R), da diese alle apothekenpflichtige Arzneimittel seien, eine Leistungspflicht für die Krankenkasse nicht bestehe und auch keine Ausnahme in der AM-RL vorgesehen sei.

Die apothekenpflichtigen Arzneimittel müssen vom Arzt gemäß Anlage III der AM-RL zunächst bewertet werden, ob ihre medizinische oder nur ihre kosmetische Wirkung im Vordergrund steht (Anlage III Nr. 23). Steht der medizinische Aspekt im Vordergrund, etwa während einer Cortisontherapie im cortisonfreien Intervall, können für Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres (und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres) die in der Tabelle aufgeführten Präparate verordnet werden.


Tab.: Potenziell verordnungsfähige Pflegeprodukte

Produktart
Beispiele
Badezusätze
z. B. BalneumHermal® , Espaflor® , Balneovit® , Linola Ölbad® , Neuroderm®
Harnstoff(Urea)-haltige Produkte
z. B. Optiderm® , Basodexan® , Elacutan® , Nubral® , Ureotop® , Linola urea®
Stark fettende Produkte
z. B. Linola® (nur bestimmte Produkte, die Arzneimittel sind), Essex® Basis
Sonstige
z. B. Dermapharm® , Allergika® Basis, Decoderm® Basis
* Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!
Medizinische Hautpflegeprodukte können nicht von der GKV erstattet werden.  Foto: lisalucia - Fotolia.com

Manche dieser Arzneimittel sind allerdings nur zur Intervallbehandlung bei Cortisontherapie zugelassen, andere wiederum enthalten Konservierungsstoffe, die bei einer Neurodermitikerhaut problematisch sein können. Kleinere Kinder (bis etwa fünf Jahre) reagieren auf Harnstoff nicht selten mit Hautbrennen.

Und als Rezeptur?

Dermatologische Rezepturen sind für viele Patienten, die an behandlungsbedürftigen Hauterkrankungen leiden und mit Fertigarzneimitteln nicht optimal versorgt sind, eine Möglichkeit, individuell therapiert zu werden. So lassen sich Rezepturen sowohl hinsichtlich der Dosierung, der Konservierung und der Inhaltsstoffe, aber auch hinsichtlich der Rezepturgrundlagen an die Bedürfnisse des Patienten anpassen. Unterschieden werden standardisierte Rezepturen (Magistralrezepturen, z. B. im NRF), individualisierte Magistralrezepturen (die dann etwas abgewandelt sind) und Individualrezepturen. Dabei lauern allerlei pharmazeutische Fallstricke, aber auch die Verordnungsfähigkeit ist nicht immer leicht zu beurteilen – so sind nicht alle NRF-Rezepturen automatisch verordnungsfähig, nur weil sie standardisiert sind, ebenso sind nicht alle Individualrezepturen verordnungsfähig, weil der Arzt diese für notwendig hält.

Wirkstofffreie Rezepturen

Hier wird man in der Regel keine verschreibungspflichtigen Substanzen finden, sondern nur apothekenpflichtige bzw. frei verkäufliche Grundlagen wie die oben erwähnten medizinischen Hautpflegeprodukte. Diese sind ähnlich zu beurteilen wie die wirkstofffreien Pflegeprodukte bei Neurodermitis. Für Erwachsene sind sie nicht verordnungsfähig (s. o.), bei Kindern muss der Arzt eine Abwägung treffen, ob die medizinische Wirkung oder eine kosmetische im Vordergrund steht. Der Vorteil einer selbst angefertigten oder fertig bezogenen Salbengrundlage ist, dass alle Bestandteile dieser Grundlagen auch mit ihren Mengen bekannt sind (Wasser/Fett-Gehalt), so dass hier eine optimale Anpassung an die Bedürfnisse erfolgen kann.

ApothekenpflichtigeWirkstoffe oder Grundlagen

Viele Wirkstoffe sind nach der Verschreibungsverordnung apotheken-, aber nicht rezeptpflichtig (bzw. bis zu einer bestimmten Menge apothekenpflichtig, z. B. Clotrimazol, Aciclovir). Hier gilt das Prinzip: apothekenpflichtige Wirkstoffe sind für Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres (und für Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres mit Entwicklungsstörungen) in der Regel verordnungsfähig. Für Erwachsene sind nur bestimmte Wirkstoffe bei bestimmten Erkrankungen in einer Rezeptur verordnungsfähig (siehe Anlage I der Arzneimittelrichtlinie), z. B. Iod, Salicylsäure, topische Anästhetika/Antiseptika, Harnstoff, Antimykotika (siehe auch DAZ 2012; Nr. 30, S. 40 – 43). In einigen Lieferverträgen sind die Apotheken explizit dazu verpflichtet worden, auch Rezepturen zu überprüfen, ob sie nur apothekenpflichtige Substanzen enthalten und daher für Erwachsene nicht verordnungsfähig sind. Sieht der landesspezifische Arzneimittelliefervertrag eine solche Prüfung vor, wäre z. B. ein Aluminiumchlorid-Hexahydrat Gel bei Hyperhidrosis für Erwachsene nicht auf einem Rezept abzugeben.


Was tun wenn?


Frage: Was tun, wenn etwas auf einem Kassenrezept verordnet ist, was nicht abgegeben werden darf, z. B. eine apothekenpflichtige Rezeptur oder ein apothekenpflichtiges Externum für Erwachsene? (siehe auch DAZ 2012; Nr. 30, S. 40 – 43)

Antwort: Dafür gibt es keine Vorschrift oder Handlungsanweisung, daher lässt sich keine allgemeingültige Vorgehensweise festlegen.

Möglichkeit 1: Den Arzt informieren, dass dieses Arzneimittel nicht abgegeben werden darf, und ihn eventuell um eine Alternative bitten bzw. eine vorschlagen. Dies ist häufig kein gangbarer Weg, da der Arzt in diesem Fall nicht einfach etwas Verschreibungspflichtiges verordnen darf, denn dies widerspräche dem Wirtschaftlichkeitsgebot.


Möglichkeit 2: Den Patienten entsprechend aufklären und anbieten, ihm die Rezeptur oder das Arzneimittel zu seinen Lasten anzufertigen bzw. abzugeben.


Möglichkeit 3: Das Arzneimittel oder die Rezeptur abgeben. Dies wird zumindest für das Fertigarzneimittel in der Regel zu einem Regress führen, bei der Rezeptur möglicherweise auch, wenn die entsprechende Prüfpflicht verletzt wurde. Es ist nachträglich nicht möglich, dem Patienten dann das Arzneimittel oder die Rezeptur in Rechnung zu stellen.



Manchmal soll eine Individualrezeptur auch dazu dienen, eine Therapie mit Wirkstoffen durchzuführen, die in Fertigarzneimitteln nicht (mehr) enthalten sind. Hier ist Vorsicht geboten: Manche dieser Wirkstoffe sind aus Arzneimitteln verschwunden, da sie nicht unbedenklich sind. So wäre beispielsweise eine Rezeptur, die den Wirkstoff Bufexamac enthält, als bedenkliche Rezeptur einzustufen, da dieser Wirkstoff aufgrund seines allergieauslösenden Potenzials seine Zulassung 2010 verloren hat. Diese Tatsache fällt bei der mittlerweile nach der ApBetrO (§ 7) notwendigen Plausibilitätsprüfung auf, und eine entsprechende Rezeptur darf nicht abgegeben werden. Eine entsprechende Vorschrift findet sich auch im AMG (Arzneimittelgesetz § 5 Absatz 1). Die Arzneimittelkommission der deutschen Apothekerschaft führt eine Liste mit bedenklichen Rezeptursubstanzen, die allerdings keinen rechtsverbindlichen Charakter hat, da der AMK die entsprechende Legitimation fehlt. Zudem kann diese Liste nie abschließend sein, da sich die Erkenntnisse laufend ändern können. Sind hingegen Risiken aus der Literatur bekannt und bestehen deshalb Vorbehalte, sollte der Arzt informiert und dies entsprechend dokumentiert werden. Bleibt der Arzt dann bei seiner Verordnung, kann die Rezeptur abgegeben werden.

Verschreibungspflichtige Wirkstoffe

Hier ist die Beurteilung der Verordnungsfähigkeit einfacher; der übliche Fall ist ein verschreibungspflichtiger Wirkstoff in einer Grundlage, und das ergibt eine verordnungsfähige Rezeptur. Hinweise darauf, welche Wirkstoffe verschreibungspflichtig sind, gibt die AMVV (Arzneimittelverschreibungsverordnung) sowie die BtMVV (Betäubungsmittelverschreibungsverordnung). Auch hier muss eine Plausibilitätsprüfung erfolgen und die Unbedenklichkeit abgeklärt werden. Einige Wirkstoffe sind nur in bestimmten Konzentrationen verschreibungspflichtig, in niedrigeren Konzentrationen hingegen nicht. Beispiel dafür ist der Minoxidil-Haarspiritus, der bis zu einer Konzentration von 5% zur Anwendung bei androgenetischer Alopezie nur apothekenpflichtig ist (und noch zusätzlich in der Arzneimittelrichtlinie Anlage II als Lifestyle-Arzneimittel gelistet ist). Das Gleiche gilt für niedrig dosiertes Hydrocortison, das bis zu einer bestimmten Konzentration apothekenpflichtig ist.


Antwort kurz gefasst


  • Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit medizinischer Hautpflegemittel ist die Listung in Anlage V der Arzneimittelrichtlinie. Beide genannten Produkte fallen nicht darunter.

  • Apothekenpflichtige Pflegeprodukte können zumindest für Kinder bis zwölf Jahre verordnungsfähig sein.

  • Wirkstofffreie Rezepturen können bei Kindern verordnet werden, wenn der Arzt es für medizinisch notwendig erachtet.

  • Apothekenpflichtige Wirkstoffe und Grundlagen in Rezepturen sind für Kinder bis zwölf Jahre verordnungsfähig.

  • Verschreibungspflichtige Wirkstoffe in Rezepturen sind verordnungsfähig.



Im Übrigen ist der Arzt zur wirtschaftlichen Verordnungsweise verpflichtet. So sind Rezepturen, die deutlich teurer sind als entsprechende Fertigarzneimittel, sicherlich nicht wirtschaftlich. Auch die Verordnung von kleinsten Mengen eines verschreibungspflichtigen Stoffes (z. B. eines anderen Cortisons als Hydrocortison) in einer Rezeptur, damit die gesamte Rezeptur verordnungsfähig zulasten der Krankenkasse wird, ist eine Umgehung des Wirtschaftlichkeitsgebotes und dem Arzt droht ein Regress.


Literatur

[1] Bundessozialgericht BSG-Urteil zum Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Basispflege bei Neurodermitis – Az: B 1 KR 24/10 R vom 06.03.2012

[2] www.g-ba.de, Arzneimittelrichtlinie AMR, letzter Zugriff 14.09.2012

[3] Arzneimittelgesetz, Apothekenbetriebsordnung, jeweils gültige Fassung

[4] Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV), gültige Fassung

[5] Deutscher Arzneimittel Codex/Neues Rezeptformularium, Stand 01.11.2011

[6] Bedenkliche Rezepturarzneimittel, Stand Februar 2011, Pharmazeutische Zeitung Nr. 15/2011, 14.04.2011, Seite 103-105

[7] Rezepturqualität – worauf kommt es an? LAK Hessen/ZL begleitender Unterricht, August 2012

[8] KVNO extra: Arznei- und Heilmittelregresse 2010, Kapitel IV Arzneimittelrichtlinie

[9] Leitfaden zur Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen dermatologischen Therapie, Stand 1.1.2012, letzter Zugriff unter www.cvderm.de am 9. Juli 2012

[10] Deutsches Apothekenportal, DAP Newsletter, "Retax: Nicht apothekenpflichtige Rezepturverordnung", 15.07.2010


Autorinnen

Insa Heyde, Daniela Böschen, Stanislava Dicheva, Anna Hinrichs, Heike Peters

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen



DAZ 2012, Nr. 39, S. 51

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