Aus Kammern und Verbänden

Zehn Jahre DPV

Festsymposium in Berlin

Mit einem ganztägigen Festsymposium beging der Deutsche Pharmazeutinnen Verband (DPV) am 22. September in Berlin sein zehnjähriges Bestehen. Die Vorsitzende Prof. Dr. Karen Nieber, Leipzig, umriss in ihrer Begrüßungsrede die Mission des Verbandes, der es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Netzwerke zu bilden und die Situation der Frauen im Berufsstand zu verbessern. In Festvorträgen wurden die Vergangenheit und die Gegenwart beleuchtet, und eine Podiumsdiskussion war den Erwartungen an die Zukunft der Pharmazie gewidmet.
Vorstandsmitglieder des DPV (von links): Dr. Gudrun Ahlers, Antonie Marqwardt, Dr. Anne Lewerenz, Prof. Dr. Karen Nieber, Dr. Martina Hahn, Dr. Jacqueline Schönfelder. Foto: dpv

Die zehnjährige Geschichte des Deutschen Pharmazeutinnen Verbandes war von vielen Veränderungen im Gesundheitswesen geprägt, die der DPV schwerpunktmäßig durch Stellungnahmen und Teilnahme an Anhörungen begleitet hat. Unverändert steht der Verband hinter der wohnortnahen Apotheke als umfassender Stelle für die Arzneimittelversorgung. Als Voraussetzungen hierfür sieht die Vorsitzende Nieber eine den Bedürfnissen angepasste Ausbildung und ein gutes, kollegiales Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker an.

Apotheke am Scheideweg

Im ersten Festvortrag ging Karin Graf, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der ABDA, auf die Positionierung der Apothekerschaft im heutigen politischen Umfeld ein. Graf beobachtet eine Polarisierung des Arzneimittelmarktes in "Masse" (in Form von Billig-Generika) und "Klasse" (in Form von hochpreisigen Innovationen) und daneben eine "Profanisierung" von Arzneimitteln, die, soweit rechtlich zulässig, zunehmend außerhalb der Apotheke gekauft werden. Durch die Preisfreigabe bei OTC-Arzneimitteln müssen die Apotheken den Wettbewerb mit den Discountern aushalten, der politisch als positiv angesehen wird, aber die Apotheker einem ständigen Rechtfertigungsdruck ihrer Dienstleistung am Patienten aussetzt. Im Endeffekt wird hierdurch das Spannungsfeld zwischen Heilberuf und Kaufmann immer größer.

"Die Apotheke steht am Scheideweg", sagte Graf. Für sie besteht der einzige Lösungsweg darin, dass eine Apotheke sich aus der GKV-Versorgung ohne Quersubventionierung aus dem Restgeschäft rechnen muss, damit sie ihre eigentliche Kompetenz, die individuelle Kundenberatung, voll zur Entfaltung bringen kann. Hier kann sie zudem gegenüber anderen Beratungsstellen wie etwa Call Centern deutlich besser punkten. Graf glaubt fest an die Sinnhaftigkeit und die Zukunft des ABDA-KBV-Modells, das zu ihrem Bedauern im ersten Schritt nur in den Bundesländern Thüringen und Sachsen umgesetzt wird. Bezüglich der Wirkstoffverordnung hob sie hervor, dass 22 der 27 EU-Mitgliedstaaten Aut-idem-Regelungen haben; in vier Staaten seien Aut-idem-Verordnungen sogar verpflichtend.

Neuerungen aus Brüssel

Graf ging auch auf einige neuere EU-Aktivitäten ein und führte zunächst die Umsetzung der europäischen Fälschungsrichtlinie an. Die Einführung eines Authentifizierungssystems mit der Apotheke als Endkontrollstation vor der Abgabe an den Patienten dürfte für die Apotheken mit erheblichen Investitionen verbunden sein. Das Projekt securPharm, in dem Apotheke, Industrie und Großhandel zusammenarbeiten, soll 2013 anlaufen.

Ein zweites Anliegen der EU-Kommission ist die grenzüberschreitende Rezeptbelieferung. Graf hält diese, zumindest in größerem Umfang, eher für unrealistisch.

Ähnlich bewertet sie eine Revision der europäischen Berufsqualifikationsrichtlinie. Hier strebe die EU-Kommission eine zusätzliche Forderung von Sprachkenntnissen, die Aufhebung jeglicher Niederlassungsbeschränkung, die Möglichkeit eines partiellen Berufszugangs sowie einen europäischen Berufsausweis an.

Frauen in der klinischen Forschung

Der Festvortag von Prof. Dr. Petra Thürmann, Wuppertal, war der Rolle der Frau in der klinischen Forschung gewidmet. Bis vor etwa 20 Jahren war die Möglichkeit relevanter geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Arzneimitteltherapie noch kaum wahrnehmbar. Vor allem Phase-I-Studien an gesunden Probanden wurden wegen der vermuteten größeren Vulnerabilität von Frauen sowie der geringeren Variabilität des Probandenkollektivs vor allem mit Männern durchgeführt. Die Sensitivität bezüglich möglicher geschlechtsspezifischer Unterschiede erwachte erstmals Ende der 1980er Jahre nach der Publikation einer Analyse von Hypertonie-Interventionsstudien. Weiter befördert wurde die Einbeziehung von Frauen in klinische Studien durch die Entwicklung neuer antiretroviraler Substanzen, bei der weibliche HIV-Infizierte ein wichtiges Kollektiv darstellten. Die US-amerikanische FDA reagierte auf diese Entwicklung im Jahr 1994 als erste Zulassungsbehörde mit neuen regulatorischen Vorgaben zum Einschluss von Frauen und "minorities" in klinische Studien.

Auch heute sind Frauen nach Thürmanns eigenen Erhebungen und Literaturanalysen in Relation zur jeweiligen Krankheitsprävalenz in klinischen Studien immer noch weit unterrepräsentiert, so z. B. in Studien zum Myokardinfarkt oder auch zu Krebserkrankungen. Bei der Mehrzahl der publizierten Studien mit Anästhetika und antiviralen Arzneimitteln war das Geschlecht der Teilnehmer gar nicht angegeben. Eine Evaluierung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA ergab Defizite bei der Einbeziehung von Frauen in klinische Studien zu Hypertonie, Diabetes, Schizophrenie und COPD.

Als Beispiele für nachgewiesene geschlechtsspezifische Unterschiede führte Thürmann die Verträglichkeit von Betablockern an, die über CYP2D6 abgebaut werden, wie Metoprolol, Carvedilol, Nebivolol und Propranolol. Daneben wurden hormonelle Einflüsse auf die Wirksamkeit von Antidepressiva festgestellt. Beispiele für Unterschiede im Nebenwirkungsprofil sind medikamenteninduzierte Herzrhythmusstörungen, von denen Frauen häufiger betroffen sind, sowie die Osteoporose, die sich bei Glitazonen als frauenspezifische Nebenwirkung darstellt.

Inzwischen ist das Thema Frauengesundheit zu einem der Hauptantreiber der klinischen Forschung geworden, so Thürmann. Ihrer Meinung nach sollten deutlich mehr Wissenschaftlerinnen als bisher an klinischen Studien mitwirken, denn es hat sich gezeigt, dass diese eher weibliche Probanden für ihre Studien rekrutieren als die männlichen Kollegen.

Aktivitäten und Erfolge

In einem weiteren Festvortrag berichteten die DPV-Vorstandsmitglieder Dr. Martina Hahn, Steinbach, und Antonie Marqwardt, Hamburg, über die Aktivitäten des Verbandes zur Netzwerkbildung. Auf nationaler Ebene wurden in den ersten Jahren Symposien für Apothekerinnen in verschiedenen Tätigkeitsfeldern abgehalten. Großen Anklang fand eine Seminarreihe zur beruflichen Orientierung für Studierende ab dem 6. Semester, unter anderem in Jena, Berlin, Freiburg, Greifswald, Leipzig, Regensburg und Saarbrücken unter dem Titel "Erfolgreich durchs PJ", die der DPV ab dem Jahr 2003 gemeinsam mit den Fachschaften organisiert hat.

Neben dieser berufsinternen Vernetzung unterhält der Deutsche Pharmazeutinnen Verband gute Beziehungen u. a. zum Deutschen Akademikerinnenbund und zum Ärztinnenbund, zum Center of Excellence Women and Science (CEWS) sowie zu den Steuerberatungsgesellschaften RST und Treuhand Hannover, mit denen in mehreren Städten Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt wurden, u. a. zum Thema Filialapotheken.

Als absolutes Highlight in der Geschichte des DPV bezeichnete Marqwardt den mit über 100 Teilnehmern gut besuchten Gender Medicine Kongress vom 6. bis 8. Juni 2008 in Heidelberg.

Ein weiteres "Markenzeichen" des DPV sind die europäischen Pharmazeutinnen-Treffen, bei denen regelmäßig ein lebhafter Informationsaustausch mit Kolleginnen aus anderen Ländern gepflogen wird. Insgesamt konnten für die bislang acht Treffen laut Hahns Bericht Teilnehmerinnen und Referentinnen aus 28 Ländern gewonnen werden. Besonders eng arbeitet der DPV mit den beiden Schwesterverbänden NOVA in den Niederlanden und NAWP in Großbritannien zusammen.

Blick über den Ärmelkanal

Die Glückwünsche der britischen National Association of Women Pharmacists (NAWP) überbrachte deren Vorsitzende Virginia Watson. Sie warf auch einen Blick zurück in ihre Verbandsgeschichte. Die NAWP wurde bereits vor mehr als 100 Jahren gegründet. Standen in den Anfangszeiten die Anerkennung und Eingliederung der Frauen im Pharmaberuf im Vordergrund der Verbandsinteressen, so sind es heute die Ausbildung und Karriereförderung. Ein weiteres wichtiges Anliegen der NAWP war und ist darüber hinaus die Erleichterung des Wiedereinstiegs in den Beruf und die Unterstützung bei einem gewünschten Wechsel des Tätigkeitsbereichs.

NAWP-Mitglieder sind in hochrangigen pharmazeutischen und Verwaltungsgremien Großbritanniens vertreten, und der Verband genießt nach Watsons Darstellung gesundheitspolitisch und gesellschaftlich ein hohes Ansehen. Wissenschaftliche Themen werden seit mehr als 30 Jahren in Jahreskongressen jeweils zu einem medizinischen Thema bearbeitet.

Großbritannien hat derzeit mehr Apotheker in der Ausbildung als offene Stellen. Befristete Arbeitsverträge nehmen zu, und durch neue Trends, wie z. B. die Übernahme durch einen US-amerikanischen Betreiber, befürchtet Watson eine Hinwendung zur Gewinnmaximierung und damit einhergehend eine Einschränkung der freien Berufsausübung der dort tätigen Apotheker.

Ist die Apothekerausbildung noch adäquat?

In einer abschließenden Podiumsdiskussion äußerten Vertreter aus der Hochschule und der pharmazeutischen Praxis, der Überwachung und der Industrie ihre Vorstellungen über die Zukunft der Apotheke. Das ABDA-Vorstandsmitglied Graf setzt im Wesentlichen auf Alleinstellungsmerkmale der Pharmazie zur Zukunftssicherung.


Teilnehmer der Podiumsdiskussion


Dr. Roberto Frontini, Leipzig

Karin Graf, Weinheim

Dr. Natascha Hess, Berlin

Dr. Anne Lewerenz, Leipzig

Prof. Dr. Karen Nieber, Leipzig (Moderation)

Dr. Christoph Theurer, Leverkusen


Eine offensivere Haltung vertritt der Krankenhausapotheker und Präsident der European Association of Hospital Pharmacists Frontini. Für ihn müssen Apotheker in Zukunft noch einiges mehr mitbringen. Frontini glaubt, dass die Ausbildung der praktischen Tätigkeit heute nicht mehr gerecht wird. Er fordert daher eine radikale Revision der Apothekerausbildung mit einer Hinwendung zur klinischen Pharmazie und in enger Verzahnung mit der Medizinerausbildung. Die Medizinerin Hess würde gern den Weg gemeinsamer Fortbildungen mitgehen. Frontini reklamiert darüber hinaus weitergehende Kompetenzen wie etwa auf dem Gebiet der Verschreibung von Arzneimitteln und eine Stärkung der Position der Krankenhausapotheker als Partner der Ärzte in der Arzneimitteltherapie. Er stellte sogar die Behauptung auf, dass der Apothekerberuf ohne Weiterbildung nicht ordentlich ausgeübt werden könne, weshalb seine Organisation auf europäischer Ebene dafür kämpft, dass eine Weiterbildung offiziell als zusätzlicher Fachtitel, ähnlich wie bei den Ärzten, anerkannt wird. "Wenn man für große Veränderungen nicht den Mut aufbringt, riskiert man, dass der Berufsstand untergeht", meint Frontini.

Die Überwachungsbeamtin Lewerenz hält diese massive Kritik an der Ausbildung nicht für gerechtfertigt. Zum einen brauche kein Apotheker Angst vor einem Arzt zu haben, sofern jeder seine Kompetenzen einbringt, und zum anderen könne über die Ausbildung nicht alles vermittelt werden, was im Beruf nachher auf die Apotheker zukommt. Die Ausbildung soll vielmehr dazu befähigen, sich immer wieder neue Kenntnisse und Kompetenzen anzueignen.

Auch nach Einschätzung des Industrieapothekers Theurer sind Pharmazeuten für den Berufsalltag recht gut gerüstet. In der Industrie stehen sie im Wettbewerb mit anderen Berufsgruppen sogar sehr gut da. Wegen der interdisziplinären Ausbildung und der regulatorischen Grundkenntnisse sind Apotheker bei Pharmaunternehmen in vielen Bereichen gesucht und begehrt, so z. B. in der analytischen und galenischen Entwicklung und in der Arzneimittelzulassung, aber auch für Post-Marketing-Aufgaben wie die medizinisch-pharmazeutische Information und den Vertrieb.


hb



DAZ 2012, Nr. 39, S. 93

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.