Arzneimittel und Therapie

"Best of the year" in der Onkologie

Strategien, um Zytostatika an den Wirkort zu bringen

Vom 19. bis 23. Oktober 2012 trafen sich zum 75-jährigen Bestehen der deutschen Fachgesellschaft DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie) knapp 5000 Ärzte, Wissenschaftler und Pflegekräfte in Stuttgart, um über aktuelle Forschungsergebnisse aus der Onkologie und deren Umsetzung in die Praxis zu diskutieren. Traditionsgemäß wurden in der Eröffnungssitzung die wichtigsten Neuerungen dieses Jahres aus der Sicht eines Hämatologen und eines Onkologen zusammengefasst.

Für Diagnostik und Therapie hämatologischer Erkrankungen gewinnt die Molekulargenetik zunehmend an Bedeutung. Wie Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow, Münster, erläuterte, hat sich durch die Genomsequenzierung ein Paradigmenwechsel von der zellulären zur molekularen Pathologie vollzogen. Die Diagnostik orientiert sich an krankheitsverursachenden Mutationen, deren fehlgeleitete Signalwege mithilfe zielgerichteter Wirkstoffe unterbunden werden sollen. Bei der Klassifikation einer Krebserkrankung stehen nicht mehr die betroffenen Organe, sondern die krankheitsdefinierenden Mutationen im Vordergrund. Diese Mutationen können als prädiktive und prognostische Parameter angesehen werden, da sie sowohl das Ansprechen einer Therapie voraussagen wie auch den Verlauf einer Erkrankung bestimmen. So wurden etwa bei der Haarzell-Leukämie bestimmte BRAF-Mutationen gefunden, die in ersten Studien erfolgreich mit dem BRAF-Inhibitor Vemurafenib (für diese Indikation derzeit nicht zugelassen) behandelt werden konnten.

Mutationen können auch bei der Resistenzentwicklung eine Rolle spielen. So sind einige molekulargenetisch definierte Mutationen bekannt, die für die Resistenz gegen Tyrosinkinase-Inhibitoren verantwortlich sind. Dies führte bereits zur Entwicklung neuer Tyrosinkinase-Blocker, um den Resistenzmechanismen der Tumorzelle entgegenzuwirken.

Wichtige Neuerungen in der Hämatologie


  • molekulare Klassifikationen durch Genomsequenzierung

  • Entwicklung konjugierter Antikörper
    – Anti-CD30: Brentuximab Vedotin
    – Anti-CD22: Inotuzumab Ozogamicin
    – Anti-CD33: Gemtuzumab Ozogamicin
    – Anti-HER2: Trastuzumab Emtansin

  • therapeutische Fortschritte bei
    – der allogenen Stammzelltransplantation
    – beim multiplen Myelom
    – beim Mantelzelllymphom

Konjugierte Antikörper

Zu weiteren wichtigen Novitäten zählt Müller-Tidow konjugierte Antikörper, mit deren Hilfe zytotoxische Komponenten direkt an den Wirkort gebracht werden können. Ein Beispiel ist das CD30-Antikörperkonjugat Brentuximab Vedotin (kurz vor der europäischen Zulassung), das beim rezidivierten oder refraktären Morbus Hodgkin sowie beim rezidivierten anaplastisch großzelligen Lymphom eingesetzt wird. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat besteht aus einem monoklonalen CD30-Antikörper ohne antitumorale Eigenschaften, einem Verbindungsmolekül und dem Zytostatikum Monomethyl-Auristatin E. Erst nach der Bindung an überexprimierte CD30-positive Tumorzellen wird das Verbindungsmolekül durch lysosomale Enzyme gespalten und das Zytostatikum freigesetzt. Einen ähnlichen Aufbau besitzen das CD22-Antikörperkonjugat Inotuzumab Ozogamicin (noch nicht im Handel), das CD33-Antikörperkonjugat Gemtuzumab Ozogamicin (nicht mehr im Handel) sowie Trastuzumab Emtansin (T-DM1). Letzteres ist ein Konjugat aus dem Antikörper Trastuzumab, dem Spindelgift DM1 (Mersantin) und einem Verbindungsmolekül und soll beim HER2-positiven metastasierten Mammakarzinom eingesetzt werden (noch nicht im Handel). In einem nächsten Schritt müssen für diese konjugierten Antikörper optimale Dosierungen, die zeitliche Abfolge ihrer Gabe sowie mögliche Kombinationen untersucht werden.

Praxisrelevante neue Daten


  • Metastasiertes kolorektales Karzinom: Der bislang nur bis zur Progression zugelassene Antikörper Bevacizumab ist auch über die Tumorprogression hinaus wirksam und verlängert bei fortgesetzter Gabe das Überleben.

  • Der neue orale Multityrosinkinase-Inhibitor Regorafenib kann als Monotherapie nach multiplen Vortherapien unabhängig vom KRAS-Status eingesetzt werden.

  • Mammakarzinom: Mit dem Immunkonjugat T-DM1 (Trastuzumab Emtansin) steht eine neue Therapieoption beim Trastuzumab-resistenten metastasierten Brustkrebs zur Verfügung.

  • Nierenzellkarzinom: Die Tyrosinkinase-Hemmer Sunitinib und Pazopanib sind in ihrer klinischen Wirksamkeit vergleichbar, doch ist die Lebensqualität unter Pazopanib besser.

Genomische Profile solider Tumoren

Auch bei soliden Tumoren rückt die Tumorbiologie zunehmend in den Vordergrund. Wie Prof. Dr. Günther Gastl, Innsbruck, hervorhob, kann dies besonders anschaulich am Beispiel des Bronchialkarzinoms gezeigt werden. Unterschied man bis vor wenigen Jahren beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) lediglich zwischen großzelligen, Adeno- und Plattenepithelkarzinomen, so kennt man heute zahlreiche genomische Profile dieser Tumorarten. Teilweise ist es bereits möglich, die Therapie nach den vorliegenden Mutationen auszurichten. So werden bei Mutationen am epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR) die EGFR-Inhibitoren Erlotinib, Gefitinib und Afatinib sowie bei ALK-Translokationen der ALK-Blocker Crizotinib eingesetzt. Werden KRAS-Mutationen nachgewiesen, ist eine Therapie mit EGFR-Inhibitoren wenig Erfolg versprechend, da KRAS-Mutationen mit einer primären Resistenz gegen EGFR-Inhibitoren vergesellschaftet sind. Wirkstoffe gegen weitere Mutationen beim NSCLC sind in der Entwicklung oder werden bereits in Studien eingesetzt.

Aktivierende Mutationen treten auch bei rund 40 bis 60% der metastasierten malignen Melanome auf. Liegt eine solche BRAF-Mutation vor, kann der BRAF-Inhibitor Vemurafenib eingesetzt werden. Die Ansprechraten unter dieser Behandlung sind im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie mit Dacarbazin hoch, doch treten nach einiger Zeit Resistenzen auf, und es gibt keine Langzeitüberlebenden unter einer Vemurafenib-Therapie. Genau umgekehrt verläuft die Immuntherapie mit Ipilimumab; hier sprechen wenig Betroffene auf die Therapie an, es gibt aber Langzeitüberlebende.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2012, Nr. 44, S. 47

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