Management

Warum Kundenzufriedenheit nicht genügt

Interview mit dem Marketingexperten Professor Anton Meyer

(diz). Wer glaubt, Marketing zu machen, indem er die Preise runtersetzt, hat es nicht verstanden. Discountpreise haben nur bedingt etwas mit Marketing zu tun. Die hohe Schule des Marketing sind Profilierung und Positionierung. Wer mehr über modernes Marketing lernen möchte: der Management-Kongress im Herbst auf Mallorca zeigt, wo’s lang geht. Prof. Dr. Anton Meyer, Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Marketing von der Ludwig-Maximilians-Universität München, wird in seinem Vortrag "Neue Kunden jetzt" zeigen, was Kunden heute wirklich von der Apotheke erwarten. In unserem Interview verrät er, wie viel eine Kundenbeziehung für eine Apotheke wert ist.
Marketing-Experte Prof. Dr. Anton Meyer Foto: Lauer-Fischer


AZ: Was erwarten Kunden von heute von der Apotheke?

Meyer: Sie wollen individuell betreut werden. Wer möchte schon eine durchschnittliche Leistung mit einem durchschnittlichen Service zu einem durchschnittlichen Preis von einer durchschnittlichen Apotheke erhalten und selbst durchschnittlich sein?


AZ: Was bedeutet dies für das Apothekenmarketing?

Meyer: Nicht austauschbar zu sein. Profilierung und Positionierung ist die hohe Schule des Marketings. Im Verdrängungswettbewerb ist sie wettbewerbsentscheidend. Keine Apotheke, kein Apotheker ist dem Wettbewerb in allen Belangen überlegen. Überall der Beste zu sein, ist fast unmöglich. Selbst Zehnkämpfer haben Schwächen. Der Grundgedanke der Positionierung ist die Fokussierung auf wenige kundenrelevante Merkmale, mit denen man einen überlegenen Kundennutzen und einen Wettbewerbsvorteil erzielen kann.


AZ: Wie setzt man dies um?

Meyer: Die Positionierung sollte auf Stärken und Kompetenzen einer Apotheke und deren Mitarbeiter gründen. Diese Stärken und sich bietende Marktchancen sind die Basis für die strategische Ausrichtung. Entscheidend ist, dass die Kunden den überlegenen Kundennutzen auch erleben und zwar möglichst konsistent an allen Kontaktpunkten mit einer Apotheke. Wir nennen dies die "Augenblicke der Wahrheit". Besonders wichtig sind dabei die Beratung und das Verhalten der Mitarbeiter im Umgang mit dem Kunden, der Service und die Weiterempfehlung.


AZ: Warum sind diese "Augenblicke der Wahrheit" so wichtig?

Meyer: Weil sie so unvergesslich sind und mit viel positiver Weiterempfehlung verbunden sind. Kundenbegeisterung entsteht durch Erlebnisse, in denen der Kunde mehr erhält als er erwartet (im positiven Sinne natürlich) oder noch besser in einem begeisternden Verhalten des Personals, das für den Kunden überraschend, unerwartet war und ihn deshalb begeistert und zum Weitererzählen animiert. Die Folge: je öfter ein Kunde dieses Erlebnis weitererzählt, desto besser merkt er sich diese Geschichte. Das Ergebnis ist eine "Quasi-Alleinstellung einer Apotheke" die auf einer klaren und erlebten Differenzierung beruht (ultimative Testfrage: wofür ist diese Apotheke "berühmt"?). Und die gleichzeitig auch für die Kunden eine hohe Relevanz besitzt (ultimative Testfrage: was würden Sie tun, wenn es diese Apotheke morgen nicht mehr gäbe?) Das ist das Ziel, das Ideal!


AZ: Wenn Sie von Kundenbegeisterung sprechen, heißt das dann, dass Kundenzufriedenheit nicht genügt?

Meyer: Letztendlich: Ja! Weil nur Kundenbegeisterung eine hohe Kundenloyalität, Kundentreue und vor allem Weiterempfehlung generiert. Zu Ende gedacht geht es darum, einen Beitrag zum Wohlbefinden, zur Steigerung der Lebensqualität (soweit möglich) des Kunden zu leisten.


AZ: Der Marketingbegriff musste in der letzten Zeit oft für vieles herhalten. Was verstehen Sie unter Marketing?

Meyer: Marketing bedeutet "unter Beteiligung aller Mitarbeiter auf effiziente Art und Weise überlegenen Kundennutzen zu schaffen, um überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen".

Im Mittelpunkt steht also der überlegene Kundennutzen und das kundenorientierte Engagement aller Mitarbeiter. Wichtig ist auch die Ursache-Wirkungs-Beziehung: Kundennutzen ist die Ursache und der Gewinn der Apotheke die Folge – und nicht umgekehrt!


AZ: Sie sprechen in Ihren Veröffentlichungen immer vom "Offensiven Marketing", was heißt das?

Meyer: Offensives Marketing bedeutet nicht Kundenwünschen und Kundenbedürfnissen bzw. dem Wettbewerb hinterherzulaufen, sondern voraus zu sein, den Kunden Orientierung geben, Marktchancen frühzeitig erkennen, Kundenverhalten und Marktstrukturen zu verändern und zu prägen und die Wettbewerber zu Nachahmern zu machen. Offensive Marketer definieren Märkte, Marktsegmente neu und schaffen neue Positionierungsräume. Sie denken über Branchen- und Produktgrenzen hinweg und orientieren sich nicht an Unternehmen in ihrer Branche.


AZ: Können Sie Beispiele aus anderen Branchen nennen?

Meyer: Kärcher, Dyson, Apple, Red Bull, Audi, Google, Globetrotter, IKEA, im Grunde auch Aldi. Diese Unternehmen sind mutig und innovativ neue Wege gegangen. Wer Kunden begeistern will, muss den Kundenerwartungen voraus sein und diese prägen statt diesen hinterherzulaufen. Denn Kundenerwartungen übertreffen kann nur, wer sie kennt, intuitiv erahnt und voraus denkt! Letztendlich können wir von diesen Vorreitern mehr lernen als von unseren Konkurrenten.


AZ: Was bedeutet denn überlegener Kundennutzen konkret?

Meyer: Überlegener Kundennutzen ist mehr als Produktwert oder Produktnutzen, sondern auch Beratung, Service und Vertrauen in den Apotheker und die Mitarbeiter. Aber auch die Vermeidung von Verunsicherung, Ärger und Nachfragen. Produkte machen oft weniger als die Hälfte der Wertschöpfung für Kunden aus. Letztendlich entscheidet die Kundenwahrnehmung und die Kundenbewertung, ob ein überlegener Kundennutzen geschaffen wird. Aufgrund der Dynamik von Kundenerwartungen und des Wettbewerbs müssen offensive Marketer immer wieder innovativ und mutig sein.


AZ: Und was meinen Sie mit kundenorientiertem Engagement aller Mitarbeiter?

Meyer: Kundenbeziehungen sind aus Sicht des offensiven Marketings ein zentraler Vermögenswert eines Unternehmens. Die individuellen Kundenbeziehungen sind das entscheidende Wertschöpfungspotenzial. Der Wert einer Kundenbeziehung entwickelt sich über die gesamte Beziehungsdauer.


AZ: Geht es dann nicht nur um Kundennutzen bei einer einzelnen Transaktion, also einem Apothekenbesuch, sondern um Beziehungsnutzen?

Meyer: Ja, ein treuer Kunde will Zeit, Aufwand und Mühen sparen, er will vertrauen können und Vertrauen erfahren, er will eine Vorzugsbehandlung, eine freundschaftlich familiäre Beziehung. Im Ergebnis bedeutet dies: Du kennst mich! Ich sage Dir was ich will und Du kümmerst Dich darum! Du vergisst das nicht und erinnerst Dich an mich beim nächsten Mal! Du weißt besser als ich, was ich wirklich brauche! Für den Aufbau und die Pflege von individuellen Kundenbeziehungen spielen alle Mitarbeiter eine entscheidende Rolle – außer eine Apotheke schafft es, wie Amazon eine "rein digitale, lernende Beziehung" aufzubauen.


AZ: Welche Rollen haben die Mitarbeiter konkret?

Meyer: Mitarbeiter prägen das Erscheinungsbild, verkörpern die Markenwerte einer Apotheke als Markenbotschafter, emotionalisieren und individualisieren die Kundenbeziehung, informieren und überzeugen im Dialog, sind Vertrauensanker und "Co-Produzenten" der Qualität. Sie machen eine Beziehung lebendig und unverwechselbar.


AZ: Wie viel ist dann eine Kundenbeziehung für eine Apotheke wert?

Meyer: Im Durchschnitt steht ein Kunde für ca. 420 Euro Umsatzerlöse pro Jahr in einer Apotheke. Der "Lebensumsatz" pro Kunde wäre entsprechend ca. 20.000 bis 25.000 Euro. Diese Werte sind übrigens deutlich höher, als die durchschnittlichen "Lebensumsätze" im Supermarkt oder in Drogeriemärkten. Bei speziellen Kundengruppen wie Diabetikern oder Asthmatikern können diese Werte um ein Vielfaches höher sein. Entsprechend wirkt sich der Gewinn oder Verlust von Kunden positiv oder negativ auf das Ergebnis einer Apotheke aus. Dass gerade die Top-Kunden individuell betreut werden sollten, ist deshalb selbstverständlich.


AZ: Spielt dann das individuelle Marketing zur Kundengewinnung und Kundenbindung nur bei diesen Kunden eine entsprechende Rolle?

Meyer: Nein, mittlerweile bei allen Kunden und zwar als Differenzierungsfaktor in mehrfachem Sinne. Internet, Digitalisierung und Smartphones mit den dazugehörigen Apps ermöglichen und erfordern individuelle und persönliche Kundenkommunikation und Kundeninteraktionen in der Apotheke, letztlich aber überall und wann immer die Kunden es wünschen bzw. sich mit gesundheitsrelevanten Themen beschäftigen.

Gleichzeitig sind damit auch maßgeschneiderte und vernetzte "Gesundheitslösungen/-Services" und "Self-Services" möglich. Damit können neue Kunden gezielt gewonnen und bestehende Kundenbeziehungen vertieft und gestärkt werden sowie die Weiterempfehlung erleichtert werden. Mit jeder individuellen Kundeninteraktion oder Kundengewinnungsaktion entsteht weiteres Kundenwissen als Basis für die Weiterentwicklung der Kundenbeziehung.


AZ: Worin liegt die größte Herausforderung bei der von Ihnen skizzierten Digitalisierung und Individualisierung des Apothekenmarketing?

Meyer: Die Kundenbegeisterung im persönlichen Kundenkontakt in der Apotheke ist die Basis. Der Beginn und die Fortsetzung der Kundenbeziehungen "außerhalb" der Apotheke im Alltag der Kunden durch digitale Information, Kommunikation und Interaktion ist eine große Herausforderung und Chance für viele Apotheker. Die größte Herausforderung ist allerdings die Vernetzung von realen und digitalen Interaktionen zu einem "stimmigen" Konzert.


AZ: Herr Professor Meyer, vielen Dank für das Gespräch.


Veranstaltungstipp: So geht Management!


Kommen Sie mit zum Management-Kongress nach Mallorca!

Vom 31. Oktober bis 4. November 2013 hören Sie Vorträge, bei denen sich alles ums richtige Management einer Apotheke dreht.

Einer der Top-Referenten beim Management-Kongress wird Prof. Dr. Anton Meyer, Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Marketing von der Ludwig-Maximilians-Universität München sein. Er zeigt, was individuelles Marketing für die offensive Apotheke bedeutet. Meyer ist einer der renommiertesten Marketing-Experten Deutschlands. Er setzt sich in zahlreichen wissenschaftlichen und praxisorientierten Veröffentlichungen, Projekten und Vorträgen mit Fragen der Kundenorientierung, der markt- und ressourcenorientierten Unternehmensführung, des Dienstleistungsmarketings, des Vertriebs, der Markenführung und der Lebensqualität auseinander. Kreativität, Innovationsfreude, Mut und Überzeugungskraft sind für ihn mindestens genauso wichtig wie Berechenbarkeit und Strategien. Meyer kann bis heute über 800 Veröffentlichungen in internationalen und nationalen wissenschaftlichen Fachkreisen, aber auch in praxisorientierten Medien vorweisen. Zu seinen Standardwerken gehört sein Buch "Offensives Marketing: Gewinnen mit POISE – Märkte gestalten, Potenziale nutzen" (kostenloser Download des ersten Kapitels unter: www.offensivesmarketing.de).

Der Management-Kongress wird veranstaltet von Lauer-Fischer und der Deutschen Apotheker Zeitung. Weitere Infos finden Sie unter www.lauer-fischer.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.