Gesundheitspolitik

Wie nachhaltig ist die Nachhaltigkeitsdebatte?

Andreas Kaapke

Nachhaltigkeit ist in aller Munde und gilt als eines der Zauberworte schlechthin. Insbesondere im deutschen Handel wird das Thema besonders heiß gekocht, was dazu führt, dass ein regelrechter Hype ausgebrochen zu sein scheint, den Verbrauchern, aber auch einer breiten Öffentlichkeit zu dokumentieren, wie nachhaltig gewirtschaftet wird. Die typischen Schlagzeilen sind bekannt: "Europa wirft jedes Jahr drei Millionen Tonnen Brot auf den Müll, womit ganz Spanien versorgt werden könnte", "ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauches wird für den Anbau jener Lebensmittel verwendet, die später auf dem Müll landen" usw. Daraus könnte abgeleitet werden, dass sich die Nachhaltigkeitsdebatte in erster Linie um Lebensmittel dreht. Mitnichten, Lebensmittel als Güter des täglichen Bedarfs werden vor dem Hintergrund von Hungerkatastrophen und Armut eben als besonders plakatives Beispiel genutzt, aber diskutiert wird in allen Lebensbereichen.

Die Konsequenz der Unternehmen mündet in Nachhaltigkeitsberichten und Nachhaltigkeits-Verantwortlichen auf den obersten Hierarchieebenen. Die Fragen der Verbraucher sind legitim. Kann ein T-Shirt für 4,99 Euro tatsächlich nachhaltig produziert worden sein? Der Textil-Discounter gibt die Antwort im entsprechenden Nachhaltigkeitsbericht.

Mittlerweile wird eine Reihe von Themen unter dem Begriff der Nachhaltigkeit im Handel zusammengefasst. Zuoberst stehen nach wie vor die verantwortungsvolle Produktpolitik und der nachhaltige Konsum. Gemeint ist damit, dass das Handelsunternehmen immer wissen sollte, von wem die Ware bezogen wurde, wie diese produziert wurde (Bedingungen, Materialien usw.). Aber auch die Arbeitsbedingungen und die Qualifikation in den Handelsunternehmen bzw. bei den Lieferanten der Handelsunternehmen stehen im Fokus der Debatte. Schließlich wollen Verbraucher Auskünfte über die Lieferkette, insbesondere wenn diese internationale Züge aufweist. Auch der betriebliche Umweltschutz und die effiziente Logistik stehen im Vordergrund. Dies geht soweit, dass selbst beim Thermopapier des Kassenzettels gefordert wird, dass dieses Bisphenol-A- und Bisphenol-S-freies Papier sein sollte. Und final geht es auch um das gesellschaftliche Engagement des Handelsunternehmens in allen denkbaren Facetten.

Übertragen auf die Apotheke können alle Punkte als ebenso bedeutsam wie in anderen Handelsunternehmen eingestuft werden. Da es sich bei Arzneimitteln meist um chemische und natürliche Substanzen handelt, sind auch hier hohe Anforderungen an die Produktentwicklung und Produktion zu stellen. Dabei können durch den Kontrahierungszwang bedingt aber die Apotheken auf Pharmazeutische Hersteller verweisen, es sei denn im Bereich von Rezeptur und Defektur würde mit nicht "nachhaltigen Substanzen" gearbeitet. Die Arbeitsbedingungen in Apotheken werden normalerweise als überdurchschnittlich gut bezeichnet, die Arbeit macht Spaß oder kann zumindest Spaß machen. Wie dies bei den jeweiligen Herstellerunternehmen oder den Großhändlern aussieht, muss die Apotheke interessieren, von daher ist auch bei der Auswahl des Großhandels gegebenenfalls darauf Wert zu legen, einen Großhandel zu bemühen, der diesbezüglich einen einwandfreien Leumund aufweisen kann. Informationen über die Lieferkette sind in Apotheken insbesondere bei Arzneimitteln erforderlich, die besondere Anforderungen an Lieferung und Lagerung bedingen, sei es hinsichtlich eines besonderen Temperaturbereiches o. ä. Beim Umweltschutz müssen sich Apotheken an den gleichen Normen messen lassen, wie jedes andere Unternehmen auch. Geht man schonend mit Ressourcen um, verzichtet man auf unnötige Fahrten bzw. initiiert man unnötige Fahrten des Pharmazeutischen Großhandels usw. Und schließlich stellt sich die Frage nach dem gesellschaftlichen Engagement des Apothekenleiters, aber auch seines ganzen Teams.

Ist also Nachhaltigkeit etwas Neues? Eigentlich nicht. Ist es etwas, womit Apotheken besonders reüssieren könnten? Vermutlich nicht, da die Schwerpunkte des öffentlichen Interesses auf anderen Warengruppen liegen und damit Apotheken nicht unmittelbar betreffen. Aber gleichwohl hat die Diskussion Verbraucher sensibilisiert, manchmal in grotesken Zügen. Bei einem Einkauf fragte eine Kundin die Käsefachverkäuferin, ob diese sicher sei, dass der von ihr gewünschte Käse nicht durch Kinderarbeit entstanden sei. Die Verkäuferin war sprachlos bzw. überfordert. Ich hatte mich eingeschaltet und angemerkt, dass die Frage berechtigt sei, aber viel früher hätte kommen müssen, denn für den an erster Stelle gekauften Käse hätte ich verlässliche Informationen, dass dieser von über 80-Jährigen in Zwangsarbeit erstellt würde. Die Frau war konsterniert und auf meine Aufklärung hin, dass ich mir einen Scherz erlaubt hätte, über mich empört. Nach Resteinkauf ging sie grußlos von dannen. Die Verkäuferin aber bedankte sich überschwänglich bei mir, aber nur für kurz, bis ich sie nach der Ökobilanz des von mir präferierten Käses ausfragen wollte. Dies sollte schon wieder ein Scherz sein!

Nachhaltigkeit war wichtig, ist wichtig und bleibt wichtig, keine Frage, solange sie keine Blüten treibt. Und Konsumenten sollten auch über ihre eigene Doppelzüngigkeit nachdenken. Das hohe Maß an weggeworfenen Lebensmitteln entsteht auch oder gerade in Privathaushalten. Und wer für 4,99 Euro T-Shirts möchte, darf sich nicht über deren mangelnde Nachhaltigkeit wundern oder gar beklagen. Ist nicht der, der besonders nachhaltig klappert, der, auf den man besonders nachhaltig schauen sollte? Was ist die Welt pervers geworden!


Andreas Kaapke


Andreas Kaapke ist Professor für Handels-management und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Bera-tungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

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