Praxis aktuell

Was ist für die Qualitätssicherung wirklich notwendig?

Die Validierungsempfehlung des Verbandes der Zytostatika-herstellenden Apotheken (VZA) zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität gemäß § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b ApBetrO sowie das Interview mit Prof. Dr. Sebastian Lemmen hat zu Diskussionen über die Qualitätssicherung bei der Parenteralia-Herstellung geführt (DAZ 2013; Nr. 4, S. 58 ff). Zu den Kritikern zählt Frau Dr. Beate Reutter. Sie ist Apothekerin, GMP-Inspektorin und in der Arzneimittelüberwachung des Landes Schleswig-Holstein auch für die Überwachung von Parenteralia herstellenden Apotheken zuständig. Wir haben mit ihr über ihre Vorstellungen gesprochen. Sie lassen beim VZA die Befürchtung aufkommen, dass an die herstellenden Apotheken überhöhte Anforderungen durch die Überwachungsbehörden gestellt werden (s. Kasten).


DAZ: Frau Dr. Reutter, was sind die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für die Parenteralia-Herstellung?

Reutter: Die Herstellung von Parenteralia und anderen sterilen Arzneimitteln richtet sich nach den Anforderungen der neuen ApBetrO. Hierzu gehören insbesondere die Spezialvorschriften in § 35 ApBetrO und die anerkannten pharmazeutischen Regeln. § 6 Abs. 1 ApBetrO fordert, dass Arzneimittel, die in der Apotheke hergestellt werden, die nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität aufweisen müssen. Sie sind nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen und zu prüfen; enthält das Arzneibuch entsprechende Regeln, sind die Arzneimittel nach diesen Regeln herzustellen und zu prüfen. Mit anderen Worten: Auch die Apotheke muss sich nach der Monographie 5.1.1 "Methoden zur Herstellung steriler Arzneimittel" richten. Die vom Arzneibuch geforderte ‚Gute Herstellungspraxis‘ soll entsprechend des EU-GMP-Leitfadens ausgelegt werden. Für einen Betrieb mit einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG ist gemäß AMWHV der EU-GMP-Leitfaden in Verbindung mit Annex 1 verbindlich. Für die Apotheke besteht hier aus meiner Sicht mehr Spielraum: Die Anforderungen der Guten Herstellungspraxis sind in den Grundzügen in der ApBetrO festgelegt. Eine Hilfestellung zur praktischen Umsetzung bietet der PIC/S PE 10 "Guide to Good Practices for the Preparation of Medicinal Products in Healthcare Establishments", wie im Übrigen auch der amtlichen Begründung zu entnehmen ist. Dieses international harmonisierte Werk, an dem Deutschland als PIC/S-Mitglied mitgewirkt hat, bildet den Stand von Wissenschaft und Technik für apothekenübliche Tätigkeiten ab. Auf die Monographie 5.1.1 zurückkommend, müssen die 3 wesentlichen Leitsätze betrachtet werden:

1. Sterilität bedeutet Abwesenheit von lebensfähigen Mikroorganismen.

2. Die Sterilität einer Zubereitung kann nicht durch eine Prüfung sichergestellt werden, sondern muss durch die Verwendung eines geeigneten validierten Herstellungsverfahrens gewährleistet werden. Bei der aseptischen Herstellung gehört dazu laut Monographie auch die Aufzeichnung der Umgebungskontamination, also das prozessbegleitende Umgebungsmonitoring.

3. Das Herstellungsverfahren muss validiert werden, bevor es in der Praxis zur Anwendung kommt.

Ich erwarte daher ein schlüssiges Gesamtkonzept, das insbesondere die Anforderungen an die Personalhygiene und -bekleidung, die Reinigung und Desinfektion von Räumen und Einrichtungen, den Umgang mit Material sowie das aseptische Arbeiten unter der Werkbank berücksichtigt. Die Qualifizierung der Anlagen, die Validierung kritischer Prozesse und das laufende Monitoringprogramm sollen belegen, dass das Konzept der aseptischen Herstellung geeignet ist, die Sterilität der hergestellten Arzneimittel zu gewährleisten.

Eine 100%ige Sterilitätssicherheit wird es bei aseptischen Prozessen wohl nicht geben, aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das hergestellte Produkt steril ist und damit die geforderte pharmazeutische Qualität aufweist.


DAZ: Welche Empfehlungen geben Sie für ein praktikables Vorgehen bei der Prozessvalidierung, welche für das Monitoring?

Reutter: Die Klassifizierung des Reinraums (Qualifizierung) ist eine Forderung des § 35 Abs. 4 ApBetrO. Sie ist nach den Vorgaben der DIN ISO 14644 durchzuführen, ergänzt um mikrobiologische Grenzwerte.

Unabhängig von der Klassifizierung ist ein Monitoring während der Routineherstellung erforderlich. Als Ergebnis einer Risiko-analyse müssen dabei alle kritischen Prozessschritte betrachtet werden: Der Reinraum ist während der Herstellung zu kontrollieren (§ 35 Abs. 5 ApBetrO). Das Einschleusen des Personals und Materials in die Herstellumgebung, die Reinigung und Desinfektion der Räume und Einrichtungen sowie der Hände, der Herstellprozess bestehend aus Wiegen oder Abmessen bis hin zum aseptischen Konnektieren sind zu validieren und zu überwachen (§ 35 Abs. 1 ApBetrO).

Die ApBetrO weist in § 35 Abs. 4 Nr. 2b ApBetrO ausdrücklich darauf hin, dass wer abweichend von Klasse B in einem Reinraum mindestens der Klasse C herstellt, sicherstellen muss, dass die Arzneimittelqualität durch das angewendete Verfahren nachweislich gewährleistet wird und durch entsprechende Validierung des Verfahrens belegt ist. Ich interpretiere diese so, dass wer abweichend von der A/B-Systematik arbeitet, einen erhöhten Aufwand betreiben muss, um zu belegen, dass die gewählten schlechteren Umgebungsbedingungen keinen nachteiligen Einfluss auf die Arzneimittelqualität haben. Konsequenterweise bedeutet das ein adäquates Konzept für die Einkleidung und Materialeinschleusung und ein umfangreicheres Monitoring, um den von der Betriebsordnung extra geforderten Nachweis zu führen.

Das Monitoring ist der einzige Weg, die aseptische Herstellungsweise und die Einhaltung des Hygieneplans zu belegen. Dem mikrobiologischen Monitoring kommt somit eine besondere Bedeutung zu, da keine Sterilitätstests stattfinden, und wenn doch, diese keine hohe Aussagekraft haben (Sterilität kann man nicht in ein Produkt hineinprüfen).

Bei der Festlegung des Umfangs des Monitorings rate ich jeder Apotheke eine Risikoanalyse durchzuführen, um die kritischen Punkte und die Frequenzen festzulegen. Die Frequenz des Monitorings sollte nicht geringer als im PIC/S PE 10-Leitfaden beschrieben sein, also z. B. nach jeder Sitzung 5-Finger-Print und Sedimentationsplatte unter der Werkbank während der Sitzung. Für mein Verständnis sollten unter der Werkbank (A-Umgebung) kritische Arbeitsflächen auch arbeitstäglich abgeklatscht werden, damit ein umfassendes Hygienebild der Herstellumgebung am betreffenden Herstelltag entsteht.

Die Prozessvalidierung im Sinne des sogenannten Media Fills soll die übliche Vorgehensweise während einer ganzen Arbeitssitzung abbilden, also so prozessnah wie möglich sein, und wort-case-Situationen berücksichtigen. Die arbeitstäglichen Abfüllungen am Ende der Herstellungstätigkeit (Tagescharge) verstehe ich eher als einen Ersatz für den Sterilitätstest als eine Prozessvalidierung.


DAZ: Was sind Ihre Kritikpunkte an der VZA-Empfehlung, wo sehen Sie Übereinstimmungen mit Ihren Anforderungen?

Reutter: Ich stimme Herrn Prof. Lemmen zu, dass bei einer gut gewarteten und überwachten Reinraumlüftunganlage luftgetragene Keime kein besonderes Kontaminationsrisiko darstellen. Die Keime werden durch den Menschen und das Material eingetragen, und dieses Risiko gilt es zu minimieren und zu kontrollieren. Daher sind insbesondere die kritischen Oberflächen regelmäßig, das heißt für mich ausreichend engmaschig, durch Abklatschtests auf ihre mikro-biologische Belastung hin zu prüfen.

Gute gesicherte Kenntnisse über den Hygienestatus der Umgebung erleichtern es im Fall eines Positivbefundes, sei es beim täglichen Dummy, im Hygienemonitoring, insbesondere im 5-Finger-Print oder – schlimmstenfalls beim Media Fill – diesen schnellstmöglich einzuordnen und über die Auswirkung oder eben nicht Auswirkung auf die Arzneimittelqualität zu entscheiden. Bei einem Positivbefund kann man nicht noch tagelang warten, bis man die Ergebnisse der Keimidentifizierung vorliegen hat.

Wenn man aber nur z. B. alle vier Wochen ein Monitoring durchführt, dann hat man keine repräsentativen Erkenntnisse über seinen Reinraum- und Hygienezustand. Solche Ergebnisse haben aus meiner Sicht Zufallscharakter, da mikrobiologische Daten nicht den normalen statistischen Regeln der Normalverteilung gehorchen.

Im Fall eines positiven mikro-biologischen Befundes im Bereich der Werkbank oder beim 5-Finger-Print ist eine Keimidentifikation geboten, um die Ursache, also den Kontaminationsweg, auszumachen und ermöglicht Maßnahmen zu ergreifen, diesen zu vermeiden: z. B. Nachschulung des Personals, erneute Desinfektion, Einsatz besonderer Desinfektionsmittel, Verbesserung von Prozessabläufen usw..

Hier, wie auch bei den Simulationsabfüllungen ist die Frage, ob ein nachgewiesener Keim apathogen oder pathogen ist, ohne Bedeutung für die Beurteilung der pharmazeutischen Qualität und hat keinen Einfluss auf die zu ergreifenden Maßnahmen.

Ich empfehle jeder Apotheke im QS-System ein abgestuftes, vorab festgelegtes Verfahren, in dem die Ursachen systematisch überprüft werden. Wenn es ein einmaliges Vorkommnis ohne weitere Auffälligkeiten an den Vortagen und den nachfolgenden Tagen ist, dann ist eine Unterbrechung der Herstellung i.d.R. nicht geboten. Die Unterbrechung der Herstellung ist aus meiner Sicht beispielsweise dann dringend geboten, wenn die mikrobiologischen Ergebnisse wiederholt und so auffällig sind, dass sie einen schweren systematischen Fehler im Hygienemanagement des Reinraums oder im aseptischen Prozess nahelegen. Erfahrungen aus der industriellen Herstellung zeigen, dass umfangreiche Daten aus dem prozessbegleitenden Monitoring solche Entscheidungen erleichtern.


DAZ: Sie haben hier Ihren eigenen Standpunkt dargelegt. Wie wird es weitergehen? Werden die Überwachungsbehörden eine gemeinsame Position erarbeiten?

Reutter: Ich wünsche mir, dass der Stand von Wissenschaft und Technik in Gremien unter Einbindung aller Kreise, insbesondere auch der Experten der Arzneimittelüberwachung, diskutiert und formuliert wird. Ich gehe davon aus, dass dies in den nächsten Monaten geschehen wird.


Dr. Beate Reutter, Apothekerin, Tüttendorfer Weg 53b, 24214 Gettorf


Stellungnahme des VZA

Gesetzgeber wollte Überregulierung vermeiden!


Wir sind mit Frau Dr. Reutter der Ansicht, dass die ApBetrO dem einzelnen Apotheker mehr Spielraum als die verbindliche 1:1 Umsetzung des EU-GMP-Leitfadens einräumt. Auch aus dem angeführten § 6 Abs. 1 ApBetrO, der insoweit gar nicht geändert wurde und schon in seiner alten Fassung einen entsprechenden Verweis auf die Regelungen des Arzneibuchs enthielt, ergibt sich nichts anderes. Vorausgesetzt wird vom Arzneibuch lediglich, dass die GMP-Richtlinien ("zum Beispiel GMP-Richtlinie der Europäischen Union") bei der Entwicklung des Verfahrens beachtet werden. Der EU-GMP-Leitfaden wird für die herstellenden Apotheken hingegen nicht verbindlich vorgeschrieben, ebensowenig die PIC/S PE 10.

Mit seiner Validierungsempfehlung zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität hat sich der VZA unter Beachtung der neuen ApBetrO (insbesondere des § 6 Abs. 1 und § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit b) ApBetrO) auf die essenzielle Qualität des Endproduktes konzentriert: das hochsensible Sterilprodukt selbst. Die Empfehlung folgt den praktischen Erfahrungen von Prof. Lemmen. Sie erhebt hingegen keinen Anspruch auf vollständige Abdeckung aller Anforderungen, sondern betont die Unabdingbarkeit eines Gesamtkonzeptes mit Hygieneplan und Qualitätsmanagementsystem.

Da die Validierungsempfehlung ausdrücklich arbeitstägliche Probenahmen aus dem Produkt vorsieht und darüber hinaus einmal monatlich die Befundung durch ein externes Labor, findet ein arbeitstägliches Monitoring der essenziellen Produktqualität statt. Wir sind daher wie Prof. Lemmen der Meinung, dass für über die vorgesehenen monatlichen Oberflächenkontrollen hinausgehende zusätzliche arbeitstägliche Abklatschtests keine Notwendigkeit besteht - und diese aufgrund ebenfalls verzögerter Auswertung und unklarer Schlussfolgerungen aus zwangsläufig positiven Ergebnissen auch wenig sinnvoll wären. Zum Vergleich: Im OP-Bereich finden vergleichbare Kontrollen in jährlichem Abstand statt.

Wenn es nun über Maßnahmen der Aufsichtsbehörden faktisch doch zu industriellen Vorgaben und einer Konzentrierung der Herstellung an wenigen Stellen käme, würde dies dem Ziel des Gesetzgebers widersprechen, die Herstellung von parenteralen Rezepturen auch künftig durch Apotheken sicherzustellen und eine Überregulierung zu vermeiden. Schon jetzt hat beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin das BMG im Zuge der neuen ApBetrO auf mögliche Versorgungsengpässe hingewiesen und appelliert, "für Apotheken Möglichkeiten (zu) erhalten … um weiter die benötigten Parenteralia im Bedarfsfall herzustellen." Denn insbesondere Palliativpatienten sind auf zeitnahe und flexible Versorgungen angewiesen, um das politische und ethische Ziel, ein Sterben zuhause sicherzustellen, zu ermöglichen.

Unabhängig von der Produktion gemäß GMP oder den bisherigen Apothekenvorschriften ergaben entsprechende Untersuchungen bislang keinen Anhaltspunkt, an der Sicherheit der Herstellung parenteraler Rezepturen in Apotheken zu zweifeln. Dieses Sicherheitsniveau möchte der VZA u. a. mithilfe der vorliegenden Validierungsempfehlung eines renommierten Mikrobiologen und Krankenhaushygienikers auf Basis der ApBetrO optimieren und darüber hinaus die Patienten in den Mittelpunkt der Versorgungskonzepte stellen.


Der Vorstand des Verbandes der Zytostatikahersteller (VZA)



Einladung zur Diskussion:

Am 15. März 2013 findet die VZA-Jahrestagung im Melia-Hotel, Friedrichstr. 103 in Berlin statt. Die Veranstaltung ist öffentlich. Um 14.15 Uhr wird Prof. Dr. med. Sebastian W. Lemmen, Leiter Zentralbereich für Krankenhaushygiene und Infektiologie, Universitätsklinikum Aachen, ein Referat zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität (§ 35 Abs. 4 ApBetrO) aus Sicht eines Hygienikers halten und auf Sinnvolles und weniger Sinnvolles eingehen.

Bei Interesse wird um Anmeldung über die Geschäftsstelle des VZA gebeten: (0 30) 28 09 50 71



DAZ 2013, Nr. 10, S. 82

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