Apothekenmarkt 2022

Apotheke 2022

Harter Wettbewerb und schwierige Ertragssituation, jedoch Potenzial durch Profilierung

Von Andreas Kaapke und Nina Kleber-Herbel | Im Jahr 2022 hat die Zahl der Apotheken, insbesondere der kleinen Apotheken deutlich abgenommen. Der Wettbewerb ist scharf, Versand- und Einzelhändler drängen zunehmend in den Markt der Arzneimitteldistribution. Jedoch behaupten sich die stationären Apotheken, die sich mit einem breiten und kundenorientierten Sortiments- und Dienstleistungsspektrum ein klares Profil aufgebaut haben. Viele Apotheken sind Filialen oder Mitglieder einer Kooperation, firmieren unter der jeweiligen Marke und zeigen ein einheitliches Erscheinungsbild. Die Apotheke light sichert die flächendeckende Versorgung. Dies könnte ein mögliches Zukunftsszenario des Apothekenmarktes im Jahr 2022 sein.

Kaum eine andere Branche unterlag in den vergangenen Jahren so erheblichen Diskontinuitäten wie der Markt der Arzneimitteldistribution. Wandel und Veränderung kennzeichnen nicht nur den heutigen Markt, sondern reichen deutlich in die Zukunft und stellen die Marktakteure vor immer neue Herausforderungen.

Design und Themen der Studie

Wie diese Veränderungen aussehen können, welche Entwicklungen und Tendenzen in den kommenden zehn Jahren zu erwarten sind und wie der Apothekenmarkt sich dementsprechend darstellen wird, ist Thema einer Delphi-Studie "Zukunft der Apotheken", die das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Prof. Kaapke Projekte im Auftrag der Noweda eG Apothekergenossenschaft durchführte. 127 Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen der Arzneimitteldistribution beteiligten sich daran.

Die Untersuchung erfolgte auf Basis der etablierten Delphi-Methode, die für Fragestellung mit Prognosecharakter gut geeignet ist. Kennzeichnend für die Delphi-Methode ist das mehrstufige Erhebungsverfahren. So wurden die Experten in zwei aufeinanderfolgenden Runden zu ihren Zukunftseinschätzungen befragt. Dabei kamen keine unterschiedlichen Fragebogen zum Einsatz, sondern der Unterschied zwischen den beiden Erhebungsrunden bestand darin, dass den Experten die Ergebnisse der ersten Befragungsrunde mitgeteilt wurden und diese ihre Meinung vor dem Hintergrund der Einschätzungen und Argumente der anderen Experten überdenken und ggf. modifizieren oder revidieren konnten. Dieser Rückkopplungsprozess verringert in der Regel Extremmeinungen und die Spannbreite im Meinungsspektrum.

Bei der vorliegenden Delphi-Studie wurden allerdings nur wenige Korrekturen und diese nur selten in Richtung Mehrheit vorgenommen; dies spricht für die Souveränität der Experten und die Authentizität ihrer Einschätzungen.

Eine Zukunftsprognose kann niemals Anspruch auf Gewähr erheben. Dennoch haben die Ergebnisse der Zukunftsstudie richtungweisenden Charakter und können die Marktakteure in die Lage versetzen, sich frühzeitig mit Veränderungen auseinanderzusetzen, darauf zu reagieren oder gar steuernden Einfluss zu nehmen.

Die Delphi-Studie "Zukunft der Apotheken" deckt insgesamt sieben Themenbereiche ab (Abb. 1). Der erste Themenbereich widmet sich den "internen Prozessen" in einer Apotheke und dabei insbesondere den Aufgabenbereichen und der Verantwortung des Apothekers. Im Mittelpunkt des Themenblocks "Sortiment und Dienstleistungen" steht die Umsatzverteilung im Hinblick auf das verschreibungspflichtige und nicht-verschreibungspflichtige Apothekensortiment sowie die Bedeutung apothekenüblicher Dienstleistungen. Der dritte Themenblock beleuchtet die "Ertragssituation der Apotheke". Mit der Entwicklung des Fremd- und Mehrbesitzverbots sowie dem zukünftigen Verhältnis zu Partnern und Konkurrenten der Apotheken beschäftigt sich der Themenblock "Apotheken im Gefüge weiterer Marktakteure / Wettbewerb". Inhalt des fünften Themenblocks sind "Kooperation", Kooperationsmarken und deren zukünftige Bedeutung. Auch werden "Gesetzliche Regelungen und ihre Nebenwirkungen" beleuchtet, bevor abschließend übergreifende "Erfolgsfaktoren" formuliert werden.


Abb. 1: Überblick über die Themenbereiche der Delphi-Studie "Zukunft der Apotheken".

Apotheke light – Sicherung der flächendeckenden Versorgung?

Mehr als 40 Prozent der Experten glauben, dass die Alleinverantwortung des Apothekers zunehmen wird. Als maßgeblich hierfür werden der wachsende bürokratische Aufwand, aber auch die zunehmenden pharmazeutischen Herausforderungen genannt, die die besondere Qualifikation des Apothekers erfordern. Dies sind auch gewichtige Gründe, weshalb etwa jeder zweite Experte glaubt, dass der Betrieb einer Apotheke mit einem Apotheker allein schwierig sein wird.

Abb. 2: Apotheke light zur Sicherung der flächendeckenden Versorgung? 51,6 Prozent der Experten glauben, dass es im Jahr 2022 die Apotheke light geben wird.

75,8 Prozent der Experten gehen von Veränderungen in der Personalpolitik aus, die insbesondere in erhöhten Anforderungen an die Mitarbeiter ihren Ausdruck finden und damit den "War for Talents" in den Apothekenmarkt tragen. Kleine Apotheken können durch diese Entwicklungen vor die Existenzfrage gestellt werden.

Die höheren Anforderungen an das Personal können allerdings auch als Chance begriffen werden: Im Wettbewerb mit anderen Anbietern wie Drogeriemärkten, Lebensmittelhändlern oder auch Versendern, die weitgehend auf Personal bzw. Fachpersonal verzichten, erhöht sich die Kompetenz der Apotheke.

Eine Alternativstrategie sehen einige Experten in der Apotheke light. Etwa jeder Zweite (51,6%) glaubt, dass es diese 2022 in der einen oder anderen Form geben wird. Reduzierte Anforderungen erleichtern die Aufrechterhaltung des Apothekenbetriebs. Insbesondere in strukturschwachen Gebieten könnte dies eine wichtige Maßnahme sein, um die flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Was Form und Ausgestaltung der zukünftigen Apotheke light betrifft, unterscheiden sich die Vorstellungen der Experten. Beschrieben wird die Apotheke light beispielsweise als "Apothekenecke" in Drogeriemärkten oder im Lebensmitteleinzelhandel (Shop-in-Shop), als mobile Apotheke oder als Arzneimittelabgabestelle ("Pick up"). Einige Experten stellen sich auch Filialverbünde vor, in der jede Filiale eine Spezialisierung aufweist. Als Argumente gegen die Apotheke light werden die Arzneimittelsicherheit und Qualitätssicherung angeführt.

Sortiment und Dienstleistungen über das Kerngeschäft hinaus stabilisieren den Ertrag

Die Mehrheit der Experten (63,3%) rechnet mit einer Zunahme des OTC-Sortiments am Umsatzanteil; einen sinkenden Rx-Anteil erwarten 58,0 Prozent. Als Gründe hierfür werden u. a. weitere Erstattungsausschlüsse (durch "Rx-to-OTC-Switches") angeführt sowie eine Zunahme der Selbstmedikation und ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein. Die meisten Experten erwarten eine Bedeutungszunahme von Ertragsquellen rund um das verschreibungspflichtige Sortiment der Apotheken. So glaubt rund jeder Zweite (48,8%) an die Auflockerung der rechtlichen Vorgaben bezüglich des apothekenüblichen Nebensortiments, und 61,0 Prozent gehen von einem steigenden Umsatzanteil des Nebensortiments aus. Fast drei Viertel der Experten (72,6%) erwarten außerdem, dass die Apotheken mehr apothekenübliche Dienstleistungen erbringen werden.


Abb. 3: Ökonomische Bedeutung des OTC-Sortiments nimmt zu.

63,3 Prozent der Experten rechnen für das Jahr 2022 mit einer Zunahme des OTC-Sortiments am Umsatz, und 58,0 Prozent erwarten einen sinkenden Rx-Anteil.


Sowohl die sortiments- als auch dienstleistungsbezogenen Veränderungen werden insbesondere damit begründet, dass die Apotheke gezwungen ist, weitere Ertragsquellen zu erschließen bzw. auszuschöpfen und sich von Wettbewerbern abzuheben. Darüber hinaus nennen viele Experten die demografische Entwicklung und die damit einhergehende Bedarfsveränderung bzw. -entstehung im Hinblick auf die wachsende Kundengruppe der Senioren. Konkret wird unter anderem auf einen wachsenden Bedarf im Bereich Homecare verwiesen.

Mit Blick auf konkrete Beispiele für innovative Dienstleistungen der Zukunft scheint aus Sicht der Experten kaum eine Grenze gesetzt. Als übergeordnete Bereiche werden neben der Homecare z. B. die vollumfängliche Patientenberatung (Health Care Management), das Medikationsmanagement, die Überwachung und Förderung der Therapietreue sowie die Betreuung chronisch Kranker (Disease-Management) genannt. Ferner stellen der Ausbau der Beratungsangebote sowie des Angebots diverser Screenings, Tests und Messungen mögliche innovative Dienstleistungen dar.


"Jede Apotheke muss herausfinden, welche Sortimentierung in welcher Gewichtung vor dem Hintergrund rechtlicher Restriktionen und baulicher Limitierungen die unter Rentabilitätsgesichtspunkten beste ist. Dies widerspricht keineswegs dem ethischen Grundansatz des Pharmazeuten, da über den Kontrahierungszwang jeder Wunsch bedient wird. Und es entspricht dem Grundansatz des ehrbaren Kaufmanns, denn nur eine auf Dauer rentabel geführte Apotheke kann über den Tag hinaus ihre Funktion am Standort erfüllen."

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Inwieweit und in welcher Weise die Ausweitung des Nebensortiments oder des Dienstleistungsangebots Sinn macht, müsse letztlich jede Apotheke für sich entscheiden, so der Hinweis vieler Experten. Insbesondere der Standort wird hierbei als ein wichtiges Kriterium genannt.

Worauf sich Apotheken wohl mit einiger Sicherheit einstellen müssen, ist eine sinkende Frequenz der Belieferungen durch den pharmazeutischen Großhandel. Dies prognostizieren mehr als drei Viertel (76,6%) der Experten. Rund 60 Prozent gehen davon aus, dass im Jahr 2022 eine Apotheke maximal zweimal täglich vom Großhandel beliefert wird. Als gewichtige Gründe dafür werden sinkende finanzielle Ressourcen des Großhandels und ein wachsender Margendruck angeführt. Viele Experten gehen auch davon aus, dass es apothekenspezifische Unterschiede geben wird und der Großhandel die Belieferungsfrequenz als Steuerungsinstrument, möglicherweise im Rahmen der Konditionengestaltung, einsetzen wird.


Abb. 4: Mehr Effizienz, weniger Service: 76,6 Prozent der Experten prognostizieren für 2022 eine Abnahme der Belieferungsfrequenz durch den pharmazeutischen Großhandel.

Steigender Druck im Gesundheitssystem führt zur Ertragsverschlechterung der Apotheken

Die Mehrheit der Experten (43,1%) glaubt an eine Verschlechterung der Ertragssituation der Apotheken im Jahr 2022. Als Grund wird insbesondere der wachsende Druck im Gesundheitssystem, unter anderem infolge der demografischen Entwicklung, genannt. Da auch die Kosten der Apotheke steigen, sei mit sinkenden Margen zu rechnen. Immerhin rund ein Viertel der Experten geht aber von einer Ertragsverbesserung aus, was sie überwiegend damit begründen, dass es weniger Apotheken (mit einem entsprechend höheren Marktanteil) geben wird.

Abb. 5: Negative Ertragsentwicklung: 43,1 Prozent der Experten glauben an eine Verschlechterung der Ertragssituation der Apotheken im Jahr 2022.

Im Einklang mit der Prognose sinkender Erträge steht die Annahme rund jedes zweiten Experten (54,1%), dass das Rabattniveau, das der Großhandel zukünftig den Apotheken gewähren wird, sinken wird. Dies wird insbesondere damit begründet, dass auch der Großhandel seinerseits unter zunehmendem Kostendruck leidet. Ursachen hierfür sind neben der Beschneidung der Großhandelsmarge durch den Gesetzgeber beispielsweise sinkende Herstellerrabatte sowie steigende Lohn-, Transport- und Energiekosten.

Was den Apothekenabschlag (Kassenabschlag) und den Apothekenaufschlag (Apothekenhonorar u. a.) betrifft, schätzen die Experten die staatlichen Eingriffe eher gemäßigt ein. Nur jeder Dritte (33,0%) geht von einem höheren Apothekenabschlag aus, was vorrangig mit den erforderlichen Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem begründet wird. Die knappe Mehrheit (37,4%) erwartet einen gleichbleibenden Abschlag und der Rest (29,6%) einen niedrigeren Abschlag. Begründet werden diese Ansichten unter anderem mit der Notwendigkeit, das Überleben der Apotheken zu sichern, für die ein höherer Abschlag wirtschaftlich nicht zu stemmen wäre, oder die Inflation auszugleichen. Mehr als die Hälfte der Experten (55,8%) erwartet einen höheren Apothekenaufschlag, wobei ebenfalls hauptsächlich auf den notwendigen Inflationsausgleich verwiesen wird.

Einige Experten erwarten bis 2022 auch gänzlich neuartige Vergütungsmodelle. Vorstellbar erscheint beispielsweise eine leistungsbezogene Vergütung, bei der die Erbringung von Beratungs-, Dienst- und Serviceleistungen im Mittelpunkt steht. Hintergrund ist eine zentralere Stellung der Apotheke im Gesundheitssystem, was zu dessen intensiver Entlastung und Unterstützung beiträgt.


"Die Kopplung des Großhandelsrabatts an tatsächlich rabattierbares Handeln bedingt zu Recht die Überprüfung der Lieferrhythmen. Hier sind Ansatzpunkte für ein neues Verhältnis zwischen Großhandel und Apotheke zu finden, wobei sinnvollerweise sehr gutes von weniger gutem Verhalten getrennt und entsprechend differenziert goutiert wird."

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Sinkende Apothekenzahl und Trend zu großen Einheiten und Filialsystemen

An der Niederlassungsfreiheit wird nach Einschätzung der Experten auch im Jahre 2022 nicht zu rütteln sein. Davon gehen 86,5 Prozent der Experten aus. Allerdings erscheint vielen Experten ein staatliches Eingreifen insofern denkbar, als Apotheken in strukturschwachen, ländlichen und/oder schrumpfenden Regionen zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung subventioniert werden könnten, beispielsweise durch einen geringeren Apothekenabschlag.

Nichtsdestotrotz wird die Apothekendichte wohl abnehmen. Dieser Meinung sind 93,6 Prozent der Experten und schätzen im Durchschnitt die Anzahl der Apotheken im Jahr 2022 auf rund 17.000. Als Begründung führen die Experten insbesondere den wirtschaftlichen Druck und die sinkenden Erträge der Apotheken sowie die Verschärfung des Wettbewerbs an, was zur Schließung insbesondere kleiner Apotheken führt. Generell erwarten viele Experten einen Trend zu größeren Wirtschaftseinheiten, die Rationalisierungsgewinne und Größeneffekte ermöglichen.


Abb. 6: Weniger Apotheken: 93,6 Prozent der Experten glauben, dass sich die Anzahl der Apotheken bis 2022 verringern wird.

Eine Lockerung des Fremdbesitzverbots halten 58,9 Prozent der Experten für ausgeschlossen. Zu fest scheint vielen dieses Prinzip im System verankert. Im Hinblick auf das eingeschränkte Mehrbesitzverbot können sich dagegen immerhin 63,4 Prozent eine Liberalisierung vorstellen. Viele Experten erwarten den Markteintritt bzw. die Entstehung großer Filialorganisationen, die durch die Realisierung von Synergieeffekten eine bessere Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz ermöglichen.


"Das Managen weiterer Filialen ist kein Selbstläufer und nicht per se ein harmonischer Prozess. Im Gegenteil, allzu oft sind damit auch erhebliche Einschnitte in den schon bestehenden Apotheken verbunden, die nicht automatisch zu Ertragsverbesserungen führen und nicht selten keine oder kaum wahrnehmbare Synergieeffekte erbringen."

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Starke Stellung im Gesundheitssystem: Apotheken füllen Versorgungslücken

Was das Verhältnis der Apotheken zu ihren Marktpartnern betrifft, so zeichnet sich hier insbesondere mit Blick auf die Politik und die Krankenkassen ein negatives Bild ab. Während das Verhältnis zu den anderen Marktpartnern im Wesentlichen neutral bis positiv bewertet wird, gehen die Experten bei den beiden genannten Gruppen mehrheitlich von einer (weiteren) Verschlechterung des Verhältnisses sowie einem schlechten Verhältnis insgesamt aus. Begründet wird dies beispielsweise mit dem zunehmenden Kostendruck im Gesundheitssystem, der das bereits bestehende Spannungsverhältnis weiter belasten und Politik und Krankenkassen zu Kostensparmaßnahmen zuungunsten der Apotheken zwingen wird.


Abb. 7: Chance zur Profilierung: 57,1 Prozent der Experten glauben, dass die Bedeutung der Apotheke im Gesundheitssystem zunehmen wird, 75,4 Prozent gehen gar davon aus, dass im Jahr 2022 die Apotheke in steigendem Maße die Alternative zum Arztbesuch sein wird.

Eine Chance zur Profilierung sehen viele Experten in der Etablierung der Apotheke als zentralen Bestandteil im System der Gesundheitsversorgung. 57,1 Prozent glauben, dass die Bedeutung der Apotheke im Gesundheitssystem zunehmen wird, und rund drei Viertel (75,4%) gehen gar davon aus, dass im Jahr 2022 die Apotheke in steigendem Maße die Alternative zum Arztbesuch sein wird. Hier spielt laut Expertenmeinung der sich verschärfende Ärztemangel insbesondere in ländlichen Regionen eine gewichtige Rolle: Lange Wartezeiten in überfüllten Arztpraxen und das zunehmend beschränkte Zeitkontingent des Arztes werden viele Patienten vom Arztbesuch abschrecken. Außerdem werden die Krankenkassen weniger Leistungen erstatten, was wiederum die Selbstverantwortung und Selbstmedikation der Patienten fördern wird, so die Meinung vieler Experten.


"Das Verhältnis zu den Krankenkassen und zur Politik wird wohl dauerhaft gestört bleiben. Seitens der Politik sind vielfach gemachte Zusagen nicht eingehalten und die Apotheken an vielen Stellen nicht adäquat behandelt worden. Die Krankenkassen haben insbesondere im Zusammenhang mit dem GKV-Abschlag wenig Kompromissbereitschaft signalisiert und damit über Jahre eine nicht tolerierbare Rechtsunsicherheit im Hinblick auf den Abschlag provoziert."

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Verdrängungswettbewerb in den eigenen Reihen und Konkurrenz durch alternative Vertriebswege

Der Wettbewerb wird schärfer. 72,2 Prozent der Experten erwarten eine Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Apotheken. Viele Experten gehen von einem Verdrängungswettbewerb aus, in dem höhere Umsätze und Erträge nur auf Kosten anderer Apotheken erzielt werden können. Überlebensnotwendig erscheint dabei eine klare Differenzierung und Profilierung der Apotheke über ihr Leistungsportfolio, so die Experten.

Doch Konkurrenz droht der Apotheke nicht nur aus den eigenen Reihen. Weiterhin ist es insbesondere der Versandhandel, der der stationären Apotheke Konkurrenz macht. 79,8 Prozent der Experten bescheinigen diesem Vertriebsweg eine steigende Bedeutung und begründen dies mit unterschiedlichen Faktoren aus Konsumentensicht, wie Convenience, generelle Etablierung des Online-Kaufs, Anonymität und Preisvorteile. Auch im nicht-pharmazeutischen Einzelhandel sehen die Experten einen ernst zu nehmenden Konkurrenten für die Apotheke. Über die Hälfte (55,2%) glaubt, dass dessen Bedeutung als Vertriebsweg für Arzneimittel steigen wird. Demgegenüber ist die stationäre Apotheke die einzige Institution der Arzneimitteldistribution, bei der die Experten mehrheitlich (43,2%) von einer sinkenden Bedeutung ausgehen.

Gemäß Einschätzung von 49,2 Prozent der Experten wird der Direktvertrieb der Pharmaindustrie zunehmen. Als Argumente werden unter anderem die für die Apotheken vorteilhaften Einkaufskonditionen genannt, die mit Einschränkungen im Leistungsportfolio des Großhandels einhergehen (z. B. geringere Lieferfrequenz, s. o.). Gründe aus industrieller Sicht sind das Bestreben, die gesamte Handelsspanne abzuschöpfen und mehr Einfluss auf den Absatz zu nehmen.


Abb. 8: Alternative Vertriebskanäle im Aufwind: 79,8 Prozent der Experten bescheinigen dem Apothekenversandhandel, 55,2 Prozent dem nicht-pharmazeutischen Einzelhandel eine steigende Bedeutung.

Weniger, aber bedeutendere Kooperationen mit starken Marken

Jeweils eine deutliche Mehrheit der Experten (rund 70%) erwartet, dass der Anteil an Apotheken, die einer Kooperation angeschlossen sind, steigen wird und dass sowohl der Anteil der Apotheken mit Mehrfachmitgliedschaft als auch die Anzahl der Apothekenkooperationen insgesamt sinken wird. Die Erzielung von Synergieeffekten durch die Bündelung von Kräften und einen gemeinsamen Marktauftritt scheint vielen Experten ein gewichtiger Grund für die Mitgliedschaft in einer Kooperation zu sein. Diese Vorteile sind aber nur realisierbar, wenn die Kooperation klar positioniert ist und über eine einheitliche Corporate Identity bzw. ein einheitliches Konzept verfügt, das von den Mitgliedern konsequent umgesetzt wird. Vor diesem Hintergrund erscheinen Mehrfachmitgliedschaften nicht sinnvoll. In diese Argumentationslinie fügt sich die Einschätzung von 62,6 Prozent bzw. 74,2 Prozent der Experten ein, dass die Bedeutung und der Bekanntheitsgrad der (verbleibenden) Kooperationsmarken zunehmen werden.


Abb. 9: Weniger, aber schlagkräftigere Kooperationen

Jeweils rund 70 Prozent der Experten erwarten, dass der Anteil der Apotheken, die Mitglieder einer Kooperation sind, steigen wird und dass sowohl der Anteil der Apotheken mit Mehrfachmitgliedschaft als auch die Anzahl an Apothekenkooperationen sinken werden.


"Der ökonomische Leidensdruck zwingt die Kooperationen zu neuen Antworten. Intensität und Verbindlichkeit der Mitgliedschaft werden wohl weiterhin differieren; einen Vorteil werden eher Apotheken haben, die sich einem System mit einem hohen Verbindlichkeitsgrad und klaren Regeln anschließen: Lasche Systeme fördern lasche Mitglieder."

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Standort bleibt führender Erfolgsfaktor, doch reichen wird das wohl nicht (mehr)

Gefragt nach den entscheidenden Erfolgsfaktoren einer Apotheke, nannten nur wenige Experten die Zugehörigkeit zu einer leistungsstarken Kooperation. Etwas wichtiger erscheint die lokale oder regionale Vernetzung mit anderen Marktakteuren, die 19-mal als ein erfolgsentscheidender Faktor genannt wurde. Zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren zählt fraglos der Standort der Apotheke (92-mal genannt).

Fast einhellig bescheinigen die Experten der Differenzierung und Profilierung der Apotheke gemeinsam mit einem individuellen und auf die Bedürfnisse der Kunden abgestimmten Sortiments- und Dienstleistungsspektrum eine überragende Bedeutung für den Erfolg (190-mal genannt). Die Qualität der Mitarbeiter – sowohl in fachlicher wie auch in menschlicher Hinsicht – ist hiermit eng verbunden und gehört ebenfalls zu den besonders häufig angeführten Erfolgsfaktoren.

Insgesamt stellt sich die Zukunft der Apotheken weniger düster als herausfordernd dar. Das Ineinandergreifen vieler Faktoren verhilft der Apotheke in Zukunft zum Erfolg. Herausragend sind dabei das Geschick des Apothekers in der Zusammenstellung von Sortiment und Dienstleistungen sowie der Stärkung von Kompetenzfeldern auf Basis einer langfristig tragfähigen Strategie mit klarem Profil.

Autoren

Prof. Dr. Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und Inhaber des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. Einen Schwerpunkt des Unternehmens bildet der Apothekenmarkt.
Dipl.-Sowi. Nina Kleber-Herbel ist Projektleiterin bei Prof. Kaapke-Projekte. Ihre Schwerpunkte liegen in der quantitativen und qualitativen Marktforschung. www.kaapke-projekte.de

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