Arzneimittel und Therapie

Selektiver Guanylatcyclase-C-Rezeptor-Agonist gegen Reizdarmsyndrom mit Obstipation

Für die Therapie des mittelschweren bis schweren Reizdarmsyndroms mit Obstipation steht mit Linaclotid (Constella®) eine neue verschreibungspflichtige Therapieoption für Erwachsene zur Verfügung. Der erste Vertreter einer innovativen Wirkstoffklasse, den selektiven Guanylatcyclase-C (GC-C)-Rezeptor-Agonisten, beschleunigt die Darmpassage und wirkt gleichzeitig gegen den Abdominalschmerz. Da Linaclotid direkt im Gastrointestinaltrakt wirkt und eine geringe Bioverfügbarkeit hat, ist die Verträglichkeit gut. Ab 1. Mai ist das Präparat in Deutschland verfügbar.
Linaclotid

Das Reizdarmsyndrom ist eine funktionelle Störung mit chronisch, das heißt länger als drei Monate anhaltenden und wiederkehrenden abdominellen Beschwerden. Dazu gehören Bauchschmerzen, Blähungen und Schwierigkeiten bei der Defäkation, die nicht mit organischen Ursachen erklärt werden können. Die Beschwerden sind oft so stark, dass die Lebensqualität relevant beeinträchtigt wird. Diskutiert wird, dass beim Reizdarmsyndrom gastrointestinale Motilität, Sekretion und Wahrnehmung gestört sind. Eine spezifische Diagnosestellung ist bisher nicht möglich (siehe Kasten).


Koloskopie vor Diagnose


Das Reizdarmsyndrom lässt sich in drei Subgruppen unterteilen:

  • RDS-D: Reizdarmsyndrom mit Diarrhö
  • RDS-O: Reizdarmsyndrom mit Obstipation
  • RDS-M: Reizdarmsyndrom vom Mischtyp

Linaclotid ist nur für die Therapie des Reizdarmsyndroms mit Obstipation zugelassen.

Das Reizdarmsyndrom ist eine Ausschlussdiagnose. Vor Diagnosestellung sollte zumindest eine Koloskopie durchgeführt werden, um Differentialdiagnosen wie eine chronisch entzündliche Darmerkrankungen oder ein Malignom nicht zu übersehen. Bei Frauen sollte auch ein Ovarialkarzinom abgeklärt werden, denn immerhin 90% der Ovarialkarzinome zeigen als Erstsymptom eine typische Reizdarmsymptomatik. Gilt das RDS aber erst einmal als sicher, sollte keine Wiederholungsdiagnostik mehr durchgeführt werden. Der Patient muss dann darüber aufgeklärt werden, dass die Chronizität der Erkrankung "normal" ist, seine Beschwerden "echt", die Erkrankung aber letztlich harmlos ist.


Die Therapieoptionen für das Reizdarmsyndrom sind begrenzt. Viele Medikamente, die eingesetzt werden, sind nicht explizit zugelassen. Meist lindern sie nur einzelne Symptome, sodass Kombinationsbehandlungen erforderlich sind, machte Dr. Viola Andresen vom israelitischen Krankenhaus in Hamburg auf einer von Almirall unterstützten Pressekonferenz am 7. April 2013 in Wiesbaden die Problematik der RDS-Therapie deutlich. Für Erwachsene mit einem Reizdarmsyndrom mit Obstipation (RDS-O, siehe Kasten) steht nun eine neue Therapieoption zur Verfügung: Linaclotid, ein oral wirksames, aus 14 Aminosäuren bestehendes Peptid, ist der erste Vertreter der selektiven Guanylatcyclase-C-(GC-C)-Rezeptor-Agonisten. Es bindet im Darm gezielt an die Guanlylatzyklase-C-Rezeptoren und induziert so die Produktion von zyklischem cGMP intra- und extrazellulär. Intrazelluläres cGMP führt über eine Aktivierung des Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator (CFTR) zu einer verstärkten Sekretion von Elektrolyten, und damit auch von Wasser, in das Darmlumen. Die Darmpassage des Stuhls wird so beschleunigt und der Obstipation entgegengewirkt. Tierexperimentelle Daten zeigen zudem, dass extrazelluläres cGMP die Aktivität von Schmerzfasern senkt. Das wird als Erklärung für die klinisch beobachtete Senkung der viszeralen Schmerzen unter Linaclotid angeführt. Der duale Wirkmechanismus richtet sich also gegen die beiden Kardinalsymptome des RDS-O: Obstipation und Schmerz.


Linaclotid und sein aktiver Metabolit binden an den Guanylatcyclase-C-(GC-C)-Rezeptor an der luminalen Oberfläche des Darmepithels. Die Aktivierung des GC-C-Proteins führt zu einer Steigerung der Konzentration von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP), sowohl extra- als auch intrazellulär. Extrazelluläres cGMP senkt die Schmerzfaseraktivität, was zu verringerten viszeralen Schmerzen in Tiermodellen führt. Intrazelluläres cGMP verursacht durch die Aktivierung des cystischen Fibrose-Transmembran-Regulators (CFTR) eine Sekretion von Chlorid und Bicarbonat in das Darmlumen, was zu vermehrter Darmflüssigkeit und schnellerem Kolontransit führt.

Weniger Schmerzen, häufiger Stuhlgang

Linaclotid wurde in einer Dosierung von täglich einmal 290 µg in zwei 1:1-randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten, multizentrischen Phase-III-Studien mit insgesamt etwa 1600 Patienten mit RDS-O, davon 90% Frauen, über 12 Wochen behandelt und dann erneut in eine zusätzliche vierwöchige Behandlungsperiode randomisiert bzw. 26 Wochen untersucht. Für den ersten co-primären Endpunkt wurde die Definition der FDA verwendet, die für RDS-O-Responder eine Linderung der stärksten abdominellen Schmerzen um mindestens 30% im Vergleich zum Ausgangswert sowie wenigstens einen zusätzlichen Stuhlgang pro Woche fordert. Danach sprachen in der zwölfwöchigen Studie 54,8% der Patienten auf Linaclotid an (Placebo: 41,8%). In der 26-wöchigen Studie waren es nach zwölf Wochen 54,1% (Placebo: 38,5%). Der Unterschied war jeweils signifikant. Ähnlich die Daten für den zweiten co-primären Endpunkt, die Responderrate für den RDS-O-Linderungsgrad (37% vs. 18,5%; 39,4% vs. 16,6%). Insgesamt besserten sich die Bauchschmerzen, Blähungen wurden reduziert und die spontane Stuhlfrequenz stieg an. Auch die Lebensqualität, ermittelt anhand eines standardisierten Fragebogens stieg signifikant an.

Verschlechterung nach Absetzen

Patienten, die in der 12-+4-Studie nach zwölf Wochen von Placebo auf Linaclotid umgestellt wurden, zeigten nach weiteren vier Wochen ebenfalls eine Verbesserung der Symptome, während sie sich umgekehrt bei Patienten, die auf Placebo umgestellt wurden, wieder verschlechterten. Das macht die Notwendigkeit einer langfristigen Behandlung deutlich. Ein detaillierter Blick auf den Verlauf unter Therapie zeigte zudem eine rasche und anhaltende Besserung bereits in der ersten Behandlungswoche. Der Effekt von Linaclotid bleibt langfristig erhalten, wie die 26-Wochen-Daten zeigen.

Nebenwirkung Diarrhö

Die lokale Wirkung im Gastrointestinaltrakt (Bioverfügbarkeit (≤ 0,2%) sorgt für eine gute systemische Verträglichkeit. Durchfall von leichtem bis mittlerem Schweregrad war die häufigste unerwünschte Wirkung und trat bei knapp 20% der Patienten innerhalb von 26 Wochen auf, zu 80% war er leicht bis moderat. Bei 4,5% der Patienten führte die Diarrhö zu einem Abbruch der Therapie. Schwerwiegende Diarrhöen wurden bei 2% bobachtet. Bei schwerem oder anhaltendem Durchfall kann die Wirkung anderer oral applizierter Medikamente reduziert werden. Bei Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite ist daher Vorsicht geboten. Frauen, die mit der "Pille" verhüten, sollten zusätzlich andere Verhütungsmethoden nutzen.


Steckbrief: Linaclotid


Handelsname: Constella

Hersteller: Almirall Hermal GmbH, Reinbek

Einführungsdatum: 1. Mai 2013

Zusammensetzung: 1 Kapsel enthält 200 µg Linaclotid. Sonstige Bestandteile: Kapselinhalt: mikrokristalline Cellulose, Hypromellose, Calciumchlorid-Dihydrat, Leucin; Kapselhülle: Titandioxid (E 171), Gelatine, Eisen(III)-oxid (E 172), Eisen(III)-hydroxid-oxid × H2 O (E 172); Kapseltinte: Schellack, Propylenglycol, konzentrierte Ammoniak-Lösung, Kaliumhydroxid, Titandioxid (E 171), Eisen(II,III)-oxid (E 172)

Packungsgrößen, Preise und PZN: 28 Kapseln, 99,31 Euro, PZN 09924125; 90 Kapseln, 295,26 Euro, PZN 09924131

Stoffklasse: Magen-Darm-Mittel; ATC-Code: noch nicht zugewiesen

Indikation: Zur symptomatischen Behandlung des mittelschweren bis schweren Reizdarmsyndroms mit Obstipation bei Erwachsenen.

Dosierung: eine Kapsel (290 µg) einmal täglich; 30 Minuten vor einer Mahlzeit

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; Patienten mit bekannter oder vermuteter mechanischer gastrointestinaler Obstruktion.

Nebenwirkungen: häufig: Diarrhö, Bauchschmerzen, abdominelle Distension, Flatulenz.

Wechselwirkungen: Linaclotid ist nach Gabe der empfohlenen klinischen Dosen kaum im Plasma nachweisbar. Die gleichzeitige Behandlung mit Protonenpumpenhemmern oder Laxanzien oder NSAID kann das Diarrhörisiko erhöhen. In Fällen von schwerer oder anhaltender Diarrhö kann die Resorption von anderen oral angewendeten Arzneimitteln beeinträchtigt werden. Vorsicht ist geboten bei der Verschreibung von Arzneimitteln mit engem therapeutischem Index, die im Darm resorbiert werden, da ihre Wirksamkeit herabgesetzt sein kann.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Im Falle von anhaltender (mehr als eine Woche) oder schwerer Diarrhö sollte das vorübergehende Absetzen von Linaclotid bis zum Abklingen der Diarrhö erwogen und ärztlicher Rat gesucht werden.

Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten, die eine Neigung zu Störungen des Wasser- oder Elektrolythaushaltes aufweisen. Aufgrund des erhöhten Risikos für Diarrhö ist bei älteren Patienten besondere Vorsicht geboten.


Apothekerin Dr. Beate Fessler

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