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Wirbel um Arzneimitteltests in der DDR
Viele namhafte Unternehmen waren dem Bericht zufolge beteiligt – wie Bayer, Schering, Hoechst, Boehringer, Pfizer, Sandoz und Roche. "Die Unternehmen verabreichten alles, was ihre Forschungslabors hergaben", heißt es im Spiegel – Antidepressiva, Chemotherapeutika und Herzmedikamente, aber auch Stoffe mit noch unbekannter Wirkung. Jenseits der Mauer hätten neben Krankenhäusern in Dresden, Erfurt, Halle, Jena oder Rostock auch international renommierte Universitätskliniken wie die Ost-Berliner Charité zu den Geschäftspartnern gezählt. Ab 1983 soll das DDR-Gesundheitsministerium "wie ein Zuhälter" die eigenen kranken Bürger verkauft und "das Land als Versuchslabor" prostituiert haben – für Millionensummen.
Geltendes Recht eingehalten
Im Bundesgesundheitsministerium (BMG) verweist man indes darauf, dass klinische Studien in der DDR in der Bundesrepublik seinerzeit nicht genehmigungs- oder anzeigepflichtig gewesen seien. Eigene Daten lägen dem BMG daher nicht vor, so ein Sprecher. Eine Publikation aus dem Jahr 1991 habe aber Studien westdeutscher Pharmaunternehmen in der DDR näher untersucht und keine relevanten Verstöße gegen damals geltende Regelungen festgestellt. Das Geld für diese Studien sei aber nicht an die teilnehmenden Ärzte, sondern an die für Deviseneinnahmen zuständigen Stellen geflossen.
Auf Anfrage betonen die Pharmaunternehmen, davon auszugehen, dass – sofern klinische Studien in der ehemaligen DDR durchgeführt worden seien – geltende rechtliche oder anzuwendende internationale Standards eingehalten worden seien. In der DDR hätten die Standards für klinische Studien dem damals Üblichen entsprochen, erklärte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa). Das DDR-Recht habe Vorgaben zur Durchführung klinischer Prüfungen gemacht, die denen westlicher Staaten und auch der USA vergleichbar waren – und diese seien auch in der Praxis eingehalten worden. Zudem seien viele Studien nach gleichem Prüfplan nicht nur in der DDR, sondern parallel in westlichen Ländern durchgeführt worden.
Aufklärung tut Not
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), fordert nun eine vollständige Aufklärung. "Die vorliegenden Fakten müssen rückhaltlos untersucht und die Hintergründe aufgeklärt werden", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung". Dem pflichtete der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, bei und betonte, die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sei eine gesamtdeutsche Aufgabe. "Die Stasi hat ausführlich dokumentiert, wie dieser Handel vonstattenging", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Sie sei dafür zuständig gewesen, die devisenträchtigen Deals abzusichern und vor störenden Einflüssen zu bewahren.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat gleich am Montag eine Aktuelle Stunde mit dem Titel "Missbräuchliche Medikamentenversuche westdeutscher und schweizerischer Pharmaunternehmen an Menschen in Ostdeutschland" beantragt. Das "systematische Unterlaufen ethischer und rechtlicher Standards bei Medikamentenversuchen […] muss rückhaltlos aufgeklärt werden", betonte Volker Beck. Die Opfer müssten von den Firmen auch entschädigt werden. "Ein solches Outsourcing von Medizinversuchen muss gesellschaftlich geächtet werden." Angela Merkel sei verantwortlich dafür, das Vorgehen der schwarz-gelben Kohl-Regierung und des DDR-Regimes restlos aufzuklären.
Nach Angaben des BMG sind an verschiedener Stelle bereits mehrere Forschungsprojekte zum Thema geplant. Um ein Nebeneinanderherlaufen derselben zu verhindern, plädiert der vfa in diesem Zusammenhang für eine zentrale Federführung der Projekte – beispielsweise durch das Bundesinnenministerium ("Angelegenheiten der Neuen Bundesländer"). Man wolle keine "Gefälligkeitsgutachten" und werde sich aus der Koordinierung heraushalten, so der Verband. Gleichwohl stehe man für Gespräche bereit, wie man sich in die Projekte einbringen könne.
Erste Projekte laufen
Das Institut für Geschichte der Medizin an der Charité hat sich dem Thema bereits angenommen. Dort untersucht man nach eigenen Angaben seit geraumer Zeit die Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Prüfungsbedingungen neuer Medikamente. Ziel der wissenschaftlichen Recherche sei, zu bewerten, inwieweit die Einhaltung auch damals gültiger Standards wie der Deklaration von Helsinki in der DDR gesichert war. Dabei gehe es insbesondere um die Aufklärungs- und Einwilligungspraxis beteiligter Studienteilnehmer sowie den Umgang mit unerwünschten Nebenwirkungen. "Wir erhoffen uns eine weitgehend systematische Aufarbeitung dieser Auftragsforschung", erklärte Prof. Volker Hess, der Direktor des Instituts.
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