Arzneimittel und Therapie

Form und Farbe beeinflussen die Therapietreue

"Die Blauen helfen mir aber nicht!" Solche und ähnliche Reaktionen von Patienten sind in der Apotheke nicht selten, wenn Rabattvertrags-bedingt ein Generikum durch ein anderes ausgetauscht werden muss. Eine amerikanische Studie untersuchte kürzlich die Auswirkungen von Form- und Farbwechsel bei Antiepileptika-Substitution und fand ein signifikant erhöhtes Risiko für Non-Adhärenz.
Therapietreue in Gefahr Gerade ältere Patienten sind häufig misstrauisch, wenn sich Rabattvertrags-bedingt Farbe oder Form ihrer Dauermedikamente ändert.
Foto: ABDA

Bekanntermaßen ist die Voraussetzung für eine Generikum-Zulassung der Nachweis der Bioäquivalenz zum Originalpräparat. Hinsichtlich der Tablettenform oder -farbe gibt es keine regulatorischen Anforderungen. Doch wie der Apothekenalltag zeigt, lässt ein Wechsel der Tablettenfarbe oder -form beim Austausch von Original gegen Generikum oder von Generika untereinander nicht selten ein Nachlassen der Therapietreue befürchten. Systematisch untersucht wurde dies in einer kürzlich veröffentlichten Studie mit mehr als 60.000 amerikanischen Patienten, denen Antiepileptika mit den Wirkstoffen Carbamazepin, Lamotrigin, Zonisamid, Ethosuximid, Valproinsäure oder Phenytoin verordnet worden waren. Bei Epilepsie-Patienten kann sich eine Einnahme-Unterbrechung besonders verhängnisvoll auswirken; im schlimmsten Fall treten erneut Krämpfe auf oder die Krampfhäufigkeit nimmt zu. Doch auch bei anderen Indikationen kann mangelnde Therapietreue die Morbidität oder sogar die Mortalität steigern und zu erhöhten Gesundheitsausgaben führen. Die Autoren der Studie zitieren eine amerikanische Untersuchung, wonach schätzungsweise 50 bis 70% der Patienten in den USA ihre Medikamente nicht wie verordnet einnehmen, was zu vermeidbaren Kosten von mehr als 100 Milliarden Dollar jährlich führt.

Farbänderung erhöht Non-Adhärenz-Risiko signifikant

In der Fall-Kontroll-Studie galt als "Fall" ein Patient, der eine Folgeverordnung nicht einlöste, und zwar innerhalb von fünf Tagen, nachdem sein Arzneimittelvorrat rechnerisch aufgebraucht worden war. Die Kontrollgruppe umfasste Patienten, die ihr Folgerezept rechtzeitig eingelöst hatten. Beide Gruppen stimmten bezüglich Alter, Geschlechterverhältnis und Diagnose überein (zwischen 22 und 23% litten jeweils an Epilepsie, weitere Diagnosen waren chronische Schmerzsyndrome oder psychiatrische Störungen). In der Gruppe der nichtadhärenten Patienten wurde analysiert, ob bei den beiden vorangegangenen Verordnungen die Farbe und/oder die Form der Tabletten voneinander abwichen.

"Spitzenreiter" mit 19 Farbvarianten

Die verordneten Antiepileptika wiesen insgesamt 37 verschiedene Farben und entweder eine runde, ovale oder elliptische, schildförmige oder längliche (Oblong-Tablette) Form auf. Spitzenreiter waren Ethosuximid-Tabletten mit 19 verschiedenen Farbvarianten.

11.472 Patienten wurden der Fallgruppe, 50.050 der Kontrollgruppe zugeordnet. In 136 Fällen (1,20%) nicht rechtzeitig eingelöster Folgerezepte hatte es bei den beiden vorangegangenen Verordnungen einen "Farbwechsel" gegeben, in der Kontrollgruppe lag dieser Anteil bei 0,97% (n = 480). Damit stieg das Risiko für Non-Adhärenz signifikant um 27% an (adjustierte Odds ratio, OR, 1,27, 95% KI 1,04 bis 1,55).

Ein Wechsel in der Tablettenform trat bei den nichtadhärenten Patienten bei 0,16% (n = 18) auf, in der Kontrollgruppe bei 0,11% (n = 54, adj. OR 1,47, 95% KI 0,85 bis 2,54). In der Untergruppe der Patienten mit Anfallserkrankungen war das Risiko einer Non-Adhärenz aufgrund einer Farbveränderung ebenfalls statistisch signifikant (OR 1,53, 95% KI 1,07 bis 2,18).

Diskussionen und Kommentare zur Studie

In der Diskussion ihrer Studienergebnisse weisen die Autoren darauf hin, dass das Einlösen eines Rezepts nicht automatisch bedeutet, dass der Patient das Medikament tatsächlich einnimmt. Die Non-Adhärenz könnte also sogar noch höher sein als beobachtet. Andererseits könnte das Nichteinlösen eines Rezepts innerhalb des festgelegten Fünf-Tage-Zeitraums der Studie auch dadurch begründet sein, dass der Arzt die Dosis reduziert hatte und die Tabletten deshalb länger reichten.

Kommentatoren der Studie merken an, dass der beobachtete Effekt relativ klein sei; eine absolute Differenz von 0,23% bedeute weniger als ein Fall von Therapieuntreue unter 400 Patienten. Ein anderer Kommentator gibt zu bedenken, dass selbst ein so kleiner Effekt durchaus von Bedeutung sein kann, beispielsweise bei älteren Patienten mit Polymedikation und möglicherweise mehrfacher Non-Adhärenz.

Die Autoren halten ihre Ergebnisse dennoch für bedeutsam: fehlende Therapietreue aufgrund von Farb- oder Formveränderungen bei Ersatz des Originals durch ein Generikum oder Generika-Austausch kann ein unbestimmbarer Faktor sein, der die klinische Effektivität beeinträchtigt. Sie riefen sowohl Ärzte als auch Apotheker dazu auf, Patienten auf die Möglichkeit einer Farb- oder Formänderung im Voraus hinzuweisen. Die Apotheker sehen die Autoren in einer besonderen Verantwortung: sie sollten den Patienten darüber aufklären, dass zugelassene Generika unabhängig von ihren äußeren Attributen wirksam und sicher sind; dadurch könnte das Risiko der Non-Adhärenz gemindert werden.

Außerdem sprechen sich die Autoren dafür aus, dass die Zulassungspolitik, die bisher eine große Form- und Farbvielfalt erlaubt, überdacht wird. Vonseiten der FDA gibt es bereits derartige Überlegungen; geplant ist ein Richtlinienentwurf, dass Generika in Größe, Geruch und Geschmack den Originalpräparaten ähneln sollen. Zumindest sollten die Hersteller nach Meinung der Autoren berücksichtigen müssen, dass die Aufmachung der Tabletten von therapeutischer Relevanz ist und daher nicht von Marketing-Gesichtspunkten abhängen darf. Die Leitlinie "Gute Substitutionspraxis" (GSP) der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft e.V. aus dem Jahre 2002 hat zwar Form- und Farbänderungen als Risikofaktoren für die Therapietreue nicht ausdrücklich erwähnt, nimmt aber allgemein Bezug auf Situationen, in denen eine Substitution Befürchtungen auslösen könnte (siehe Kasten).

"Gute Substitutionspraxis"


Auszug aus der Leitlinie "Gute Substitutionspraxis" (GSP) der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft e.V.

"Auch wenn unter den (…) fachlichen Gesichtspunkten ein Präparateaustausch gemäß den im SGB V vorgegebenen Preiskriterien verantwortbar erscheint, sollte gleichwohl in bestimmten Situationen auf eine Substitution verzichtet werden, z. B. wenn es sich um ängstliche oder agitierte Patienten handelt, bei denen ein Präparateaustausch (gleichgültig um welche Art von Arzneimittel es sich handelt) zur Einnahmeverweigerung oder zu einer gravierenden Verschlechterung der Compliance führen würde, oder wenn die Substitution bei dem Patienten Befürchtungen auslösen könnte (z. B. bei Antiepileptika oder Arzneimitteln zur Verhinderung von Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen), dass sich sein Krankheitsbild durch den Präparateaustausch verschlechtern könnte; dabei ist unerheblich, ob die Ängste rational begründet sind oder nicht."

[Stand 2002, Update geplant für Herbst 2013]


Quelle

Kesselheim, AS et al.: Variations in pill appearance of antiepileptic drugs and the risk of nonadherence. JAMA Intern Med (2013) 173(3): 202 – 208


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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