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Im Gespräch
"Ein Apothekensterben kennen wir nicht"
DAZ: Herr Wellan, Ihr erstes Jahr als Präsident der Österreichischen Apothekerkammer ist vorbei. Kurzer Blick zurück: War’s ein gutes Jahr für die österreichische Apotheke?
Wellan: Eindeutig ja. Schaut man sich die europäische Apothekenlandschaft an, dann heißt es immer wieder: In Österreich funktioniert vieles besser. Das trifft weitgehend zu. Dennoch: wir müssen auch unsere Hausaufgaben machen.
DAZ: Der österreichische Gesundheitsminister Alois Stöger ist stolz auf die Apotheken im Land, wie er vor Kurzem bei einem Besuch auf Einladung der Kammer wissen ließ.
Wellan: Das ist sicher auch ein Ergebnis der langjährigen guten Kooperation zwischen der Kammer und dem Ministerium. Es ist ein partnerschaftliches Miteinander.
DAZ: Aber es gibt auch einige dunkle Wolken am österreichischen Apothekenhimmel. Ein Beispiel ist der Versandhandel, der 2014 für OTC-Arzneimittel erlaubt ist. Wie ist die Stimmung unter Österreichs Apothekern?
Wellan: Keine politische Partei in Österreich will das. Aber die EU-Kommission will es. Bis jetzt war es bereits möglich, dass ausländische Versandapotheken nach Österreich senden. Deshalb musste diese Möglichkeit auch für inländische Apotheken geschaffen werden. Wir haben lange dagegen gekämpft, ob es nicht doch noch eine Liste von Produkten geben könnte, die davon ausgeschlossen werden könnten. Das ist uns nicht gelungen. Aber wir bereiten gerade eine Verordnung zum Versandhandel vor, mit der wir hoffen, die Wettbewerbsverzerrungen und die Rosinenpickerei auszuschließen. Immerhin, der Arzneimittelversand ist in Österreich nur für OTC möglich. Wir haben Deutschland hier nicht verstanden, dass es hier mit dem Rx-Versand vorgeprescht ist.
DAZ: Bringen sich da schon einige Apotheken in Stellung, die einen Versandhandel aufbauen möchten?
Wellan: Das ist noch sehr verhalten. Die Erfahrungen mit dem Versand von Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln, der bisher schon erlaubt war, sind nicht besonders motivierend. Wir werden jetzt aber ein Maßnahmenbündel schnüren, um unsere Serviceleistungen zu verbessern. Wir denken hier an einen verbesserten Botendienst der Apotheken, wobei der Kontakt zum Kunden, zum Patienten, die Nahversorgung immer im Vordergrund stehen soll. Wir werden z. B. den Fahrradbotendienst forcieren, Zustelleinrichtungen in ländlichen Gebieten und die Möglichkeit, Drive-in-Apotheken zu schaffen, was wir bisher eher kritisch gesehen haben. Und wir wollen eine gemeinsame Plattform von allen Apotheken im Internet schaffen, auf der der Verbraucher Arzneimittel vorbestellen und sich über Produkte informieren kann. Unser Leitspruch ist: Nahversorgung und Fernabsatz sind zwei unterschiedliche Welten. Bei unserem Apothekensystem stehen Nähe und Versorgung im Mittelpunkt.
DAZ: Sie haben die sogenannte ApoApp mitentwickelt. Was kann diese App?
Wellan: Die ApoApp ist ein Apothekenfinder mit Zusatzfunktionen, die mir anzeigen, wo sich beispielsweise die nächste Apotheke befindet. Die ApoApp soll darüber hinaus zu einer allgemeinen Informationsplattform ausgebaut werden mit Infos zur Apotheke, aber auch alles zu Arzneimitteln einschließlich Beipackzettel. Gleichzeitig soll auf die Beratungs- und Serviceleistungen in der Apotheke hingewiesen werden. Die dritte Säule der ApoApp geht in Richtung Medikationsmanagement mit Checklisten, Tagebüchern und vielem mehr.
DAZ: Die Besonderheit in Österreich: dispensierende Ärzte mit Hausapotheken. Ist das heute noch ein Problem oder ist hier ein Ende in Sicht?
Wellan: Wir haben 1330 öffentliche Apotheken in Österreich und 900 dispensierende Ärzte in den ländlichen Regionen. Die ärztliche Hausapotheke stellt eine Notlösung in der Versorgung dar, für Gegenden wo keine Apotheke überleben kann. Lässt sich jedoch eine Apotheke nieder, muss die ärztliche Hausapotheke geschlossen werden, was teilweise einen Einkommensverlust der Ärzte zur Folge hat. Bis 2015 sind wir dazu aufgerufen, eine Lösung dafür zu finden, wie die ärztliche und apothekerliche Versorgung gemeinsam auf dem Land sichergestellt werden kann.
DAZ: Gibt es Liberalisierungstendenzen bei Österreichs Apotheken? Kooperationen, Franchise, Filialen? Was tut sich hier?
Wellan: In Österreich darf eine Apotheke noch eine Filiale führen. Aber davon haben nur wenige Gebrauch gemacht, meist in touristischen Gebieten mit saisonalen Anforderungen. Apotheken in Kooperationen, die wirtschaftlich zusammenarbeiten gibt es, aber sie treten anders als in Deutschland nach außen nicht als Kooperation auf. Das halten wir nicht für sinnvoll. Was Liberalisierungstendenzen betrifft, so sehen wir die Entwicklungen bei unseren östlichen Nachbarländern, die liberalisiert haben und jetzt z. T. zurückrudern. Vor diesem Hintergrund gibt es bei uns keine Vorstöße. Wir setzen eher auf den gesundheitsberuflichen Aspekt.
DAZ: Aber leichte Lockerungen scheint es bei den Öffnungszeiten der Apotheken zu geben. In Wien ist es möglich, eine Apotheke abends bis 19 Uhr und Samstagnachmittag offen zu halten. Aus deutscher Sicht kein großer Fortschritt. Sollten hier nicht die Kundenwünsche berücksichtigt werden? Muss hier die österreichische Apothekerschaft noch umdenken? Warum darf eine Apotheke nicht rund um die Uhr, 24 Stunden, 7 Tage in der Woche offen halten, wenn sie dies möchte?
Wellan: Aus deutscher Sicht ist das sicher ungewohnt, aber wir haben hier bedarfsgerechte Regelungen, die mit Balance zwischen guten und schlechten Lagen zu tun haben. Diese Balance soll die Nahversorgung garantieren. Eine radikale Liberalisierung der Öffnungszeiten würde dazu führen, dass Apotheken tendenziell weniger in Wohngebieten als viel eher in guten Innenstadtlagen bevorzugt würden. Das schadet wieder den Patienten. Wir haben auch ein gut ausgebautes Nachtdienstsystem, viel dichter als in Deutschland.
Bedingt durch die Abendsprechstunden der Ärzte und das Einkaufsverhalten der Bürger am Samstagnachmittag haben wir hier jedoch Lockerungen eingeführt, mit denen wir auf das veränderte Verhalten vor allem in Wien reagieren können.
DAZ: Wie sieht die Apothekenentwicklung in Österreich aus: nimmt die Apothekenzahl zu oder stellen Sie ein Apothekensterben fest?
Wellan: Das Apothekensystem in Österreich ist wesentlich stabiler als in Deutschland. Das resultiert aus der bedarfsgerechten Verteilung der Apotheken. Und dies führt wiederum dazu, dass die Apotheken in Österreich im Durchschnitt größer sind als die deutschen Apotheken, gesund und leistungsfähig. Ein Apothekensterben wie in Deutschland kennen wir nicht. Jedes Jahr sperren kontinuierlich in etwa 15 Apotheken pro Jahr neu auf und zwar dort, wo die Bevölkerung eine Apotheke braucht. Es eröffnet also nicht die vierte oder fünfte Apotheke in der Einkaufsstraße, sondern an Orten, wo noch keine Apotheke ist. Wir haben in Österreich einen Mindestabstand zur nächsten Apotheke von 500 m und den bestehenden Apotheken müssen 5500 zu versorgende Einwohner erhalten bleiben.
DAZ: Werfen wir einen Blick auf den Generikamarkt. Wird die Abgabe von Generika auf Rezept gefördert beispielsweise durch vertragliche Regelungen mit den Krankenkassen?
Wellan: In Österreich gibt es kein Aut idem, wir können nicht austauschen. Es wird abgegeben was verordnet ist. Die Förderung von Generika läuft eher über die ärztliche Schiene. Und über eine Positivliste mit Arzneimitteln, deren Preise ausgehandelt sind.
DAZ: Ist Österreich von Lieferengpässen betroffen?
Wellan: Das ist generell ein europäisches Problem. Auch Österreich ist als relativ kleines Land, noch dazu mit relativ niedrigen Arzneimittelpreisen davon betroffen. Wir arbeiten massiv daran, die Information in der Logistikkette zu verbessern. Wir wollen keine behördlichen Datenbanken zur Lieferfähigkeit aufbauen. Wir haben uns mit Großhandlungen und der Industrie zusammengetan, um bessere Informationen an der Tara zu schaffen, ob und wann ein Arzneimittel lieferbar ist oder warum es nicht lieferbar ist.
DAZ: In Deutschland wird derzeit viel über ein neues Berufsbild, ein Leitbild für den Apothekerberuf, diskutiert. Findet sich diese Diskussion auch in Österreich wieder? Geht auch in Österreich die apothekerliche Tätigkeit in Richtung Medikationsmanagement, Patientenorientierung?
Wellan: Ja, aber es ist ein wenig entspannter als in Deutschland. Wir haben eher eine Erweiterung des Bestehenden im Fokus, eine kontinuierliche, sanfte Weiterentwicklung der heutigen apothekerlichen Tätigkeit. Ganz pragmatisch. Aber da steht natürlich auch das Medikationsmanagement im Mittelpunkt in enger Verbindung mit der eMedikation, die 2016 auf uns zukommt.
DAZ: Was verstehen Sie unter eMedikation?
Wellan: Jeder Österreicher hat eine eCard, die elektronische Krankenversichertenkarte. Sie ist bei uns schon im Einsatz. Darüber läuft bereits die Abrechnung mit den Ärzten. Sie soll in Zukunft auch ärztliche Befunde speichern und die Medikation. Dabei ist es in Österreich so, dass jeder Bürger dabei ist, es sei denn, er widerspricht dem. Der Apotheker kann die auf der Karte gespeicherte Medikationsliste abfragen. Ausgehend von dieser eMedikation wollen wir ein Medikationsmanagement weiterentwickeln. Die eCard ist allerdings kein elektronisches Rezept.
DAZ: Ist die Ausbildung der Pharmazeuten noch zeitgemäß? Berücksichtigt das Studium die eingeforderte Beratungs- und Betreuungstätigkeiten des Apothekers? Oder muss hier auch ein Umdenken erfolgen, hin zum Patienten, zur Patientenorientierung?
Wellan: Derzeit stellen alle Hochschul-Ausbildungsgänge auf ein Bachelor-/Master-System um. Nur die Mediziner und wir Pharmazeuten haben es bisher geschafft, dies noch nicht tun zu müssen. Aber wir spüren massiven Druck von oben. Wir konnten uns bisher dagegen wehren, was dazu führte, dass wir uns in den letzten Jahren verstärkt damit befassen mussten und uns nicht um eine Weiterentwicklung der Inhalte kümmern konnten. Deshalb hinkt die Ausbildung der Pharmazeuten nach, beispielsweise auf den Gebieten moderner Kommunikation und anderer Ausbildungsinhalte. Jetzt haben wir das Projekt Neugestaltung des Studienplanes gestartet, bei dem sehr viel Wert auf Medikationsmanagement, Patientenorientierung, vernetztes Denken und Kommunikation gelegt wird. Entwickelt wird der Plan in Richtung Bachelor/Master. Wir gehen aber davon aus, dass sich dann herausstellen wird, der Ausbildungsplan ist nicht für das neue System tauglich. Und dann hoffen wir, dass es bei der durchgängigen fünfjährigen Ausbildung bleiben wird mit dem in Österreich üblichen Abschluss als "Magister pharmaciae" (Mag. pharm.).
DAZ: Wie sieht es mit dem Nachwuchs an Apothekerinnen und Apothekern in Österreich aus? Ist die Zahl derjenigen, die sich nach dem Studium für die Offizinapotheke entscheiden, groß genug?
Wellan: Wir hatten in den letzten Jahren zu wenig Absolventen. An den drei Universitätsstandorten Graz, Innsbruck und Wien gab es zwar ausreichend Apotheker, aber in allen anderen Gebieten Österreichs hatten wir einen Mangel.
DAZ: In Deutschland ist derzeit eine gewisse Unzufriedenheit mit der Arbeit der Berufsorganisation zu spüren. Insbesondere wird mehr Transparenz eingefordert. Wie ist die Lage hier in Österreich?
Wellan: Die Lage bei uns ist ein wenig anders als in Deutschland. Als Kammer haben wir schon immer versucht, ein hohes Serviceniveau zu bieten. Wir können uns direkt an unsere Mitglieder wenden mit einem eigenen Informationsfluss. Nun haben wir erstmals eine 94 Seiten starke Leistungsbilanz über die wichtigsten Themen des vergangenen Jahres gedruckt und an alle Mitglieder geschickt, was die Transparenz natürlich auch verstärkt. Auch auf politischer Ebene gibt es keine Kontroversen.
DAZ: Es war Ihr erstes Jahr als Kammerpräsident. War’s ein gutes Jahr für Sie? Hat es bisher Spaß gemacht? Würden Sie noch einmal zur Wahl antreten?
Wellan: Auf alle Fälle. Ich denke, ich konnte schon einige Impulse setzen. Wir wollen z. B. ein Fehlermeldesystem einführen und die Pharmakovigilanz verstärken. Wenn sich etwas bewegt, macht das immer Spaß. Ich bin Apotheker mit Leib und Seele. Ich steh gerne an der Tara, was ich freitags und samstags auch mache.
DAZ: Sie sind der erste Kammerpräsident in Österreich, der im Angestelltenverhältnis arbeitet. Hat das zu Irritationen bei einigen geführt?
Wellan: Alles, was neu ist, ist mit Diskussionen behaftet. Während früher die selbstständigen Apotheker auch die Angestellten vertreten haben, so bin ich als angestellter Apotheker nun auch für die Selbstständigen da. Die Irritationen haben sich mittlerweile gelegt. Hinzu kam bei mir natürlich auch der Generationswechsel.
DAZ: Sie haben Familie und Hobbys wie Basketball, Eistanz und Bridge – kommt dies jetzt alles zu kurz?
Wellan: Basketball war früher. Eistanzen ist Wiener Tradition, da bin ich noch dabei. Und Bridge spiele ich noch. Es hat alles ein bisschen mit Politik zu tun, bei Bridge zum Beispiel das Spiel gegen andere, aber mit Partnern eine Brücke finden.
DAZ: Ihr Motto für die nächsten Jahre?
Wellan: Unaufgeregtheit — das halte ich für ganz wesentlich im Gesundheitswesen, war mein Motto für das erste Jahr. Fürs zweite Jahr steht Nachhaltigkeit im Mittelpunkt.
DAZ: Wo sehen Sie den Apotheker in 10 oder 20 Jahren?
Wellan: Für die Zukunft wird es sehr darauf ankommen, dass Hard- und Software gut zusammenspielen und die emotionale Komponente nicht zu kurz kommt. Ich meine damit: wir brauchen – das ist die Hardware – gute Produkte, die Arzneimittel, als Software das Wissen zu ihrer richtigen Anwendung und die emotionale Komponente zur Förderung der Compliance. Alles muss zusammenspielen. Das geht nicht beim Versand. Und das geht nur in der Apotheke. Daher sehe ich große Chancen für die Apotheke, für die Apotheker in Zukunft.
DAZ: Herr Wellan, vielen Dank für das Gespräch.
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