Arzneimittel und Therapie

Arm und krank

Tumorheterogenität und sozioökonomische Folgen

Bei der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), die vom 18. bis 22. Oktober 2013 in Wien stattfand, standen zwei große Themenbereiche im Vordergrund: Die Heterogenität von Tumorerkrankungen mit ihren Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie sowie sozioökonomische Folgen einer Krebserkrankung.

Das Spektrum onkologischer Arbeitsdisziplinen erweitert sich sukzessive. Wie Prof. Dr. Richard Greil, Salzburg, und Prof. Dr. Mathias Freund, Rostock, bei der diesjährigen Pressekonferenz erläuterten, treten neben Fragen zur Tumorbiologie zunehmend Fragen zu den gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen einer Tumorerkrankung in einer immer älter werdenden Gesellschaft in den Vordergrund. Zu den Folgen des demografischen Wandels – in einer alternden Gesellschaft steigt die Zahl an Krebspatienten – gehört auch, dass die Anzahl ausgebildeter medizinischer Onkologen nicht mehr zu einer optimalen Versorgung der Patienten ausreichen wird.

Krebs und Armut

Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Entstehung sowie dem Verlauf von Krebserkrankungen und dem sozioökonomischen Status der Betroffenen. „Krebs fördert Armut, und Armut fördert Krebs“, konstatierte Greil. So haben Krebspatienten eine schlechtere berufliche Prognose und in der Folge weniger Einkünfte, was wiederum zu Belastungen innerhalb der Familie führt. Liegen Sprachbarrieren vor, ist darüber hinaus der Zugang zu einer optimalen Behandlung und wirtschaftlichen Unterstützung erschwert. Auch besteht die Gefahr, dass ältere Patienten aufgrund ihres Alters bei therapeutischen Entscheidungen bewusst oder unbewusst benachteiligt werden. Diese möglichen Benachteiligungen müssen bei der Entwicklung von Therapiekonzepten berücksichtigt werden.

Tumorheterogenität – Krebs als orphan disease

Bei jedem Tumorpatient sind zahlreiche Genmutationen nachweisbar. Die meisten sind für das Krankheitsgeschehen unerheblich, gefährlich sind lediglich die Treibermutationen. Die Anzahl dieser Treibermutationen steigt mit dem Alter – so sind bei Kindern, die an einem Medulloblastom erkrankt sind, lediglich fünf bis acht solcher Mutationen nachweisbar, bei erwachsenen Krebspatienten wesentlich mehr – und variiert bei unterschiedlichen Tumorentitäten. Bereits innerhalb eines Primärtumors lassen sich unterschiedliche Krebszellen nachweisen, und auch die Metastasen zeigen andere Merkmale. Das heißt, innerhalb einer Krebserkrankung liegen mehrere Subtypen vor, die sich ganz verschieden entwickeln können. Ihr Wachstum wird wiederum von ihrem Genprofil und der Tumorumgebung beeinflusst. Das Tumormikromilieu scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Hier sind es insbesondere immunologische Prozesse, die den Verlauf einer Krebserkrankung beeinflussen.

Die unterschiedlichen genetischen Merkmale des Tumors haben Auswirkungen auf das Ansprechen einer Krebstherapie. So ist es denkbar, dass ein Großteil des Tumors auf eine bestimmte Behandlung anspricht, einige Zellen hingegen resistent sind. Das heißt, bereits vor Einleiten einer Therapie sollte die Tumorbiologie bekannt sein.

Konsequenzen für die Therapie

Die Heterogenität von Tumorerkrankungen verändert Diagnostik und Therapie und erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Kliniker und Genetiker – „ohne Genetiker keine Diagnose“. Die histologische Diagnose wird durch eine Bestimmung der Signalwege erweitert. Möglicherweise bestimmt der abweichende Signalweg die Therapie. Die Behandlung richtet sich dann unabhängig von der Tumorentität nur noch nach den fehlgesteuerten Merkmalen. Die immer individueller werdende Charakterisierung einer Krebserkrankung – der Tumor als orphan disease – wird auch Auswirkungen auf die Studienlandschaft haben. Da Patientengruppen mit einem homogenen molekularen Profil immer kleiner werden, sind große Kohortenstudien schwer durchzuführen, und es müssen alternative Studienkonzepte entwickelt werden. Als weitere Konsequenz einer Molekulardiagnostik-orientierten Therapie wird eine Behandlung bevorzugt in spezialisierten Zentren erfolgen.

Armut und Gesundheit

In der einkommensarmen Bevölkerung sind Gesundheitsrisiken und Krankheiten stärker verbreitet. Dies spiegelt sich auch in der vorzeitigen Sterblichkeit deutlich wider. Im Vergleich zur einkommensstärksten Bevölkerungsgruppe weisen die Einkommensschwächsten eine etwa zweifach erhöhte Sterblichkeit auf. Erwachsene im mittleren Lebensalter mit einem verfügbaren Netto-Äquivalenzeinkommen unter 60% des gesamtgesellschaftlichen Durchschnitts leiden vermehrt an Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Hypertonie, Adipositas, chronischer Bronchitis, Depressionen und bei Männern auch Lungenkrebs und Leberzirrhose.

Quelle: Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Expertise des Robert Koch-Instituts zum 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Robert Koch-Institut, Berlin 2005.

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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