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Psychosomatik
Schutz vor Burn-out
Auf die Balance von Arbeit und Erholung kommt es an
Gewandelte Arbeitswelt mit neuen Belastungen
Noch vor 50 Jahren waren Menschen an durchschnittlichen Arbeitsplätzen der freien Wirtschaft überwiegend körperlich und nur in geringem Ausmaß kognitiv oder psychisch gefordert. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Kennzeichen moderner Arbeitsplätze sind in der Industrie Maschinen oder Anlagen. In den Büros bilden Bildschirme, Tastaturen und Headsets die Schnittstelle zwischen Mensch und komplexen Informations- und Kommunikationssystemen. Im Dienstleistungsbereich besteht ein wichtiger Teil der Arbeit darin, Kunden, Klienten, Patienten oder Kinder und Jugendliche zufriedenstellend zu bedienen, zu beraten, zu behandeln oder zu unterrichten. Die physische Beanspruchung und die Exposition gegenüber physikalischen und chemischen Noxen sind hingegen zurückgegangen.
Was heute belastet, sind beschleunigte Arbeitsabläufe, permanenter Zeitdruck, der Umgang mit großen Mengen von Informationen, ständige Unterbrechungen, Multitasking und – im Dienstleistungsbereich – das empathische Verstehen und Befriedigen der Erwartungen und Bedürfnisse von Kunden oder Klienten. Dies alles beansprucht nicht die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern vor allem die Intelligenz, das Motivationssystem, das Stresssystem, das Empathiesystem, die Emotionsregulation sowie die vom zentralen Nervensystem gesteuerten Funktionen des Herz-Kreislauf-Systems.
Was ist das Burn-out-Syndrom?
Historisch gesehen, begann die Erforschung der Beziehungen zwischen Arbeitsplatz, Leistungsfähigkeit und Gesundheit mit der Beschreibung eines Arbeitsplatz-spezifischen Syndroms reduzierter Leistungsfähigkeit durch den New Yorker Psychologen Herbert Freudenberger. Er war ein in seinen Jugendjahren aus Nazi-Deutschland emigrierter Jude. Das von ihm 1974 beschriebene „Burn-out“-Syndrom wurde einige Zeit nach ihm von der Berkeley-Professorin Christina Maslach als Kombination dreier Merkmale definiert:
1. Emotionale Erschöpfung mit verloren gegangener Fähigkeit zur Regeneration („Emotional Exhaustion“);
2. Innere Distanzierung gegenüber der Arbeit, Empathieverlust und Zynismus gegenüber den Menschen, für die man beruflich tätig ist („Depersonalisation“);
3. Zunahme des Arbeitseinsatzes bei gleichzeitig zurückgehenden Ergebnissen („Low Personal Accomplishment“).
Durch faktorenanalytische Untersuchungen konnten der Maslach-Schüler Wilmar Schaufeli und die zeitweise an der Universität Oldenburg tätig gewesene Psychologin Evangelia Demerouti zeigen, dass sich das Burn-out-Syndrom auf die beiden Komponenten Erschöpfung („Exhaustion“) und Verlust einer engagierten Einstellung („Disengagement“, vormals „Depersonalisation“) reduzieren ließ. Das Burn-out-Syndrom ist also mehr als nur Erschöpfung (die jeder immer wieder einmal erlebt und mit der es oft verwechselt wird), sondern „Exhaustion plus 1“, um es in den Worten von Christina Maslach zu formulieren. Zur Verfügung stehende Messinstrumente des Burn-out-Syndroms sind
- das von Christina Maslach mehrfach aktualisierte „Maslach Burnout Inventory“ (MBI),
- das von Demerouti und Schaufeli entwickelte „Oldenburg Burnout Inventory“ (OLBI) oder
- der vom Potsdamer Arbeitspsychologen Uwe Schaarschmidt entwickelte Fragebogen „Arbeitsbezogene Erlebens- und Verhaltensmuster“ (AVEM).
Missverhältnis zwischen Verausgabung und Belohnung
Was sind Burn-out begünstigende, vom Arbeitsplatz ausgehende Belastungen und dadurch verursachte Beanspruchungen? Arbeit kann, wie bereits eingangs festgestellt wurde, nicht nur Belastungsfaktor sein, sondern birgt auch positive Potenziale, die – neben den belastenden Aspekten – berücksichtigt werden müssen. Diese Einsicht führte dazu, Gleichgewichte (bzw. Ungleichgewichte) zwischen arbeitsbedingten Belastungen einerseits und Gesundheit schützenden Faktoren andererseits zu erfassen. Der US-Soziologe Robert Karasek und der schwedische Mediziner Töres Theorell entwickelten ein Modell, bei dem sie die Arbeitsbelastungen („Demands“) von Berufstätigen und deren Möglichkeit, selbst Einfluss auf die Arbeitsabläufe zu nehmen („Control“), gegenüberstellen und beide Dimensionen mithilfe eines speziellen Fragebogens quantitativ erfassen.
Dieses Modell wurde durch ein zweites ergänzt, das der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist entwickelt hat. Er richtete den Fokus auf das Gleichgewicht (bzw. Ungleichgewicht) zwischen Verausgabung („Effort“) und Belohnung („Reward“). Als Messinstrument beider Dimensionen dient hier der Effort-Reward-Imbalance-Test (kurz: ERI).
Nach dem Stand der Forschung sind beide Modelle akzeptiert. Folglich kann Stress am Arbeitsplatz auf zwei Wegen erfasst werden:
- als Missverhältnis zwischen den Belastungen und den Möglichkeiten, Einfluss auf den Ablauf oder die Ausgestaltung der Arbeit zu nehmen (Demand-Control-Imbalance), und
- als Missverhältnis zwischen Verausgabung und Belohnung (Effort-Reward-Imbalance).
Beide Imbalancen führen, wie eindrucksvolle Untersuchungen aus jüngerer Zeit zeigen, zu einem signifikant erhöhten Risiko, nicht nur ein Burn-out-Syndrom zu entwickeln, sondern auch eine Depression oder eine koronare Herzkrankheit zu erleiden. Das Burn-out-Syndrom ist also einerseits die Folge von anhaltendem Arbeitsstress, aber andererseits auch ein möglicher Ausgangspunkt oder Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression oder einer Herzkrankheit.
Abgrenzung von Burn-out-Syndrom und Depression
„Mode-Diagnose Burnout“ lautete im November 2011 eine Titelgeschichte des Deutschen Ärzteblattes, mit der eine Kampagne gestartet wurde, der sich nachfolgend auch andere überregionale Zeitschriften anschlossen. Der Tenor lautete: Wer am Arbeitsplatz seelische Probleme hat, habe in Wirklichkeit eine Depression oder eine eingebildete Störung. Diese Gleichsetzung des Burn-out-Syndroms mit der Depression ignoriert – neben den faktischen Unterschieden – den im Burn-out-Konzept verankerten Zusammenhang zwischen der Situation am Arbeitsplatz und der Gesundheit arbeitender Menschen. Deshalb sei nochmals betont:
Das Burn-out-Syndrom ist eine auf den Arbeitsplatz bezogene Störung von Motivation und Leistungsfähigkeit. Betroffen sind Personen, die ihrer Arbeit zuvor gerne nachgegangen sind. Im Gegensatz zum Burn-out-Syndrom ist die Depression eine Gesundheitsstörung, welche nicht primär auf den Arbeitsplatz bezogen ist, sondern alle Lebensbereiche erfasst. Die zentralen Merkmale der Depression sind
- Verlust der allgemeinen Lebensfreude,
- Selbstwertverlust,
- Schuldgefühle und
- Todesgedanken.
Diese Symptome sind beim Burn-out-Syndrom in der Regel nicht vorhanden. Hochrangig publizierte Studien zeigen, dass die Mehrheit (über 60%) derer, die von einem voll ausgeprägten, schweren Burn-out-Syndrom betroffen sind, keine signifikante Depression („Major Depression“) hat. Nur wenn leichte Formen der Depression (wie die „Minor Depression“ oder die Dysthymie) mit erfasst werden, lassen sich bei der Hälfte der Burn-out-Betroffenen zusätzlich auch Hinweise auf eine Depression finden.
Kritische Stimmen äußerten den Verdacht, mit der Leugnung des Burn-out-Syndroms und seiner Gleichsetzung mit der Depression solle dem Einzug von Antidepressiva in die Betriebe auf breiter Front der Weg bereitet werden. Eventuellen Absichten, primär arbeitsbedingte Beeinträchtigungen der seelischen Gesundheit zu „psychiatrisieren“ und das Problem durch die Gabe von Antidepressiva statt durch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen lösen zu wollen, ist ohne Frage entgegenzutreten. Andererseits sind Bedenken ernst zu nehmen, dass sich in vielen Fällen hinter der – aus welchen Gründen auch immer – vorgeschobenen Diagnose eines Burn-out-Syndroms tatsächlich eine – nicht eingestandene – Depression verbergen kann.
Nachdem ein erheblicher Widerstand gegen die Anti-Burn-out-Kampagne deutlich geworden war, wurde sie kürzlich von führenden Psychiatern beendet: Die Zeitschrift „Nervenarzt“, das offizielle Organ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), widmete dem Burn-out-Syndrom im Juli 2013 (Heft 7) das Titelthema und mehrere Beiträge und vollzog damit eine erfreuliche Kehrtwendung. „Burnout“, so stand dort als Headline, sei ein „Risikozustand für psychische und somatische Erkrankungen durch Arbeitsüberlastung“.
Neurowissenschaften stützen Burn-out-Konzept
Bei der Frage, wie die Arbeit ihre positiven Potenziale entfalten kann, müssen wir heute nicht mehr im Nebel stochern, sondern wir wissen inzwischen sehr gut, worauf es ankommt: Anforderungen und Verausgabung müssen sich innerhalb der menschlichen Leistungsgrenzen halten. Der Verausgabung muss ein faires Maß an Belohnung gegenüberstehen, zu der – dies macht auch das bereits erwähnte Effort-Reward-Modell von Johannes Siegrist deutlich – nicht nur ein fairer Lohn gehört, sondern auch die am Arbeitsplatz erlebte Anerkennung, Wertschätzung und Kollegialität. Zum „Reward“ zählen aber auch Faktoren wie Arbeitsplatzsicherheit oder Aufstiegschancen.
Diese Erkenntnisse decken sich nahtlos mit den Einsichten, die uns in den letzten Jahren aus der Neurobiologie und insbesondere aus den sozialen Neurowissenschaften (engl. Social Neurosciences) zugewachsen sind: Die Aktivierung der Stresssysteme schadet niemandem, doch darf die „allostatische Last“ (engl. allostatic load, ein vom renommierten Stressforscher Bruce McEwen geprägter Begriff) nicht unbegrenzt erhöht werden, sondern Stress muss quantitativ begrenzt und qualitativ beherrschbar bleiben. Anerkennung und Wertschätzung sind wesentliche Voraussetzungen für die Aktivierung der Motivationssysteme des menschlichen Gehirns. Ausgrenzung und Mobbing hingegen erlebt das Gehirn wie körperlichen Schmerz, und es antwortet darauf mit Aggression oder Depression.
Positive Potenziale der Arbeit nutzen
Gerade weil sie eine ergiebige Quelle erlebter persönlicher Wertschätzung und sozialer Anerkennung sein kann und einen wichtigen – völlig legitimen – Beitrag zum Selbstwertgefühl des Menschen leistet, kann die Arbeit einen gefährlichen Sog entwickeln und zur Sucht werden. Diese Problematik erleben vor allem Männer. Nicht wenige werden daran krank.
Eine nachhaltige Quelle von Gesundheit und Lebensfreude kann die Arbeit nur dann bleiben, wenn das Leben nicht völlig auf sie reduziert wird. Daher tun wir gut daran, uns nicht ganz der Arbeit zu verschreiben, sondern in einer Weise zu leben, die uns spüren lässt, dass das Leben auch jenseits der Arbeit Dinge bereithält, die es lebenswert, sinnvoll und schön machen können: die Muße, Musik und Kunst, der Sport, die Begegnung mit der Natur und das absichtslose Zusammensein mit Menschen, die wir lieben oder sympathisch finden.
Nur wenn wir auf den nötigen Ausgleich achten, kann die Arbeit ihre positiven Potenziale nachhaltig entfalten. Arbeiten zu können und zu dürfen, bedeutet, Zugang zu einer der wichtigsten Glücksquellen des Lebens zu haben. Arbeit als solche hat es daher verdient, in erster Linie mit ihren Chancen und Potenzialen und nicht primär mit ihren Gesundheitsrisiken konnotiert zu werden.
Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Joachim Bauer ist Oberarzt an der Abteilung Psychosomatische Medizin des Uniklinikums Freiburg. Für seine neurobiologischen Forschungen wurde er mit dem Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie ausgezeichnet. Er ist auch Autor mehrerer Sachbücher.
Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer, Hauptstr. 8,
79104 Freiburg
joachim.bauer@uniklinik-freiburg.de
Arbeit – Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht
Von Joachim Bauer
Der Arbeit verdanken wir Befriedigung, Kreativität und ein Leben in Wohlstand. Doch sie kann uns auch krank werden lassen. Am Arbeitsplatz erleben wir Leistungsdruck, Multitasking, schlechte Führung und Konflikte. Der damit verbundene Stress kann eine Depression oder ein Burn-out-Syndrom auslösen.
Der Neurobiologe und Mediziner Joachim Bauer nimmt unsere Arbeitswelt unter die Lupe und stellt klar, dass Burn-out keine „Mode-Diagnose“ ist. Er zeigt aber auch Perspektiven zur Lösung des Problems auf.
272 Seiten, Geb. 19,90 €
Karl Blessing Verlag, München 2013
ISBN 978-3-89667-474-6
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