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DAZ aktuell
Pharmazie-Professoren in Sorge
Offener Brief an Kammerpräsidenten: Wirtschaftlichkeit drängt wissenschaftlichen Anspruch zurück
„Mit großer Sorge sehen wir die Entwicklung, dass der für die Existenzberechtigung des deutschen Apothekenwesens essenzielle Anspruch einer wissenschaftlich fundierten und von den wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie und Ärzte entkoppelten Arzneimittelversorgung inklusive einer sachgerechten Beratung der Patienten über ihre Arzneimitteltherapie zunehmend in den Hintergrund tritt“, schrieben die Professoren letzte Woche in ihrem offenen Brief. Unterzeichner sind Prof. Dr. Bernd Clement (Universität Kiel), Seniorprof. Dr. Theodor Dingermann (Uni Frankfurt/Main), Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe (Uni Würzburg), Prof. Dr. Dres. h.c. Ernst Mutschler (Uni Frankfurt/Main), Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz (Uni Frankfurt/Main), Prof. Dr. Dieter Steinhilber (Uni Frankfurt/Main), Prof. Dr. Angelika Vollmar (Uni München) und Prof. Dr. Werner Weitschies (Uni Greifswald).
Schüßler-Salze und Firmenverquickung
Zur Untermauerung ihrer Sorge führen sie eine aktuelle Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern als Beispiel an. Die Veranstaltung zum Thema „Schüßler-Salz-Salben“ werde folgendermaßen beschrieben: „... alternative Heilmethoden werden auch in der Apotheke gerne angenommen. Die Anwendung von Schüßler-Salzen ist dabei ein Gebiet, welches bei entsprechendem Kenntnisstand in der Apotheke erfolgreich platziert werden kann. Zur Erweiterung oder Vertiefung Ihrer Kenntnisse wird in den kommenden Veranstaltungen der Blick auf Schüßler-Salz-Salben gerichtet. Wie können die Empfehlungen in der Apotheke rund um dieses Thema aussehen?“. Als Referent sei ein Mitarbeiter des Unternehmens DHU aufgetreten, das Vertreiber von Schüßler-Salz-Salben ist.
„Es ist aus unserer Sicht dringend erforderlich, dass sich die Apothekerkammern wieder ihrer elementaren Aufgaben besinnen“, fordern die Professoren. Dazu gehöre insbesondere die Pflicht, für die Qualität der Berufsausübung sowie die der Fort- und Weiterbildung zu sorgen. „Eine als Fortbildung verbrämte und zertifizierte (!) Durchführung von Veranstaltungen von Unternehmen über die von diesen vertriebenen Produkte, für die es in diesem Fall – auch nach intensiver Recherche – keinen wissenschaftlich belegten Wirksamkeitsnachweis gibt, steht im Gegensatz zu dieser Aufgabe und letztendlich auch im Gegensatz zur Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Apothekerstandes.“ Die Hochschullehrer fordern daher Kiefer und seine Kollegen der Landesapothekerkammern auf, „den beschriebenen Tendenzen umgehend effektiv entgegenzuwirken“.
DAZ.online-Leser diskutieren
Nachdem DAZ.online am 12. Dezember über den Offenen Brief berichtete, entspann sich dort eine kontroverse Diskussion im Kommentarbereich. Dabei geht es um das Für und Wider alternativer Therapien, die die Professoren kritisieren, aber auch um etwaiges Firmensponsoring. Es gibt zum einen klaren Zuspruch für die Professoren. So beklagt etwa Dr. E. Berndt all den „Hokuspokus“: „Es gibt kein Gewerbe, wo mehr Aberglauben und Humbug angeboten wird, als die Apotheke.“ Doch genauso wird den Hochschullehrern vorgehalten, zu weit von der Apotheken-Realität entfernt zu sein. „Die Sorgen sind berechtigt, allerdings in erster Linie durch eine Ausbildung, die nichts mit der Praxis der meisten Apotheker zu tun hat. Da sollten sich die Herren erst einmal an die eigenen Nasen fassen – ‚Elfenbeinturmpharmazie‘ braucht keiner“, schreibt etwa der anonyme „Absolvent“. Auch „Apotheker75“ sagt: „Klar haben sie Recht, da widerspricht keiner, nur davon kann man leider heute nicht mehr leben.“ „Miwin“ meint, der Appell sollte sich besser an die Politik und die Kassen richten, „damit wir mit unserem Sachverstand (der in manchen Dingen vielleicht nicht dem der Professoren gewachsen ist) wieder etwas bewirken können. Denn ganz unzweifelhaft können wir das immer noch deutlich besser als die, welche uns durch Buchhalter diktierte Listenpharmazie auferlegen wollen“. Zum Thema Sponsoring sagt „Selbstzahler“: „Ich besuche regelmäßig Fortbildungen, ohne Imbiss, ohne Werbegeschenke, zahle Fahrtkosten und Teilnahmegebühren selbst, hatte noch nie einen Chef, der sich in irgendeiner Form an Teilnahmegebühren, Arbeitszeit, Fahrtkosten beteiligt hätte.“
Nicht zuletzt meldet sich auch der Vizepräsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, René Graf, zu Wort. Er findet es „gut, dass diese Diskussion einmal geführt wird“. Er ist überzeugt: „Die gute Fortbildung hat nichts mit unseren Einkommen zu tun, vielleicht sogar im Gegenteil: gut fortgebildet erhöht die Chance, als ‚guter‘ Apotheker wahrgenommen zu werden“. Seine Kammer jedenfalls, so betont er, lege schon sehr lange großen Wert auf Unabhängigkeit. „Der kleine Anteil an Fortbildungen, die inhaltlich gegen die Naturgesetze sprechen und von jemandem vor etwa 200 Jahren erfunden wurde und das Wissen der Jahre seitdem nicht berücksichtigt, ist Ausdruck von demokratischen Abstimmungen und der Meinungsvielfalt in der Kollegenschaft“.
Kiefer weist Vorwürfe zurück
BAK-Präsident Kiefer reagiert letztlich seinerseits mit einem Brief an die „Damen und Herren Professores“. Darin betont er, er teile ihre Meinung, „dass eine breite naturwissenschaftliche Ausbildung der Apothekerinnen und Apotheker Grundlage des unabhängigen Apothekensystems in Deutschland ist“. Die Gesellschaft sei gut beraten, mehr Geld in die Modernisierung dieser Ausbildung zu stecken.
Die Auffassung, die Landesapothekerkammern nähmen ihre elementaren Aufgaben nicht wahr, entbehre hingegen jeder Grundlage, schreibt Kiefer weiter. Er hält den Professoren vor, ihre Aussage von der Ankündigung einer einzelnen Fortbildungsveranstaltung abzuleiten. „Bei etwa 2300 Fortbildungsveranstaltungen der Apothekerkammern pro Jahr hätte eine größere Stichprobe sicher zu einer objektiveren Evidenz beigetragen“. Zudem: Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen hätten – ungeachtet der Frage der Evidenz – im Arzneimittelgesetz ihre rechtliche Grundlage. Ärzte verordneten diese Arzneimittel und Patienten wendeten sie an. Apotheker entschieden im Einzelfall, ob sie zur Selbstmedikation raten oder nicht. Kiefer: „Die Verpflichtung zur Information und Beratung endet nicht an der Schwelle allopathischer oder biotechnisch hergestellter Arzneimittel“.
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