Arzneimittel und Therapie

Valproinsäure in der Schwangerschaft meiden

Der Gebrauch von Arzneimitteln in der Schwangerschaft ist kritisch und sollte auf das notwendige Minimum begrenzt werden. Es gibt jedoch Erkrankungen, die unbehandelt ein größeres Risiko für Mutter und/oder Kind darstellen als die Arzneimitteltherapie. Die Epilepsie ist so eine behandlungspflichtige Erkrankung. Die teratogenen Risiken von Antiepileptika sind bekannt. Eine Studie ergab nun, dass vor allem die Behandlung von schwangeren Epilepsie-Patientinnen mit Valproinsäure die kognitive Entwicklung der Kinder nachhaltig schädigen kann.

Epilepsien haben hierzulande eine geschätzte Prävalenz von 0,7 bis 0,8%. Ein Drittel der Neuerkrankungen fällt in die Altersgruppe der Kinder unter 18, ein Drittel in die der Senioren über 60 Jahre [1]. Laut Bundes-Gesundheitssurvey nehmen 0,44% der Frauen täglich Arzneimittel gegen Epilepsie ein [2]. Valproinsäure kann als "Breitspektrum-Antikonvulsivum" bezeichnet werden, das bei den zwei Hauptanfallsformen (tonisch-klonisch sowie fokal) wirksam ist. Auch weitere Vorteile wie langjährige Erfahrung, geringe Behandlungskosten und ein geringes Interaktionsspektrum tragen dazu bei, dass das Verordnungsvolumen für Valproinsäure in den Jahren 2001 bis 2010 um ca. 50% auf 55,3 Mio DDD (defined daily dose) pro Jahr gestiegen ist [3]. Zusätzlich wird Valproinsäure zur Stabilisierung bei manisch-depressiven Psychosen eingesetzt.

Die Therapieentscheidung für einen bestimmten Wirkstoff wird individuell nach Art der Epilepsie, Wirksamkeit der Antikonvulsiva, Verträglichkeit, Begleitmedikation und anderen patientenseitigen Parametern getroffen. Im Schnitt sind 50% der Patienten nach der Einstellungsphase mit dem ersten Medikament anfallsfrei, bei weiteren 20% gelingt dies mit dem zweiten Arzneimittel. Der Anteil der Patienten, die eine lebenslange Therapie brauchen, liegt um 60%.

Viele der verfügbaren Antikonvulsiva gelten als teratogen und können beim Kind strukturelle Fehlbildungen hervorrufen. Diskutiert wird auch immer wieder ein Zusammenhang zwischen Antikonvulsiva und neurologischen sowie Verhaltensauffälligkeiten. Bei geplanter Schwangerschaft kann im Vorfeld versucht werden, auf eine Schwangerschafts-kompatible Therapie – das ist in erster Linie eine moderat dosierte Monotherapie – umzustellen. Jede Umstellung der Therapie birgt jedoch das Risiko erneuter Anfälle. Bei einer ungeplant unter einer antikonvulsiven Therapie eingetretenen Schwangerschaft ist es daher wichtig, zwischen diesem Risiko und dem teratogenen Risiko des Wirkstoffes abzuwägen.

Alternativen verwenden

Ob eine genetische Disposition zur Epilepsie und epileptische Anfälle während der Schwangerschaft das Fehlbildungsrisiko erhöhen, ist umstritten. Das Auseinanderhalten der Einflussfaktoren für die Teratogenität der Antikonvulsiva und die Risikobewertung sind vor diesem Hintergrund schwierig. Zur Teratogenität von Valproinsäure gibt es aufgrund der langjährigen Erfahrung eine vergleichsweise gute Datenlage. Sowohl die Fachinformation als auch die Datenbank www.embryotox.de, eine Stellungnahme des UK Teratology Information Service vom Juni 2011 und die französische Datenbank des Centre de Référence sur les Agents Tératogènes (www.lecrat.org) raten von einer Anwendung von Valproinsäure bei gebärfähigen Frauen ab, besonders bei bestehendem Kinderwunsch. Nur wenn kein anderes Antikonvulsivum ausreichend wirksam ist, soll Valproinsäure in möglichst niedriger Dosierung (< 1 g/d), verteilt auf mehrere niedrige Einzeldosen am Tag als Monotherapie, unter Folsäure-Supplementation und mit begleitendem hochauflösendem Ultraschall eingesetzt werden. Die Einnahme von Valproinsäure gilt jedoch nicht als Grund für einen Schwangerschaftsabbruch.


Antiepileptika-Bewertung bei embryotox


Zum embryotoxischen Potenzial von Antiepileptika findet man unter www.embryotox.de folgende Ausführungen: Die klassischen Antiepileptika Valproinsäure, Carbamazepin, Phenobarbital/Primidon und Phenytoin besitzen ein embryotoxisches Potenzial. Kinder von Müttern, die mit (klassischen) Antiepileptika behandelt werden, haben ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen, intrauterine Wachstumsretardierung und insbesondere bei Valproinsäure funktionelle Entwicklungsstörungen des Zentralnervensystems. Jedes 5. bis 10. pränatal exponierte Kind weist nach heutigen Erkenntnissen zumindest eine dieser Auffälligkeiten auf. Zu den neueren Antiepileptika reichen die Kenntnisse – mit Ausnahme von Lamotrigin – noch nicht aus, um das Risiko einer Monotherapie abzuschätzen. Eine antiepileptische Kombinationstherapie scheint auch bei neueren Antiepileptika zu einer erhöhten Rate von Entwicklungsstörungen zu führen.

Eine teratogene Wirkung der Epilepsie wird als nicht erwiesen angesehen. Weder für die Grunderkrankung noch für Grand-mal-Anfälle gebe es dazu eine eindeutige Bestätigung.


Quelle: www.embryotox.de

Nutzen und Risiken abwägen

Nun liefert die Neurodevelopmental Effects of Antiepileptic Drugs (NEAD) Studie [4], die auf eine sechsjährige Entwicklungszeit exponierter Kinder zurückblickt, neue Daten. Ausgewertet wurden die Ergebnisse verschiedener kognitiver Tests von 170 Sechsjährigen, deren Mütter während der Schwangerschaft eine antikonvulsive Monotherapie erhalten hatten. In 33 Fällen war dies Valproinsäure, die anderen waren mit Carbamazepin, Lamotrigin oder Phenytoin als Monotherapie behandelt worden. Bereits bei Untersuchungen im Alter von 2, 3 und 4, 5 Jahren hatte sich abgezeichnet, dass unter den Antikonvulsiva vor allem Valproinsäure die kognitiven Fähigkeiten pränatal exponierter Kinder verringert. Die Untersuchung der sechsjährigen Grundschüler bestätigt diesen Befund nun. Beeinträchtigt waren verbale und non-verbale Fähigkeiten, exekutive Funktionen (also planend-zielorientiertes Handeln) sowie die Gedächtnisleistung. Der IQ von Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft mit Valproinsäure in einer Tagesdosis von mehr als 1 g behandelt worden waren, lag mit 98 Punkten 8 bis 10 Punkte unter dem IQ der Carbamazepin-, Lamotrigin- oder Phenytoin-exponierten Kinder. Die Gabe von Folsäure konnte die Beeinträchtigungen mildern.

Die wichtigste Einschränkung der Studie liegt in der geringen Fallzahl und der nicht unerheblichen Drop-out-Quote. Andererseits gewinnt sie durch ihr longitudinales Design mit mehreren Auswertezeitpunkten und die Kontrolle der zentralen Confounder an Aussagekraft.

Insgesamt bestätigt die Studie die Empfehlungen der oben genannten Datenbanken. Alle betroffenen Frauen müssen neben dem Risiko struktureller und im Ultraschall erkennbarer Fehlbildungen auch über mögliche neurologische Langzeitfolgen aufgeklärt werden – vom Arzt oder vom Apotheker.


Quelle

[1] AWMF-Leitlinie "Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter", Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 4. überarbeitete Auflage 2008, S. 654 ff, Georg Thieme Verlag Stuttgart.

[2] Knopf H, Melchert HU. Bundes-Gesundheitssurvey: Arzneimittelgebrauch, Robert Koch-Institut [Hrsg.] 2003, ISBN 3-89606-147-x

[3] Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungs-Report 2011: Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare, zugänglich über die National electronic library of medicine des NHS (www.nelm.nhs.uk)

[4] Meador KJ, et al. Fetal antiepileptic drug exposure and cognitive outcomes at age 6 years (NEAD study): a prospective observational study. Lancet Neurol (2013) Published Online 23. Januar, http://dx.doi.org/ 10.1016/S1474-4422(12)70323-X


Apothekerin Prof. Dr. Dorothee Dartsch



DAZ 2013, Nr. 8, S. 42

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