Gesundheitspolitik

Teuer und ohne Zusatznutzen

Professor Glaeske erstellt Bestandsmarktreport für Techniker Krankenkasse

BERLIN (lue) | Die Große Koalition hat den Bestandsmarktaufruf aufgegeben – zu kosten- und zeitintensiv und rechtlich durchaus problematisch. Arzneimittel, die vor dem 1. Januar 2011 auf den Markt gekommen sind, durchlaufen somit nicht das im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) festgeschriebene Verfahren der frühen Nutzenbewertung. Doch die Techniker Krankenkasse (TK) will sich damit nicht zufriedengeben und präsentierte letzte Woche in Berlin einen eigenen Bestandsmarktreport. Dafür bewertete Professor Dr. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen mit seinem Team insgesamt 17 Wirkstoffe aus drei Arzneimittelgruppen hinsichtlich ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses. In der Pharmaindustrie stieß der Report auf wenig Verständnis.

TK-Chef Dr. Jens Baas kann nachvollziehen, warum die Politik den Bestandsmarkt fallen ließ – dennoch hält er eine Nutzenbewertung von Bestandsmarkt-Arzneimitteln für sinnvoll. Schließlich gehe es um die Gesundheit und das Geld der Versicherten, erklärte Baas. Er sieht die Krankenkassen in der Pflicht, aktiv zu werden: Herausgekommen ist der TK-Bestandsmarktreport. Dieser soll einen direkten Vergleich hinsichtlich des patientenrelevanten und ökonomischen Nutzens für Arzneimittel vor und nach AMNOG schaffen. Man müsse „in einen Wettbewerb der Evidenz eintreten“, so Glaeske. Die TK möchte den Ärzten mit dem Report Daten an die Hand geben, mit denen Wirkstoffe auch untereinander verglichen werden, sodass die bestmögliche Therapie für den Patienten gewählt werden kann.

Ampel-Bewertung ohne grünes Licht

In dem Report wurden drei neue orale Antikoagulanzien (NOAK) zur Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern, sechs neuere Antidiabetika (GLP-1-Analoga und DPP-4-Inhibitoren) sowie acht Biologika zur Behandlung von Rheuma unter die Lupe genommen und anhand von drei Kriterien bewertet: Der patientenrelevante Nutzen – der laut Report bei der Bewertung der Arzneimittel die größte Gewichtung erhielt –, die Verfügbarkeit weiterer Therapien und die Kosten im Vergleich zu ähnlichen Wirkstoffen. Die Ergebnisse werden mit einem Ampelschema dargestellt und zu einem Gesamtergebnis, ebenfalls in Ampelform, zusammengefasst. Aus Glaeskes Sicht sind alle Mittel durchgefallen – keiner der Wirkstoffe hat es in der Ampel-Bewertung auf „grün“ geschafft. Bei den untersuchten neuen oralen Antikoagulanzien wie auch bei den Rheuma-Biologika steht die Ampel schlussendlich auf Gelb. Bei den neueren Antidiabetika – von denen zwei bereits vom Markt genommen wurden – sogar durchweg auf Rot. Neben den hohen Kosten der Mittel wird im Report bemängelt, dass es an direkten Vergleichen zu Therapiealternativen fehle. Belastbare Aussagen hinsichtlich des Zusatznutzens seien dadurch oft nicht möglich. Gerade mit Blick auf die Biologika mahnte Glaeske an, dass „dringend direkte Vergleichsstudien zwischen den Wirkstoffen erforderlich sind“. Kritisch sieht er zudem, dass die von ihm für die TK bewerteten Präparate häufig verschrieben werden, obwohl preisgünstigere und bewährte Mittel zur Verfügung stünden. Die neueren Antidiabetika würden darüber hinaus häufig ohne Vortherapie mit Metformin, dem Mittel der ersten Wahl, verordnet.

Glaeskes Fazit: „Die Präparate sind sehr teuer, haben häufig aber gegenüber bisher verfügbaren Mitteln keinen wesentlichen Zusatznutzen für den Patienten.“ Damit seien auch höhere Preise nicht gerechtfertigt. Seiner Berechnung zufolge beträgt das Einsparvolumen bei hochpreisigen, umsatzstarken Arzneimitteln ohne Zusatznutzen insgesamt zwei Milliarden Euro.

Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen, verwies im Gegenzug darauf, dass die Kassen durch das Preismoratorium für Arzneimittel und den gesetzlich festgelegten Mengenrabatt dieses Jahr rund zwei Milliarden Euro sparen würden.

BPI zweifelt am wissenschaftlichen Fundament

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bezeichnete den TK-Report unterdessen als „ein politisch motiviertes Dokument ohne tragfähiges wissenschaftliches Fundament“. Als Beispiel führt der BPI die Bewertung der Gliptine an. Der Report sieht – anders als der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – bei Sitagliptin und Saxagliptin keinen Zusatznutzen. Darüber hinaus solle man sich bewusst sein, so BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp, dass die Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und die anschließende Beschlussfassung des G-BA im Rahmen der frühen Nutzenbewertung rund sechs Monate dauere. „Prof. Glaeske nimmt für sich und seine Mitarbeiter in Anspruch, solche Bewertungen für 17 Arzneimittel durchgeführt zu haben“, so Fahrenkamp. „Auch dies verdeutlicht, dass es sich wohl kaum um eine tragfähige wissenschaftliche Auswertung handeln kann.“ 

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