Management

Vom Teammitglied zur Chefin

Den Rollentausch erfolgreich in die Praxis umsetzen

Erst Teammitglied, dann Chefin – dieser Sprung landet manchmal neben dem Ziel. Nicht nur die neue Leitung muss sich auf das Führen umstellen, sondern auch die Angestellten stehen vor der emotionalen und sachlichen Herausforderung, den Wechsel der Ebene zu akzeptieren und sich von der ehemals Gleichgestellten leiten zu lassen.

Ein neues Beziehungsgeflecht bildet sich: die vertraute Zwanglosigkeit, die Offenheit, mit der man Privates austauschte, hier und da eine flapsige Bemerkung über Kolleginnen, Kunden oder sich selbst – all das ist jetzt zu persönlich. Als Chefin ist ein gewisser Abstand von den Angestellten angebracht, und die neue Leitung muss sich zwischen zu viel und zu wenig Autorität einpendeln. Im „neuen Leben“ heißt es Aufgaben zu verteilen, Leistungen zu beurteilen und unliebsame Entscheidungen durchzusetzen – vollkommen ungewohnt für beide Seiten.

Zum Glück ergibt sich der Wechsel in den seltensten Fällen über Nacht. Üblicherweise wissen Sie einige Monate oder sogar Jahre im Voraus, dass Sie als Noch-Angestellte eine Apotheke übernehmen werden und können sich darauf vorbereiten. Wahrscheinlich arbeitet die alte Führungsspitze Sie in das aktuelle Verwaltungswesen ein, so dass Sie sich im Büro zurechtfinden.

Ihr pharmazeutisches Fachwissen ist Ihnen schon sicher, nun gilt es, betriebswirtschaftliches Können und Führungskompetenz zu erlangen. Für Letzteres können Sie sich beizeiten einen begleitenden Coach nehmen, mit dem Sie immer wieder Rücksprache halten oder vorbereitend Gespräche trainieren können. Auch der Besuch von Führungs- und Persönlichkeitstrainings bringt Sie voran. Welcher Führungsstil liegt Ihnen? Was sind Sie und Ihre Kolleginnen bisher gewöhnt? Bleiben Sie dabei oder gibt es hier eine Änderung?

Bei wem können Sie sich Tipps abholen oder Schwierigkeiten besprechen, die Sie mit Ihren ehemaligen Gleichgestellten nicht diskutieren möchten?

Der Tag der Übernahme ist ein besonderer. Er wirkt besser, wenn er auch als solcher gefeiert wird, Ihre Vorgängerin Ihnen offiziell das Steuer in die Hand gibt und Sie dieses auch auf symbolische Weise verdeutlichen. Halten Sie eine kurze Antrittsrede, seien Sie vorsichtig bei Versprechen, manche Dinge lassen sich nicht so leicht umsetzen, wie man es gerne hätte. Wenn Sie Ihre neue Lage manchmal als Zwickmühle zwischen der alten Vertrautheit und den entsprechenden Verhaltensweisen und der neuen autoritätsfordernden Situation empfinden, sprechen Sie das ruhig an. Das Personal kann es sicher nachfühlen, dass es für Sie nicht ganz einfach ist. Ein Führungswechselworkshop, den Sie von einem externen Moderator gestalten lassen, bringt von Anfang an Klarheit in puncto Wünschen, Erwartungen und Ängsten beider Seiten.

Der Rollenwechsel

Es ist wichtig, dass Ihnen als neuer Chefin die ganz andere Rolle klar wird, Sie sitzen jetzt nicht mehr in der warmen Teambadewanne, sondern stehen an der Spitze, manchmal auch etwas einsam. Jetzt verstehen Sie plötzlich Ihre alte Führungsspitze mit ihren teilweise unangenehmen Entscheidungen. Fragen Sie nicht wie früher, ob jemand vielleicht später dieses oder jenes erledigen könnte, sondern verteilen Ihre Aufträge höflich aber bestimmt. Nutzen Sie Statussymbole, die Ihre Stellung verdeutlichen. Setzen Sie sich nicht mehr an Ihren alten Arbeitsplatz, wenn Sie zum Beispiel Rezepte addieren, sondern in das Büro, das Sie sich jetzt nach eigenem Geschmack gestalten. Beanspruchen Sie bestimmte Arbeitsgeräte für sich alleine, die niemand aus dem Büro entfernen darf. Das sind Kleinigkeiten wie eine Schere – natürlich haben die Mitarbeiter auch eine, aber wenn die jemand verpackt hat, muss sie gesucht werden, anstatt sich bei Ihnen zu bedienen. Das Gleiche gilt für Telefon und Chefinstuhl.

Bleiben Sie gelassen bei gewohnheitsmäßigen Frechheiten und Frotzeleien, die noch ab und zu auftauchen, machen Sie bei Bedarf deutlich, dass solche Äußerungen in Zukunft unterbleiben dürfen. Ihre Angestellten testen lediglich die Grenzen aus, um sich darauf einzustellen und zu wissen, woran sie sind.

Drei Monate im Übergang

Im Normalfall rechnet man für die Umstellung mindestens drei Monate. Das fängt damit an, dass Sie weniger im HV und häufiger am Telefon und im Büro arbeiten. Versicherungen versuchen, Ihnen einen Vertrag zu verkaufen, Großhandlungen möchten andere Konditionen oder andere Lieferanten machen Angebote, mit denen Sie sich zumindest teilweise auseinandersetzen möchten. Bis Sie das Gefühl haben, alles gut zu überschauen, halten Sie sich lieber mit größeren Änderungen zurück.

Und das Team? Es kennt Ihre Stärken und Schwächen ganz genau –was ein Nachteil sein kann. Sie allerdings kennen auch die Vorzüge und blinden Flecken Ihrer Angestellten – was ein Vorteil sein kann. Haben Sie früher beobachtet, wer wofür geeignet ist? Versuchen Sie die Mitarbeiterinnen noch besser auf ihre Aufgaben einzustellen und delegieren Sie von Anfang an, vertrauen Sie Ihrer Erfahrung und den Fähigkeiten der Arbeitsempfängerin. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass für Sie keine Tätigkeiten übrig bleiben.

Bei einem Kaminaufstieg – dem Karriereschritt im gleichen Betrieb – wird häufig aus ehemaliger Nähe abwartende Distanz: die alten Kollegen beobachten, was sie von der neuen Chefin erwarten können und in welcher Beziehung es Verbesserungen oder Verschlechterungen gibt.

Frühere Freundschaften

Wie sieht es mit Freundschaften aus? Können sie gehalten werden oder stellt sich hier Abstand ein? Wenn Sie als Leiterin beobachten, dass hinter Ihrem Rücken getuschelt wird, sprechen Sie lieber gleich die entsprechenden Köpfe an: „Was ist los?“ „Gibt es Missverständnisse und Unzufriedenheit?“ Manches Teammitglied verspricht sich jetzt von Ihnen Bevorzugungen, wenn Sie sich früher besser mit ihm verstanden haben als mit anderen. Können Sie unausgesprochenem Druck standhalten und ihn zum Thema machen?

Spätestens nach einem halben Jahr sind Mitarbeitergespräche angesagt, monatlich Teamsitzungen, in denen auf den Tisch kommt, was gut läuft und was nicht und wie Sie alle damit umgehen wollen. Michaela Beer und Roland Rutschke betonen in ihrem Kommunikationsbuch: „‚Zusammen‘ oder ‚gemeinsam‘ sind die Schlüsselworte, um ein dauerhaft effektiv und gut arbeitendes Team zu entwickeln.“ Mithilfe eines beigefügten Fragebogens kann ermittelt werden, ob es sich bei den Angestellten schon um ein echtes Team oder nur eine Gruppe handelt.

Teamtreffs können genauso gut von den Mitarbeiterinnen vorbereitet und durchgeführt werden wie von der Leitung. Eine Versammlung ist keine Verkündigungsveranstaltung der Chefin, sondern ein Treffen, in dem jede ihre Meinung, Beobachtungen, Ideen und Wünsche kundgibt. Fordern Sie dazu auf, dass bei der Gelegenheit auch Dinge zur Sprache kommen, die nichts mit Ihrer neuen Rolle zu tun haben, sondern schon immer ein Hemmnis im Betriebsablauf waren, an die man sich aber notgedrungen angepasst hat.

Vom „Du“ zum „Sie“?

Ein häufiges Thema ist die Anrede: Haben Sie sich früher geduzt, ist ein Wechsel zum „Sie“ nicht ganz einfach, verdeutlicht aber eher den gebotenen Abstand. Falls Sie sich zu alten Zeiten nach der Arbeit oft privat getroffen haben oder manchmal die Mittagspause zusammen beim Italiener verbracht haben, ist das jetzt eine Überlegung wert. Man kann nicht mal vertraulich und mit viel Nähe und auf gleicher Ebene etwas zusammen unternehmen und zwei Stunden später wieder Respekt erwarten, wenn man Arbeitsanweisungen gibt oder jemanden, der keine Lust dazu hat, beauftragen, jetzt den Sprechstundenbedarf zu bearbeiten.

Zum „Du“ und „Sie“ gibt es kontroverse Diskussionen, möchten Sie zum „Sie“ wechseln, sagen Sie es, seien Sie aber nicht beleidigt, wenn anderen immer noch das gewohnte „Du“ rausrutscht, das wird Ihnen auch passieren. Starten Sie den Satz einfach von vorne und korrigieren Sie sich. Bei neuen Teammitgliedern fangen Sie direkt mit der Höflichkeitsform an, so wächst sich das Thema der Anrede mit der Zeit aus, wenn alte Mitarbeiterinnen ausscheiden.

Auch Neid ist gut möglich, nicht nur von anderen Approbierten, sondern auch von PTAs oder Teamfrauen anderer Berufsgruppen. Schwierig kann es werden, wenn Sie jünger als die meisten im Team sind. Neidgefühle sind nicht unbedingt bewusst. Es muss nicht die Stellung als solche sein, die Sie jetzt haben, es kann auch der Mut sein, den Sie beweisen und der anderen fehlt, Ihre Fähigkeit und der Wunsch, sich selbst weiterzuentwickeln oder Ihr finanzielles Polster, das diesen Sprung ermöglichte.

Tipps für die Kommunikation

Der Harvard-Professor Michael Watkins bietet Kommunikationsregeln für neue Führungskräfte Ihrer Art an:

  • Seien Sie anspruchsvoll, aber realistisch: Wenn Sie nie zufrieden sind, demotivieren Sie das ganze Team.
  • Seien Sie zugänglich, aber nicht fürsorglich: Bewahren Sie Offenheit und Autorität gleichzeitig.
  • Seien Sie entschieden, aber nicht rechthaberisch: Zeigen Sie, dass Sie das Ruder in der Hand halten und entscheidungsfähig sind, übereilen Sie aber nichts.
  • Seien Sie fokussiert, aber flexibel: Hören Sie sich auch andere Meinungen an, beharren Sie nicht auf Lösungen, nur weil es Ihre waren.
  • Werden Sie aktiv, aber verursachen Sie keinen Aufruhr: Halten Sie die Balance zwischen Fordern und Überfordern, achten Sie darauf, Ihre Mitarbeiterinnen nicht in den Burn-out zu treiben.
  • Seien Sie bereit für unangenehme Entscheidungen: Kündigen Sie nach der Frist den Mitarbeiterinnen, die nicht mehr ins Team passen aber bleiben Sie menschlich dabei und achten Sie auf die Würde der betroffenen Person.

Und die Familie?

Wie sieht es in Ihrer Partnerschaft und Familie aus? Ist allen klar, was eine Betriebsübernahme bedeutet? Sie sind eventuell länger am Arbeitsplatz als zuvor, machen sich auch zu Hause Gedanken über die Geschehnisse in der Apotheke – ganz allgemein bekommen alle weniger Aufmerksamkeit von Ihnen als früher.

Ute Jürgens

 

Ute Jürgens ist PTA und Diplom-Pädagogin für Erwachsene. Sie ist Seminartrainerin im Bereich Kommunikation mit Spezialisierung auf Heilberufler, www.kommed-coaching.de, info@kommed-coaching.de

 

Literatur

Michaela Beer, Roland Rutschke: Kommunikation - Erfolgsfaktor in der Apotheke, Springer Verlag 2011

Dagmar Kohlmann-Scheerer: Gestern Kollege, heute Vorgesetzter: So schaffen Sie den Rollentausch. Gabal Verlag, als Buch, Hörbuch etc. erhältlich.


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