Arzneimittel und Therapie

Studie findet Zusammenhang bei betagten Patienten

Älteren Patienten mit erhöhten Blutdruckwerten werden zum kardiovaskulären Schutz leitliniengemäß Antihypertonika verordnet. Einer US-amerikanischen Untersuchung zufolge wird damit jedoch ein erhöhtes Sturzrisiko „eingekauft“, vor allem bei Patienten mit Stürzen in der Anamnese. Obwohl die Autoren keinen kausalen Zusammenhang nachweisen konnten, raten sie zu einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung bei geriatrischen Hypertonie-Patienten.

Bluthochdruck ist bei Menschen über 70 Jahre weit verbreitet. Zum Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall empfehlen nationale und internationale Leitlinien, mit antihypertensiver Therapie bestimmte Zielwerte (s. Kasten) anzustreben. Diese Strategie ist nachweislich erfolgreich: So wurde in einem Cochrane-Review gezeigt, dass eine antihypertensive Behandlung bei Älteren das relative Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um 28% zu senken vermag. Doch Experten melden auch Bedenken an: Sie argumentieren, dass es sich bei Teilnehmern von randomisierten, kontrollierten Studien meistens um selektierte, relativ gesunde Menschen handelt, während in der allgemeinen Population durchaus ein größerer Anteil von multimorbiden Patienten zu finden ist. Ob diese von einer Blutdrucksenkung in gleichem Maße profitieren, sei fraglich, wie auch einige Studien zeigen.

Schwere Stürze mit Folgen wie Kopfverletzungen oder Hüftfrakturen können zu gesundheitlichen Schäden führen, die durchaus mit einem Herzinfarkt oder Schlaganfall vergleichbar sind. Dem erhofften kardiovaskulären Nutzen steht also ein nicht unbeträchtliches Risiko gegenüber. Ziel einer Kohortenstudie war es daher, herauszufinden, ob die Einnahme von Antihypertensiva bei Älteren mit einem erhöhten Risiko für schwere Stürze assoziiert ist. Eingeschlossen waren 4961 Bluthochdruck-Patienten über 70 Jahre, die drei Jahre lang beobachtet wurden. 14% von ihnen nahmen keine Blutdruck-Medikamente ein. Bei den übrigen unterschied man anhand von definierten Tagesdosen zwischen einer moderaten und einer intensiven Bluthochdruck-Therapie: 55% standen demnach unter moderater, 31% unter intensiver Behandlung. Ihre Medikation schloss alle verfügbaren Wirkstoffklassen ein, das heißt Diuretika, ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Antagonisten, Betablocker, Calcium-Antagonisten (teilweise in Kombination) sowie Wirkstoffe mit untergeordneter Bedeutung wie α1,2-Blocker oder Vasodilatatoren.

Gleiche Blutdruck-Zielwerte für (fast) alle

Nach der im vergangenen Jahr aktualisierten Leitlinie der amerikanischen Fachgesellschaften ESH und ESC gilt nun für fast alle Patienten unabhängig vom gesundheitlichen Risiko ein Blutdruck-Zielwert von < 140/90 mmHg. Ausnahmen sind ein Zielbereich von systolisch 140-150 mmHg für Ältere, ein systolischer Wert von < 130 mmHg bei chronischen Nierenerkrankungen mit Proteinurie sowie diastolisch maximal 85 mmHg bei Diabetikern.

Quelle: ESH/ESC-Guidelines 2013 for the management of arterial hypertension; J Hyperten (2013) 31: 1281–1357.

Risiko bei positiver Sturzanamnese mehr als verdoppelt

In der Nachbeobachtungsphase erlitten 9% der Teilnehmer einen Sturz (n = 446), 837 Personen verstarben (17%). Das ermittelte adjustierte Risikoverhältnis für schwere Stürze (hazard ratio, HR) lag bei 1,40 (95% KI 1,03 bis 1,90) unter mittlerer, bei 1,28 (95% KI 0,91 bis 1,80) unter intensiver Therapie. Die Unterschiede zu den Teilnehmern ohne blutdrucksenkende Behandlung war jedoch nicht statistisch signifikant. Unter den 503 Studienteilnehmern, die bereits im Vorjahr einen Sturz erlitten hatten, lag das Risiko noch höher (HR 2,17 für moderate, 2,31 für intensivierte Therapie). Keine Unterschiede wurden zwischen den einzelnen Wirkstoffklassen beobachtet, ebenfalls nicht zwischen Personen unter und über 85 Jahren bzw. zwischen Männern und Frauen.

Aus Sicht der Autoren ist dies die erste Studie, die bei älteren Patienten einen – wenn auch nicht kausalen – Zusammenhang zwischen einer antihypertensiven Behandlung und Stürzen mit schweren Folgen wie Kopfverletzungen und Hüftfrakturen hergestellt hat.

Die möglichen Ursachen für derartige Ereignisse sind vielfältig: So kann eine zu starke Blutdrucksenkung zu Schwindel oder Schwächegefühl führen, was Stürze begünstigt. Zudem leiden ältere multimorbide Patienten – auch bedingt durch die Einnahme weiterer Arzneimittel – nicht selten unter Verwirrtheit, kognitiven Einschränkungen oder Gangstörungen. Die Autoren empfehlen aus diesen Gründen, Nutzen und Risiken einer Bluthochdruck-Behandlung bei dieser Patientengruppe in jedem Fall sorgfältig gegeneinander abzuwägen. 

Quelle

Tinetti ME et al. Antihypertensive medications and serious fall injuries in a nationally representative sample of older adults. JAMA Intern Med. (2014), online publiziert am 24. Februar 2014. doi:10.1001/jamainternmed.2013.14764.

 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

Das könnte Sie auch interessieren

SPRINT-Studie zu Blutdruckzielen erschüttert Leitlinien und bisherige Praxis

120 statt 140 mmHg?

Diagnose und Therapie der Hypertonie

Zu viel Druck

Erhöhter Blutdruck gilt ab 120, Zielbereich ist 120 bis 129 mmHg

Neue Empfehlungen zur Hypertonie

Sollte man Antihypertensiva bei Älteren absetzen?

Den Druck im Auge behalten

Neue europäische Hypertonie-Leitlinie empfiehlt initiale Zweifachtherapie

Doppelt senkt besser

Diuretika scheinen ACE-Hemmern in der initialen Monotherapie überlegen

Bluthochdrucktherapie überdenken

Bei hohem kardiovaskulärem Risiko sind GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Hemmer erste Wahl

Paradigmenwechsel bei Diabetes

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.