Leitbild

Zwei Fragen und viele Antworten

Die Debatte über die Apothekenzukunft geht weiter

Von Thomas Müller-Bohn | Die offene Leitbilddebatte auf der Internetplattform der ABDA ist beendet. Nun sind die Apothekerkammern an der Reihe. Mit dieser Funkstille will sich die DAZ-Redaktion nicht abfinden. Daher haben wir einen Fragebogen mit zwei Fragen an eine Auswahl von Apothekerinnen und Apothekern geschickt. Die Ergebnisse zeigen einige Trends und viel Diskussionsbedarf. Darum bitten wir alle Leserinnen und Leser, die beiden Fragen ebenfalls auf DAZ.online unter „Umfrage“ zu beantworten. Unsere Leserumfrage startet mit dem Erscheinen dieser Ausgabe.

An der Leitbilddebatte der ABDA wurde kritisiert, dass die Diskussion ohne die Kammerpräsidenten und Verbandsvorsitzenden stattfand, nur auf Landesebene geführt und zeitlich befristet wurde. Die Diskussion in der DAZ ist dagegen weder zeitlich noch nach Ländern begrenzt. Statt auf einen umfangreichen Fragebogen stützt sie sich auf nur zwei Fragen mit jeweils vier bzw. fünf Antwortmöglichkeiten (siehe Kasten), wobei sich der Antwortende jeweils für eine Antwort entscheiden soll.

Zwei Fragen zur Zukunft der Apotheken

Frage 1: Vielfältige Dienstleistungen und Waren rund um die Gesundheit …

a … sollten flächendeckend mehr als bisher angeboten werden. Die Apotheke sollte als umfassender Anbieter von Gesundheitsleistungen aller Art positioniert werden. Das Medikationsmanagement kann als Teil dieser Leistungen betrachtet werden.

b … sind eine mögliche Ausrichtung für Apotheken an geeigneten Standorten. Solche Apotheken sind Teil des vielfältigen Spektrums unterschiedlicher Apothekentypen und bereichern die Apothekenlandschaft.

c … sollten im derzeitigen Umfang beibehalten, aber nicht weiter ausgebaut werden. Andere Anbieter können dies besser leisten.

d … stören das Bild des Apothekers als Heilberufler und sollten nur in engen Grenzen zulässig sein. Sie würden die Etablierung des Medikationsmanagements behindern.

Frage 2: Medikationsmanagement und andere heilberufliche patientenorientierte Leistungen …

a … sind die entscheidende Zukunftsperspektive für die Apotheken und sollten schnellstmöglich flächendeckend in der intensivsten Form umgesetzt werden, auch wenn die Honorierung erst langfristig erreicht werden kann.

b … sind die entscheidende Zukunftsperspektive für die Apotheken und sollten ab sofort schrittweise umgesetzt werden. Einfaches Medikationsmanagement ist auch ohne kostendeckende Honorierung als Vorleistung möglich, weitere Maßnahmen erst mit Honorierung. Langfristig sollten möglichst viele Apotheken auch das klinische Medikationsmanagement anbieten können.

c … sind eine wichtige Zukunftsperspektive für die Apotheken, können gegenüber den Patienten aber erst propagiert werden, wenn die Honorierung sichergestellt ist. Bis dahin können sie nur ein besonderer Service für Stammkunden sein. Das klinische Medikationsmanagement kann nur langfristig oder als Spezialisierung angestrebt werden.

d … bieten eine langfristig erstrebenswerte Perspektive für die Apotheken. Die Apotheker sollten sich für die Honorierung dieser Leistungen einsetzen und langfristig Strukturen für die Umsetzung schaffen.

e … sind zu arbeitsintensiv für den Apothekenalltag und werden auch langfristig nur für wenige Patienten oder in spezialisierten Apotheken angeboten werden können. Auch wenn die Honorierung stimmt, wären nicht genügend Apotheker vorhanden.

Und hier das Ergebnis:

Wer war dabei?

Insgesamt wurde der Fragebogen 60 Mal verschickt, 27 Befragte haben ihn komplett, 3 weitere unvollständig beantwortet. Wir haben den Fragebogen an alle Kammerpräsidenten und Verbandsvorsitzenden geschickt, um öffentlich wahrnehmbar zu machen, wie die Initiatoren der Leitbilddebatte denken. Etliche Präsidenten und Vorsitzende lehnten eine Antwort wegen des laufenden Leitbildprozesses der ABDA ab. Von den 34 Funktionären antworten 9 inhaltlich, davon 7 vollständig. Außerdem haben wir einige Vorsitzende von Apothekerorganisationen außerhalb der ABDA-Struktur und einige Apothekerinnen und Apotheker befragt, die sich zur Leitbilddebatte in Leserbriefen oder Online-Kommentaren zu Wort gemeldet hatten. Diese Auswahl ist verzerrt und die Zahl der Antworten reicht nicht, um alle Apotheker abzubilden. Dennoch lassen sich einige Trends und Muster erkennen, zumal die Antworten in einem Freitext begründet werden sollten (s. Abb.). Außerdem geht es hier nicht um Entscheidungen, sondern um Beiträge zu einer Diskussion, die gerade erst begonnen hat.

Frage 1: Positionierung der Apotheke

Die erste Frage (siehe Kasten) zielt auf den Stellenwert diverser Dienstleistungen und Waren rund um die Gesundheit, auch über das Arzneimittel hinaus. Erstaunlicherweise wurde die Antwort 1c – das Beibehalten des derzeitigen Umfangs – nur einmal gewählt. Fast alle Antworten zielen also auf eine Veränderung. Die deutliche Mehrheit kann sich eine breit aufgestellte Apotheke als Anbieter rund um die Gesundheit vorstellen, zumindest an geeigneten Standorten. Für einige ist dies sogar flächendeckend der Weg in die Zukunft. Doch es gibt auch die umgekehrte Sicht. Etliche betrachten solche Angebote als schädlich.

Große Offenheit …

Viele Begründungen für eine offene Haltung ähneln der Einschätzung der Adexa-Vorsitzenden Barbara Neusetzer: „Jede Apotheke ist so unterschiedlich wie ihre Patienten, ihre Angestellten und ihre Leitung. Deshalb können zusätzliche Waren und Dienstleistungen – in sinnvollem Maße – das Angebot bereichern.“ Dr. Klaus Fehske, Hagen, verweist auf die große Vielfalt von Interessen, Fortbildung und Apothekengrößen. Daher seien Unterschiede in den Leistungsspektren sinnvoll und gut. Gunnar Müller, Detmold, erklärt: „Apotheken sind vielfältig und individuell – wie ihre Standorte und Eigentümer. Diese Vielfalt gilt es zu erhalten und zu fördern – auch und gerade an „kleineren“, dafür aber wohnortnahen Standorten mit „wenig“ Frequenz.“ Für Dr. Stefan Hartmann, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Apothekenkooperationen, ist klar, dass die Spezialisierung der Apotheken weiter voranschreiten wird. Für Elisabeth Thesing-Bleck, Aachen, können vielfältige Waren und Dienstleistungen immer nur ein „add on“ sein, dennoch erscheine ihr „eine Spezialisierung der öffentlichen Apotheke zu einem vollsortierten, lokal eingebundenen Gesundheitsdienstleistungsunternehmen“ als „erstrebenswert“.

Dr. Hans-Rudolf Diefenbach, stellvertretender Vorsitzender des Hessischen Apothekervereins, betont die Liberalität: „Es sollte jedem überlassen werden, wie intensiv er sich um den „Rand“ des Arzneimittels kümmern möchte.“ Ähnlich argumentiert Ann-Katrin Kossendey, Wiefelstede: „Wir sind Heilberufler und Unternehmer, da sollten wir uns auch eine gewisse unternehmerische Freiheit erlauben.“ Etwas zurückhaltender ist Dr. Kerstin Kemmritz, Mitglied der Berliner Leitbild-AG. Sie meint, jedes qualifizierte (!) Angebot, das der unmittelbaren Gesundheitsförderung diene, unterstütze und fördere das Image der Apotheke. Dr. Günther Hanke, Präsident der Apothekerkammer Baden-Württemberg, erklärt: „Natürlich soll die Apotheke zukünftig vielfältige Dienstleistungen und Waren rund um die Gesundheit anbieten“, aber diese dürften nicht pharmaziefremd sein und Apotheken dürften nicht zu „Gemischtwarenhändlern“ werden.

… oder Zurückhaltung

Stellvertretend für eine restriktive Haltung zu einer breiten Positionierung steht die Antwort von Claudia Berger, Vorsitzende des Saarländischen Apothekerverbandes: „Alles andere, außer Arzneimittel, können andere besser.“ Ähnlich argumentiert Jens Dobbert, Präsident der Apothekerkammer Brandenburg: „Wenn das Arzneimittel nicht auch zukünftig unser Handeln dominiert, tragen wir zur Beerdigung des Heilberufes Apotheker bei.“ „Unsere Profession“ könne uns keiner streitig machen, während weitere Dienstleistungen auch von Nichtakademikern wahrgenommen werden könnten, so Dobbert. Weitere Gründe für diese Position nennt Dr. Martina Hahn, Vorsitzende des Deutschen Pharmazeutinnenverbandes: „Die pharmazeutische Expertise wird in meinen Augen durch eine große Sichtwahl und ein großes Angebot an anderen Dienstleistungen geradezu versteckt. Arzt wie Patient haben keine große Erwartungshaltung an den Apotheker – außer der zügigen Belieferung des gewünschten Präparats. Und das muss sich ändern!“ Manfred Saar, Präsident der Saarländischen Apothekerkammer, warnt: „Billig und Angebot kann jeder (auch Nichtapotheker) – manchmal bis zur Pleite.“

Doch es gibt auch Kritik, die Frage überhaupt so zu diskutieren. Annette Dunin von Przychowski, Berlin, hält ein Leitbild, das nur die öffentliche Apotheke betrifft, für einen „extrem großen berufspolitischen Fehler“. Es bestehe die Gefahr, dass die Apotheke gegenüber der Öffentlichkeit „nur entweder als Ramschladen oder als modifizierte Arztpraxis“ dargestellt würde, doch beides sollten die Apotheker unterlassen.

Frage 2: Medikationsmanagement

Ganz anders ist das Bild bei der zweiten Frage (siehe Kasten), die auf das Medikationsmanagement zielt. Die beiden Extremantworten 2a ( die entscheidende Zukunftsperspektive, die schnellstmöglich flächendeckend auch ohne Honorierung umgesetzt werden muss) und 2e (zu arbeitsintensiv, nur für spezialisierte Apotheken, auch bei passender Honorierung kein flächendeckendes Angebot möglich) erscheinen hier als Außenseiter. Ingesamt sprechen die Antworten für einen weitreichenden Konsens über die Bedeutung des Medikationsmanagements als Zukunftsperspektive. Allerdings gibt es ein breites Meinungsspektrum zu den Fragen, wie schnell das Medikationsmanagement umgesetzt werden kann, ob zuvor die Honorierung sicherzustellen ist und ob auch das klinische Medikationsmanagement zur alltäglichen Arbeit in allen Apotheken werden soll.

Schnelle Umsetzung

Für eine schnelle Umsetzung ist Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Bonn: „Wenn die Apotheken das Medikationsmanagement nicht anbieten, werden es andere tun.“ Die Apotheken würden dann zu reinen Arzneimittelabgabestellen und könnten sogar abgelöst werden. Daraus folgert Jaehde: „Somit brauchen die Apotheken das Medikationsmanagement als Basis für ihre Zukunftssicherung und ein Medikationsmanagement wird bessere Ergebnisse erzielen können, wenn die zahlreichen Patientenkontakte in Apotheken dafür genutzt werden. Das ist eine klassische Win-win-Situation!“ Dr. Martina Hahn meint, die Apotheker könnten sich durch das Medikationsmanagement von anderen Berufsgruppen abgrenzen. Hahn argumentiert: „Dieses Alleinstellungsmerkmal gilt es zu nutzen. Logistik können andere Berufsgruppen besser.“ Sie wünscht sich „mehr Pharmazie, weniger Logistik“. Nach Einschätzung des DPhG-Präsidenten Prof. Dr. Dieter Steinhilber sind beim Medikationsmanagement „sicherlich in gewissem Umfang Vorleistungen gefragt“, aber er sieht die Perspektive, dass auf längere Sicht eine Honorierung durchsetzbar ist. Dazu erklärt Erika Fink, Präsidentin der Apothekerkammer Hessen: „Wenn erst alle kapiert haben, was wir leisten können, werden sie uns schon bezahlen, damit wir weitermachen. Davon bin ich fest überzeugt.“

Knackpunkt Honorar

Diesen Aspekt sehen viele Befragte anders. Auch in Antworten, die das Medikationsmanagement stark befürworten, wird vor einem kostenlosen Angebot gewarnt. So erklärt der DAV-Vorsitzende Fritz Becker: „Als Vertreter der Verbände bin ich klar und eindeutig für die Einführung von Medikationsmanagement und anderen heilberuflich patientenorientierten Leistungen. Das geht aber nicht zum Nulltarif. Insofern muss aus meiner Sicht jede Dienstleistung in Art und Umfang definiert und auch bepreist werden. Das gilt auch für das Medikationsmanagement – und übrigens unabhängig vom Kostenträger. Patienten und Kassen erhalten einen echten Mehrwert durch das pharmazeutische Medikationsmanagement. Dahinter stehen Ausbildung, Kompetenz und Erfahrung – aber auch Arbeit, Zeit und andere Ressourcen.“ Auch Lutz Engelen, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, fordert, die Honorierung der „zusätzlichen und notwendigen Dienstleistungen“ sicherzustellen. „Ohne dies ist die pharmazeutische Aufrüstung unserer Apotheken schwerlich leistbar“, so Engelen. Dr. Stefan Hartmann erklärt dazu: „Unsere heilberufliche Zukunft wird politisch und betriebswirtschaftlich entscheiden. Erst wenn unsere Betriebe betriebswirtschaftlich sattelfest sind, können wir in unseren heilberuflichen Anspruch investieren. Nur wenn die Honorierung vorher fixiert wurde, dürfen wir uns mit weiteren Dienstleistungen beschäftigen. Ansonsten regiert akademische Arroganz gepaart mit ökonomischer Ignoranz.“

Barbara Neusetzer bedauert, dass in vielen Apotheken leichtfertig Dienstleistungen und Waren kostenlos angeboten worden seien. Dagegen sollten wir die Schweiz als Beispiel betrachten, fordert Neusetzer. Die dortigen Apotheker würden rund ein Drittel ihres Honorars über Dienstleistungen erhalten. Weiter erklärt Neusetzer: „Bieten wir entsprechende Services flächendeckend ohne Gebühren an, wenn auch nur zu Beginn, liefern wir dem Gesetzgeber eine Steilvorlage: Es geht doch auch ohne zusätzliche Gelder, mag so mancher Politiker dann denken.“ Ähnlich argumentiert der Berufsnachwuchs. So hebt David Reiner, Präsident des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden in Deutschland, hervor, dass die Honorierungsfrage für das Medikationsmanagement geklärt werden muss.

Wie viel Medikationsmanagement?

Außerdem ist zu klären, in welchem inhaltlichen Umfang das Medikationsmanagement betrieben werden soll. Dazu erklärt Olaf Rose, Steinfurt, nicht jede Apotheke könne sofort jede Stufe anbieten, „dennoch sollte dies das Ziel sein, um der Öffentlichkeit gegenüber zu signalisieren, dass der Apothekerberuf mehr bietet als Logistik und Galenik“. Stufe I und II seien bei entsprechendem Training kurzfristig umsetzbar, Stufe III (klinisches Medikationsmanagement) erfordere allerdings „ein tiefergehendes Studium und kontinuierliche Fortbildung“, so Rose. Er erwarte nicht, dass Apotheker sich damit „eine goldene Nase verdienen können“, verweist aber auf die deutlich höheren Einstiegsgehälter US-amerikanischer Apotheker. Während in einigen Antworten der Eindruck entsteht, ein einfaches Medikationsmanagement (Stufe I) sei bereits Alltag, betont Dr. Günther Hanke, dies gehe über die „normale Beratung“ hinaus und erfordere eine zusätzliche Honorierung. Dr. Klaus Peterseim, Vorsitzender des Verbandes der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker, erklärt, dass viele Apotheken schon heute das Medikationsmanagement für Stammkunden und in der Heimversorgung anbieten, doch diese Leistung könne erst auf weitere Patienten ausgedehnt werden, wenn zusätzliches Personal gegenfinanziert sei.

Lieber langsam vorgehen

Während die Fragen zu den Details des Medikationsmanagements, insbesondere zur Finanzierung, in vielen Antworten breiten Raum einnehmen, mahnen andere Befragte, dieses Thema langsamer anzugehen. Dr. Reinhard Herzog, Tübingen, fordert, das Medikationsmanagement und andere Dienstleistungen müssten „erst einmal sauber definiert werden“. Dazu gehören für ihn: „Ziele, Möglichkeiten, Vorgehen, ehrliche Kosten-Nutzen-Analysen (!), Schnittstellenprobleme“. Was dann als zukunftsrelevant erkannt werde, solle in eine sinnvolle „Wertschöpfungskette“ eingebunden werden, z. B. in Tests zur Prävention und Pharmakogenomik. Herzog mahnt: „Qualität kommt vor Schnelligkeit, ganzheitliche, durchkalkulierte Konzepte vor Krämerei an Detailproblemen.“ Für Dr. Hans-Rudolf Diefenbach können neue Dienstleistungen erst ein Punkt für kommende Zeiten sein. Dazu müsse der Gesamteinfluss der Apotheker auf dem Arzneimittelsektor „vollständig anders werden“. Eine Absenkung des Festzuschlags zugunsten irgendeines Honorars wäre unverantwortlich, warnt Diefenbach. Dr. Kerstin Kemmritz sieht den Berufsstand „in einem pharmazeutischen Dornröschen-Schlaf“ und das Medikationsmanagement nur als einen „Teil einer komplizierten Aufwachprozedur, die dringend, aber behutsam eingeleitet werden muss“. Kemmritz warnt vor unzureichenden personellen und zeitlichen Ressourcen für das Medikationsmanagement. Zunächst müsse durch Bürokratieabbau und Honorarerhöhung der Rahmen geschaffen werden, das Medikationsmanagement sinnvoll aufstellen zu können. Wenn die falsche Reihenfolge gewählt werde, könnten es nur wenige Apotheken anbieten. Dann könne es aber nicht zum Alleinstellungsmerkmal werden, sondern drohe an andere verloren zu gehen, befürchtet Kemmritz.

Vielfältige Antwortmuster

Neben den einzelnen Antworten interessiert, ob bestimmte Antwortmuster gehäuft vorkommen. Dabei fallen allenfalls die Kombinationen 1b-2c und 1b-2d auf. Immerhin entfallen 8 (von 27 vollständigen) Antworten auf diese beiden Kombinationen. Darüber hinaus sind kaum Korrelationen erkennbar. Wer mit 1a (Apotheken flächendeckend als umfassende Anbieter von Gesundheitsleistungen) oder 1b (vielfältige Dienstleistungen und Waren als eine mögliche Ausrichtung an geeigneten Standorten) geantwortet hat, könnte auf den ersten Blick als stark kaufmännisch orientiert erscheinen. Dann läge Zurückhaltung beim Medikationsmanagement nahe. Ein Beispiel dafür ist die Position von Dr. Reinhard Herzog: „Lieber ein guter Kaufmann als ein „schlechter“ (im Sinne von: gegängelter, in seiner Entfaltung an allen Ecken und Enden behinderter) Heilberufler“. Doch andere Befragte sind gegenüber einer breiten Positionierung der Apotheke als Gesundheitsdienstleister offen und propagieren zugleich einen schnellen Einstieg ins Medikationsmanagement. So stellt beispielsweise Olaf Rose ausführlich die Vorteile des Medikationsmanagements dar und ergänzt: „Andere und bisherige Dienstleistungen und Spezialisierungen einer Apotheke können dabei selbstverständlich weiter bestehen.“ David Reiner erklärt, die Ausbildung lege den Grundstein für vielfältige Dienstleistungen, und sieht gerade in dieser Vielfalt Anreize zur Gewinnung des Nachwuchses.

Demnach stehen hinter den gleichen Einzelantworten teilweise unterschiedliche Motivationen, die erst aus der Verknüpfung der Antworten bzw. den Begründungen deutlich werden. Dies zeigt sich auch bei den Befragten, die sich ablehnend gegenüber vielfältigen Dienstleistungen und Waren äußern. So argumentiert Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen, die Apotheker „sollten sich im Rahmen einer arbeitsteiligen Medizin auf ihre Kernkompetenz als Fachleute für die Bewertung von Arzneimitteln“ konzentrieren. „Medikationsmanagement verlangt die Konzentration auf das „Dringliche“, und diese liegt in der patientenorientierten und evidenzbasierten Informationsvermittlung zu den Möglichkeiten und Grenzen einer Arzneimitteltherapie“, so Glaeske. Er warnt vor „Verkaufsstrategien“, die dem Image der Ärzte geschadet hätten, z.B. bei IGeL-Leistungen. Claudia Berger fordert ebenfalls die Konzentration auf Arzneimittel, ist aber auch beim Medikationsmanagement für den langsamen Weg und argumentiert: „Was schon über 700 Jahre funktioniert, muss nicht in vier Wochen umgekrempelt werden.“

Antworten der Funktionäre

Ein letzter Aspekt der Auswertung gilt den Kammerpräsidenten und Verbandsvorsitzenden. Deren sieben Antworten auf die erste Frage verteilen sich auf zweimal a, zweimal b und dreimal d. Von acht Antworten auf die zweite Frage entfallen zwei auf b, eine auf c und fünf auf d. Diese Verteilung ähnelt den Antworten der übrigen Befragten. Offenbar sehen auch etliche ABDA-Funktionäre das Medikationsmanagement zwar als wichtiges Ziel, aber nicht als Revolution, die morgen die ganze Apotheke verändern muss. Oder verfolgen sie dieses Ziel nicht mit dem Nachdruck, den andere Apotheker für nötig halten, um den Beruf zukunftssicher zu gestalten? Die Diskussion wird weitergehen. Diese Auswertung soll ein Beitrag dazu sein.

Machen Sie mit!

Die beiden Fragen zur Zukunft der Apotheken stehen ab sofort auf DAZ.online zur Abstimmung. Sagen auch Sie Ihre Meinung, wie Sie sich die Zukunft der Apotheken vorstellen, und führen Sie die Leitbilddebatte damit öffentlich und bundesweit fort.

Hier geht es direkt zur Umfrage.

Enthaltsamkeit

Ein Kommentar von Doris Uhl

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Ja, die Zeit zwischen Fasching und Ostern ist prädestiniert dafür, Enthaltsamkeit zu üben. Immer auch mit dem Ziel, etwas Gutes für sich zu tun. Zwar stehen hier vor allem Genussmittel wie Alkohol und Süßigkeiten im Fokus, doch im Rahmen unserer Leitbilddebatte sind wir auf eine ganz besondere Form der Enthaltsamkeit gestoßen. Schon in der offenen Leitbilddiskussion im Rahmen des ABDA-Leitbildprozesses haben sich unsere Standesvertreter vornehm zurückgehalten, mit dem Argument, sich ein unverstelltes Bild der Meinung der von Ihnen zu vertretenden Apotheker machen zu wollen.

Nun ist der offene Diskussionsprozess unter www.leitbildprozess.de zu Ende, die „Apothekervolksmeinung“ liegt auf dem Tisch. Eigentlich ein guter Zeitpunkt für die Standesvertretung, die selbst auferlegte Enthaltsamkeit aufzugeben.

Vor diesem Hintergrund haben wir alle Kammerpräsidenten und Verbandsvorsitzenden und damit auch den ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt gebeten, unsere Fragen zu beantworten. Acht von 34 waren dazu bereit. Viele hielten es allerdings nicht für nötig, überhaupt zu reagieren, so beispielsweise unser ABDA-Präsident. Umso mehr Respekt ist vor allem denjenigen zu zollen, die an der Umfrage teilgenommen haben. Anerkennung gebührt aber auch denjenigen, die geantwortet und begründet haben, warum sie an unserer Umfrage nicht teilnehmen wollten.

Diese Antworten lassen erahnen, dass hinter der Enthaltsamkeit unserer Standesvertreter nach wie vor das Argument steht, die Meinung des „Volkes“ nicht beeinflussen zu wollen. Man will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, mit seiner eigenen vorgefertigten Meinung den Prozess zu beeinflussen. Eine Position, die nur auf den ersten Blick nachvollziehbar ist. Denn sie lässt sich nur vertreten, wenn man seine Meinung über die des zu vertretenden „Volkes“ stellt und damit unterstellt, Apothekerinnen und Apotheker könnten sich keine von ihrer Standes-„Führung“ unabhängige Meinung mehr bilden, wenn einer der gewählten Vertreter sich schon geäußert hat. Ein seltsames Selbstverständnis, das durchaus auch als Arroganz ausgelegt werden kann – und auch wird.

Unsere Standesvertretung hätte nur gewinnen können, wenn sie Farbe bekannt hätte. Dann wäre die offizielle offene Diskussion sicher viel lebhafter geworden, die „Basis“-Apothekerinnen und -Apotheker hätten deutlich gezielter mit ihren Vertretern diskutieren können, die Standesvertreter hätten ein wesentlich präziseres Bild gewinnen können. Und am Ende des Tages hätten vor allem die Funktionäre an Glaubwürdigkeit gewonnen, deren Ursprungsposition sich nicht 1:1 in dem neuen Leitbild wiedergefunden hätte.

Wir sollten unserer Standesvertretung zwar nicht absprechen, dass sie mit dieser besonderen Form der Enthaltsamkeit etwas Gutes bezwecken wollte, de facto hat sie sich und uns damit jedoch einen Bärendienst erwiesen.

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