Das Apothekerhaus

Warum das Palais die falsche Wahl war

Von Peter Ditzel | Vor zwölf Jahren hat die Berufsvertretung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker, die ABDA, ihr Apothekerhaus in Eschborn verlassen, um nach Berlin zu ziehen. Die Nähe zur Politik war die Triebfeder für den Umzug. Als Dienstsitz hatte man sich das Mendelssohn Palais in der Jägerstraße 49/50 genehmigt. Der Kauf stand von Anfang an unter großer Kritik. Zu protzig, zu wenig Räume, hieß es, und vor allem: ungeeignet als Bürogebäude. Was sich schon nach wenigen Jahren zeigte: Das Haus war zu klein. Jetzt soll es verkauft werden. Unsere kleine Rückschau erzählt, wie alles begann, von der Begeisterung, ein Palais zu beziehen, über Platznot und Risse im Gemäuer, den Plan, das Haus aufzustocken, bis hin zum Entschluss: Wir ziehen aus.

Wir wollen nach Berlin – die Absicht der ABDA, ihr Apothekerhaus in Eschborn zu verlassen, um in die Hauptstadt Berlin zu ziehen, war der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geschuldet und somit aus Sicht der ABDA ein Muss. Von der Nähe zur Politik versprach man sich Vorteile. Ein Apothekertagsbeschluss von 1996 untermauerte den Plan. 2001 nahm das Vorhaben konkrete Formen an. Eine passende Immobilie musste her. Es soll Dutzende von Offerten gegeben haben, die geprüft wurden, zweckdienliche Bürogebäude und funktionale Objekte – und es gab ein altes Bankgebäude, das Mendelssohn Palais in der Berliner Jägerstraße 49/50 unweit des Gendarmenmarktes, das zum Verkauf stand.

Foto: DAZ/ks

Das Palais

Der denkmalgeschützte Bau war 1891–1893 nach einem Entwurf der Architekten Schmieden und Speer als Geschäftshaus der Privatbank Mendelssohn & Co. errichtet worden. Es ist ein repräsentatives, zweigeschossiges Haus im neoklassizistischen Stil mit heller Sandstein-Fassade. Über dem Portaleingang befindet sich ein Balkon. Tritt man ins Haus ein, gelangt man in eine Vorhalle, die als Durchfahrt in den Innenhof diente. Von der Vorhalle zweigt nach rechts ein Treppenhaus ab, nach links gelangt man in die ehemalige Schalterhalle, die nach oben über die beiden Geschoße reicht, mit großem Oberlicht und hellem Marmorboden. Im hinteren Teil des Hauses befindet sich eine stahlgepanzerte, doppelstöckige Tresorkammer mit umlaufender Galerie. Das Haus diente bis 1938 als Sitz der Bank. Der Bau repräsentierte den damaligen Zeitgeist.

Wie narkotisiert

Als das Angebot, dieses Haus zu kaufen und zum Dienstsitz der ABDA umzuwidmen, 2001 auf den Tisch des ABDA-Vorstands kam, war Funkeln in den Augen zu sehen und schnell war klar: Das soll der neue ABDA-Sitz in Berlin sein. Das Haus muss auf die damalige ABDA-Spitze wie eine Droge gewirkt haben. Während die deutschen Apothekerinnen und Apotheker vor einem politisch erzwungenen Sparpaket ungeahnten Ausmaßes standen, hatte sich die Berufsvertretung wie narkotisiert in eine Dienstvilla der Luxusklasse im Herzen Berlins verliebt. Und wie im richtigen Leben: Liebe blendet manchmal die Ratio aus. So traute man sich mit diesem Ansinnen auch nicht recht in die Öffentlichkeit. Man fürchtete Gegenwind, zu Recht. Noch auf dem Apothekertag 2001 wurde der Umzug in ein neues Apothekerhaus in Berlin mit keiner Silbe erwähnt. Als die DAZ kurz nach dem Apothekertag Wind vom geplanten Umzug und Kauf des Palais bekam, dürfte dies der ABDA-Spitze höchst ungelegen gekommen sein. Da mussten sich die Verantwortlichen anstrengen, ihr Unterfangen den Mitgliedsorganisationen, den Delegierten und der Basis mit blumigen Argumenten schmackhaft zu machen. Doch die Reaktion vieler Apothekerinnen und Apotheker war Kopfschütteln, Kritik, Entrüstung. Selbst der eine oder andere Kammerpräsident zeigte sich über das Haus irritiert und sprach von einem „Prachtbau nach Gutsherrenart“.

Kritik am Prachtbau

Während die ABDA versuchte, mit einer mehrteiligen Serie in der Pharmazeutischen Zeitung das Haus, seine historische Bedeutung und seine Eignung als ABDA-Dienstsitz der Basis näherzubringen und die Herzen aller dafür zu gewinnen, beklagte die DAZ mangelndes Fingerspitzengefühl und fragte, ob bei der ABDA jegliches Gespür für Kosten und Außenwirkung verlorengegangen sei.

Der Kaufpreis des Hauses betrug 42,5 Mio. DM (rund 25 Mio. Euro). An weiteren Kosten schlugen die Grunderwerbsteuer mit 1,4 Mio. DM, die Courtage mit 1,7 Mio. DM, der Notar mit 90.000 DM und die Einrichtung mit 460.000 DM zu Buche, so dass insgesamt 46,3 Mio. DM auf den Tisch gelegt werden mussten. Der Preis sollte, so war damals zu erfahren, mit 29 Mio. DM Eigenkapital (im Wesentlichen von den ABDA-Töchtern Werbe- und Vertriebsgesellschaft und Govi-Verlag) bezahlt werden, die restlichen 17,2 Mio. DM sollten finanziert werden.

Die Kritik der DAZ und vieler Apothekerinnen und Apotheker, die Bedenken am Kauf des Hauses, an der Wahl dieses Domizils anmeldeten, verstummte nicht. Schon damals fragten wir, warum nicht Alternativen, die sich in der Tat besser für ein Bürogebäude geeignet hätten, intensiver verfolgt und geprüft worden seien.

Mein kritisches Editorial vom 18. Oktober 2001 nahm das ABDA-Triumvirat Hans-Günter Friese, Johannes Metzger und Stefan Keller zum Anlass für eine Rechtfertigung ihrer Entscheidung: „Mit der Standortwahl leistet sich die ABDA keinen Luxus, sondern sie begibt sich in die Nachbarschaft anderer Verbände und Institutionen im Gesundheitswesen sowie der Politik und Verbände in Berlin, so wie das früher auch beim ABDA-Sitz in Bonn war“, hieß es in diesem Schreiben an mich. Und weiter: „Die vorgelegte Finanzierungsgrundlage für den Erwerb der Immobilie in Berlin sowie für die Folgekosten ist solide und angemessen: Unter Berücksichtigung aller Umstände und vor allem des ‚politischen Nutzens‘ halten wir den Erwerb des in Rede stehenden Gebäudes für geboten. Über Geschmack lässt sich streiten, sicherlich auch, was den repräsentativen Charakter eines Teils des Gebäudes angeht; von einem Prunk- und Prachtbau nach Gutsherrenart kann keine Rede sein. Das Bekenntnis unseres Berufsstandes zu Historie und Tradition passt gerade auch in unsere Zeit …“, meinten die drei Präsidenten.

Die DAZ überzeugte dies nicht, aber die Mehrheit der Mitgliedsorganisationen. Immerhin, 27 Prozent stimmten dagegen (LAK Baden-Württemberg, AK Bremen, Bremer AV, Hamburger AV, LAK Hessen, Hessischer AV, AV Nordrhein, AK Saarland, Saarländischer AV, AV Schleswig-Holstein). Die Landesapothekerkammer Hessen teilte der ABDA damals sogar explizit mit, sie sei nicht bereit, sich an den Folgekosten für die Immobilie in der Jägerstraße zu beteiligen. Die Delegiertenversammlung der LAK Hessen ließ die ABDA auch wissen, dass sie den Erwerb des Hauses „für eine politische Fehlentscheidung“ halte.

Holzgetäfelte Arbeitszimmer und Büroparzellen

Am 1. Juli 2002 hatte die ABDA den Umzug von Eschborn nach Berlin abgeschlossen und die Arbeit in der Jägerstraße aufgenommen. Und schon stand das traditionelle Sommerfest der ABDA an. Die eingeladenen Politiker und Partner im Gesundheitswesen konnten das Palais besichtigen. Die DAZ fragte, wie muss ein solches Haus auf die Politik wirken? Man durfte die imposante Halle, den Tresorraum, das Vestibül bewundern, die repräsentative, mit rotem Teppich belegte Marmortreppe, die in den ersten Stock führt – dorthin, wo sich die holzgetäfelten Arbeitszimmer für Präsidium und Geschäftsführung befinden sowie das Kaminzimmer, in dem gewichtige Gespräche mit der Politik geführt werden sollten. Man sah aber auch die verwinkelten Gänge und Flure, die Hallenräume, die mit Trennelementen aus Glas und Stahl in einzelne Büroparzellen für die Mitarbeiter abgeteilt worden waren. Und es drängte sich erneut die Frage auf: Ist ein solches Haus wirklich als Bürogebäude für die Verbandsarbeit geeignet?

Platzmangel ruft nach Erweiterung

Schon wenige Jahre später war es offensichtlich: Der Platz im Apothekerhaus wird knapp. Die Berufsorganisation expandierte, für zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten Fremdräume zu vergleichsweise hohen Kosten angemietet werden. Auch für Sitzungen und Tagungen musste die ABDA in Hotels ausweichen, da die Räumlichkeiten des Apothekerhauses dafür nicht geeignet sind und ausreichen. Der Ruf nach einem Erweiterungsbau war 2010 nicht mehr zu überhören. Eine Option war: das rechts neben dem Apothekerhaus gelegene Gebäude anzukaufen, abzureißen und einen Neubau zu errichten. Für das Vorhaben veranschlagte die ABDA einen Gesamtpreis von 23,5 Mio. Euro. Es sollte ein sechsgeschossiger Bürokomplex entstehen, finanziert über das Versorgungswerk Westfalen-Lippe und die Bayerischen Versorgungskammer (Laufzeit 10 Jahre, Zinssatz 4%).

Doch letztlich konnte die ABDA-Führung die Mitgliederversammlung davon nicht überzeugen. Diese lehnte mit großer Mehrheit im Februar 2011 den Kauf des Nachbargrundstücks zur geplanten Erweiterung des Apothekerhauses ab. Gegenstand der Diskussion auf der Mitgliederversammlung soll auch die negative Wertentwicklung des bestehenden Apothekerhauses gewesen sein, die den damaligen Erwartungen des ABDA-Vorstandes nicht entsprochen habe. Gutachter waren 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Wert des Apothekerhauses in der Jägerstraße nur noch 17,5 Mio. Euro beträgt.

Risse im Gemäuer

Das Nachbargrundstück fand einen anderen Käufer, der den vorhandenen Plattenbau abreißen ließ und 2012 einen Neubau erstellte. Die Bautätigkeiten wirkten sich auf das Mendelssohn-Palais aus – mit der Folge: Risse im Mauerwerk und Boden des alten Hauses, das Eingangsportal musste sogar mit Stahlträgern abgestützt werden. Wer für die Schäden verantwortlich ist, darüber streitet die ABDA noch immer mit dem Grundstücksnachbarn. Möglicherweise dürfte die ABDA allerdings froh darüber sein, ein Jahr zuvor zum Kaufverzicht gedrängt worden zu sein. Vermutlich wären die Bauschäden auch beim Neubau des Bürokomplexes entstanden – dann hätte die ABDA in jedem Fall dafür gerade stehen müssen.

Aufstocken?

Risse und Schäden im Gemäuer hielten die ABDA nicht davon ab zu betonen, am Apothekerhaus als Sitz der ABDA festzuhalten. Ein Jahr später, im Februar 2013, wurde sogar die Idee geboren, das Apothekerhaus einem breiteren Publikum zu öffnen und es als berufsständisches Aushängeschild auszubauen. Es sollte, so hieß es, ein Konzept entwickelt werden, wie die interessierte Öffentlichkeit im Rahmen von Ausstellungen und anderen Veranstaltungen Zugang zum traditionsreichen Gebäude finden könne. Apotheken seien Orte der Kommunikation und der Begegnung, sagte ABDA-Präsident Schmidt, dies solle auch das Apothekerhaus widerspiegeln. Und um neuen Raum im Apothekerhaus zu schaffen, werde eine Aufstockung des Gebäudes geprüft.

Das Ergebnis der Prüfung, das im Juni 2014 bekannt wurde: 15 Mio. Euro solle die Aufstockung um zwei Etagen kosten. Zusammen mit weiteren Bau-, Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen müsse man insgesamt 26,5 Mio. Euro in das Apothekerhaus stecken. Das Ansinnen wurde bei vielen Kammern und Verbänden mit äußerst gemischten Gefühlen betrachtet. Viele fühlten sich unzureichend informiert, man vermisste Alternativvorschläge, beispielsweise: Wie steht es mit dem Verkauf der Immobilie, einem Neubau oder der Anmietung eines anderen Gebäudes?

Die Kehrtwende

Die Mitgliederversammlung am 25. Juni 2014 brachte die überraschende Kehrtwende: Nein zur Aufstockung des Mendelssohn Palais, Ja zum Umzug in ein neues Gebäude, gegebenenfalls Verkauf des heutigen Apothekerhauses. Eine erneute intensive Prüfung habe ergeben, ließ ABDA-Präsident Schmidt wissen, dass man mit einer Aufstockung das Ziel, ausreichend Platz für alle Mitarbeiter und hinreichende Reserven für eine Entwicklung von mindestens 15 Jahren zu schaffen, nicht erreicht hätte.

Jetzt sucht die ABDA also nach einer neuen Immobilie oder – so die Präferenz von Schmidt – einem Bauplatz für den Neubau eines Bürogebäudes, das ausreichend Platz für alle Mitarbeiter, auch in 15 Jahren biete, das im Zentrum von Berlin, nahe zum Regierungsviertel liege und maximale Funktionalität biete. Eine gewisse Repräsentativität soll das Gebäude, so Schmidt, natürlich auch haben, um „den besonderen Stellenwert unseres Berufs in der Gesellschaft zu repräsentieren“. Und: allzu viel kosten, möchte man hinzufügen, soll das Haus schlussendlich auch nicht. Ob der Wunsch in Erfüllung geht?

Für das Mendelssohn Palais wird nach einer „wertschonenden Lösung“ gesucht. Vor einem eventuellen Verkauf müsste die ABDA allerdings noch – auf eigene Kosten – Brandschutz-, Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen durchführen lassen. Welchen Verkaufspreis man heute erzielen kann, ist Spekulation. Laut Bodenrichtwert besitzt das Grundstück einen Wert von 5,6 Mio. Euro, in den ABDA-Büchern steht das Apothekerhaus mit einem Wert von 19 Mio. Euro.

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