Die Seite 3

Kleine Arzneimittel?

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

44,5 Milliarden Euro – diesen Umsatz haben die deutschen Apotheken im vergangenen Jahr mit Arzneimitteln gemacht. Nicht einmal jeder zehnte Euro davon entfiel auf die Selbstmedikation. Ist diese also wirtschaftlich unbedeutend für die Apotheken?

Betrachtet man die Anzahl der abgegebenen Packungen, ändert sich das Bild radikal. Egal, ob man die Zahlen des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) heranzieht, wonach jede zweite abgegebene Packung ein OTC-Präparat ist, oder der ABDA glaubt, die auf 39 Prozent der Packungen kommt – für die Patienten hat die Selbstmedikation offensichtlich einen sehr hohen Stellenwert. Und auch für die Apotheken ist die Selbstmedikation von ganz anderer, höherer Bedeutung, als dass sie für zehn Prozent des eingenommenen Geldes verantwortlich ist.

Sie ist zum einen für jede einzelne Apotheke wichtig: Selbst wenn etliche OTC-Abgaben Zusatzverkäufe zu Rezepteinlösungen sind, bleiben doch eine Menge Kundenkontakte, die durch die Selbstmedikation ausgelöst werden. Jeder dieser Kontakte beinhaltet die Chance, den Kunden an die Apotheke zu binden. Durch Service, Beratung, Sympathie – im Notfall auch durch den Preis. Und er beinhaltet die Möglichkeit, einen Kunden für immer zu verlieren, wenn er sich und sein Anliegen nicht ernstgenommen fühlt, wenn die Beratung nicht gut ist, wenn die Sympathie nicht stimmt.

Zum anderen ist die Selbstmedikation für den ganzen Berufsstand wichtig, für das Selbstbild als Heilberuf wie für das Bild der Apotheke in der Öffentlichkeit. Beim Apotheker werden Gesundheitsprobleme schnell und ohne Wartezeiten gelöst. In der Beratung zur Selbstmedikation ist die Kompetenz des Apothekers unmittelbar erlebbar: Unterstützt vom Apotheker findet der Patient ein Arzneimittel, das ihm Linderung oder sogar Heilung bringt. Für das Image des Apothekerberufs ist das ein unschätzbarer Wert.

Auf einen weiteren wichtigen Punkt hat Elmar Kroth, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Wissenschaft beim BAH, auf dem OTC-Gipfel (siehe auch Seite 18) hingewiesen. Dass immer anspruchsvollere Arzneimittel und Wirkstoffe für immer komplexere Indikationen aus der Rezeptpflicht entlassen werden, stärkt die Apothekenpflicht. Denn in diesen Fällen ist die Notwendigkeit einer kompetenten Beratung durch einen Heilberufler unmittelbar ersichtlich. Nur wenige Menschen werden ernsthaft fordern, dass Wirkstoffe wie die Triptane auch außerhalb der Apotheke in Supermärkten, Drogerien und Tankstellen erhältlich sein sollen.

Umso wichtiger ist, dass die Apotheker den Stellenwert der OTC-Arzneimittel hochhalten, dass sie sich gegen Trivialisierung und Marginalisierung dieser Arzneimittel stemmen, wo immer sie auftreten.

Dabei muss man eines immer wieder betonen: Arzneimittel werden nicht aus der Verschreibungspflicht entlassen, weil sie nicht wirksam sind, sondern weil sie besonders sicher in der Anwendung sind. In diesem Sinne sind OTC-Arzneimittel auch keine „kleinen Arzneimittel“ – so wie der Apotheker kein „kleiner Arzt“ ist.

Dr. Benjamin Wessinger

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