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Ein Kann, kein Muss
Bundesregierung will nicht am Nutzenbewertungs-Verfahren rütteln
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurde zum 1. Januar 2011 die frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln eingeführt (§ 35a SGB V). Aufgrund des eingereichten Dossiers entscheidet der G-BA, inwieweit das neue Präparat einen therapeutischen Mehrwert (Zusatznutzen) gegenüber dem bisherigen Therapiestandard (zweckmäßige Vergleichstherapie) besitzt. Auf Grundlage dieses Beschlusses wird der Erstattungsbetrag verhandelt, der für die GKV sowie die PKV gilt. Legt der Hersteller die Unterlagen nicht rechtzeitig oder nur unvollständig vor, gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt. Dann hat sich der Erstattungsbetrag an dem der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu bemessen. Bei mehreren möglichen Vergleichstherapien gilt als Orientierung die preisgünstigste.
Linksfraktion kritisiert kalkuliertes Vorgehen
„Allerdings bleibt der Zusatznutzen dann unklar“, stellten die Linken in ihrer Kleinen Anfrage fest und forderten von der Bundesregierung eine Positionierung. Doch die Regierung erkennt hier weder ein Schlupfloch im Verfahren, noch Trickserei seitens der Pharmaunternehmen. Wenn diese befürchten, dass ihr neues Arzneimittel in der frühen Nutzenbewertung schlechter abschneidet als auf dem Markt befindliche Produkte, dürfen sie nach den geltenden Regeln kein oder nur ein unvollständiges Dossier einreichen. Dieses Vorgehen sei zulässig, erklärte Annette Widmann-Mauz (CDU). Auch dieser Fall sei im AMNOG-Verfahren geregelt – dann gelte der Zusatznutzen als nicht belegt.
Regierung sieht bislang kein Problem
Die Linken hatten darauf hingewiesen, dass durch diese Möglichkeit auch neue Arzneimittel auf den Markt kommen könnten, die einen unklaren und möglicherweise geringeren therapeutischen Nutzen haben als die Vergleichstherapie. Eine Entwicklung in diese Richtung vermag die Regierung nach Angaben der Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium allerdings nicht zu erkennen. Aber: „Die Bundesregierung beobachtet die angesprochene Frage aufmerksam“, schreibt Widmann-Mauz. „Sollte sie zu der Überzeugung kommen, dass eine gesetzliche Änderung erforderlich ist, wird sie dem Deutschen Bundestag einen geeigneten Vorschlag unterbreiten.“
Bisher hätten pharmazeutische Unternehmer aber nur in zehn Fällen keine Unterlagen eingereicht, berichtet die Staatssekretärin: Vier Arzneimittel wurden bestehenden Festbetragsgruppen zugeordnet, für eines vereinbarten GKV-Spitzenverband und das Unternehmen einen Erstattungsbetrag (4% unter ApU) und in einem weiteren Fall musste die Schiedsstelle über den Preis entscheiden. Zwei Arzneimittel, für die der G-BA wegen der Zulassung eines neuen Anwendungsgebiets zusätzliche Unterlagen eingefordert hatte, befanden sich zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) in Verkehr. Die übrigen zwei Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.
Die Linken wollten in ihrer Kleinen Anfrage außerdem wissen, wie viel die gesetzlichen und die privaten Krankenkassen bislang für neue Arzneimittel ohne Nutzenbewertung ausgegeben haben. Laut Widmann-Mauz waren dies seit 2011 für die GKV rund 23 Millionen Euro – davon rund sieben Millionen Euro ab dem jeweils 13. Monat nach dem Stichtag für die Einreichung der erforderlichen Unterlagen. Auf Arzneimittel, die einer Festbetragsgruppe zugeordnet wurden, entfielen davon etwa zehn Millionen Euro (6 Mio. Euro ab dem jeweils 13. Monat nach Inverkehrbringen). Entsprechende Zahlen für die PKV lagen der Regierung nicht vor.
Gemischte Reaktionen
Beim Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) ist man „überrascht, dass es plötzlich als Problem dargestellt wird, wenn die Hersteller sich entsprechend dem Gesetz verhalten und sich entscheiden, kein Dossier einzureichen“. Dort verweist man darauf, dass die Sicherheit und der Nutzen neuer Arzneimittel schon zuvor von den Zulassungsbehörden geprüft und bestätigt worden sei. Anders reagierte Kathrin Vogler, Sprecherin für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte der Linksfraktion: Sie ist der Meinung, dass neue Arzneimittel ohne Nutzenbewertung nicht in die Versorgung gehören. „Wir brauchen keine neuen Arzneimittel, die möglicherweise weniger gut helfen als bereits bekannte. Wenn diese Mittel mit der Marketing-Maschinerie der Industrie in die Versorgung gedrückt werden, entsteht nicht nur ein finanzieller Schaden, sondern vor allem auch ein gesundheitliches Risiko für die Patientinnen und Patienten.“ Die Bundesregierung müsse diese „offensichtliche Gesetzeslücke“ daher schließen – und zwar bevor der erste Skandal da sei.
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