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Tierarzneimittel raus aus der Praxis?!

Neues Gutachten zum tierärztlichen Dispensierrecht

SÜSEL (tmb) | Ein neues Gutachten im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums beschäftigt sich mit dem tierärztlichen Dispensierrecht und analysiert die Folgen möglicher Änderungen. Interessant erscheinen insbesondere die untersuchten Zukunftsszenarien und die Einblicke in ausländische Systeme. Die Debatte über das Dispensierrecht erhält damit neue Impulse und eine größere Rolle der Apotheken in der Versorgung mit Tierarzneimitteln bleibt auf der Agenda.

Bei der Verabschiedung der 16. AMG-Novelle hatte der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, das tierärztliche Dispensierrecht zu überprüfen. Dazu gab das Landwirtschaftsministerium beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG und dem Münchner Veterinärmediziner Prof. Dr. Rolf Mansfeld ein Gutachten in Auftrag, das nun vorliegt. Als Vorteil der geltenden Regelung wird dort angeführt, dass alle Komponenten der Behandlung schnellstmöglich durch die Person mit der höchsten formalen Qualifikation erfolgen. Die Leistungen aus einer Hand seien für den Tierhalter vorteilhaft und würden die Überwachung vereinfachen. Außerdem würden jeweils die genau passenden Mengen an Arzneimitteln abgegeben. Wesentliche Nachteile seien die Anreize für Tierärzte, am Verkauf der Arzneimittel zu verdienen und diesen Verdienst bei großen Mengen sogar auszuweiten, indem sie Rabatte von den Arzneimittelherstellern erhalten.

Surftipp

Das Gutachten finden Sie beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter

www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Tier/Tiergesundheit/DispensierrechtGutachten.pdf?__blob=publicationFile

Vergleiche innerhalb von Europa sind schwierig

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Gefahr diskutiert, dass der intensive Einsatz von Antibiotika zunehmend zu Resistenzen führen kann, die auch die Behandlung von Menschen beeinträchtigen können. Im Gutachten wird dazu ein Vergleich von 25 europäischen Ländern für 2011 präsentiert, in dem Deutschland den vierten Platz bei der Antibiotikaabgabe pro Kilogramm Lebendgewicht in der Tierproduktion einnimmt. Mit 211 mg pro kg wurden deutlich mehr Antibiotika abgegeben als beispielsweise in Frankreich (117 mg/kg), den Niederlanden (114 mg/kg) oder Dänemark (43 mg/kg). Diese gängige Betrachtungsweise berücksichtigt weder die unterschiedlichen Erhebungsverfahren noch die verschiedenen Dosierungen der Antibiotika, aber für die hier genannten Länder sollen die Werte zumindest grob vergleichbar sein.

Zukunftsszenarien mit Dispensierrecht

Der größte Teil des Gutachtens beschreibt Zukunftsszenarien und deren Konsequenzen. Dabei stützt es sich auf Dokumentenanalysen, Experteninterviews, Länderfallstudien und quantitative Analysen. Falls das Dispensierrecht beibehalten wird, seien keine wesentlichen Änderungen zu erwarten, auch nicht bei den Resistenzen. Doch die im April 2014 in Kraft getretene 16. AMG-Novelle verpflichtet Tierhalter mit überdurchschnittlichem Antibiotikaeinsatz, Maßnahmen zur Reduktion zu ergreifen, sodass der Antibiotikaverbrauch bei Intensivnutzern und das Risiko für Resistenzen sinken sollten. Der steigende Druck auf die Tierhalter könne aber auch dazu führen, dass diese zunehmend Antibiotika aus Ländern ohne Rezeptpflicht und potentere Reserveantibiotika oder subtherapeutische Dosierungen einsetzen, womit das Resistenzproblem sogar zunehmen könnte. Als Varianten der bestehenden Regelung werden Instrumente für die Preisgestaltung untersucht. Neben Preisbindung, gesenkten Höchstpreisen und Einschränkungen der Rabattgewährung könnte dies eine erhöhte Steuer auf Antibiotika wie in Dänemark sein.

Der Markt für Tierarzneimittel

Nach Angaben des Bundesverbandes für Tiergesundheit, eines Verbandes deutscher Hersteller von Tierarzneimitteln, hatte der Tierarzneimittelmarkt in Deutschland 2013 ein Volumen von 747 Millionen Euro (+1,1% gegenüber dem Vorjahr) und teilte sich in folgender Weise auf:

  • Antiparasitika 137 Mio. Euro (18%)
  • Antiinfektiva 178 Mio. Euro (24%)
  • Biologika 202 Mio. Euro (27%)
  • sonstige pharmazeutische Spezialitäten 230 Mio. Euro (31%)

Diese Zahlen beziehen sich auf den Herstellerabgabepreis. Für Fertigarzneimittel für Tiere werden in Apotheken bzw. von Tierärzten Höchstzuschläge (nicht Festzuschläge!) gemäß § 3 Absatz 3 Arzneimittelpreisverordnung erhoben - also nach der „alten“, degressiven Taxe, wie sie vor 2004 auch für Fertigarzneimittel zur Anwendung am Menschen galt.

Zukunftsszenarien ohne Dispensierrecht

Bei einer Abschaffung des tierärztlichen Dispensierrechts würden wirtschaftliche Anreize für Tierärzte entfallen. Als Konsequenz seien geringere Antibiotikaeinsätze zu erwarten. Doch dann würden die Reinerträge in etwa zwei Dritteln der Tierarztpraxen um etwa ein Viertel sinken, bei großen Praxen sogar mehr. Etliche Kleinpraxen dürften dann ihren Betrieb einstellen. Die Apotheken würden eine zusätzliche Einnahmequelle erhalten, hätten jedoch auch Umstellungskosten. Vermutlich würden nicht alle Apotheken auf diesem Gebiet tätig. Für die Tierhalter stiege der Aufwand, sodass diese vermutlich zunehmend auf das Internet ausweichen würden. Im Gutachten wird nur kurz erwähnt, dass Tierarzneimittel, die für Lebensmittel liefernde Tiere zugelassen sind, nach geltendem Recht nicht versandt werden dürfen. Für die Gesundheit der Tiere wird in dem Gutachten befürchtet, dass Tiere aufgrund des zusätzlichen Vertriebsweges nicht unmittelbar behandelt würden, der Therapieerfolg gefährdet wäre und sich die Krankheit möglicherweise sogar innerhalb der Herde ausbreiten könnte. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Tierärzte ebenso wie Humanmediziner auch ohne Dispensierrecht ein Arzneimittel anwenden könnten und erst für die weitere Versorgung ein Arzneimittel aus einer Apotheke beschafft werden müsste. Immerhin weist das Gutachten auf die dänische Regelung hin, nach der Tierärzte Arzneimittel für den kurzfristigen Bedarf abgeben dürfen.

Relevanter erscheint das Argument, bei der Abgabe ganzer Packungen aus Apotheken würden Restbestände entstehen, die vom Tierhalter später unsachgemäß eingesetzt werden könnten. Als weiterer Nachteil wird angeführt, die Überwachungsstrukturen für Tierarzneimittel müssten neu organisiert werden, um auch Apotheken einzubeziehen. Als Variante wird diskutiert, nur Antibiotika vom tierärztlichen Dispensierrecht auszuschließen. Dann würde der Reinertrag in etwa zwei Drittel der Tierarztpraxen um etwa zwölf Prozent sinken.

Tierärzte

Im Jahr 2013 waren von 38.775 Tierärzten in Deutschland 27.881 tierärztlich tätig, davon

  • 11.938 niedergelassen in einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis
  • 6692 als Praxisassistenten
  • 395 als Praxisvertreter
  • 1624 als beamtete Tierärzte
  • 4245 als Angestellte im öffentlichen Dienst
  • 1414 in der Industrie und bei ähnlichen privaten Arbeitgebern

(Quelle: Bundestierärztekammer)

Ideen aus dem Ausland

Im Anhang des Gutachtens wird ausführlich dargestellt, welche Maßnahmen in Frankreich, den Niederlanden und Dänemark ergriffen wurden. Demnach hat sich die Rolle der Tierärzte in Dänemark und den Niederlanden stärker zu einem Berater der Landwirte verlagert. In den Niederlanden haben Tierärzte weiterhin das Dispensierrecht, in Dänemark dagegen nicht. Herdengesundheitsverträge und Pflichtbesuche bei den Landwirten ersetzen den Tierärzten die entgangenen Gewinne aus Arzneimittelverkäufen. In Dänemark haben sich wenige Apotheken auf den Verkauf von Tierarzneimitteln spezialisiert, seit deren Preise freigegeben wurden. In beiden Ländern werden Landwirte mit hohem Antibiotikaverbrauch intensiver beraten und überprüft. Die Einsatzmöglichkeiten für Antibiotika hängen von einer Einteilung in Klassen ab. Möglicherweise werden diese Ansätze auch die Diskussion in Deutschland anregen. 

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