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Der Geheimvertrag

Welche Auswirkungen könnte TTIP auf unser Gesundheitssystem haben?

BERLIN (jz) | Es geht um die größte Freihandelszone der Welt: Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP soll die wirtschaftlichen Vorschriften insbesondere von USA und Europäischer Union (EU) so angleichen, dass sie besser zusammenpassen. Das erklärte Ziel ist es, Handelsbarrieren abzubauen und Investitionen zu schützen. Seit eineinhalb Jahren wird über die Ausgestaltung des völkerrechtlichen Vertrags verhandelt. Details sind dabei überwiegend geheim und gelangen nur selten an die Öffentlichkeit, was für heftige Kritik sorgt – auch aufseiten der Apothekerschaft. Dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt würden, sei kritisch zu beurteilen und behindere eine transparente Beurteilung, heißt es dazu in einem Antrag der Delegierten des diesjährigen Deutschen Apothekertags. Es stellt sich daher die Frage, welche Auswirkungen TTIP auf das deutsche Gesundheitssystem haben könnte.

Im Zusammenhang mit TTIP wird meist über Chlorhähnchen, Genmais und den Datenschutz diskutiert. Eine öffentliche Diskussion über Auswirkungen im Gesundheitsbereich fand bislang so gut wie nicht statt. Dabei dürfte das Abkommen auch dort zu Veränderungen führen. Es wird – so heißt es in der Leitlinie für die Verhandlungen (EU-Verhandlungsmandat), die zunächst unautorisiert über Informationsleaks im Internet, später dann auch offiziell veröffentlicht wurde – „ausschließlich Bestimmungen über den Handel und handelsrelevante Bereiche enthalten“. Von gemeinsamen Werten ist die Rede, dem bislang nicht ausgeschöpften Potenzial eines echten transatlantischen Marktes, einem besseren Marktzugang, einer größeren regulatorischen Kompatibilität, mehr Arbeitsplätzen, Wachstum und dem Weg für weltweite Standards.

Chronik


  • 2011: EU und USA beginnen Diskussion um ein mögliches Handelsabkommen

  • 14. Juni 2013: EU-Handelsministerrat erteilt EU-Kommission Verhandlungsmandat für TTIP

  • 17. Juni 2013: US-Präsident Barack Obama und EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso verkünden auf G8-Gipfel den Beginn der Verhandlungen

  • Zwischen Juli 2013 und Oktober 2014 insgesamt sieben Verhandlungsrunden

  • Dezember 2014: weitere Verhandlungsrunde geplant

Randaspekt Gesundheit?

Ziele für den Gesundheitssektor tauchen in den Leitlinien nur selten auf. Und wenn, dann zumeist als Versicherung, keine Verschlechterung für eine der beiden Seiten herbeiführen zu wollen. So soll in der Präambel des zu verhandelnden Abkommens unter anderem daran erinnert werden, dass die Vertragsparteien das Recht haben, Maßnahmen zu treffen, die sie für die Verwirklichung „legitimer Gemeinwohlziele“ für erforderlich halten – und zwar auf dem ihnen zweckmäßig erscheinenden Schutzniveau. Außerdem soll im Abkommen anerkannt werden, dass beide Seiten den Handel oder ausländische Direktinvestitionen nicht dadurch fördern werden, dass sie das Niveau der jeweils bestehenden Rechtsvorschriften und Normen im Bereich Gesundheitsschutz senken.

Wer verhandelt über das Abkommen?

Vor den jüngsten Kongresswahlen war auf US-Seite der Handelsbeauftragte der USA, der Jurist Michael Froman (Demokrat), für die Verhandlungen des Abkommens verantwortlich. Nach dem Sieg der Republikaner in beiden Parlamentskammern Anfang November ist durchaus möglich, dass ein Republikaner künftig diese Aufgabe übernehmen wird.

Auf europäischer Seite ist die EU-Kommission zuständig, die von den Mitgliedstaaten ein entsprechendes Mandat erhielt. Politisch verantwortlich war bislang EU-Handelskommissar Karel de Gucht, ein flämisch-belgischer Jurist (Flämische Liberale und Demokraten). Nach der Wahl der neuen EU-Kommission hat diese Aufgabe zum 1. November die neue EU-Handelskommissarin, die schwedische Politikwissenschaftlerin Cecilia Malmström (liberale Volkspartei) übernommen.

Die EU hat Verhandlungsführer für diverse Arbeitsgruppen benannt, die von Experten aus den jeweiligen Generaldirektionen der EU-Kommission und den verschiedenen Regulierungsbehörden begleitet werden. Zudem gibt es ein Beratungsgremium, das aus Experten verschiedener Wirtschaftsbranchen, dem Verbraucherschutz und den Gewerkschaften besteht.

Lob der Deregulierung

Immer wieder geht es in den Leitlinien um Liberalisierung und Deregulierung. Bei den Verhandlungen im Dienstleistungsbereich soll das Ziel verfolgt werden, existierende Abkommen der Vertragspartner „auf dem höchsten Liberalisierungsniveau zu binden“, also bereits bestehende Regelungen zu erhalten und nicht aufzuweichen. Im Wesentlichen soll der geplante Abbau bestehender Hemmnisse für den Marktzugang alle Sektoren und Erbringungsarten erfassen – wobei laut den Leitlinien auf „die Empfindlichkeiten bestimmter Wirtschaftszweige“ Rücksicht genommen wird. Für einige Bereiche, die für die transatlantische Wirtschaft von erheblicher Bedeutung sind, soll es darüber hinaus „sektorspezifische Bestimmungen“ mit zusätzlichen Verpflichtungen oder Maßnahmen zur Förderung der regulatorischen Kompatibilität geben, um Kosten zu senken – etwa im Bereich der chemischen und pharmazeutischen Industrie und anderen Bereichen des Gesundheitswesens. Im Abkommen soll außerdem ein Rahmen zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen enthalten sein.

Umstrittener Investitionsschutz

Einer der umstrittensten Punkte des Freihandelsabkommens ist die sogenannte Investorenschutzklausel. Offiziell steht hinter einer solchen Klausel die Absicht, Investoren vor willkürlichen Maßnahmen von Ländern mit schwachen Rechtssystemen zu schützen, ohne dass diese vor staatliche Gerichte ziehen müssen: Unternehmen können so politische Entscheidungen vor Schiedsgerichten außerhalb des regulären Justizsystems anfechten, wenn sie fürchten, dass ihr Interesse eingeschränkt bzw. der Wert einer Investition geschmälert wird – beispielsweise Pharmaunternehmen oder Betreiber von Apothekenketten. Umgekehrt besteht bei Investitionsschutzklauseln jedoch auch die Gefahr, dass Mitgliedstaaten bestimmte Regulierungsoptionen verbieten, selbst wenn diese Regularien sinnvoll und wünschenswert sind. Dadurch könnten finanziell motivierte Interessen internationaler Großkonzerne Vorrang vor berechtigten öffentlichen Belangen des Gesundheitsschutzes erhalten. Angesichts heftiger öffentlicher Kritik und der Warnung, Konzerne könnten die EU oder einzelne Mitgliedstaaten vor Schiedsgerichten auf enorme Schadenersatzsummen verklagen oder ganze Gesetze kippen, erwägt die EU-Kommission inzwischen, den Investorenschutz abzuschwächen oder ganz zu streichen.

EU-Position zum Arzneimittelbereich

Worüber im Rahmen der Verhandlungen im Arzneimittelbereich diskutiert werden könnte, hat die EU-Kommission in einem Positionspapier vorgestellt. Die Regulierungszusammenarbeit zwischen EU und USA bei Arzneimitteln sei bereits gefestigt, heißt es darin – insbesondere im Hinblick auf die Zulassung von Humanarzneimitteln. Allerdings könnte sie mit TTIP noch weiter intensiviert werden, unter anderem um einen, wie es heißt, effizienteren und gezielteren Einsatz der Ressourcen der jeweiligen Instanzen zu ermöglichen und unnötige Doppelarbeit zu reduzieren.

Ressourcenschonung

In diesem Zusammenhang werden auch konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, wie zum Beispiel die Einführung bilateraler Verpflichtungen zur Erleichterung von Arzneimittelzulassungsverfahren. Dabei geht es aber offenbar nicht um die gegenseitige Anerkennung von Zulassungsentscheiden. Bislang wird – zumindest nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums – nicht daran gedacht, Zulassungen von US-amerikanischen Arzneimitteln auch in Europa anzuerkennen. Vielmehr geht es um die Optimierung von Ressourcen, die zu Kosteneinsparungen führen sollen, etwa bei der Überprüfung der guten Herstellungspraxis (GMP). Den Vertragsparteien wird von der EU-Kommission empfohlen, die Möglichkeiten der gegenseitigen Anerkennung der GMP-Inspektionen zu sondieren, die in der EU, den USA und in Drittländern durchgeführt werden. Die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde der Vereinigten Staaten (FDA) und die EU-Mitgliedstaaten könnten so ihre Ressourcen besser nutzen, da eine doppelte Inspizierung vermieden würde. Dies alles soll in der Pharmabranche zu erheblichen Kosteneinsparungen führen, ohne bestehende Standards abzusenken.

Informationsaustausch

Damit dies auch funktionieren kann, hält die EU-Kommission Bestimmungen über den Austausch vertraulicher Informationen und von Handelsgeheimnissen zwischen EU-Mitgliedstaaten bzw. EU-Institutionen und der FDA für erforderlich. Und zwar nicht nur beim Austausch für Berichte über GMP- und andere Inspektionen, sondern auch für Daten und Informationen zu Zulassungsanträgen. So könnten im TTIP Rechtsvorschriften aufgenommen werden, die diesen Austausch ermöglichen – besondere „Geheimhaltungsvorschriften“ wiederum im Arzneimittel-Anhang untergebracht werden. Die Kommission verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass innovative Ansätze der Branche die Erreichung dieses Ziels „deutlich erleichtern“ würden.

Biosimilars, Generika, Kinderarznei und Terminologie

Kooperationsbedarf sieht die EU-Verhandlungsseite auch bei Biosimilars, Generika und Kinderarzneimitteln. Eine Option wäre es ihrer Meinung nach, wenn sich die Vertragsparteien zur Konvergenz der Zulassungssysteme für Biosimilars verpflichten. Möglicherweise würde dadurch die Zahl der in den USA zugelassenen Biosimilars ansteigen. Die Zulassungssysteme für Generika wiederum sollten aus Sicht der EU-Kommission gestrafft werden. Und USA und EU könnten zudem auf die Überarbeitung der Leitlinie E11 der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH) über die Entwicklung von Kinderarzneimitteln hinarbeiten, insbesondere durch eine Einigung über die Konzeption klinischer Studien und durch die gegenseitige Akzeptanz klinischer Studien in diesem Bereich. Darüber hinaus kommt in Betracht, dass sich die beiden Vertragsparteien auf ein gemeinsames Format und kompatible Zeitpläne für die Vorlage pädiatrischer Prüfkonzepte verständigen. Um den Informationsfluss zwischen Unternehmen und Regulierungsbehörden und auch zwischen den US- und EU-Regulierungsinstanzen untereinander zu verbessern, kann sich die Kommission zudem vorstellen, dass die Vertragsparteien auf die Verwendung einer harmonisierten Terminologie im Arzneimittelbereich hinarbeiten – als Beispiele nennt sie die eindeutige Identifizierung von Arzneimitteln und Stoffen, Darreichungsformen sowie Verabreichungswege.

Bewertung und Beratung

Nachholbedarf sieht die EU-Verhandlungsseite darüber hinaus bei der Vorgehensweise bei Bewertungen und Beratungen. Daher sollen sich USA und EU verpflichten, die bestehende Zusammenarbeit bei der parallelen wissenschaftlichen Beratung (gemeinsame Erörterung durch EMA, FDA sowie Antragsteller/Sponsor bei wissenschaftlichen Fragestellungen in der Entwicklungsphase eines neuen Arzneimittels) sowie der parallelen Bewertung von Quality-by-Design-Anwendungen (gemeinsamer Fragenkatalog für den Antragsteller und harmonisierte Bewertung der Antworten des Antragstellers) fortzusetzen. Die EU-Kommission verspricht sich davon verschiedene Vorteile, insbesondere die Vermeidung unnötiger Wiederholungen klinischer Versuche, die Optimierung der Ressourcen der zuständigen Stellen sowie erhebliche Kosteneinsparungen für die Branche. Auch hier sollen Bestimmungen über den Austausch vertraulicher Informationen erforderlich sein.

Patientenschutz in Gefahr?

Die Absichtserklärungen versprechen zahlreiche Verbesserungen. Dennoch ist das angestrebte Freihandelsabkommen höchst umstritten. Es werden in vielerlei Hinsicht negative Auswirkungen befürchtet. Im Bundesgesundheitsministerium will man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht näher zu den möglichen Auswirkungen von TTIP auf das deutsche Gesundheitssystem äußern. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass TTIP eines „der wichtigsten transatlantischen Projekte der letzten Jahrzehnte“ sei. Die Bundesregierung setze sich im Rahmen der Verhandlungen für ein „ausgewogenes, umfassendes und ambitioniertes“ Abkommen ein, das die hohen in der EU und in Deutschland geltenden Schutzstandards sichere und den zukünftigen Gestaltungsspielraum in diesen Bereichen umfassend wahre, erklärte ein Sprecher. „Die Verhandlungen befinden sich aber insgesamt noch in einem frühen Stadium. Es gibt noch keine Ergebnisse.“

ABDA zurückhaltend, GKV-Spitzenverband deutlicher

Nur sehr zurückhaltend hat sich bisher die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zu TTIP geäußert. In einem Statement wird von einer „verbraucherfeindlichen Liberalisierung von heilberuflichen Dienstleistungen“ durch das Freihandelsabkommen gewarnt (siehe Kasten). Konkreter hat sich wiederum der GKV-Spitzenverband positioniert. Es liege im Interesse der Patienten und Beitragszahler, erklärt der Pflege- und Kassenverband in einer Stellungnahme, dass gute Rahmenbedingungen für Innovationen und Qualität, Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln sowie deren nachhaltige Finanzierung durch die Gesundheitssysteme in der EU gewährleistet bleiben. Dabei dürften bestehende deutsche Standards jedoch keinesfalls abgesenkt und Preisregulierungsregelungen wie die Nutzenbewertung, das Festbetragssystem und Rabattverträge müssten beibehalten werden.

ABDA warnt vor verbraucherfeindlicher Liberalisierung <br>

heilberuflicher Dienstleistungen

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) fordert die Institutionen der Europäischen Union in einem Statement auf, in der Arzneimittelversorgung auch in Zukunft ein hohes Verbraucherschutzniveau für alle Patienten zu gewährleisten. Dazu gehöre eine konstruktive Arbeit des neuen EU-Kommissars für Gesundheit sowie ein umsichtiges Verhandeln von Freihandelsabkommen. Bei Freihandelsabkommen warnt die ABDA vor einer verbraucherfeindlichen Liberalisierung von heilberuflichen Dienstleistungen. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt betont: „Die Verantwortung für die Gesundheitssysteme in Europa liegt aus gutem Grund bei den Nationalstaaten - und nicht in Brüssel. So haben sich in Deutschland aus Verbraucherschutzgründen die Prinzipien bewährt, dass Arzneimittel in die Apotheke gehören und nur ein Apotheker eine Apotheke führen darf. Wenn nun Freihandelsabkommen dieses Subsidiaritätsprinzip aushebeln, dann ist dies das falsche Signal für alle Patienten in Europa.“

Der Kassenverband verweist darüber hinaus auf weitere Aspekte, die bei den Verhandlungen berücksichtigt werden sollten: Beispielsweise wird die öffentliche Werbung für Rx-Arzneimittel in Europa bislang wesentlich strikter gehandhabt als in den USA, wo Pharmaunternehmen direkt und unbeschränkt werben dürfen. In diesem Bereich sollte insoweit keine Angleichung an US-Standards erfolgen, da es „unerlässlich“ sei, Patienten mit herstellerunabhängigen Informationen zu versorgen. Zudem sieht der Verband eine Bedrohung in der möglichen Angleichung an die US-Standards zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen: Sie könnte wichtige Regelungsvorhaben der neuen EU-Verordnung über klinische Studien gefährden, die die Veröffentlichung aller Studienergebnisse über ein zentrales EU-Portal vorsieht. An den EU-Plänen sollte aus Sicht des Kassenverbands dringend festgehalten werden – im Sinne der Transparenz.

Ausblick

Wie geht es weiter? Bislang haben EU und USA sieben Verhandlungsrunden geführt. Ursprünglich war ein Abschluss der Gespräche bis Ende dieses Jahres geplant. Wegen des anhaltenden öffentlichen Widerstands dürften sich die Verhandlungen aber noch länger hinziehen. Die Kongresswahl in den USA sowie die neu gewählte EU-Kommission könnten wiederum neuen Schwung in die Verhandlungen bringen. Ende Oktober kündigte der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Bernd Lange (SPD), im Rahmen einer Informationsveranstaltung in Berlin eine kritische Zwischenbilanz der bisherigen Verhandlungen an. Sie soll unter anderem für die neue EU-Kommission beschreiben, wie der Status quo der Verhandlungen ist und welche Bereiche im Abkommen tatsächlich geregelt werden sollen. 

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