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Geriatrie
Betagt und schlaflos
Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von Schlafstörungen im Alter
Das Werbefernsehen weckt in vielen älteren Patienten die Erwartung, dass Schlafstörungen einfach und nebenwirkungsfrei mit einer Tablette am Abend zu beheben sind. Dieser Haltung mit einer schnellen Arzneimittelabgabe nachzugeben, birgt das Risiko, nicht nur dem tatsächlichen Problem nicht gerecht zu werden, sondern auch dem Kunden inakzeptable Arzneimittelrisiken zuzumuten.
Die Antihistaminika Doxylamin und Diphenhydramin, die den Markt der nicht verschreibungspflichtigen, chemisch definierten Hypnotika dominieren, sind in der Priscus-Liste als potenziell inadäquate Medikationen (PIM) aufgeführt [1]. Ihre anticholinergen Nebenwirkungen erhöhen bei alten Menschen die Risiken von Delir und Sturz. Depressionen, Kopfschmerzen und EKG-Veränderungen können auftreten, langfristig sind auch kognitive Defizite möglich, die vom Hausarzt in Unkenntnis der Selbstmedikation als Demenz fehlinterpretiert werden können. Die Verschreibung eines Antidementivums wäre in diesem Fall als mögliche Verschreibungskaskade zu werten.
Die Priscus-Liste nennt Baldrian als vorrangige medikamentöse Alternative zu Doxylamin und Diphenhydramin. Dieser wiederum wird in der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/ Schlafstörungen“ aufgrund der unbefriedigenden Datenlage für die Indikation Insomnie ausdrücklich nicht empfohlen. Andere pflanzliche Arzneimittel werden nicht einmal erwähnt. Insofern ist der Text wenig hilfreich für therapeutische Empfehlungen in der Apotheke, sehr wohl aber für das diagnostische Vorgehen. Die Leitlinie befindet sich zwar derzeit in der Überarbeitung und ist als „abgelaufen“ gekennzeichnet, dennoch aber können aus ihrem Diagnosealgorithmus wertvolle Informationen in Fragen umgesetzt werden, die auch in der Apotheke dem Kunden zu stellen sind [2].
Erste Fragen an den Patienten
Die Leitsymptome von Patienten mit Schlafstörungen sind Insomnie (Ein- und Durchschlafstörungen) sowie Hypersomnie (Tagesmüdigkeit). Die Summe dieser beiden Phänomene führt bei nicht mehr berufstätigen Menschen oft zu einem Teufelskreis, der durch einen ausgedehnten Mittagsschlaf gekennzeichnet ist – der Somnologe spricht hier von einer gestörten Schafhygiene. Diese kann auch in anderen Störungen des zirkadianen Rhythmus liegen, für die beim Rentner, der ja keiner Gesundheitsgefährdung durch Schichtarbeit mehr ausgeliefert ist, am ehesten die Fernsehgewohnheiten als Ursache infrage kommen. Störungen dieser Art sind nur durch eine Umstellung der eingeschliffenen Tagesabläufe kausal zu behandeln, was alten Menschen manchmal schwerer fällt als jüngeren. Oft ahnen die Kunden die Ursachen ihrer Probleme, weshalb sich die Frage „Haben Sie einen Verdacht, woran Ihre Schlafprobleme liegen könnten?“ immer lohnt. Im einfachsten Falle fördert diese Frage äußere Ursachen wie Lärm (Verkehrslärm, Fluglärm, Schnarchen oder – siehe unten – Unruhe des Ehepartners) zutage, die durch Zustöpseln der Ohren oder gezielte Behandlung des Lebenspartners gelöst werden können.
Lautet die Antwort „Sorgen“ oder gar „Angst“, steht die Entscheidung an, ob es sich um eine manifeste und damit ärztlich abzuklärende Angststörung handelt, oder eine als subsyndromal einzustufende nervöse Unruhe, die mit apothekenpflichtigen Mitteln pflanzlichen Ursprungs wirksam behandelt werden kann (solange der Patient dabei nicht vergisst, die Ursachen der Sorgen oder der Angst einer Lösung zuzuführen, sofern das möglich ist).
Lavendelöl, Passiflora- und Baldrianextrakte sind in diesem Fall durchaus bewährte Optionen, für die es (ungeachtet der Aussage zu Baldrian in der Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“) Daten zu einer pharmakologischen Wirksamkeit gibt. Diese bestehen zumeist aus experimentellen Untersuchungen mit dem Ergebnis einer Interaktion mit GABA-Rezeptoren. Zu Lavendelöl wurde in jüngerer Zeit auch eine Einstromhemmung an spannungsabhängigen präsynaptischen Calciumkanälen beschrieben, die zu einer verminderten Ausschüttung von Neurotransmittern führt, welche bei der Entstehung von Angstzuständen eine Rolle spielen [3]. Damit ähnelt dieser Wirkmechanismus dem von Pregabalin, das seit Jahren erfolgreich bei generalisierten Angststörungen eingesetzt wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass mit Lavendelöl ein stark wirksames, aber nicht verschreibungspflichtiges Anxiolytikum für diese Indikation vorliegt. Hier ist die Kunst des Zuhörens gefordert, um zu unterscheiden, ob die schlafraubenden Sorgen des Patienten noch eine rationale Basis haben, oder ob eine Angststörung – ein psychiatrisches Krankheitsbild – vorliegt, das einer Diagnostik und Therapie von ärztlicher Seite bedarf.
Arzneimittel als Ursache
Neben psychischen Belastungen wie Depressionen und Angststörungen kommt jedoch auch deren medikamentöse Therapie als Ursache von Schlafstörungen in Betracht. Zu den Mitteln der ersten Wahl für beide Indikationen zählen insbesondere beim geriatrischen Patienten die SSRI, die antriebssteigernd wirken und damit die Schlafqualität beeinträchtigen können. Zwar hat der am häufigsten verordnete SSRI Citalopram eine vergleichsweise kurze Plasmahalbwertszeit, diese kann jedoch beim alten Menschen aufgrund der verminderten Leberdurchblutung und der Kumulation im Fettgewebe wie bei allen lipophilen Arzneistoffen verlängert sein. Eine Einnahme zum Frühstück schützt dann nicht mehr unbedingt vor einer Beeinträchtigung des Nachtschlafs. In solchen Fällen kann im Dialog mit dem Arzt angedacht werden, die Dosis des SSRI zu reduzieren und dafür mit einem schlafanstoßenden Antidepressivum wie Mirtazapin in niedriger Dosierung (möglichst nicht jedoch mit Amitriptylin oder anderen sedierenden Trizyklika, vor denen die PRISCUS-Liste eindringlich warnt) zur abendlichen Einnahme zu kombinieren.
Eine ganze Reihe anderer Arzneimittel kommt als Ursache einer Schlafstörung ebenso infrage:
- Diuretika können durch einen verstärkten Harndrang den Schlaf stören. Hier ist (neben Indikation und Dosierung) die Adhärenz des Patienten hinsichtlich des Einnahmezeitpunkts zu hinterfragen.
- Anticholinergika und Sympathomimetika, die als Bronchodilatatoren bei Asthma und – häufiger im höheren Alter – bei der COPD eingesetzt werden. Hier lohnt sich ein Blick auf den Compliance-Aspekt der Ausführungsqualität bei der Inhalation. Wird die Dosierung beachtet? Wird korrekt inhaliert oder kommt der Patient mit seinem Inhalator so schlecht zurecht, dass sich ein großer Teil des Arzneistoffs im Rachen niederschlägt, geschluckt wird und es zur systemischen Wirkung kommt?
- Theophyllin als weitere Therapieoption des Asthmas und der COPD kann den Schlaf erheblich stören. Es ähnelt nicht nur chemisch dem Coffein, sondern führt mit diesem auch zusätzlich zu pharmakokinetischer (gegenseitige Abbauhemmung) und pharmakodynamischer Wirkungsverstärkung. Patienten mit Theophyllin sollten coffeinhaltigen Kaffee daher eher meiden.
- H2-Antagonisten, die allerdings gerade bei geriatrischen Patienten nur noch selten eingesetzt und zunehmend von Protonenpumpenhemmern verdrängt werden, sollten hinsichtlich ihrer Indikation hinterfragt werden. Gelegentlich handelt es sich um eine Selbstmedikation bei gastroösophagealem Reflux im Schlaf.
- Dopaminerge Arzneimittel, die bei Morbus Parkinson oder Restless-legs-Syndrom eingesetzt werden, können bei zu hohen Dosen zu Albträumen und nächtlichen Halluzinationen führen. Eine nächtliche Unterdosierung (z.B. durch die Interaktion von retardiertem Levodopa mit späten, proteinhaltigen Mahlzeiten) kann durch die dann verstärkt auftretenden Parkinson- oder Restless-legs-Syndrom-Symptome den Schlaf jedoch ebenso stören.
- Glucocorticoide als Analoga des Stresshormons Cortisol werden wegen der schlafstörenden Wirkung morgens eingenommen. Nur bei sehr hohen Dosierungen wird die Tagesdosis auf zwei Gaben aufgeteilt. Auch hier sollte die Adhärenz bezüglich des Einnahmezeitpunkts hinterfragt werden.
Dass eine solche Auflistung nie vollständig sein kann, zeigt die Tatsache, dass selbst vom Arzt verordnete Hypnotika, die bei geriatrischen Patienten (alleine oder in Kombination mit Alkohol) paradoxe Effekte zeigen können, gelegentlich zu einer Störung des Schlafs führen. Auch Genussgifte wie Alkohol und Kaffee können eine Rolle spielen, die oft unentdeckt bleibt, weil der Kunde sie entweder nicht für erwähnenswert hält (Kaffee) oder aus Scham absichtlich verschweigt (Alkohol). Man kann daher durchaus aktiv ansprechen, dass diese Genussgifte im Alter nicht mehr in denselben Mengen vertragen werden wie in jungen Jahren, und dass Alkohol zwar das Einschlafen fördern kann, keineswegs jedoch das Durchschlafen.
Krankheit und Schlaf
Die meisten der oben aufgezählten Arzneistoffe oder Arzneistoffklassen haben eine Gemeinsamkeit: Nicht nur sie selbst, sondern auch die Krankheiten, die ihre Indikationen darstellen, können den Schlaf stören. Neben den psychischen und gerontopsychiatrischen (z.B. einem von rastloser Unruhe gekennzeichneten Stadium der Alzheimer-Demenz) betrifft das auch organische Erkrankungen verschiedenster Art, die teilweise explizit als schlafbezogen definiert sind („schlafbezogene kardiale Ischämie“, „schlafbezogener gastroösophagealer Reflux“). Neurologische und internistische Grunderkrankungen, die häufig mit Insomnie assoziiert sind, umfassen das Restless-legs-Syndrom, Erkrankungen der Lunge und des Herzens mit Atemnot (z.B. Cheyne-Stokes-Atmung bei Herzinsuffizienz), rheumatoide Arthritis oder Fibromyalgie, Tumorerkrankungen mit Schmerzen, und viele andere Folgen von alterstypischen Krankheitsbildern.
Diese Zustände sind jedoch in ihrer Symptomatik so auffällig und quälend, aber auch so eindeutig in ihrem Zusammenhang mit der Grunderkrankung, dass der Patient sie von selbst berichtet, und zwar zumeist eher seinem behandelnden Arzt als dem Apotheker. Die Behandlung der Insomnie erfolgt dann in aller Regel als ärztliche Maßnahme im Gesamtzusammenhang des Krankheitsbildes. Der Apotheker begleitet dies idealerweise im Rahmen des Medikationsmanagements, indem er gezielt Nebenwirkungen und Adhärenzprobleme abfragt und mit Patient und Arzt bespricht. Solche Probleme können sich z.B. in einer weit in den folgenden Tag hinein verlängerten Wirkung („hangover“) von Hypnotika bei abendlicher Einnahme auf vollen Magen äußern.
Von der Regel, dass Insomnien als Folge organischer Erkrankungen bereits in ärztlicher Behandlung sind, gibt es zwei wichtige Ausnahmen, die sich als ausgeprägte Schlafstörung mit häufigem Erwachen (das dem Patienten nicht zwangsläufig bewusst werden muss) und ausgeprägter Tagesmüdigkeit manifestieren, nämlich die Periodic Limb Movements und das Schlafapnoe-Syndrom (siehe Kasten).
Periodic Limb Movements
Periodic Limb Movements sind eine (frühe) Begleiterscheinung des Restless-legs-Syndroms (RLS) und unterscheiden sich von dessen sonstiger Symptomatik durch ihr ausschließlich nächtliches Auftreten. Während das RLS generell in Ruhephasen, also auch im wachen Sitzen und Liegen, auftritt und den Zwang auslöst, die Beine durch Herumlaufen zu „beschäftigen“, stören die Periodic Limb Movements den Schlaf durch nächtliches Zucken der Extremitäten und führen mehrmals pro Nacht zum Erwachen, den sogenannten arousals. Das Auftreten von Periodic Limb Movements geht der RLS-Diagnose häufig voraus.
Schlafapnoe-Syndrom
Das Schlafapnoe-Syndrom wird unterteilt in eine zentrale und eine obstruktive Form, auch Mischformen von beiden können auftreten. Beiden Formen gemeinsam ist, dass es während des Schlafes mehrfach zu Atemstillständen kommt, die zum Erwachen oder Beinahe-Erwachen führen. Risikofaktoren sind u.a. Adipositas, abendlicher Alkoholgenuss und Schlafmittel. Eine unkontrollierte Selbstmedikation mit Hypnotika ist hier also eher kontraproduktiv.
Sowohl die Periocic Limb Movements als auch das Schlafapnoe-Syndrom können die Gesundheit weit über die als wichtigstes Symptom geschilderte Tagesmüdigkeit hinaus schädigen, ohne dass dem Patienten die Ursache bewusst wird. Das englische Wort arousal, dass sowohl mit Erweckung als auch mit Erregung übersetzt werden kann, beschreibt bereits den zusätzlichen Mechanismus, der neben der Erholsamkeit des Schlafes auch den Stoffwechsel negativ beeinflusst: Es werden Stresshormone freigesetzt, die Blutdruck und Blutzuckerspiegel – und die damit verbundenen Risiken – anheben. Insbesondere bei Schlafapnoe-Syndrom sind oft erhöhte Nüchternblutzuckerspiegel am Morgen der Hinweis, der zur Diagnose führt.
Manchmal liefert der Lebenspartner aufgrund seines eigenen, von der Symptomatik auf der anderen Bettseite gestörten Schlafs, nach gezielten Rückfragen den entscheidenden Hinweis. Bei alleine lebenden Senioren entziehen sich die beiden Krankheitsbilder meist einer Erkennung in der Apotheke durch bloßes Nachfragen. Bei einer Schlafstörung und Tagesmüdigkeit im höheren Alter, deren Ursache nicht durch die oben genannten Fragen ermittelt werden kann, sollte man daher immer an die Periodic Limb Movements oder das Schlafapnoe-Syndrom denken, die einer ärztlichen Diagnostik zugeführt werden sollten.
Fazit
Schlafstörungen im höheren Alter können eine Vielzahl von Ursachen haben, die sich zum großen Teil durch gezielte Fragen ermitteln lassen. Die in der Selbstmedikation verfügbaren Behandlungsoptionen sind insbesondere für den alten Menschen limitiert, weil ihnen die Antihistaminika Doxylamin und Diphenhydramin auch für eine kurzzeitige Therapie nicht empfohlen werden sollten. Pflanzliche Alternativen wie Baldrian, Passionsblume oder Lavendelöl sind kurz- und mittelfristige Behandlungsoptionen in Fällen von Schlafstörungen aufgrund leichterer nervöser Unruhe. Ihre Indikation endet dort, wo eine klinisch manifeste Depression oder Angststörung erkennbar wird. Insofern ist die Frage eines älteren Kunden nach einem Schlafmittel häufig ein Ansatzpunkt für die später erfolgende Diagnose einer psychischen oder organischen Erkrankung, der man durch gezieltes Nachfragen auf die Spur kommt.
Literatur
[1] Priscus-Liste: http://priscus.net/download/PRISCUS-Liste_PRISCUS-TP3_2011.pdf
[2] S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“: www.awmf.de
[3] Sillani G et al.: The molecular mechanism of silexan; Pharmacopsychiatry 2013; 46 - A18
Autoren
Dr. Markus Zieglmeier, Apotheker, studierte Pharmazie an der LMU in München und ist seit 1989 in der Apotheke des Klinikums München-Bogenhausen tätig. Promotion zum Dr. rer. biol. hum., Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Zusatzbezeichnungen Ernährungsberatung und Geriatrische Pharmazie. Seit 2002 ist er verstärkt als Referent und Autor tätig.
Dr. Markus Zieglmeier,
Städt. Klinikum München,
Apotheke Klinikum Bogenhausen,
Englschalkinger Str. 77, 81925 München
mzieglmeier@googlemail.com
Claudia Goller, Apothekerin, studierte Pharmazie in Regensburg und absolvierte ein klinisch-pharmazeutisches Semester in Gainesville, Florida. Sie ist zertifizierte QM-Auditorin nach DIN EN ISO sowie Total Quality Management Coach nach E.F.Q.M. und Geschäftsführerin der CG Healthcare and Services GmbH.
Claudia Goller,
CG Healthcare and Services GmbH,
Heimgartenstr. 12, 82319 Starnberg
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