Fotos: Constantin Meyer/Westgate-Apotheke

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Die Westgate-Apotheke in Köln – eine Beratungsapotheke 2.0

Von Peter Ditzel | Keine Frage, die Westgate-Apotheke in Köln ist ein Hingucker. Sie fällt auf. Große Fenster, Riesen-Videowand, moderne Einrichtung, viel Technik. Aber die Optik allein macht’s nicht. Die äußere Form dient der Beratungsfunktion. Wer als Kunde, als Patient die Apotheke besucht, darf mit einer kompetenten und diskreten Beratung rechnen. Apotheker Erik Tenberken hat hier modernste Technik verbaut, um seine Vorstellungen einer Apotheke zu verwirklichen: mehr Raum für qualitativ hochwertige Kundenbetreuung, ein hohes Informationsangebot und eine optimierte Arbeitsplatzqualität. Sein Leitspruch: Wer glaubt, etwas zu sein, hört auf, etwas zu werden. Wir haben die Westgate besucht.

Erik Tenberken ist ein Apotheker, der vor Ideen sprüht – und neuen Richtungen aufgeschlossen gegenübersteht. Er versucht, möglichst viele Facetten des Berufs eines Offizinapothekers zu leben. In den Mittelpunkt seines Tuns stellt er die Beratung und den Service.

Tenberken hat zwei Apotheken in Köln, die sich schräg gegenüberliegen: die Birken-Apotheke und eine Filialapotheke, die Westgate-Apotheke, die sich äußerlich vollkommen von der Birken-Apotheke abhebt. Während die Birken-Apotheke, zumindest von außen gesehen, das gewohnte Apothekenbild abgibt, wirkt die Westgate-Apotheke wie eine Apotheke 2.0, leicht futuristisch, eine Apotheke der nächsten Generation.

Die etwas andere Apotheke

Es gibt sie, die Apotheken, die eine besondere Philosophie haben, die außergewöhnliche Ideen verwirklichen. Kurzum, Apotheken, die anders sind als andere. In unserer Rubrik „Die etwas andere Apotheke“ stellen wir solche Apotheken vor. Dieses Mal schauen wir in der Westgate-Apotheke in Köln vorbei.

Ein bisschen Raumschiff Enterprise

Die Westgate-Apotheke fällt auf, schon im Vorbeigehen, Vorbeifahren. Große Schaufenster, freier Blick nach innen – auf den Eyecatcher der Apotheke: die 7 x 3 Meter große Videowand, die sich aus einzelnen großen Monitoren zusammensetzt. Sie ist eine Eigenentwicklung, die Tenberken zusammen mit einem Elektronikfachmann ausgetüftelt hat. Nachts wird die Videowand als überdimensionale Werbefläche genutzt, die Monitore können zusammengeschaltet werden, um große Bilder oder Kurzvideos zur Apotheke wiedergeben zu können. Tagsüber werden auf jedem einzelnen der Monitore ausgewählte Produkte vorgestellt, quasi als große virtuelle Sichtwahl. Dabei werden die Informationen zu einem Präparat, zu einer Packung so groß dargestellt, dass sie gut lesbar sind. Klar, zu den Ausgangsüberlegungen der Videowand gehörte auch: „Wir wollen zeigen, wir sind preisaktiv. Es geht dabei nicht darum, billig zu sein. Aber wir wollen uns dem Wettbewerb stellen, wobei aus meiner Sicht nicht nur der Preis ausschlaggebend sein sollte, sondern auch die Qualität, die Beratungsqualität.“

Werden zwei oder mehr Monitore zusammengeschaltet, lassen sich zum Beispiel Wetter- und Gesundheitsinformationen anzeigen. Wenn’s spannend ist, wird auch schon mal ein Fußballergebnis eingeblendet. Auch Veranstaltungshinweise aus dem Gesundheits- und Sozialbereich werden hier eingespielt.

Ein deutlicher Vorteil der virtuellen Sichtwahl ist, so Tenberken: „Das Nachfüllen, Umräumen und Abstauben der Packungen und Regale entfällt – ein Zeitgewinn zugunsten der Beratung. Mit der elektronischen Lösung kann ich tagesaktuell die Produkte auf der Videowand anzeigen, die aufgrund der Saison, des Wetters, der Krankheitswellen nachgefragt werden. Gerade zwischen den Jahreszeiten wechseln doch die Befindlichkeitsstörungen stark. Gestern waren noch Erkältungspräparate angesagt, heute fliegen die Pollen und der Kunde verlangt nach Antihistaminika.“

Freilich, anfangs stutzten einige Kunden, „das ist doch keine Apotheke mehr“, erinnert sich Tenberken. So gibt es auch heute einige, die lieber in die traditionell aussehende Birken-Apotheke gehen. „Aber die Mehrzahl war von der neuen Optik begeistert, der Kundenzuwachs war enorm.“

Viel Technik für mehr Beratung

Aber die Videowand ist nicht das einzige technische Feature, das mehr Raum und Zeit für die Beratung schaffen soll. Schon fast selbstverständlich ist für eine moderne Apotheke, dass ein Kommissionierautomat im Hintergrund seinen Dienst tut. Diese Technik verhindert unnötiges Hin- und Herlaufen, so Tenberken, und die gewonnene Zeit kann für die Beratung eingesetzt werden. Da es in der Westgate-Apotheke nur eine virtuelle Sichtwahl auf den Monitoren der Videowand gibt, werden selbst die OTC-Präparate vom Kommissionierer an den HV-Tisch befördert.

„Meine prinzipielle Überlegung hinter der ganzen Technik war und ist: Wie kann ich alle Prozesse so vereinfachen, damit Zeit bleibt, für das, was wirklich wichtig ist, nämlich den Kunden zu beraten“, erklärt Tenberken. „Wir haben uns daher auch für ein elektronisches und automatisches Preisauszeichnungssystem entschieden, mit dem die Preisschilder in der Freiwahl vom PC aus geändert werden können. Über einen Infrarot-Sender an der Offizin-Decke werden die Preisschilder angesteuert. Wir wollen eine maximale Automatisierung und jede sinnvolle Technik nutzen, damit möglichst wenig Zeit für Routinearbeiten verloren geht und die meiste Zeit für die Beratung eingesetzt werden kann.“Neben der Betreuung und Beratung der Kunden legt Tenberken großen Wert auf die Serviceorientierung seiner Apotheken, ebenso auf eine hohe Lieferfähigkeit. Sollte ein Präparat mal nicht an Lager sein, wird es zugestellt – zwei Botenfahrer stehen hierfür zur Verfügung und bringen die Arzneimittel nach Hause, nachdem vorher die Beratung in der Apotheke stattgefunden hat. Die Alternative: Die Kunden können ihre Nachlieferung nach Geschäftsschluss mit einem per SMS mitgeteilten Code aus einem der drei Schließfächer an der Außenseite der Apotheke abholen. „Wir nutzen hier alle modernen Möglichkeiten, beispielsweise auch Vorbestellungen per App“, so Tenberken, „man darf sich neuen Techniken nicht verschließen.“

Die Riesen-Videowand, die aus 21 gekoppelten Monitoren besteht, ist fraglos der Hingucker der Apotheke. Tagsüber wird auf jedem einzelnen Monitor ein OTC-Präparat beworben, quasi als virtuelle Sichtwahl. Abends zeigt die Wand wie hier im Bild z.B. den Schriftzug „Westgate Apotheke“ und einen QR-Code…


Beratung – immer diskret

Unabhängig davon, ob Kunden lieber die futuristische Westgate aufsuchen oder lieber in die traditionelle Birken-Apotheke gehen, die Grundausrichtung beider Apothekenkonzepte ist gleich, betont Tenberken: Die Kundenorientierung mit umfassender Beratung steht an erster Stelle. Äußeres Zeichen, dass Beratung wirklich groß geschrieben wird: Die Beratungsplätze am HV-Tisch sind in beiden Apotheken mit Trennwänden abgeteilt: „Das ist unser Diskretionsprinzip!“ Von Anfang an habe man gemerkt, so Tenberken, dass es ein ganz anderes Arbeiten war, wenn eine diskrete und vertrauliche Atmosphäre herrscht. Die Kunden öffnen sich schneller, fassen Vertrauen und sprechen auch über schwierige Themen. Kundenbefragungen haben gezeigt, dass diese Abtrennungen zwischen den Beratungsplätzen ganz besonders geschätzt und hervorgehoben werden. Zu mehr Diskretion in der Beratung trägt zusätzlich die leise Hintergrundmusik in beiden Apotheken bei, da sie das Gespräch leicht verschleiert und das Mithören für andere erschwert. „Was wir auch bemerken“, so Tenberken, „das Drängeln, das Nach-vorne-Drängen der Kunden ist nicht mehr festzustellen. Die Trennwände signalisieren den Kunden: Das sind Diskretionszonen, vor denen man Abstand halten soll.“

Zur optischen Gestaltung der Trennwände: In der Birken-Apotheke sind die Wände zwischen den Beratungsplätzen am HV-Tisch fest eingebaut und undurchsichtig. In der Westgate-Apotheke bestehen sie aus milchigem Glas, das mit zur Jahreszeit passendem Dekor versehen ist. Außerdem sind die Wände leicht demontierbar, sie werden abends herausgenommen, damit die Passanten von außen ungehindert auf die hinter dem HV-Tisch liegende Videowand schauen können.

Zusätzlich steht für besonders vertrauliche Gespräche ein separater Beratungsraum zur Verfügung, in den man sich mit dem Kunden zurückziehen kann.

Beratung wird gelebt

Um das Informationsangebot für seine Patienten zu verbessern, haben Tenberken und seine Mitarbeiter für rund 70 Indikationsgebiete produktneutrale Beratungsflyer verfasst, die Erklärungen, Hinweise und Tipps für bestimmte Arzneistoffe und ihre Indikationen geben. Die Kunden sollen nicht das Gefühl bekommen, sie erhalten eine Beratung zu Produkten der Firma XY. Ein selbst verfasster Kundenleitfaden dient seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Richtschnur.

Die gute Beratung steht und fällt natürlich mit dem Wissen und Können der Mitarbeiter. Daher wird Fort- und Weiterbildung groß geschrieben. Ein Schulungskonzept, auf das ein interner Fortbildungsbeauftragter achtet, gibt vor, dass jeder Mitarbeiter eine bestimmte Anzahl von Schulungen intern und extern absolviert. Die Fortbildungsmaßnahmen werden im Rahmen des Qualitätsmanagement-Systems bewertet, ob sie sinnvoll waren und etwas gebracht haben. In Mitarbeitertreffen werden Arzneimittel besprochen und gemeinsam Argumente erarbeitet, warum dies oder jenes bevorzugt abgegeben werden sollte. Außerdem nehmen die Apotheken regelmäßig an Pseudocustomer-Überprüfungen teil: „Sind wir in der Beratung gut, sind wir auf dem letzten Stand oder können wir uns noch weiterentwickeln?“

Betreuung, Rezeptur und mehr

Medikationsmanagement ist für die Westgate- und Birken-Apotheken kein Fremdwort. „Wir haben relativ viele chronisch Kranke, die eine besondere Betreuung erfordern.“ Die Birken-Apotheke stellt zudem Zytostatika her und ist seit über zwanzig Jahren Schwerpunkt-Apotheke für HIV-Patienten. Ein spezielles Beratungsprogramm für diese Patienten, das als selbstlernendes Programm konzipiert ist (die Ergebnisse aus Befragungen fließen in das Programm ein und optimieren es), hilft, die Betreuung dieser Patientengruppe ständig zu verbessern. „Außerdem“, so Tenberken, „haben wir für HIV-Arzneimittel eigene Medikationsflyer geschrieben, die man sich als ‚Best of‘ eines Beipackzettels vorstellen kann und die zur übersichtlichen raschen Information des Patienten dienen.“ Diese Flyer ersetzen den Beipackzettel nicht, sondern fassen nur das Wichtigste daraus zusammen, so dass der Patient relativ schnell eine Übersicht hat, die ihm helfen soll, seine Medikation besser zu verstehen, und ihn zur Compliance anhält. „Selbstverständlich überprüfen oder erstellen wir auch Medikationspläne, stellen eine Reichweitenanalyse auf, checken Neben- und Wechselwirkungen“, fügt Tenberken hinzu.

…oder auch mal ein Großbild von Köln.

Das Wort Rezeptur ist für Tenberken nicht negativ besetzt: „Wir haben relativ viele Rezepturen. Ich bin immer wieder entsetzt, wenn wir merken, dass Kolleginnen und Kollegen Kunden mit Rezepturen zu uns schicken, weil sie sie selbst nicht mehr machen wollen. Das finde ich sehr bedauerlich.“ Selbstverständlich nehmen seine Apotheken an den Ringversuchen des ZL teil, um die Qualität überprüfen zu lassen. Auch die Laborprüfungen werden in den Tenberkschen Apotheken gewissenhaft ausgeführt. „Rezepturen und Laborarbeiten mit Defektur gehören zu unseren Kernkompetenzen“, so Tenberken, „sie sind Bestandteil unseres Berufs.“

Versand, Blister, Zyto

„Als 2004 Versandapotheken in Deutschland zugelassen wurden, haben wir darüber nachgedacht, ob wir das gut finden oder nicht, ob wir mitmachen sollen oder nicht.“ Mit seiner Versandapotheke „fliegende-pillen.de“ hat sich Tenberken schließlich in diesem Bereich aufgestellt. „Wenn es nun mal erlaubt ist, so war unsere Entscheidung, müssen wir dieses Feld besetzen und versuchen, es besser zu machen. Auch hier arbeiten wir mit Beratungsflyern, die wir den Sendungen beilegen. Wir achten darauf, dass wir bei Bestellungen größerer Mengen nur einen Bedarf für einen gewissen Zeitraum abgeben. Wir halten uns an solche Vorgaben und wollen auch hier Qualität leben.“ Tenberken weiter: „Mein Credo: Wir können in Zukunft nur überleben, wenn wir Qualität bieten, wenn wir uns in der Qualitätsnische ansiedeln und das tun, was andere nicht können. Wir müssen uns von anderen Vertriebskanälen unterscheiden, indem wir Dinge tun, die wir aufgrund unserer Ausbildung können, zu denen wir befähigt sind. Wir müssen dem Kunden klar machen: Hier bist du gut aufgehoben, hier wirst du gut beraten und man kümmert sich um dich. Wenn wir das tun, dann müssen wir uns um unsere Zukunft keine Gedanken machen.“

Die HV-Tische mit den farblich an die Jahreszeit angepassten Trennwänden sind rechts im Bild zu sehen.

Wie schafft es Apotheker Tenberken, dass die Mitarbeiter seine Konzepte, seine Ideen umsetzen und mitziehen? „Man muss es vorleben. Was man von seinen Mitarbeitern verlangt, muss man selbst tun. Besonders schön finde ich, wenn das Team mitdenkt, selbst aktiv wird und Ideen entwickelt.“ Tenberken arbeitet in der Apotheke mit einem Prämiensystem: „Wer gut arbeitet, bekommt eine gute Prämie, abhängig vom Engagement, von erreichten Zielen. Wenn sich ein Mitarbeiter für den Betrieb einsetzt, sollte er auch ein entsprechendes Gehalt bekommen – mit dem Tarifvertrag allein ist es da nicht getan.“ Insgesamt arbeiten in den Apotheken, im Versandbereich, im Blisterzentrum, im Zytolabor und in der Heimbelieferung über 70 Mitarbeiter.

Zukunftspreis öffentliche Apotheke

Apotheker Erik Tenberken wurde für sein „neuartiges Konzept zur qualitativen Betreuung der Kunden“ mit dem zweiten Preis des „Zukunftspreises öffentliche Apotheke“, der 2013 vom Apothekerverband Nordrhein ausgeschrieben wurde, ausgezeichnet. Die durch den Einsatz moderner Technik gewonnene Zeit und der freie Raum werden konsequent für die vertrauliche Beratung genutzt.

Ein Videoporträt der Westgate-Apotheke finden Sie auf www.av-nr.de

„Man muss sich mehr einfallen lassen“

Die Westgate- und die Birken-Apotheke sind angesichts aller Aktivitäten und Konzepte gut aufgestellt. Gehören sie zu Deutschlands Vorzeige- oder „Leuchtturm-Apotheken“? Apotheker Tenberken wehrt ab: „Wir sind sicher nicht die einzige Apotheke, die vernünftig arbeitet. Viele andere Kolleginnen und Kollegen sind ebenfalls sehr gut aufgestellt. Jeder hat seine eigenen Konzepte. Hauptsache, am Ende aller Prozesse steht die Qualität. Nur: Diejenigen, die kein QMS machen, die sich nicht fortbilden und nicht auf Qualität Wert legen, werden letztendlich am sich rasch verändernden Markt Probleme bekommen und nicht mehr mithalten können. Der Wettbewerb wird sich verschärfen! Die seit Jahren abnehmenden Apothekenzahlen sind bereits ein Zeichen dafür. Eine Apotheke zu eröffnen mit der Hoffnung, dass sie von selbst läuft, reicht nicht mehr. Man muss sich mehr einfallen lassen, um dem Kunden neben guter Ware und guter Beratung auch ein Einkaufserlebnis zu bieten.“

Und wo wird die Apotheke nach Ansicht von Tenberken in 20 oder 30 Jahren stehen? „Ich glaube, dass solche Arbeiten zunehmen werden, die sich mit der Therapiebetreuung befassen, mit der Zusammenstellung der Therapie, Stichwort Verblisterung. Überhaupt gehe ich davon aus, dass unsere pharmazeutischen Tätigkeiten wie Herstellung und Beratung, auch Neben- und Wechselwirkungschecks oder die pharmazeutische Betreuung zunehmen werden.“ Und was gehört für ihn zu einem modernen Apotheker-Leitbild dazu? „Auf jeden Fall müssen wir mit unseren Leistungen Qualität bieten. Hinzu kommt der Dienstleistungscharakter unseres Berufes. Doch mit Ethik allein kommen wir auch nicht weit, da der betriebswirtschaftliche Druck größer werden wird. Unsere Leistungen müssen entsprechend vergütet werden. Die Quersubventionierung ist an ihre Grenzen gestoßen. Deshalb: Wir brauchen ein Honorar für unsere Dienstleistungen.“ 

Autor

Peter Ditzel ist Herausgeber der DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung

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