Management

Die verkannten Kunden

Junge Erwachsene – vergessene Zielgruppe in der Offizin-Apotheke

„Jugendliche und junge Erwachsene sind unvernünftig und nicht besonders an ihrer Gesundheit interessiert. Sie geben ihr Geld für Videospiele, Kinobesuche, Fast-Food und im Nachtleben aus. Aber für Gesundheitsthemen oder gar für Vorbeugung mit Produkten aus der Apotheke, dafür sind sie sicher nicht zu begeistern!“ Mal Hand aufs Herz, viele von uns denken so, wenn sie an junge Menschen und ihr Verhältnis zu Gesundheit und Prävention denken.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gerät diese Zielgruppe somit erst gar nicht in das Blickfeld des Apothekers, wenn es um Fragen wie die richtige Marktpositionierung und Zielgruppenansprache in seiner Offizin geht. Schade, denn immerhin zählen die 14- bis 29-Jährigen in Deutschland mit ihren circa 15 Millionen zu den potenziellen Kunden.

Vor diesem Hintergrund hat die Dr. Kahl Consulting zusammen mit der Youngcom GmbH im November/Dezember 2014 zwei bundesweite Online-Befragungen von 1120 Personen im Alter von 21 bis 29 Jahren (junge Erwachsene) und 1082 Befragten im Alter von 13 bis 20 Jahren (Jugendliche) durchgeführt und jetzt als Studien mit den Titeln „Junge Erwachsene & Gesundheit 2015“ bzw. „Jugendliche & Gesundheit 2015“ veröffentlicht. Die Ergebnisse sind überraschend und revidieren das gängige Bild von den gesundheitsverweigernden Teens und Twens.

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Die Kunden von morgen – und heute! Junge Erwachsene gehen sorgfältig mit ihrer Gesundheit um – und setzen hierbei als Beratungs- und Einkaufsmöglichkeit für Gesundheitsprodukte auch auf die Apotheke.

Junge Erwachsene schätzen die Beratung in der Offizin-Apotheke hoch ein

Fokussiert man beispielsweise auf die jungen Erwachsenen (21 bis 29 Jahre) so erfährt man, dass sie ihrer persönlichen Gesundheit eine immense Bedeutung zumessen, schließlich sagen 96,3%, dass selbige für sie wichtig bzw. sehr wichtig ist. Hierfür treiben sie viel Sport, Rauchen nicht und jeder Dritte erwirbt sogar Produkte zur Gesundheitsvorbeugung. ­Spätestens hier sollte der Offizin-Apotheker aufhorchen. Aber wie informiert sich die junge Zielgruppe über Gesundheitsthemen? Sie informieren sich am liebsten über Gesundheitsfragen auf Themenseiten im Internet, aber auch das gedruckte Wort in Magazinen und Apothekenzeitschriften steht als Informationsquelle hoch im Kurs. Die „Bravo der Senioren“ wird also auch von den Twens gelesen, wer hätte das gedacht? Und jetzt die beste Nachricht: Bevorzugt kaufen sie Gesundheitsprodukte in der stationären Apotheke ein – weit vor dem Drogeriemarkt, dem Lebensmitteleinzelhandel (inkl. Discounter) und dem Reformhaus. In der Offizin-Apotheke sind die meisten von ihnen (29,6%) drei bis vier Mal im Jahr, knapp 22% immerhin fünf bis sechs, 12% sogar sieben bis acht Mal und fast 10% noch öfters anzutreffen. Die Zielgruppe ist also bei Weitem keine Unbekannte in der Offizin!

Circa 35% von ihnen geben dort immerhin 11 bis 20 Euro monatlich für Gesundheitsprodukte aus und bei knapp 11% sind es schon 21 bis 30 Euro im Monat. 89,3% der jungen Erwachsenen sind mit der Beratung durch das Apothekenpersonal immer oder oft zufrieden! Günstigere Preise, Sonderangebote und mehr Give-Aways (Pröbchen) würden sie noch öfter in die Offizin-Apotheke locken. Am häufigsten werden in der Gattung der rezeptfreien Arzneimittel (OTC), Produkte zur ­Behandlung von Erkältung und Husten, Schmerzmittel, Magen-/Darmpräparate, Produkte zur Wundbehandlung und Antiallergiemittel gekauft. Ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis sowie gute Verträglichkeit und schnelle Wirksamkeit sind die wichtigsten Kriterien beim Einkauf von rezeptfreien Arzneimitteln. Bei den sonstigen Gesundheitsprodukten rangieren Vitaminpräparate, Zahnpflegeprodukte, Arzneitees, Apothekenkosmetik und Kondome ganz oben. Die bekannteste OTC-Marke ist Aspirin und die bekannteste Marke bei den sonstigen Gesundheitsprodukten ist Elmex. Beide konnten sich allerdings nur sehr knapp vor den Zweitplatzierten durchsetzen.

Die gute Nachricht: Onlineaffine Zielgruppe kauft nicht online ein

Und nun die Gretchenfrage: Wie halten es die Twens mit dem Einkauf in der Online-Apotheke? 57% der jungen Erwachsenen ­haben schon einmal in einer Online-Apotheke eingekauft. Mit 31,3% kauft die überwiegende Mehrheit der Online-Apothekenkunden jedoch nur ein bis zwei Mal im Jahr dort ein. Wenn, dann am häufigsten bei DocMorris. Das ist wahrlich nicht sehr oft, wenn man bedenkt, dass diese Zielgruppe ständig „on“ ist. Außerdem verhält sie sich hier vollkommen konträr zu ihrem Verhalten in anderen Wirtschaftszweigen, wie beispielsweise im Elektro- oder Sporthandel. Als Einkaufshindernis bei Online-Apotheken geben Nichtkäufer am häufigsten (circa 30%) fehlende Beratung an. Knapp 18% haben generell noch kein Vertrauen in die Online-Versender fassen können und 15% sind die Versandpreise zu hoch. Wenn online gekauft wird, dann sind es primär Schmerzmittel und Husten-/Erkältungspräparate in der OTC-Sparte sowie Vitaminpräparate/Vitalstoffe, Kosmetik und Diätmittel/Appetitzügler bei den sonstigen Gesundheitsprodukten. Warum ist dies so? Wir sind davon überzeugt, dass junge Erwachsene als „Gesundheitsanfänger“ intensive Beratung suchen. Diese erhalten sie in der stationären Apotheke vom gut ausgebildeten Personal. Daher verwundert es nicht, dass diese ansonsten sehr internetaffine Zielgruppe nicht so häufig in ­Online-Apotheken einkauft. Sie informiert sich zwar online auf Themenseiten über Gesundheit, kauft aber dann in der Offizin-Apotheke.

Die schlechte Nachricht: Das muss nicht so bleiben!

Jedoch muss dies nicht zwangsläufig so bleiben. Schließlich können sich 67% der Befragten vorstellen, in Zukunft bei einer Online-Apotheke einzukaufen, obwohl sie es bisher noch nicht taten. Das klingt bedrohlich und verlangt vom Offizin-Apotheker sogleich Aktionen, um möglichen Abwanderungstendenzen vorzubeugen. Da das Apothekenpersonal einen ungeheuren Vertrauensbonus bei der jungen Zielgruppe genießt und der Apotheker als Produktempfehler sehr weit oben, sogar noch vor den Eltern und den Freunden rangiert, müssen er und sein Team ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber den Online-Versendern, nämlich die persön­liche, empathische Beratung am Point of Sale, weiter stärken. Im Gegensatz zu den anonymen Apotheken im Cyberspace kann das Apothekenpersonal die Gesundheitsanfänger sprichwörtlich an die Hand nehmen und persönlich in die spannende Welt der Gesundheits-/Vorsorgethemen einführen. Stichwort: Sozialkompetenz! Um die Zielgruppe in der Offizin zu halten und ihre Präsenz weiter auszubauen empfehlen wir, dass die Apotheke auch die pharmazeutischen Hersteller in die Pflicht nimmt. Diese sollten zum Beispiel bei der Erstellung ihrer Schulungsprogramme für das Apothekenpersonal noch mehr auf die Bedürfnisse der jüngeren Zielgruppe eingehen, vielleicht mit einem Extramodul. Auch das PoS-Material, wie Flyer, Schaufensterdisplays sowie die Gestaltung der Sicht- und Freiwahl etc. muss ansprechender für die Zielgruppe entwickelt werden. Was hier häufig von den Pharmaunternehmen geboten wird schreckt nicht nur die Jüngeren unter uns ab.

Jugendmarketing als Positionierungsmöglichkeit?

Gehört Jugendmarketing für Apotheken zum Pflichtprogramm? Jede Apotheke ist unterschiedlich. Deswegen erscheint als erster Schritt zunächst sinnvoll, über Kundenanalysen festzustellen, wie viele junge Erwachsene im Monat die eigene Offizin überhaupt betreten, was sie wirklich wünschen und schließlich wirklich einkaufen. Hierzu sollten Interviews mit der Zielgruppe geführt und Warenkorbanalysen durchgeführt werden. Nach den Rentabilitätsanalysen könnte man überlegen, ob es sich lohnt, zum Beispiel durch die Gestaltung der Apothekenregale bzw. der Sichtwahl, diese Zielgruppe gesondert anzusprechen bzw. sogar eine eigene Kategorie „Junge Gesundheit“ zu schaffen. Gerade für Apotheken mit größerer Regal- und Freifläche und mehr Laufkundschaft wäre dies eventuell eine interessante Möglichkeit, um auch junge Kunden abseits der Best Ager zu erreichen. Denkbar sind natürlich auch spezielle Aktionstage für junge Menschen, an denen die Beratungskompetenz besonders gut gezeigt und geschärft werden kann. Für eine Apothekenkooperation hat es Sinn, ihren Mitgliedern spezielle Jugendmarketing-Pakete (z. B. Infobroschüren, Online-Micro-Sites, die Themen der Zielgruppe spannend aufbereiten etc.) anzubieten, mit denen sie sich dann wiederum gegenüber ihren Wettbewerbern positiv abheben können. Hier könnte man auch mit Pharmafirmen kooperieren, die Produkte für junge Zielgruppen in ihrem Portfolio führen. |

Weitere Informationen und die kompletten Inhaltsangaben der beiden Gemeinschafts­studien gibt es unter www.youngcom.org/publikationen.html

Dr. Stefan Kahl

Die Dr. Kahl Consulting mit Sitz in München berät seit über zehn Jahren Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft. Für Apotheken und Apothekenkooperationen bieten Dr. Stefan Kahl und sein Team sowohl klassische Marketingberatung mit kreativer ­Umsetzung als auch individuelle ­Coachings und Trainings im Apothekenmarketing und OTC-Management an. Weitere Informationen finden Sie ­unter: www.dr-kahl-consulting.de

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