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Elektroporation bei Prostatakarzinom
Kontroverse über „Außenseitertherapie“: vielversprechend, aber Langzeiterfolg ungewiss
Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung und die dritthäufigste Krebstodesursache bei Männern in Deutschland. Für 2014 schätzt das Zentrum für Krebsregisterdaten die Anzahl an Neuerkrankungen auf ca. 70.000. Aufgrund des auch unbehandelt oft langsamen Verlaufs werden allerdings beim Screening auch Tumoren diagnostiziert, die früher lebenslang unerkannt geblieben wären und keinerlei Beschwerden verursacht hätten.
Prostatektomie gilt als Methode der Wahl
Je nach Ausdehnung lässt sich das Prostatakarzinom grob in zwei Stadien einteilen:
- lokal begrenzt ohne Infiltration der Kapsel,
- fortgeschritten mit Infiltration der Umgebung sowie Lymphknoten- und Fernmetastasen.
Die lokal begrenzten Karzinome lassen sich weiterhin in drei verschiedene Risikogruppen unterteilen: niedrig, mittel oder hoch. Kriterien hierfür sind vor allem der PSA-Wert und der histologische Befund.
Dass Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren chirurgisch (sofern sie noch operabel sind) und/oder radioonkologisch „radikal“ therapiert werden müssen, steht bei Urologen außer Frage. Darüber hinaus benennen die aktuellen deutschen Leitlinien die radikale Prostatektomie auch als „primäre Therapieoption für Patienten mit klinisch lokal begrenztem Prostatakarzinom aller Risikogruppen“ [2].
Impotenz und Inkontinenz nach Prostatektomie nicht selten
Je nach chirurgisch-urologischem Zugangsweg (Unterbauchschnitt, Dammschnitt, laparoskopisch) kommt es nach dem Eingriff nicht selten zu erheblichen Komplikationen, die den Betroffenen in seiner Lebensqualität empfindlich einschränken können. So zeigen sich bei den Patienten postoperativ (Häufigkeiten nach unterschiedlichen Quellen):
- eine Harninkontinenz (rund 10%),
- Potenzstörungen bis hin zur kompletten Impotenz (20 bis 70%),
- eine Stuhlinkontinenz (8 bis 16%) sowie ein erhöhtes Risiko für einen späteren Leistenbruch (13 bis 19%).
Angesichts solcher Zahlen ist der Wunsch nach schonenderen Alternativen zur Prostatektomie nur zu verständlich, zumal der radikale Eingriff im Einzelfall mehr Risiken bergen kann als der Tumor selbst – vor allem bei Patienten mit einem lokal begrenzten Karzinom niedriger Risikostufe. Daher haben sich in den letzten Jahren „fokale“ Therapieoptionen positioniert, die eine Mittelstellung einnehmen zwischen der radikalen Intervention einerseits und einer – unter gewissen Voraussetzungen durchaus sinnvollen – abwartenden Beobachtung andererseits.
Gezielt Tumorzellen zerstören
Medieninteresse findet aktuell die sogenannte irreversible Elektroporation (IRE), mit der eine selektive Zerstörung von Tumorzellen erreicht werden kann. Diese Methode zählt zu den interventionell-radiologischen Verfahren, die sich in der Onkologie als Ergänzung zur Standardtherapie mehr und mehr etablieren, so auch die Radiofrequenzablation oder transarterielle Embolisation von malignen Lebertumoren [3].
Bei der IRE werden unter (meist computertomografischer) Bildkontrolle mehrere Sonden in Form von langen Nadeln an den Tumorherd (Fokus) herangeführt. Die Nadeln sind an einen speziellen Stromgenerator angeschlossen und geben an ihren Spitzen sehr starke, aber sehr kurze Stromstöße (mehrere 1000 Volt über wenige Mikrosekunden) an das Tumorgewebe ab. Dadurch bilden sich stabile Poren in den Zellmembranen der Tumorzellen, was durch den unkontrollierten Efflux und Influx von Ionen zur Störung der Zellhomöostase und schließlich zum Platzen der Zellen führt. Dieses Ergebnis entspricht einem induzierten natürlichen Zelltod (Apoptose) im Zielgewebe.
Nerven und Blutgefäße schonen
Anatomische Strukturen, die hauptsächlich aus Binde- oder Epithelgewebe oder einer extrazellulären (Kollagen-)Matrix bestehen, scheinen durch die irreversible Elektroporation nicht oder nur teilweise zerstört zu werden. Daher bleiben etwa Arterien, Venen, Gallengänge, die Harnröhre und bis zu einem gewissen Grad auch Nervengewebe erhalten oder können sich zumindest wieder regenerieren.
Trotz dieser unzweifelhaften Vorteile fand die irreversible Elektroporation, die immerhin schon 2006 von der FDA in den USA zugelassen wurde, keinen Eingang in die im Oktober 2014 aktualisierte Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) zur Behandlung der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms [2]. Aufgrund ihrer Einstellung zur IRE reagierte die DGU unlängst mit klaren Worten [1] auf einen Artikel der Zeitschrift „Focus“, in dem unter der Überschrift „Die neue Waffe gegen Prostatakrebs“ mit vernehmlich positivem Tenor über die irreversible Elektroporation berichtet worden war [7].
Langzeitdaten zur Wirksamkeit fehlen noch
Im Artikel des „Focus“ wurden zwar Beschränkungen der irreversiblen Elektroporation, etwa dass sie allenfalls bei lokal begrenzten Tumoren zum Einsatz kommen darf, durchaus genannt, im Vordergrund standen jedoch die Reizvokabeln Impotenz und Inkontinenz, denn bei den genannten Fallbeispielen blieben beide urogenitalen Funktionen „selbstverständlich“ erhalten. Was der DGU hier sauer aufstieß: Ob die IRE mittel- und langfristig ein tatsächlich so komplikationsarmes und wirksames Verfahren ist, kann mangels verfügbarer klinischer Daten zum jetzigen Zeitpunkt wissenschaftlich nicht belegt werden.
Zum Einsatz der irreversiblen Elektroporation beim Prostatakarzinom liegen weltweit bislang gerade 18 Publikationen vor. Diese betreffen überwiegend die technischen und zellbiologischen Grundlagen. In zwei Studien waren die postinterventionellen Komplikationsraten tatsächlich niedrig – die Zahl der behandelten Männer allerdings auch [5, 6]. So blieben in einer aktuell publizierten englischen Studie mit 34 Patienten die Kontinenz bei 100% und die Potenz bei 89% der Teilnehmer über den sechsmonatigen Beobachtungszeitraum erhalten. Die Autoren bezeichnen das urogenitale „functional outcome“ als ermutigend, weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass weitere Untersuchungen unbedingt erforderlich seien, auch in Bezug auf das „onkologische Potenzial“ der Methode. Dass die irreversible Elektroporation eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer tumorzellspezifischen Krebstherapie darstellt, muss dennoch positiv vermerkt werden.
Ein- und Ausschlusskriterien beachten
Bei der Therapieoption IRE müssen diverse Ein- und Ausschlusskriterien berücksichtigt werden, wie sie etwa im Infoblatt der Charité klar formuliert sind [4]. So darf der Tumor histologisch an maximal zwei Stellen in der Prostata nachweisbar sein, muss aber zwingend im MRT sichtbar sein. Der PSA-Wert des Betroffenen darf 15 ng/ml nicht überschreiten, und seine Lebenserwartung sollte noch mindestens zehn Jahre betragen. Der Patient darf nicht an Herzrhythmusstörungen leiden, geschweige einen Herzschrittmacher tragen. Bei Multimorbidität, vor allem bei eingeschränkter Nierenfunktion, ist die fokale irreversible Elektroporation kontraindiziert. Auch ist der Patient darauf hinzuweisen, dass das Verfahren nur in Vollnarkose mit Muskelrelaxation durchgeführt werden kann. |
Quellen
[1] Urologen warnen vor falschen Hoffnungen: Ungerechtfertigte Werbung für Außenseitertherapie „IRE” bei Prostatakrebs, 4. Februar 2015, www.urologenportal.de
[2] Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. Interdisziplinäre S3-Leitlinie zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms. AWMF-Register-Nummer 043/022OL, Oktober 2014
[3] Fath R. Trends in der Radiologie. Dtsch Ärztebl 2013;110(33-34):A1560
[4] Gebauer B, Collettini F. Fokale Therapie des Prostatakarzinoms: Die irreversible Elektroporation. www.radiologie.charite.de, 2013
[5] Valerio M et al. Initial assessment of safety and clinical feasibility of irreversible electroporation in the focal treatment of prostate cancer. Prostate Cancer Prostatic Dis 2014;17:343-347
[6] Valerio M et al. A prospective development study investigating focal irreversible electroporation in men with localised prostate cancer: Nanoknife Electroporation Ablation Trial (NEAT). Contemp Clin Trials 2014;39:57-65
[7] Die neue Waffe gegen Prostatakrebs – „Nicht einmal jeder zweite Krebs ist aggressiv“. Focus 2015;(5):77-81
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