Fortbildung

Nicht nur etwas für Auge und Ohr

Ein Bericht vom 53. Internationalen Fortbildungskongress der Bundesapothekerkammer in Meran

MERAN (ck/du) | Die Veranstalter sprechen von einem Besucher­rekord. Mehr als 800 Apothekerinnen und Apotheker haben am 53. Internationalen Fortbildungskongress der Bundesapothekerkammer in Meran teilgenommen. 150 geladene Pharmazeuten im Praktikum und Pharmaziestudenten der Universitäten Frankfurt, Bonn, Düsseldorf und Münster sorgten für eine Verjüngung des traditionsreichen Kongresses, der wieder eine Mischung aus wissenschaftlichen und praxisnahen Vorträgen bot. In dem „Meraner Blumenstrauß“ ließ sich viel Wissenswertes rund um Infektionen, Antibiotika, Augenerkrankungen, Hörsturz und Tinnitus, rheumatoide Arthritis, Biosimilars und antiinflammatorische Naturstoffe finden. Wir haben für Sie einige Highlights herausgesucht.

Weder für den Hörsturz noch bei Tinnitus ist eine kausale Therapie in Sicht, die therapeutischen Möglichkeiten sind begrenzt. Einzige medikamentöse Option ist laut Prof. Dr. Gerhard Hesse, dem Leiter der Tinnitus-Klinik Bad Arolsen, eine hoch­dosierte Cortison-Therapie. Sie kommt zum Einsatz, wenn keine spontane Besserung eintritt.

Fotos: pharmacon.de

Hörsturz: ein Eil-, kein Notfall

Denn, so betonte Hesse: „Ein Hör­sturz ist ein Eilfall, aber kein Notfall.“ Er empfiehlt in Ruhe ein bis zwei Tage abzuwarten, denn häufig würden Spontanheilungsprozesse eine weitere Behandlung überflüssig machen. Sollten die Beschwerden ­jedoch anhalten, muss spätestens nach zwei Tagen ein Arzt aufgesucht werden.

Die lange Zeit übliche Behandlung mit durchblutungsfördernden Medikamenten wie HAES hat laut Hesse nicht überzeugt. Eine Evidenz für HAES konnte nicht gezeigt werden, inzwischen ist eine solche Therapie obsolet. Auch für eine Ginkgo-Therapie bei Tinnitus sieht Hesse nach wie vor keine Evidenz. Seine Position hatte er in einem Beitrag und einem Interview in der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ 2014, Nr. 26, S. 40 – 45) ausführlich begründet und sie in einer Leserbrief-Diskussion verteidigt.

Eine Rationale gibt es dagegen laut Hesse für die Cortison-Behandlung. Denn Corticoide hemmen unter anderem die Apoptose, wirken antientzündlich und können so Schäden durch einen Hörsturz oder bei akutem Tinnitus eindämmen.

Eine hochdosierte Cortison-Therapie wird eingesetzt, wenn sich die Beschwerden nicht spontan bessern. Für Hesse ist zunächst eine orale oder eine Infusionstherapie Mittel der Wahl, die intratympanale Applikation ist bei ausbleibendem Erfolg, bei starkem Hörverlust und akutem Tinnitus eine weitere Alternative.

Tinnitus nicht ohne Hörverlust

Tinnitus ist, so Hesse, ohne Hörverlust nicht denkbar. Der akute Tinnitus wird daher wie ein akuter Hörsturz behandelt. Dauern die Ohrgeräusche über drei Monate an, spricht man von einem chronischen Tinnitus, der sich so nicht einfach abschalten lässt. Auslöser sind Haarzellschäden im Innenohr. Wenn Haarzellen einmal zerstört sind, ist keine Regeneration mehr möglich, es kommt zu Kurzschlussverbindungen mit Auswirkungen auf das gesamte Reizleitungs- und Verarbeitungssystem. Eine Heilung ist nicht zu erwarten. Es bleibt lediglich, den Hörverlust mit Hörgeräten zu kompensieren und mithilfe von Hörtherapien und psychischer Stabilisierung zu lernen, mit den Ohrgeräuschen zu leben.

Wenn die Makula degeneriert

Schlechtes Sehen bis hin zum Sehverlust im Alter ist häufig die Folge einer Makuladegeneration (AMD). Schon im Frühstadium lassen sich charakteristische Veränderungen des Augenhintergrunds erkennen. Im Spätstadium werden dann zwei Formen unterschieden: die exsudative feuchte Form mit pathologischer Gefäßneubildung (neovaskuläre AMD) und die nicht-exsu­dative trockene Form (trockene AMD).

In Deutschland leiden ca. 2,6 Millionen Menschen an einer Frühform der altersabhängigen Makuladegeneration, ca. 1,6 Millionen an einer Spätform. Tendenz steigend. Bei ca. 15% lässt sich eine neovaskuläre AMD diagnostizieren, bei ca. 85% die trockene Form.

Anti-VEGF-Therapie so früh wie möglich

Medikamentös bietet die neovaskuläre Form bessere Ansatzpunkte als die trockene Form. Denn die Gefäßneubildung wird durch Wachstumsfaktoren wie den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) gefördert. Durch die intravitreale Injektion von Anti-VEGF-Substanzen wie Bevacizumab (Avastin®; off label), Ranibizumab (Lucentis®) sowie Aflibercept (Eylea®) soll die Progression aufgehalten werden. In der Regel wird zu Beginn eine dieser Substanzen dreimal im Abstand von vier Wochen injiziert. Bei fehlendem Erfolg ist ein Wechsel auf eine andere Substanz möglich. Priv.-Doz. Dr. Ursula Müller-Breitenkamp, Meckenheim, verwies darauf, dass bei Therapieresistenz unter Bevacizumab und Ranibizumab mit Aflibercept durchaus noch Erfolge erzielt werden können.

Leitlinienempfehlung für NEM

Weniger Therapieoptionen stehen bei der trockenen Form der AMD zur Verfügung. Da hier als wichtiger pathogenetischer Faktor oxidative Zellschäden postuliert werden, schien eine Verbesserung der Redoxkapazität mithilfe von Nahrungsergänzungsmitteln erfolgversprechend. In den großen ARED-Studien (Age-Related Eye Disease Study; AREDS) wurden unterschiedliche Zusammensetzungen von Antioxidanzien, Zink, Omega-3-Fettsäuren, Lutein und Xeaxanthin getestet, anfangs auch in Kombination mit Betacarotin. Als bekannt wurde, dass Betacarotin bei Rauchern das Leberkrebsrisiko erhöht, habe man von dem Betacarotin-Zusatz Abstand genommen, so Müller-Breitenkamp. In den ARED-Studien zeigten sich positive Effekte auf die Progression und Visus-Entwicklung, allerdings nur in den intermediären und progressiven Stadien der trockenen AMD.

NEM-Prophylaxe nicht sinnvoll

Eine Prophylaxe mit dieser Nahrungsergänzungsmittelkombination ist nach Ansicht von Müller-Breitenkamp nicht sinnvoll, ebenso wenig wie der Einsatz im Frühstadium.

Folgende Zusammensetzung hat sich in AREDS-2 bewährt: Vitamin C 500 mg; Vitamin E 400 IE, Zinkoxid 25 mg, Kupferoxid 2 mg, Lutein 10 mg, Zeaxanthin 2 mg.

Der Zusatz von Omega-3-Fettsäuren hatte keinen zusätzlichen protektiven Effekt.

Augenprobleme in der Apotheke

Die Augen tränen, jucken, brennen, sind gerötet, geschwollen, entzündet. Patienten mit solchen Beschwerden gehören zum Apothekenalltag. Sie erhoffen sich schnelle und unkomplizierte Hilfe jenseits überfüllter Augenarztpraxen. Ein Wunsch, dem in der Apotheke nur mit Vorsicht nachgekommen werden kann. Denn neben harmlosen Reizungen können sich hinter solchen Beschwerden die Sehkraft bedrohende Notfälle verbergen. Das machte Apotheker Dr. Eric Martin in seinem Vortrag „Trockene Augen, allergische Augenerkrankungen und Bindehautentzündungen in der Selbstmedikation“ deutlich. Da eine Blickdiagnose so gut wie ausgeschlossen sei und der Inspektion des Auges durch den Apotheker enge Grenzen gesetzt seien, müsse im Beratungsgespräch sehr sorgfältig nach Krankheitszeichen und Begleitumständen gefragt werden. Martin empfahl folgenden Fragenkatalog:

  • Sind beide Augen betroffen?
  • Ist der Visus eingeschränkt?
  • Wie ist die Augenrötung beschaffen und lokalisiert?
  • Weist die Pupille Auffälligkeiten auf?
  • Liegt ein Ausfluss vor?
  • Ist die Hornhaut klar oder trüb?
  • Sind die Lidränder geschwollen, gerötet, verklebt?
  • Wie sieht die Risikoanamnese aus: Kontaktlinsenträger, Fremdkörper-Exposition (Rauch, Staub, Chemikalien, starke Strahlung)? Anhaltende Bildschirmarbeit? Zurückliegende Augenerkrankungen oder Augen-OP? Kurz zurückliegende Erkrankung der oberen Atemwege? Chronische Erkrankung wie Allergien, Diabetes oder Rheuma?

Martin warnte: „Nicht jedes rote Auge ist eine Bindehautentzündung!“ Um die Patienten nicht zu gefährden, verwies er auf wichtige Alarmsymptome, zu denen unter anderem einseitige Beschwerden zählen (s. Kasten oben). Werden diese Alarmsymptome nicht beachtet, so bestehe die Gefahr irreversibler Schäden. Eine unspezifische Selbstmedikation könne zudem die Diagnose erschweren oder die Beschwerden verschlimmern.

Alarmsymptome

  • einseitige Beschwerden
  • deutliche, plötzlich einsetzende Visusminderung und/oder ausgeprägte Schmerzen/Photophobie
  • Beschwerden nach Trauma, handwerklicher Tätigkeit, Verdacht auf Verätzung
  • rote Augen und Ausfluss bei Neugeborenen
  • rote Augen nach Augenoperation oder Augenerkrankung

Beidseitige Augenrötungen, die nicht mit einem Verlust an Sehschärfe einhergehen, können unter bestimmten Umständen im Rahmen der Selbstmedikation befristet behandelt werden. Mit Ausnahme selbstlimitierender Formen ist laut Martin aber auch hier eine ärztliche Diagnosestellung notwendig. Von einem längeren Einsatz von OTC-Präparaten ohne ärztlichen Therapieplan rät Martin dringend ab. Leidet der Patient an einer leichten Form einer allergischen Konjunktivitis, empfiehlt Martin neben Karrenzmaßnahmen die saisonale Gabe von OTC-Präparaten. Bei schwereren Formen, die mit Schlafstörungen, eingeschränkter Tagesaktivität, schulischen bzw. beruflichen Problemen und weiteren Belastungen einhergehen können, verwies Martin auf eine grundsätzliche Therapiekoordination durch den Facharzt, auch dann, wenn OTC-Präparate indiziert sein können.

Lesmüller-Medaille für Prof. Dr. Eugen Verspohl und Carsten Bayer

Die Lesmüller-Medaille ist eine Auszeichnung der Bundesapothekerkammer und wird an Apothekerinnen und Apotheker verliehen, die sich in besonderer Weise um das deutsche Apothekenwesen verdient gemacht haben. In diesem Jahr wurde diese Ehrung gleich zwei Apothekern zuteil:

Apotheker Carsten Bayer und Prof. Dr. Eugen Verspohl.

Carsten Bayer hat sich diese Verdienste als Fortbildungsreferent der Bayerischen Landesapothekerkammer, als Lehrer an der PTA-Schule Würzburg und Mitglied des Berufsbildungsausschusses für Apothekenhelferinnen/PKA erworben. So hat er ganz entscheidend an der Neu- und Umgestaltung des Berufsbildes der PKA und an den dazu notwendigen Lehrplänen mitgearbeitet. Prof. Dr. Eugen Verspohl hat sich in seiner 21-jährigen Lehrtätigkeit zunächst in Tübingen, dann als Professor für Pharmakologie an der Universität Münster sowie in vielen Vorträgen zur Fort- und Weiterbildung für die Lesmüller-Medaille empfohlen. Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, lobte vor allem, dass Verspohl schon frühzeitig neue Unterrichtsformen wie Kommunikationstraining und gemeinsame Arzt/Apothekerveranstaltungen etabliert hat. Mit dem Eintritt in den Ruhestand im Sommer 2012 hat Verspohl eine gemeinnützige Stiftung zur Unterstützung bedürftiger Pharmaziestudierender an der Universität Münster ins Leben gerufen.

Foto: pharmacon.de

Preisträger Prof. Dr. Eugen Verspohl und Apotheker Carsten Bayer wurden vom Präsidenten der Bundesapothekerkammer Dr. Andreas Kiefer geehrt (von links).

Das trockene Auge

Wird das Auge nicht mit ausreichend Tränenflüssigkeit benetzt, dann kommt es zu Reizzuständen, Entzündungen und langfristig zu strukturellen Schäden auf der Augenoberfläche. Sandkorngefühl, Brennen, trockene Lider und Augen, gerötete Lidränder, gerötete Augen, Blendempfindlichkeit und verschwommenes Sehen sind immer wieder beschriebene Symptome. Im Vordergrund steht der Ersatz der Tränenflüssigkeit. Dazu stehen eine ganze Palette von Augenarzneimitteln in Form von Gelen, Sprays und Tropfen zur Verfügung. Sie können Polymere wie Polyvinylalkohol, Cellulosederivate, Hyaluronsäure, Naturstoffe und Lipide enthalten. Martin empfahl eine regelmäßige Anwendung, auch wenn keine Beschwerden vorliegen. Welches Präparat für wen am besten geeignet ist, kann nicht vorhergesagt werden. Die Behandlung des Sicca-syndroms zeige stark empirische Züge, so Martin. Auch hier gilt: bei länger bestehenden Beschwerden ist eine diagnostische Abklärung und Behandlung durch den Augenarzt unerlässlich.

Natürlich, sanft und besser wirksam ...

... so beschreiben Kunden oft Phytopharmaka. Doch Prof. Dr. Oliver Werz von der Friedrich-Schiller-Universität Jena zeigte, dass pflanzliche Antiphlogistika nicht unkritisch anzuwenden sind. Die antientzündlichen Wirkmechanismen von chemisch definierten Wirkstoffen sind meistens bekannt und belegt, sie wurden zum Teil Target-orientiert entwickelt – im Gegensatz zu den Naturstoffen: Sie werden oft empirisch eingesetzt, man weiß nicht, wie sie überhaupt wirken und ob die beobachteten Effekte eine pharmakologische Relevanz besitzen. Die Wissens­lücken sind für Werz eklatant. Man müsse sie mittels bioanalytischer Verfahren, zellbasierter Testsysteme sowie In-vivo-Studien schließen sowie die wirksamkeitsbestimmenden Anteile bzw. Leitsubstanzen in den Naturstoffgemischen verifizieren. Zwar konnte gezeigt werden, dass antiinflammatorisch wirksame Naturstoffe oft die gleichen Targets wie die chemisch definierten Wirkstoffe adressieren. Allerdings, so Werz, müsse man sich schon fragen, warum die Phytopharmaka dann z. B. nicht die gleichen typischen Nebenwirkungen der NSAR zeigen. Werz kritisierte, dass zu oft Leitsubstanzen ausgelobt werden, deren Wirkmechanismus nicht mit wissenschaftlich fundierten In-vitro- oder In-vivo-Daten belegt werden könne.

PZ-Innovationspreis

Auszeichnung für Vedolizumab

Der erste darmselektive Integrin-Ant­agonist Vedolizumab (Entyvio®) wurde im Rahmen des Pharmacons in Meran mit dem PZ-Innovationspreis ausgezeichnet. Der humanisierte monoklonale Antikörper, der spezifisch an das α4β7-Integrin bindet, gilt als ein großer Fortschritt in der Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Er verhindert ein Einwandern von T-Lymphozyten in den Magen-Darm-Trakt und wirkt inflamma­torischen Prozessen entgegen. Der Wirkstoff sei eine große Hilfe für die Patienten, die durch Symptome wie Bauchschmerzen oder blutig-schleimige Durchfälle in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt sind. Ein weiterer Wirkstoff wurde mit einem PZ-Innovations-Sonderpreis ausgezeichnet: Mit dem ersten Gentherapeutikum Alipogentiparvovec (Glybera®) wurde eine ganze innovative Wirkstoffklasse gewürdigt. Mithilfe eines viralen Vektors wird eine Lipoproteinlipase-Genvariante in Muskelzellen injiziert, sodass die Myozyten das fehlende Enzym produzieren. Zwar wurden bisher nur sehr wenige Patienten therapiert, aber im Rahmen der Zulassung wurde wertvolle Vorarbeit für weitere Gentherapeutika geleistet, die ganz sicher folgen werden.

Foto: DAZ/ck

Die Auszeichnung für Vedolizumab erhielt Cornelia Zanetti, Leiterin des Geschäftsbereiches chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bei Takeda Pharma, von Sven Siebenand, stellvertretender Chefredakteur der PZ.

Beispiel Teufelskralle

Extrakte aus der Wurzel der Teufelskralle (Harpagophytum procumbens) werden gern bei rheumatoiden Erkrankungen eingesetzt, da in Laborversuchen antientzündliche und anti­analgetische Effekte beobachtet wurden. Fraglich ist aber die klinische Relevanz der beobachteten Effekte. Es wurden nur artifizielle Testsysteme eingesetzt, und es wurden hohe Konzentrationen des Extraktes verwendet (umgerechnet bis zu 1600 mg/kg Körpergewicht bei Nagern), die in vivo kaum erreicht werden können. In Fertigarzneimitteln stehen wässrige oder ethanolische Extrakte als Tabletten oder Kapseln zur Verfügung, legt man die Tagesdosis von 960 bis 2700 mg zugrunde, so entspricht das 13 bis 36 mg/kg Körpergewicht. Zwar gibt es mehrere doppelblinde, placebokontrollierte bzw. vergleichende Studien mit Ibuprofen, Phenylbutazon oder Rofecoxib bei rheumatischen Erkrankungen mit positiven Ergebnissen. Allerdings sind die zugrundeliegenden Mechanismen und die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe unklar.

Beispiel Wilfords Dreiflügelfrucht

Als eine bei uns wenig bekannte Pflanze stellte Werz die Wilfords Dreiflügelfrucht (Tripterygium wilfordii) vor. Präparate aus der ostasiatischen Giftpflanze sind bei uns nicht zugelassen, ein ethanolischer Trockenextrakt aus der Wurzel wird aber in der asiatischen Heilkunde schon lange eingesetzt. Bisher konnten über 100 Einzelstoffe isoliert und teilweise charakterisiert werden, darunter die Diterpene Triptolid und Tridiolid sowie das Chinontriterpen Celastrol. Triptolid und Celastrol haben eine Glucocorticoid-ähnliche Wirkung, sie hemmen die Expression von proinflammatorischen Enzymen und Zytokinen bereits in nanomolaren Konzentrationen. Auch in den bisher sieben vorliegenden klinischen Studien konnten bei Patienten mit rheumatoider Arthritis meist positive Ergebnisse erzielt werden. Werz schätzte die Wilfords Dreiflügelfrucht mit ihren pharmakologisch hochinteressanten Stoffen als ein klinisch wirksames Antiphlogistikum mit Glucocorticoid-ähnlicher immunsuppressiver Wirkung ein, die jedoch ein relativ hohes Nebenwirkungspotenzial besitzt. In der Aufklärung der Wirkmechanismen solch interessanter antientzündlicher Naturstoffe sieht Werz mögliche Ansätze für die Arzneistoffentwicklung.

Foto: pharmacon.de

Ende einer Ära Die Vorstellung neuer Arzneimittel durch den ehemaligen Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, Dr. Hartmut Morck, beim Pharmacon Meran hat seit 22 Jahren Tradition. In diesem Jahr nahm er zum letzten Mal die Wertung in Sprung-, Schritt- und Scheininnovationen vor.

Biosimilars sind sichere Arzneimittel

Seit 2006 mit Omnitrope® (Soma­tropin) Sandoz das erste Biosimilar – also ein Nachahmerpräparat eines Biologicals – eingeführt hat, wird über diese neue Arzneimittelgruppe kontrovers diskutiert. Die einen sehen darin eine finanzielle Entlastung unseres Gesundheitssystem. Die anderen bezweifeln, ob die „Kopien“ es wirklich bezüglich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit mit dem Original aufnehmen können. Auch Prof. Dr. Theo Dingermann vom Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt war am Anfang nicht von der Gleichwertigkeit überzeugt. Mittlerweile sind in Europa 18 Biosimilars zugelassen. Und mittlerweile hat auch Dingermann seine Skepsis abgelegt. Er ist überzeugt, dass sich Kopien rekombinanter Wirkstoffe herstellen lassen. Und dass sie sicher sind, wenn die Kopie eines detailliert bekannten Biomoleküls mit nachgewiesener klinischer Wirksamkeit und Verträglichkeit einen streng strukturierten Zulassungsprozess durchlaufen hat, der speziell für dieses Produkt entwickelt wurde.

Das Produkt ist der Prozess

Unabdingbar, so Dingermann, sei dabei das Vertrauen in die europäische Zulassungsbehörde EMA. Für die Zulassung von Biosimilars mussten eine ganze Reihe von regulatorischen Leitlinien erstellt und ein eigenes gesetzliches Regelwerk entwickelt werden. Zwei Jahre lang arbeitete die EMA an diesem neuen Regelwerk, das 2005 in der EU in Kraft trat. Das neue darin ist die Einsicht, dass Biopharmazeutika wegen ihrer komplexen Struktur immer eine gewisse molekulare Variabilität aufweisen. Unmöglich kann daher ein Biosimilar strukturell absolut identisch sein mit dem Referenzarzneimittel. Selbst zwischen unterschiedlichen Chargen des Referenzarzneimittels sind Strukturunterschiede möglich. Der Wirkstoff ist das Ergebnis eines strukturierten Herstellungsprozesses. Im Gegensatz zu niedermolekularen Wirkstoffen oder Proteinen, die über Extraktions- und Reinigungschritte gewonnen werden, die dann auch die Spezifikation des Produkts bestimmen, bestimmt bei den Biosimilars der Herstellungsprozess das Produkt. Nur dieser kann die Gleichförmigkeit und damit Sicherheit und Wirksamkeit garantieren. Nachahmerpräparate, die nicht über das strenge EMA-Verfahren zugelassen wurden, dürfen nicht als Biosimilars bezeichnet werden.

Diskussion um die Indikation

Ist das Referenzprodukt für mehr als eine Indikation zugelassen, erlaubt die EMA die Extrapolation auf alle zugelassenen Indikationen der Referenzarznei, obwohl das Biosimilar nur in einer Indikation klinisch getestet wurde. Voraussetzung ist, dass den unterschiedlichen Indikationen der gleiche Wirkmechanismus zugrunde liegt und es keine wissenschaftlichen Einwände gibt. Diese Besonderheit im Zulassungsprozess von Biosimilars stößt bei Ärzten auf große Skepsis. Für Pharmazeuten ist das besser nachvollziehbar, da sie oft ein anderes molekulares Verständnis besitzen. Denn wenn sichergestellt ist, dass Referenzarznei und Biosimilar ausreichend ähnlich sind, ist es plausibel, dass das Biosimilar auch in allen Indikationen wirksam und sicher ist, für die die Referenzarznei zugelassen ist. Hier ist der Apotheker auf besondere Weise gefordert. Er muss nicht nur dem Patienten vermitteln, dass er „seinem Biological“ vertrauen kann, das er in der Apotheke erhält, sondern auch dem Arzt die Angst nehmen, dass der Apotheker die Verschreibungsanweisung der Ärzte missachtet, in die Therapiehoheit eingreift und „irgendwas anderes“ abgibt.

Darf’s ein bisschen mehr sein? Das Problem mit der Resistenz

Das Problem des zunehmenden Antibiotika-Einsatzes und der steigenden Resistenzgefahr im stationären Bereich thematisierte Edith Bennack, Leiterin der Apotheke des St. Elisabeth-Krankenhauses in Köln. Auch wenn sich Deutschland beim Antibiotika-Verbrauch im europäischen Vergleich im unteren Drittel befindet, so sei das zu viel, so Bennack. Zumal Anzahl und Spektrum der resistenten Erreger besorgniserregend sind. Jedes einzelne Krankenhaus müsse seinen Antibiotika-Gebrauch kritisch betrachten. Das Wissen um die Eigenheiten der Erreger, die Spezifikation der Wirkstoffe und die Einhaltung der Leitlinienempfehlungen ist das eine. Die Ärzte haben aber oft Angst, eine Infektion zu übersehen oder zu spät eine Antibiotika-Behandlung einzuleiten. Es werden zu wenig Proben genommen, um den Erreger zu bestimmen, die Therapie wird zu selten nach 48 Stunden deeskaliert oder gegebenenfalls umgestellt. Auch wird nicht immer die Therapie mit der richtigen Dosierung begonnen. Im Alltag werde häufig die rein rechnerische Größe defined daily dose (DDD) anstelle der für die Therapie empfohlenen Dosis (recommended daily dose, RDD) verwendet. Die RDD, die in den Fachinformationen angegeben ist und von Fachgesellschaften empfohlen wird, liegt jedoch meistens über der DDD.

Das Bewusstsein schärfen

Das andere ist ein konsequentes Hygiene­management. Nur durch eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Apothekern, Ärzten, Hygienikern, Infektiologen und Mikrobiologen könne das zunehmende Problem der Resistenzen gelöst werden, ist sich Bennack sicher. Ja, es darf ein bisschen mehr sein. Ein bisschen mehr an Personal: Je weniger Patienten pro Pfleger umso besser. Und ein bisschen mehr an Bewusstsein für Händedesinfektion und andere elementare Grundlagen der Hygiene.

Weg mit den Protonen­pumpenhemmern!

Ganz klare Vorstellungen hat Bennack davon, welchen Beitrag die Apotheker in der öffentlichen Apotheke leisten können: „Kontrollieren Sie die Dosis und erfragen Sie die Indikation“! Es sollte immer das Gespräch mit dem Arzt gesucht werden, wenn zu niedrige Dosierungen eingesetzt werden. Dem Patienten sollte erläutert werden, dass eine ausreichend lange Einnahme wichtig ist, da viele Antibiotika zeitabhängig wirken, sie wirken nur gut, solange die Konzentration am Wirkort über der MHK liegt. Sehr am Herzen lag Benneck der Hinweis, dass in der Apotheke unbedingt eine mögliche Ko-Medikation mit Protonenpumpeninhibitoren erfragt wird. Ihrer Meinung nach hätte diese Arzneistoffgruppe nicht aus der Verschreibungspflicht entlassen werden dürfen. Die mittlerweile fast flächendeckende Langzeit-Behandlung mit PPI kann zu einer Störung des Knochenstoffwechsels mit vermehrten Frakturen führen. Darüber hinaus beeinflusst die dauernde Anhebung des pH-Wertes im Magensaft die Immunität und die Abwehrkräfte des Körpers. Zunehmend wird eine bakterielle Besiedlung des Gastrointestinalktrakts zum Beispiel mit Clostridien beobachtet.

Treat to target: Neues vom „Karies der Knochen“

Priv.-Doz. Dr. Christof Iking-Konert vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berichtete von den Fortschritten in der Therapie der rheumatoiden Arthritis. Die Therapieziele haben sich in den vergangenen Jahren gewandelt: war es um 1900 beim Einsatz von Acetylsalicylsäure noch die reine Symptombekämpfung, folgte mit der Einführung von Gold in den 1950ern die Verlangsamung der Progression. Ab 1990 stand dann mit der Einführung von Methotrexat die Sym­ptomfreiheit im Mittelpunkt. Seit es Biologicals gibt, ist eine volle Remission das Ziel. Iking-Konert stellte die Hoffnung in den Raum, dass 2020 vielleicht eine Heilung möglich sein könnte. Durch das Festlegen und Verfolgen von stringenten Zielen kann der Effekt einer Therapie deutlich verbessert werden. Bei der rheumatoiden Arthritis ist so ein Zielparameter die Reduktion des DAS28 (Disease Activity Score 28), die mit einer Zunahme der Funktion und einer Senkung der Mortalität korreliert. Cortison sollte dabei konsequent nur als „Überbrückungs- und Schubmedikament“ eingesetzt werden: kurz gegeben ist es ein Segen, wird es allerdings zu lange und zu hoch eingesetzt, so treten Probleme auf. ­Immer sind aber steroidsparende krankheitsmodifizierende Wirkstoffe (DMARDs) wie Methotrexat, Leflunomid, Sulfasalazin oder Ciclosporin und Azathioprin nötig, um eine rheumatoide Arthritis dauerhaft zu kontrollieren. Die Wahrscheinlichkeit für eine Remission ist umso höher, je früher mit einer Therapie begonnen wird. Dazu sollten in der Zukunft Biomarker etabliert werden, mit denen vorhergesagt werden kann, für welchen Patient welches Arzneimittel das Beste ist. |

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