Arzneimittel und Therapie

Lipidsenker und das Risiko fürs Gedächtnis

Negativer Effekt von Statinen und Co. auf das Erinnerungsvermögen bei Therapiebeginn

Die Studienlage schien vielversprechend. Eine Behandlung mit Statinen besitzt möglicherweise eine positive Wirkung auf die Entwicklung von Demenz, da neben der Erniedrigung des Cholesterolspiegels auch die β-Amyloid-Bildung gesenkt zu werden scheint. Doch Fallberichte über Vergesslichkeit und Verwirrtheit behandelter Personen stellen nun die postulierten Effekte dieser Lipidsenker infrage.


Bei der Diskussion über mögliche Effekte von Statinen auf die Cholesterol-Biosynthese im ZNS stehen lipophile Vertreter, wie Simvastatin und Atorvastatin, ganz besonders im Fokus. Diese können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und somit lokale Effekte, einerseits auf die Myelin-Synthese, andererseits auf die Bildung von β-Amyloid-Plaques induzieren und somit entweder positive oder negative Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit vermitteln. Obwohl die aktuelle Studienlage den Statinen eine überwiegend positive Wirkung auf das Erinnerungsvermögen bestätigte, führten einige Fallserien über akute Gedächtnisstörungen vor einigen Jahren zur Erweiterung der Warnhinweise durch die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA.

Forscher der Rutgers-Universität in Newark, New Jersey, haben nun im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie untersucht, ob die beobachtete Einschränkung kognitiver Funktionen zu Beginn einer Statin-Therapie tatsächlich signifikant häufiger auftritt als bei nicht-behandelten Personen [1]. Hierzu wurde jedoch der Fokus nicht allein auf Statine gelegt, sondern auch auf andere Lipidsenker erweitert. Dazu wurden Patientendaten der Health Improvement Network Datenbank analysiert und 482.546 Personen identifiziert, welche im Zeitraum von 1987 bis 2013 eine Statin-Behandlung erhielten. Die Daten von Patienten mit übereinstimmendem Alter und Geschlecht, jedoch ohne Behandlung mit Lipidsenkern sowie mit einer lipidsenkenden Therapie, jedoch keiner Statin-Behandlung, dienten als jeweilige Kontrollgruppen. In der Tat wurden kognitive Einschränkungen bei Patienten mit Statinen häufiger beobachtet als bei unbehandelten Personen, wobei dies v. a. innerhalb der ersten 30 Tage nach Behandlungsbeginn auftrat. Wurden hingegen längere Zeiträume beobachtet, verringerte sich der Unterschied.

Interessanterweise zeigte sich aber auch in der Behandlungsgruppe mit anderen Substanzen zur Senkung der Blutfettwerte eine ähnlich eingeschränkte Gedächtnisleistung, wie sie für die Statin-Gruppe beziffert wurde. Diskutiert wird einerseits ein allen Lipidsenkern gemeinsamer Mechanismus, der auf der induzierten Cholesterolsenkung basiert. Oder aber ein Detektions-Bias ist für die jeweiligen Unterschiede verantwortlich. Da die Cholesterol-senkenden Arzneistoffe unabhängig von ihrer eigentlichen Wirkstärke ähnliche kognitive Einschränkungen verursachen, vermuten auch die Autoren der Studie eher einen grundsätzlichen Bias.

Begründet wird dies durch die Annahme, dass Patienten mit lipidsenkender Therapie aufgrund kardiovaskulärer Angelegenheiten eher den Arzt aufsuchen als Personen ohne medikamentöse Behandlung und somit eine eventuell auftretende Vergesslichkeit auch eher und häufiger detektiert wird. Dieser Annahme folgend, ließen sich die kognitiven Einschränkungen vermutlich auch bei Patienten mit anderen Medikationsprofilen finden, die im allgemeinen eine regelmäßige ärztliche Konsultation erfordern (inklusive Antihypertensiva, Antidiabetika).

Da die Autoren der Studie finanzielle Förderungen mehrerer Arzneimittelhersteller erhielten, scheint die beschriebene Interpretation der eigenen Studiendaten, die mögliche arzneimittelinduzierte Nebenwirkungen relativiert, in besonderem Maße bedeutsam. Dennoch, die Notwendigkeit einer gründlichen und kritischen Beurteilung Arzneimittel-assoziierter Effekte spiegelt sich ebenso im beruflichen Alltag der Offizin-Apotheke wider. Patienten mit einer medikamentösen Langzeitbehandlung erscheinen gerade zu Therapiebeginn sehr sensibel gegenüber jeglicher Form von psychischen und physischen Veränderungen, die sie in den ersten Tagen ihrer Behandlung erfahren. Im Beratungsgespräch sollte daher sehr genau auf typische Nebenwirkungen hingewiesen werden, um Patienten ihre Sorgen und Ängste bezüglich der Therapie zu nehmen. Andererseits sollte aber auch immer auf untypische bzw. neuartige Nebenwirkungen geachtet werden, um ggf. mit dem behandelnden Arzt in Rücksprache zu treten und aktiv zur Pharmakovigilanz beizutragen. |

Quelle:

Strom BL et al. JAMA Intern Med. Published online June 08, 2015. doi:10.1001/jamainternmed.2015.2092.

Apotheker Dr. André Said

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