Arzneimittel und Therapie

Der Informationsflut Herr werden

Wie und wo man glaubwürdige und valide Quellen zu Arzneimitteln findet

Pro Jahr werden weltweit mehr als eine Million medizinische Veröffentlichungen in Datenbanken gespeichert. Wer zu einer bestimmten Fragestellung Literatur sucht, hat es nicht leicht. Denn nicht nur das Informations-Überangebot ist das Problem; erwünscht sind ja Daten, die unbelastet von Interessenkonflikten gewonnen wurden. Welche Strategien gibt es, wenn man „up to date“ sein will?

Dass es relativ schwierig ist, an verlässliche Informationen zu gelangen, lässt sich beispielsweise aus den Ergebnissen einer aktuellen Studie [1] britisch-niederländischer Forscher ableiten. Sie analysierten die auf dem Gebiet der Diabetologie zwischen 1993 und 2013 veröffentlichten Publikationen und fanden dabei heraus, dass nur etwa 100 Autoren (dies entspricht weniger als einem Prozent aller Autoren in diesem Fachgebiet) an einem Drittel aller Veröffentlichungen zu blutzuckersenkenden Therapien mit neuen Arzneimitteln beteiligt sind. 82 Prozent von ihnen stammen aus nur vier Ländern (USA, Italien, GB, Deutschland). Von 110 Top-Autoren waren 48 Angestellte der pharmazeutischen Industrie, 906 der insgesamt 991 ­untersuchten randomisierten klinischen Studien waren kommerziell ­gesponsert.

Neben dem „Informations-Overload“ und möglichen Interessenkonflikten der Studien- oder Leitlinienautoren gibt es noch weitere Störfaktoren, die den Zugang zu objektiven und validen wissenschaftlichen Informationen erschweren können. Darauf verwies Dr. Judith Günther, wissenschaftliche Mitarbeiterin der pharmafacts GmbH, Freiburg, auf einer Veranstaltung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) am 11. Juli 2015 in Berlin. Dazu zählen beispielsweise methodische Qualitätsmängel von Studien oder aber auch die verzerrte Berichterstattung in den Medien. „Bedroht schlechter Medizinjournalismus unsere Gesundheit?“ titelte kürzlich eine österreichische Fachzeitschrift anlässlich der Veröffentlichung einer Analyse der österreichischen Cochrane Gesellschaft [2] von rund 1000 Medien­berichten in Print- und Online-Medien in Österreich. Diese hatte gezeigt: Nur knapp elf Prozent aller Berichte waren in Einklang mit der wissenschaftlichen Studienlage. Selbstverständlich kann eine „Versorgung“ mit unsoliden Daten negative Folgen für unsere Gesundheit haben, so Günther. Denn dadurch sind Fehlentscheidungen sowohl auf systemischer als auch auf individueller Ebene möglich.

Individuelle Recherche-­Strategie entwickeln

Apotheker und anderes pharmazeutisches Personal, die sich zu einem ­bestimmten Thema informieren ­möchten, wünschen sich in der Regel Folgendes: Die betreffende Information sollte

  • rasch und kostengünstig verfügbar sein,
  • dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechen,
  • methodisch „sauber“ sein,
  • gegebenenfalls in einer Laien-verständlichen Sprache zur Verfügung stehen.

Da leider kein „Daten-Warenhaus“ existiert, wo man diese Informationen einfach „einkaufen“ kann, bleibt nichts anderes übrig, als sich zu überlegen, wie man auf anderen Wegen an solche Informationen kommt. Günther rät, sich für solche Zwecke seine individuelle Recherchestrategie zusammenzustellen und dabei auch ein wenig Geld in die Hand zu nehmen. „Mit 50 bis 100 Euro pro Jahr kommt man aber schon sehr weit“, so die ­Erfahrung der Expertin.

„Im 19. Jahrhundert war sauberes Wasser die wichtigste Ressource für die Gesundheit, im 21. Jahrhundert ist es sauberes Wissen.“

Sir J. Muir Gray, ehemaliger Chief Knowledge Manager des National Health Service, NHS

Wenn es auch keinen „Supermarkt der medizinischen Informationen“ gibt, so existieren doch glücklicherweise Hilfestellungen in Form von Linklisten, die verlässliche Quellen für Arzneimittel-Informationen bereits vorsondiert und zusammengestellt haben.

Dazu zählen beispielsweise:

Das Deutsche Netzwerk Evidenz­basierte Medizin (DNEbM e. V.)
Mit seiner Pharmaziebibliothek 2.1 (www.pharmaziebibliothek.de), bietet dieses Netzwerk eine umfangreiche Linksammlung zu vielen Fragen rund um Arzneimittel und Pharmakotherapie an. Dazu zählen beispielsweise die Arzneimittelverzeichnisse der Hersteller und Behörden, Informationen zu Lieferengpässen, zu Arzneimittelinteraktionen, zu allen Dokumenten der frühen Nutzenbewertungen nach dem AMNOG sowie auch Arzneimittelin­formationen für Patienten http://www.ebm-netzwerk.de.

Journal-Clubs
Sie haben etwas unterschiedliche Schwerpunkte und können kostenfrei oder kostenpflichtig sein. Bei Letzteren liegen die Abonnenten-Preise ­zwischen 50 und 100 Euro pro Jahr.

Kostenpflichtig sind:

kostenlose Angebote:

  • Journalclub des Horten-Zentrums am Universitätsspital Zürich (http://www.evimed.ch), besonders interessant für Klinikapotheker
  • „Arzneiverordnung in der Praxis“ auf der Webseite der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (www.akdae.de)
  • das Angebot des Cochrane-Zentrums Österreich: http://www.medizin-transparent.at/ mit Themen aus der „Yellow Press“

Die Cochrane Library 
Eine Datenbank mit Gesundheitsinformationen, die frei sind von kommerzieller Förderung oder anderen ­Interessenkonflikten (z. B. mit der Pharmaindustrie) und vierteljährlich aktualisiert wird. Spezialgebiete sind neben der Medizin auch Gesundheitspolitik, Forschungsmethoden oder Verbraucherschutz. Die Ergebnisse der Arbeit von Cochrane gelten international als Goldstandard für hohe Qualität und vertrauenswürdige Information. Einige Fachgesellschaften wie z. B. die DEGAM ermöglichen über ihren Mitgliedsbeitrag freien Zugang. www.cochranelibrary.com

UpToDate 
Nach eigenen Angaben ist UpToDate gleichzeitig Volltextdatenbank, Wörterbuch, Enzyklopädie und Nachschlagewerk für medizinische Informationen. Die Inhalte sind auf Englisch, die Suche kann aber auch auf Deutsch erfolgen. UpToDate enthält außerdem Abbildungen, Röntgen- bzw. CT-Bilder, Berechnungsfunktionen sowie Patienteninformationen. Für Einzelnutzer ist das Angebot kostenintensiv, es steht jedoch auf einigen Universitäts-Servern zur Verfügung www.uptodate.com

Nationale VersorgungsLeitlinien
Bei den Nationalen VersorgungsLeit­linien (NVL) handelt es sich um evidenzbasierte ärztliche Entscheidungshilfen für die strukturierte medizinische Versorgung (z. B. Disease Management Programme, Integrierte Versorgung). Zu jeder NVL gibt es eine Kurzfassung, eine Patientenleit­linie, einen Leitlinienreport und ­Praxishilfen. Getragen wird das Programm von der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zur Qualitätsförderung in der Medizin. http://www.leitlinien.de/nvl/|

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

Quellen

[1] Holleman F et al. Productivity of authors in the field of diabetes: bibliographic analysis of trial publications. BMJ (. 2015 Jul 1;351:h2638. doi: 10.1136/bmj.h2638.

[2] Kerschner et al. How evidence-based are print- and online mass media in Austria? A quantitative analysis. doi:10.1016/j.zefq.2015.05.014

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