Arzneimittel und Therapie

Eine Frage des Alters – oder auch nicht

Chronische Niereninsuffizienz: Diskussion um eine altersadaptierte Klassifikation

Die Klassifikation chronischer Nierenerkrankungen beruht auf den Vorgaben der KDIGO (= Kidney Disease: Improving Global Outcomes). Diese 2002 entwickelte und 2012 aktualisierte Einteilung basiert auf der glomerulären Filtrationsrate und der Albuminurie. Das Alter des ­Betroffenen wird nicht berücksichtigt. Da chronische Nierenerkrankungen vor allem bei älteren ­Patienten auftreten, wird derzeit diskutiert, ob das Alter in die Klassifikation einfließen soll. In der letzten Mai-Ausgabe des Journals of American Medical Association werden zwei unterschiedliche Standpunkte dargelegt.

Pro

Eine altersadaptierte Klassifikation der chronischen Niereninsuffizienz könnte eine Überdiagnose bei älteren Menschen – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen – verhindern. Diese Schlussfolgerung eines Befürworters der altersgemäßen Einteilung beruht auf folgenden Aussagen:

  • Ohne Berücksichtigung der physiologischen, altersbedingten Abnahme der Nierenleistung kommt es bei älteren Menschen zu einer Überdiagnose der Erkrankung.
  • Diese Überdiagnose kann zu einer Medikalisierung führen, das heißt ein physiologischer Prozess wird als Krankheit umgedeutet und medikamentös behandelt.
  • Ob und ab welchem Alter ein Screening der Nierenfunktion sinnvoll ist, geht aus den derzeitigen Empfehlungen nicht hervor.
  • Die Annahme, das allgemeine Mortalitätsrisiko nehme altersunabhängig ab einer eGFR-Rate unter 60 ml/min zu, muss hinterfragt werden. So scheint das Mortalitätsrisiko bei älteren Patienten mit mäßiggradiger Niereninsuffizienz nicht anzusteigen. Das heißt, auch bei der Beurteilung des Mortalitätsrisikos – und daraus folgenden therapeutischen Konsequenzen – scheint das Alter eine Rolle zu spielen.

Kontra

Die Klassifikation sollte sich an den individuellen Risiken des Patienten orientieren und erfordert keine altersabhängige Einteilung. Diese Ansicht wird folgendermaßen untermauert:

  • Eine abnehmende Nierenleistung ist nicht nur physiologisch bedingt, sondern kann auch in der Folge anderer Erkrankungen wie z. B. vaskulärer Erkrankungen auftreten – diese könnten bei einer altersadaptierten Klassifikation möglicherweise nicht erkannt werden.
  • Bei einer altersadaptierten Einteilung steht der individuelle Wunsch des Patienten nicht mehr im Vordergrund. Auch ältere Betroffene, die gemäß einer altersadaptierten Klassifikation als nierengesund gelten, können von einer Therapie profitieren.
  • Eine Klassifikation der Niereninsuffizienz unter Berücksichtigung des Patientenalters erfordert die Einführung zusätzlicher Kategorien und wird unübersichtlich. |

  • Stadium (KDIGO) Albumin-Creatinin-Ratio [mg/g] eGFR[ml/min]
    1 Nierenschädigung mit normaler NierenfunktionA  MikroalbuminurieB  Makroalbuminurie 20/30 – 300> 300 > 90 Creatinin und GFR sind noch normal, eine Proteinurie ist bereits nachweisbar
    2 Nierenschädigung mit NiereninsuffizienzA  leichtgradig > 300 < 9060 – 89 Creatinin steigt, oftmals verbunden mit ansteigendem Blutdruck
    3 B  mäßiggradig 30 – 59 Einsetzen einer renalen Anämie; Einschränkung der Phosphatausscheidung
    4 C  hochgradig 15 – 29 Regulation des Säure-Basen-Haushaltes versagt; vermehrter Abbau von Muskeleiweiß, Zunahme der körperlichen Schwäche
    5 D  terminal (dialysepflichtig) < 15 Dialyse erforderlich

Quelle

Glassock, R et al. An age-calibrated classification of chronic kidney disease. JAMA , published online am 29.5.2015. doi:10.1001/jama.2015.6731

Levey A et al. Chronic kidney disease in older peole. JAMA, published online am 29.5.2015; doi.10.1001/jama.2015.6753

http://nephrologie.uniklinikum-leipzig.de/nephrologie.site,postext,das-nierenversagen,a_id,608.html

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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