Titelthema Zahnschmerzen

„ASS nach kieferchirurgischen Eingriffen ist kontraproduktiv!“

PD Dr. med. Dr. med. dent. Michael Thorwarth, FA für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

DAZ: Der Aspirin®-Hersteller Bayer zitiert in seinem „Aspirin® Newsletter“ eine Studie, in der die Schmerzlinderung durch Aspirin® nach einer Weisheitszahnextraktion beschrieben wird. Ist ASS für diese Indikation überhaupt empfehlenswert?

Thorwarth: Nein. Die aktuell gültige AWMF-S3-Leitlinie zur „Behandlung peri- und postoperativer Schmerzen“ rät bei Eingriffen im Mund-Rachen-Bereich sogar explizit vom Einsatz von Thrombozytenaggregationshemmern ab. Bei Mund-Kiefer-Gesichts-chirurgischen Eingriffen mit mittlerer Schmerzintensität, zu denen auch eine Weisheitszahnextraktion zählt, wird die postoperative Gabe von Medikamenten wie Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac oder Metamizol empfohlen. Das Problem besteht vor allem darin, dass bei chirurgischen Eingriffen im Mundbereich Lokalanästhetika mit vasokontriktiven Zusätzen eingesetzt werden, um Abdiffusion über das gut durchblutete Gewebe zu verhindern und die Wirkdosis des Anästhetikums am Ort des Eingriffs stabil zu halten. Für den Behandler ist direkt nach der OP eine mögliche Blutung aufgrund der anhaltenden Vasokonstriktion daher manchmal nicht abzusehen. Wenn nach einigen Stunden die Wirkung dann aber nachlässt – in der Regel sind die Patienten dann zu Hause – können Blutungen auftreten. In diesem Kontext einen Thrombozytenaggregationshemmer zu verabreichen, ist somit kontraproduktiv. Man kann kaum medikamentös intervenieren und muss oft eine chirurgische Blutstillung vornehmen. Im Extremfall kann sogar die Verabreichung von Thrombozytenpräparaten erforderlich werden.

DAZ: Also sind ASS-haltige Kombinationspräparate wie Dolomo® nach derartigen Eingriffen auch nicht unbedingt das Mittel der Wahl?

Thorwarth: Nein, aus den oben genannten Gründen nicht.

DAZ: Was empfiehlt man dann idealerweise einem Patienten mit Zahnschmerzen in der Apotheke?

Thorwarth: Paracetamol, Diclofenac oder Ibuprofen. Die Zahnschmerzen haben immer eine Ursache. Zum Zeitpunkt zu dem sie auftreten, lässt sich aber keine Aussage treffen, ob später ggf. eine chirurgische Intervention erforderlich wird. Bei einer Kariesbehandlung ist die Thrombozytenaggregationshemmung durch ASS erstmal egal. Muss der Zahn aber doch extrahiert werden, treten die oben genannten Probleme auf.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch.

PD Dr. med. Dr. med. dent. Michael Thorwarth, FA für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Das könnte Sie auch interessieren

Schmerzlinderung bei akuten Zahnschmerzen und nach kieferchirurgischen Eingriffen

Ibu, Diclo oder ASS?

Wann die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung aufgehoben wird

Gecheckt: ASS und NSAR

Ibuprofen senkt das Risiko stärker als Paracetamol oder ASS

Postoperative Delirien durch Schmerz­linderung vermeiden

Wirkstoff-Lexikon

Diclofenac

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.