Aus den Ländern

Daten gewinnen, Wissen nutzen

Sozialmedizinerkongress mit Arzneimittelsplittern

„Daten gewinnen, Wissen nutzen für die Praxis von Prävention und Versorgung“ war das Motto der diesjährigen wissenschaftlichen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und deren Partnern aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und der Medizinischen Soziologie (DGMS) vom 23. bis 25. September 2015 in Regensburg.

Interessanterweise sind es Forschungsmethoden aus der Arzneimittelentwicklung, die als zentrale Diskussionsthemen in der Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung derzeit en vogue sind. So sei das vor rund 250 Jahren erstmals von dem englischen Arzt James Lind durchgeführte Verfahren noch heute maßgebend zur Gewinnung von Wissen, wie die Regensburger Medizinsoziologin Prof. Julika Loss als Tagungspräsidentin in ihren einleitenden Worten darlegte. Lind hatte an Skorbut erkrankte Seeleute unterschiedlich therapiert und so die Eignung von Zitrusfrüchten zur Prävention und Therapie des Skorbuts ermittelt. Solche Methoden der randomisierten Prüfung fanden erst im Laufe der letzten Jahrzehnte Eingang in die Evaluation von Programmen zur Gesundheitsförderung.

Zu viel „Forschungsmüll“

Inzwischen stellt man auch in den ­Bereichen Gesundheitsförderung und Versorgungsforschung mit Erstaunen fest, dass viele Forschungsergebnisse nicht mehr transparent sind und „research waste“ in zunehmendem Maße zu beklagen ist; demnach werden Forschungsergebnisse generiert, die wenig neue Erkenntnisse bringen, aber viele materielle und personelle Ressourcen binden. Deshalb der Appell der Tagungspräsidentin, sich auf das zu konzentrieren, was den Menschen tatsächlich nützt. Mit Verweis auf das Bekenntnis des historisch bedeut­samen Sozialmediziners Rudolph ­Virchow (1821 – 1902) „Vertraut dem Volke und arbeitet für dasselbe (…) – das ist mein Glaubensbekenntnis“ appellierte Loss, die Sicht von Patienten und Betroffenen ernsthaft zu berücksichtigen und eine Datengewinnung zu praktizieren, die für den Alltag der Menschen von Bedeutung ist.

Arzneimittelbezogene Public-Health-Forschung

Dass dies nicht so einfach ist, legte Yvonne Marx vom Institut für Allgemeinmedizin der Uni Magdeburg am Beispiel „Arzneimittelverordnungs­verhalten für multimorbide Patienten“ dar. Die Bereitschaft zur Teilnahme an Untersuchungen ist nicht sehr ausgeprägt und ressourcensparende Online-Befragungen finden nur wenig Akzeptanz.

Apothekerin Veronica Lappe von der PMV-Forschungsgruppe der Uni Köln berichtete über unterschiedliche Verordnungsmuster bei älteren, multimorbiden Patienten mit und ohne Pflegebedarf. Nach ihrer Analyse von Rezeptdaten der Gesetzlichen Krankenversicherung kam sie zu dem Schluss: Versicherte mit Pflegebedarf sind weit häufiger von Multimedikation betroffen als Versicherte ohne Pflegebedarf. Es sei zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit notwendig, im ambulanten wie im stationären Pflegebereich die Multimedikation engmaschig von Ärzten, Pflegekräften und Apothekern zu begleiten.

Petra Plunger von der Alpen-Adria-Universität in Wien und Klagenfurt berichtete über das Projekt „Demenz-freundliche Apotheke“, an dem auch die Österreichische Apothekerkammer beteiligt war. Betroffene und ihre ­Angehörigen wurden in diesen Apotheken dazu befähigt, den Umgang mit Demenz zu erlernen und unterschiedliche Hilfsangebote der jeweiligen Partner zu nutzen.

Dass auch Untersuchungen zu Medizinprodukten als Teil von Public Health begriffen werden können, zeigte der Beitrag zur mikrobiellen Qualität von Verbandstoffen. Christian Tuschak vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit kam aufgrund seiner Ergebnisse zu dem Schluss, dass die Qualität im Großen und Ganzen nicht zu beanstanden gewesen sei. Allerdings riet er allen Herstellern, eine routinemäßige Kontrolle der Keimbelastung im Rahmen der Herstellung durchzuführen, die bisher in vielen Fällen fehle.

Brückenfach Sozialmedizin

Sozialmedizin versteht sich als Brückenfach zwischen naturwissenschaftlicher Fundierung der Medizin und der gesundheitlichen Situation des Einzelnen sowie der gesamten Bevölkerung. Daher werden einzelne Fälle sozialwissenschaftlich und sozialrechtlich bearbeitet, aber es wird auch untersucht, welche gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Determinanten die Gesundheit der Bevölkerung beeinflussen können.

Dieser Kongress ermöglichte einen Austausch unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Weitere ­Informationen unter: www.regensburg2015.de. |

Udo Puteanus, Münster

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