Deutsche Einheit

„Eine Erfolgsgeschichte“

Der Weg zur deutschen Einheit in der Apothekenwelt – ABDA-Präsident Friedemann Schmidt erinnert sich

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Von Peter Ditzel | Die Mauer fällt. Und dann beginnt eines der spannendsten Jahre der deutschen Geschichte: Ein geteiltes Land mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen sucht einen gemeinsamen Weg. Die Apotheker in Ost und West nehmen schon bald nach dem Mauerfall Kontakt miteinander auf. Vorsitzende von Kammern und Verbänden besuchen Apothekerinnen und Apotheker der ehemaligen DDR. Man tauscht sich aus, erläutert sich gegenseitig die unterschiedlichen Strukturen der beiden Apothekensysteme. Und man überlegt, wie ein einheitliches Apothekensystem eines vereinigten Deutschlands aussehen kann. Daraus wird, wie sich ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in unserem Gespräch erinnert, eine Erfolgsgeschichte: „Das Bekenntnis zur Freiberuflichkeit, die Selbstverwaltung mit eigenen Strukturen – das waren richtige Entscheidungen.“ Wir sprachen mit ihm über das Jahr der Einigung, das Zusammenwachsen der Apothekensysteme und seine persönlichen Erinnerungen.

Der entscheidende Zeitpunkt, so erinnert sich Schmidt, ist der 17. Februar 1990, als sich die Thüringer Apotheker mit den bayerischen Kollegen treffen und das „Kulmbacher Papier“ ausarbeiten, eine Art Strategie-Papier. Das Papier bereitet die Satzungen für Kammern und Verbände der neuen Bundesländer vor und erklärt die Absicht, dem Versorgungswerk beizutreten. In diesem Papier drücken die Apotheker von Ost und West erstmals aus, welchen Weg sie gemeinsam gehen könnten. Das Papier wird umgehend vom damals neugegründeten DDR-Apothekerverband beraten und findet sogar Eingang in Formulierungen des Einigungsvertrags.

Schwedisches Modell oder freie inhabergeführte Apotheke

„Ich habe die politischen Veränderungen 1989, aber auch die ersten Versuche der Umorientierung im Berufsstand in meinem Kandidatenjahr als Aspirant am pharmaziegeschichtlichen Lehrstuhl der Uni Halle miterlebt“, erzählt Schmidt. Zuvor hatte er in Greifswald Pharmazie studiert und war dann 1989 nach Leipzig gezogen, wo seine Frau ihr praktisches Jahr in einer staatlichen Apotheke machte.

„Nebenbei arbeitete ich damals als freier Mitarbeiter für die Pharmazeutische Zeitung“, schmunzelt Schmidt, „ich habe einige Beiträge über die Zeitgeschehnisse geschrieben, die dann sogar veröffentlicht wurden.“

Eines dieser Zeitgeschehnisse: Bald nach dem Mauerfall gibt es schon erste Vorläufer von Apothekerzusammenschlüssen, es gründet sich ein DDR-Apothekerverband neu. „Innerhalb der Apothekerschaft im Osten entstand eine ziemlich heftige Debatte über die Frage, wo’s denn lang gehen soll mit dem Apothekenwesen“, so Schmidt. Überlegungen gehen zum Beispiel in Richtung halbstaatliches System, wie es damals etwa in Schweden der Fall ist. „Das Schwedische Modell, bei dem die Apotheken weitgehend in staatlicher Hand sind, wurde uns Studenten immer als vorbildlich für ein west­liches Land dargestellt. Der damalige DDR-Gesundheitsminister Jürgen Kleditzsch, der bis zum 2. Oktober 1990 amtierte, war sogar mit einer Delegation nach Schweden gefahren, um sich das System anzusehen.“ Selbst unter Gesundheitspolitikern der alten Bundesregierung habe es durchaus Sympathien für eine Systemveränderung gegeben. „Sogar im Berufsstand gab es viele Sympathien dafür“, fügt Schmidt hinzu, „vermutlich auch deshalb, weil die Kollegen aus den alten Bundesländern anfangs ihren Einfluss nicht so stark geltend machten.“ Doch bald wird ihnen klar: Wenn wir uns jetzt nicht stärker engagieren, könnte das in die falsche Richtung gehen. Schmidt: „Ich kannte das Apothekenwesen der DDR ganz gut, weil mein Vater in der Verwaltung tätig war als stellvertretender Bezirksapotheker in Leipzig, zuständig für die Qualitätssicherung. Er war eine Art Pharmazierat und hat Apothekenrevisionen im Bezirk Leipzig gemacht. Dadurch hatte ich relativ guten Einblick ins Apothekensystem. Sympathien für ein halbstaatliches System konnte ich daher nie entwickeln. Das halbstaatliche Modell aus Schweden hat mich nie wirklich begeistert.“

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Friedemann Schmidt: „Ein Gefühl, dass wir vom Westen überrollt worden sind, hatte ich nicht.“

Anfang 1990 können die Westapotheker den Kollegen der damaligen DDR dann vermitteln, dass es wohl besser sei, ein System zu übernehmen, das gut funktioniert, als Experimente zu machen. Die Überlegungen und Überzeugungen führen zum erwähnten Kulmbacher Papier. „Eine treibende Kraft für das Kulmbacher Papier müssen damals auch die überaus kollegialen und freundschaftlichen Verbindungen zwischen den bayerischen und Thüringer Apothekerinnen und Apothekern gewesen sein“, so Schmidt, „ein Gefühl, dass wir vom Westen überrollt worden sind, hatte ich nicht.“

„Vieles war Glückssache“

Doch bald beginnen die praktischen Probleme. Wem gehören eigentlich die Apotheken in der DDR? Sind sie kommunales Eigentum, gehören sie der Treuhand-Anstalt? „Nachdem diese Fragen geregelt waren, fanden die ersten Privatisierungen meines Wissens schon im März, April 1990 statt, oft auf einer unsicheren Rechtsgrundlage“, weiß Schmidt. „Einige Bürgermeister und Kreistagsvorsitzende hatten bereits angefangen, Apotheken in ihrem Gebiet selbst zu veräußern. Mehr oder weniger war damals alles eine Art Selbst­organisation. Die Macht lag im Grunde immer noch bei den staatlichen Verwaltungen. Sehr viel hing davon ab, wie die Kreis- und Bezirksapotheker agierten: Sie hatten Ressourcen, sie konnten Räume zur Verfügung stellen und Einladungen verschicken. Kommunikation war ja viel schwieriger als sie heute ist, E-Mail und Internet gab es noch nicht. Vieles war mehr oder weniger Glückssache“, ist Schmidt überzeugt, „auch wer welche Informationen bekommen hat.“ Dazu muss man wissen, dass die Infos damals noch mittels Rundrufsystem weitergegeben werden: „Es war genau festgelegt, welche Apotheke die nächste anzurufen hat.“

Auch die Rolle der früheren Verantwortungsträger war nicht immer gleich. So gab es welche, die sich sehr schnell in den Prozess des Wandels integrierten, andere, die dem sehr skeptisch gegenüberstanden. „In den Versammlungen, daran kann ich mich auch erinnern“, so Schmidt, „gab es durchaus offene Auseinandersetzungen darüber, ob Leute, die im früheren System eine Rolle spielten, eigentlich geeignet sein könnten, auch in der neuen Zeit Verantwortung zu übernehmen – manche traten daraufhin ins zweite Glied zurück. Die Verquickung Einzelner mit dem früheren System war eben sehr unterschiedlich gewesen. Nach meiner Ansicht hat allerdings weitestgehend eine Erneuerung stattgefunden.“

Endlich: die Privatisierung!

„Ich erinnere mich sehr gut an Hubert Reh, den damaligen Verbandsvorsitzenden in Sachsen. Er trat schon bald für die Privatisierung ein und führte Verhandlungen. Er hatte mich dazu animiert, am 1. September 1990 die Apotheke, in der ich tätig war, zu privatisieren. Er war der Meinung, es muss endlich etwas geschehen. Die Verträge waren fertig, die Wertermittlungsverfahren waren geklärt, die Treuhandanstalt hatte eine Verkaufsgruppe gebildet und dann musste einer mal den Anfang machen in der Region Leipzig – und das waren dann ein Kollege und ich, die ihre Apotheken von der Treuhand erwarben“, denkt Schmidt an den Anfang seiner Apotheke zurück. „Es ist die Apotheke, die ich heute noch zusammen mit meiner Frau führe. Ich habe gerade in der Apotheke eine Jubiläumswoche veranstaltet – viele unserer Kunden und Patienten haben uns von Anfang an die Treue gehalten.“ Schmidt hatte damals seine Approbation gerade noch rechtzeitig bekommen, um die Betriebserlaubnis beantragen zu können. „Immerhin hatten alle ein großes Interesse daran, dass die Privatisierung nicht blockiert wird. Es ging letztlich auch um die Kontinuität in der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.“

„Um ehrlich zu sein, ich hatte damals viel Glück“, und er räumt ein: „Ich hatte wenig Ahnung in Sachen Apothekenführung. Meine Eltern waren über viele Jahre mit einem Apotheker in Stetten bei Stuttgart befreundet. Meine erste Westreise Ende 1989 führte mich zu ihm. Ich habe meinen Kittel angezogen und mich zwei, drei Tage in die Apotheke gestellt. Dann hatte ich noch ein weiteres Mal das Glück, dass ein Kollege aus Frankfurt/Main im Frühjahr 1990 nach Leipzig kam und erklärte, er suche Praktikanten, um ihnen das westliche Apothekensystem ganz pragmatisch vorzuführen. Ich war vier Wochen in der Konstabler Apotheke, die im Kaufhaus Hertie ihren Sitz hat – dort habe ich viel gelernt. Das hat mir unheimlich viel in den ersten Monaten geholfen. Es war ein sehr marketingorientierter Kollege, es war faszinierend, was man dort lernen konnte – allerdings habe ich sein Modell später nicht übernommen“, fügt Schmidt hinzu.

Angst vor dem Wettbewerb

Wie Schmidt berichtet, lief die Privatisierung in seinem Leipziger Stadtbezirk anfangs verhältnismäßig langsam an. Erst im November kam eine weitere Apotheke dazu – „für viele ältere Kolleginnen und Kollegen war das schon eine schwierige Phase, ich bewundere sie, zumal viele nicht die Möglichkeit gehabt hatten, westliche Apothekenbetriebe kennenzulernen.“

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Schmidt: „Ich persönlich hatte keine Angst vor der Selbstständigkeit, aber für manche war es eine schwere Entscheidung.“

Kammern und Verbände der alten Bundesländer unterstützten die ersten Verbandsgründungen der neuen Bundesländer. Aber auch die Apobank, die Treuhand Hannover, die Großhandlungen waren sehr aktiv und haben viel praktische Hilfe geleistet. „Ich persönlich hatte keine Angst vor der Selbstständigkeit, aber“, so weiß Schmidt aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, „für manche war es eine schwere Entscheidung. Es gab auch einige, die sich gegen die Selbstständigkeit entschieden haben und die Sonderregelung gewählt haben, Apotheken im Auftrag der Treuhand bis 1995 zu verwalten. Diese Möglichkeit nahmen vor allem ältere Kollegen wahr. Oft betraf es Betriebe, bei denen die Entscheidung, sie nicht zu privatisieren, wohl richtig war.“

Im Lauf der ersten Monate und Jahre nach der Einigung kommen einige Neugründungen in den neuen Bundesländern hinzu. Apothekerinnen und Apotheker aus den alten Bundesländern durften nämlich keine bestehenden Apotheken kaufen, sie durften nur neu gründen. Allerdings war auch dies sehr schwierig, weil es keine geeigneten Immobilien gab: Viele Besitzverhältnisse waren ungeklärt, baulich oft in schlechtem Zustand, insofern waren die ersten Jahre nicht von großem Wettbewerb geprägt. Andererseits hatten viele vor dem langsam aufkommenden Wettbewerb Angst. „In Veranstaltungen vor der Wiedervereinigung hörte man immer wieder: ich traue mich nicht, ich werde untergehen im Wettbewerb. Da hatte niemand so richtige Vorstellungen, wie das laufen könnte.“

Harte Anfangsjahre

Wie erlebte Friedemann Schmidt die Anfangsjahre? „Ich musste echt hart arbeiten. Ich hatte eine Apotheke übernommen, die auf der Schließungsliste stand, die sehr heruntergewirtschaftet, sehr klein und nicht renoviert worden war“, so Schmidt rückblickend, „sie war personell extrem knapp besetzt. Wir hatten eingeschränkte Öffnungszeiten: von 9 bis 11 und 15 bis 17 Uhr, weil das Personal fehlte. Der Vorteil dieser Apotheke für mich: Es war eine Wohnung über der Apotheke.“

Wie schwierig die Anfangsphase war, zeigt seine Schilderung des Apothekenalltags: „Ich musste bis tief in die Nacht arbeiten, Rezepte kontrollieren und nachtaxieren. Wir hatten – das war ich von den Apotheken zur DDR-Zeit gewohnt – immer das Vier-Augen-Prinzip: Eine Kollegin, ein Kollege schaute sich jedes Rezept an und prüfte, ob es richtig abgegeben war. Das habe ich immer abends gemacht.“

In dieser Zeit ließen sich dann sehr rasch viele Ärzte, die bisher in Krankenhäusern arbeiteten, in freien Praxen nieder. Schmidt: „Da wir als Apotheker schon vor Ort waren, konnten wir ein wenig Unterstützung leisten, z. B. beim Einstieg in die Sortimente. Daraus sind zum Teil feste Freundschaften erwachsen, die bis heute bestehen.“

Der Weg in die Berufspolitik

Persönliche Erinnerungen an den ersten gemeinsamen Apothekertag, der vom 4. bis 7. Oktober in Düsseldorf stattfand, hat Schmidt nicht: „Ich war im Sommer 1990 zwar auf einem Apothekertreffen in Berlin, aber nicht auf dem berühmten ersten gesamtdeutschen Apothekertag in Düsseldorf.“ An diesem Apothekertag nahmen nur wenige ostdeutsche Apothekerinnen und Apotheker teil.

Und was war für ihn der zündende Funke, in die Berufspolitik zu gehen? Schmidt: „Ich entwickelte sehr bald Interesse an der Berufspolitik. Wir hatten im Osten anfangs einige Schwierigkeiten, zum Beispiel das Problem des Ostabschlags. Da merkte ich schon bald, wie wichtig eine Berufsvertretung ist. Mein Problem war allerdings: Ich hatte anfangs keine Zeit, ich hatte keinen Approbierten als Vertretung. Ich arbeitete damals mit zwei Pharmazieingenieuren. Meine Frau hatte schon 1991 eine Zweig-Apotheke.“

Sein Einstieg erfolgte dann 1992 über das sächsisch-thüringische Versorgungswerk, wo er Mitglied der Vertreterversammlung und Vorsitzender im Aufsichtsausschuss war, „eine überschaubare Belastung“, erinnert sich Schmidt, „es war mein Einstieg in die Berufspolitik.“

Es folgten die Mitarbeit im Vorstand des Sächsischen Apothekerverbands, die Position als stellvertretender Vorsitzender usw.: „Meine Apotheke wurde erfolgreicher, ich konnte mir mehr Mitarbeiter leisten und so langsam ging es aufwärts.“

Gute wirtschaftliche Entwicklung

„Für die meisten Apotheken war die wirtschaftliche Entwicklung nach der Wende eine Erfolgsgeschichte“, zeigt sich Schmidt überzeugt, „auch für diejenigen, die in den neuen Bundesländern neu gegründet wurden.“ Getrübt wurde der Erfolg anfangs lediglich durch den Ostabschlag und dadurch, dass der Großhandel für die Ostapotheken keinerlei Konditionen gewährte – was er allerdings nicht lange durchhielt. Letztlich war auch das nicht sehr dramatisch, weil die Apotheken eine sehr günstige Kostenstruktur hatten. Allerdings: „Die gute wirtschaftliche Entwicklung, die guten betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der Apotheken, aufgrund derer die Apotheken ihre Schulden sehr schnell tilgen konnten, war zulasten der Mitarbeiter gegangen“, räumt Schmidt ein. „Denn die Vergütung der Osttarife wurde erst später an das Westniveau angepasst.“ Viele Apotheken hatten niedrige Raumkosten. Die Geschäftswerte, die man bei der Übernahme einer bestehenden Apotheke bezahlen musste, waren niedrig, bei kleinen Apotheken war lediglich das Warenlager abzulösen. Selbst wenn ein Apotheker nachinvestieren oder umbauen musste – der Erfolg stellte sich sofort ein. Schmidt: „Es waren arbeitsreiche Jahre, aber es ging jedes Jahr immer besser. Das Beste, was einem als Selbstständigen passieren kann.“

Der erste gesamtdeutsche Apothekertag

Als äußeres Zeichen des ersten gesamtdeutschen Apothekertags, der vom 4. bis 7. Oktober 1990 in Düsseldorf stattfand, prangten die Wappen aller 16 Bundesländer an der Podiumswand, umrahmt von zwei Deutschlandfahnen. Dass sich zwei Wappen, nämlich die von Hamburg und Schleswig-Holstein gegen Ende des Apothekertages lösten und abstürzten, durfte mit Sicherheit nicht symbolisch verstanden werden.

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Die Apotheker aus den neuen Bundesländern durften 1990 nur zuhören, sie hatten noch kein Stimmrecht.

Nur wenige Apothekerinnen und Apotheker aus den neuen Bundesländern hatten damals den Weg nach Düsseldorf gefunden. Sie durften zudem nur ohne Stimmrecht an den berufspolitischen Veranstaltungen teilnehmen.

Inhaltlich ging es auf diesem Apothekertag um gemeinsame Standpunkte für die Apothekerinnen und Apotheker aller 16 Bundesländer. Vier große Diskussionsrunden befassten sich mit der Vereinheitlichung des Apothekenrechts, den Perspektiven einer Gesundheits- und Sozialpolitik vor dem Hintergrund des Gesundheitsreform­gesetzes, mit der Apotheke auf dem Weg zum EG-Binnenmarkt sowie mit Chancen und Risiken einer Arzneimittel-Positivliste. Im Mittelpunkt der Vereinheit­lichung des Apothekenrechts stand der 55-prozentige Preisabschlag auf den Herstellerabgabepreis, der sich anfangs als Haupthindernis für privatisierungswillige Apotheker bei der Umwandlung ihrer staatlichen Apotheke in eine private erwies.

Das Ende der Schlangen …

Äußeres Zeichen für die prosperierenden Ost-Apotheken waren die legendären Kundenschlangen in den Apotheken. Als die Planwirtschaft der DDR noch voll im Gange war, sollte eine Apotheke 7000 Einwohner versorgen, „eine Zielgröße, die allerdings nie erreicht wurde“. Das führte schon damals zu Schlangen, die Bürger in den neuen Bundesländern waren das Anstehen ein Stück weit gewohnt. Doch nach der Wende wuchs die Zahl der Apotheken sehr rasch, die Menschen mussten kaum noch Wartezeiten in Kauf nehmen. Schmidt: „Heute würden die Kunden das lange Warten nicht mehr akzeptieren. Aber davor hatten wir damals auch Angst: Das Anspruchsverhalten der Menschen entwickelte sich sehr schnell weiter. Anfangs konnten wir die Kunden noch mit einer frisch renovierten Apotheke begeistern oder mit dem Angebot eines Botendienstes. Aber es ist wie immer: Es setzt sehr schnell Gewöhnung ein, und anderswo sieht man, dass es noch schöner, noch schneller geht. Das Leistungsniveau musste also kontinuierlich angehoben werden. Heute gibt es keine Unterschiede mehr zwischen Ost- und West-Apotheken, die Schlangen sind Vergangenheit. Das ist auch in Ordnung: Ein Versorgungssystem, in dem es lange Wartezeiten gibt, ist nicht hinnehmbar.“

… und der Mangelverwaltung

Mangelverwaltung – war die Situation früher so schlimm, wie es immer kolportiert wurde? „Ja“, macht Schmidt ohne Umschweife deutlich, „durchaus, vor allem in den letzten Jahren. Nur ein Beispiel: Nifedipin von AWD war knapp. Wir erhielten die Tabletten in Glasröhrchen zu 100 Stück. Wir haben daraus Portionen zu je zehn Tabletten ausgeeinzelt, in Pappschächtelchen gefüllt. Es gab eine Kartei derjenigen Personen, die darauf warteten, sie wurden benachrichtigt, wenn ihr Arzneimittel eingetroffen war, und dann bekamen sie die zugeteilte Menge.“

Es gab auch viel Eigenproduktion in den Apotheken der DDR. Fertigarzneimittel wurden im Defekturmaßstab nachgebildet, vor allem Dermatika, aber auch Tabletten, Tropfen, Säfte. „In manchen Apotheken wurde das massenweise hergestellt als Ersatz für Tabletten, die nicht lieferbar waren“, weiß Schmidt, „also, es war ein echter Mangel, der im Lauf der letzten Jahre vor der Wende immer größer wurde. Mitte der 80er Jahre fehlten dann auch ganze Therapieprinzipien, vor allem im Bereich der Herz-Kreislauf-Therapie, bei Antidiabetika. Die DDR-Industrie konnte nicht mehr mithalten, die Mittel für Importe fehlten, die Kompensationsgeschäfte mit befreundeten Staaten funktionierten nicht mehr.“ Das änderte sich schlagartig, als der Großhandel aus dem Westen nach dem Mauerfall in die Versorgungsdepots einstieg und lieferte: „Das war wirklich schockierend – im positiven Sinne.“

Bereits Ende 1990, Anfang 1991 war in den östlichen Bundesländern im Grunde genommen alles erhältlich. „Die Lieferzyklen waren nicht so schnell wie heute, aber immerhin, wir erhielten täglich Ware“, so Schmidts Erinnerung, „wir haben bestellt, was verlangt wurde, das Warenlager schoss in die Breite.“ Aus heutiger Sicht unvorstellbar: Es konnte damals alles verordnet werden. „Klosterfrau Melissengeist war zeitweise eines der am meistverordneten Mittel in Sachsen. Die Kassen haben ohne zu zucken gezahlt.“ In den Rezeptannahmestellen der Kassen wussten die Mitarbeiter, die die Rezepte noch von Hand addierten, gar nicht, ob das Verschriebene ein Arzneimittel ist oder nicht. Da gab es keine Retaxationen, keine Rechnungskürzungen – aber das währte nicht lange.“

Zur Erinnerung: Der Ostabschlag

Ursprünglich war im Einigungsvertrag vorgesehen, dass westdeutsche Pharmaunternehmen mit einem Preisabschlag von 55 Prozent Arzneimittel in die neuen Bundesländer liefern. Dazu zeigten sich jedoch viele westdeutsche Pharmaunternehmen nicht bereit. Als einige Hersteller von Norbert Blüms „Angebot“ Gebrauch machten, nicht in den Osten zu liefern und auf den ostdeutschen Markt zu verzichten, brach Anfang 1991 in den neuen Bundesländern ein Versorgungschaos aus. Schon drei Tage nach Inkrafttreten der Preisabschlagsregelung kam es zu intensiven Gesprächen zwischen Arbeitsministerium, den Verbänden der Pharmaindustrie, des pharmazeutischen Großhandels und der Apotheker. Man einigte sich auf eine Modifizierung der Preisabschlagsregelung, die sich an dem von den Verbänden ausgearbeiteten Defizit-Kompensationsmodell orientierten. Und schon am 1. April 1991 trat eine Neuregelung in Kraft: Aus dem 55-prozentigen Preisabschlag auf die Herstellerabgabepreise wurde ein Abschlag von 22 Prozent, den die Apotheken in den neuen Bundesländern neben dem Krankenkassenrabatt von 5 Prozent der GKV-Ost zu gewähren haben. Für die Selbstmedikationsarzneimittel galt der Sonderabschlag nicht.

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Über den Ostabschlag diskutierten (v. l.): Bernd Eberwein, Horst Möller, Klaus G. Brauer, Karl Jung, Hans Knoll, Hubert Reh und Heide Schmalstieg.

Leicht erhöhte Sonderabschläge hatten die vorgelagerten Handelsstufen entsprechend der Degression der Arzneimittelpreisverordnung zu gewähren. Der Großhandel musste den Apotheken einen Sonderabschlag von 24 Prozent, die Hersteller dem Großhandel einen Sonderabschlag von 25 Prozent gewähren.

Der Preisabschlag Ost wurde von Bundesgesundheitsminister Seehofer erst Mitte 1993 vorläufig und dann nach einigem Zögern Anfang November 1993 endgültig aufgehoben.

Hand in Hand

Und wie wurden damals die Rezepte abgerechnet? „Apothekenrechenzentren im heutigen Sinn gab es damals noch nicht, aber Rezeptabrechnungsstellen, die von den Pharmazeutischen Zentren betrieben wurden. Dort brachte man seine Rezepte hin. Es gab dann nach und nach eine Auflösung dieser staatlichen Strukturen und parallel dazu etablierten sich die Strukturen der Selbstverwaltung. Soweit ich mich erinnere, hat die VSA die Codierstellen und ihre Mitarbeiter übernommen, ähnlich verlief es auch beim Großhandel. Es verlief alles Hand in Hand, Brüche gab es nicht. Durch den Einigungsvertrag, das hohe Verantwortungsbewusstsein aller und die vielen Helfer aus den alten Bundesländern verlief der Übergang sehr gut. Hierfür bin ich heute noch sehr dankbar“, gibt Schmidt zu verstehen.

Oft hörte man Stimmen, dass interessierte Kreise aus dem Westen nicht uneigennützig gekommen seien: „Natürlich, es hat nicht immer funktioniert“, räumt Schmidt ein, „vereinzelt wurde manches schon als arrogant oder bevormundend empfunden und einige wollten sich wohl auch selbst bereichern – aber das waren Ausnahmen.“

Apothekertag DDR und Interpharm Leipzig

Als Auftakt für ein gesamtdeutsches Apothekenwesen und kurz vor dem ersten gesamtdeutschen Apothekertag veranstaltete der Deutsche Apotheker Verlag am 22. und 23 September 1990 die Interpharm in Leipzig. Eingebettet in diese Interpharm war der erste und zugleich letzte „Apothekertag DDR“, den der Verband der Apotheker der DDR im Leipziger Gewandhaus veranstaltete. Die Stände der über 200 bundesdeutschen Aussteller, die ihre Stände im Messehaus Leipzig über vier Etagen aufgeschlagen hatten, wurden von den DDR-Apothekerinnen und -Apothekern geradezu gestürmt. Fachliche Höhepunkte waren die Vorträge der beiden Pharmakologen Prof. Dr. Dr. Ernst Mutschler und Prof. Dr. H. P. T. Ammon, die zum ersten Mal auf dem Boden der DDR Vorträge hielten.

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Der erste und letzte Apothekertag DDR fand in Leipzigs Gewandhaus statt.

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Ein Grußwort der ABDA überbrachte Präsident Klaus Stürz­becher auf dem Apothekertag DDR mit Interpharm in Leipzig.

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Besprechung unter Ostkollegen (v. l.) Helmut Wittig, ­Jürgen Kögel, Peter Stein, Hubert Reh und Bruno Herold.

Der Tag des Zweifels

Wie Schmidt durchblicken ließ, gab es trotz aller Euphorie über die Einigung und das wirtschaftliche Wachstum der Apotheken Tage, an denen er zweifelte, ob die Richtung stimmt. Eines seiner Erlebnisse aus den Anfangstagen: „Wir sind vom Norden Leipzigs in den Süden der Stadt umgezogen. In dem Stadtteil, in dem unsere Apotheke liegt, kannte man uns nicht. Die Menschen hatten Vorbehalte. Es wurde sogar kolportiert, wir seien aus dem Westen gekommen. Die alteingesessenen Anwohner konnten sich damals nicht vorstellen, dass ein junger Mann, der ich damals war, so eine Apotheke führt. Als ich eines Tages eine Glühbirne in der Apotheke wechselte, kam eine Dame aus dieser Gegend in die renovierte Apotheke, sah mich bei dieser Tätigkeit und sagte zu mir: ‚Ist schön geworden die Apotheke.‘ Und ich: ‚Ja, da haben wir uns große Mühe gegeben.‘ Und sie antwortete: ‚Sie doch nicht, ich meine den Besitzer, der hat das schön gemacht!‘ Da dachte ich, irgendwie bin ich doch noch nicht richtig angekommen“, lacht Schmidt.

„Das einzige Mal, wo ich allerdings wirklich gezweifelt habe, ob meine Entscheidung zu privatisieren richtig sein würde, das war am Tag der Währungsunion. Wir hatten zu DDR-Zeiten immer Tageskassen, die sich im Bereich von 400 bis 500, manchmal sogar bis 800 Ostmark bewegten. Am Tag nach der Währungsunion hatten wir eine Tageskasse von 16,35 D-Mark. Da habe ich echt gedacht: ‚Wenn das so bleibt …‘. Die Leute haben ihr Geld damals festgehalten, haben nichts gekauft. Aber das hat sich zum Glück relativ schnell normalisiert.“ |

Autor

Peter Ditzel ist Herausgeber der DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung

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