Onkologie

Krebs überstanden ...

Womit Langzeitüberlebende nach einer Krebserkrankung kämpfen müssen

Foto: Jürgen Fälchle – Fotolia.com

Von Sven Stegemann | Selbst nach Jahrzehnten intensiver Forschung und zahlreichen innovativen Fortschritten in der Behandlung gehört Krebs auch weiterhin zu den lebensbedrohlichen Erkrankungen. Vorwiegend tritt die Krebserkrankung im siebten Lebensjahrzehnt auf oder in seltenen Fällen auch in der frühen Kindheit. Die Entstehung von Krebs wird heute wesentlich mehr auf molekularer Ebene verstanden und es wurden neue Therapien zusammen mit pharmako-genetischen Markern entwickelt, die eine personalisierte Therapie ermöglichen. Durch die gezielte, personalisierte Krebs­therapie ist es heute möglich, bei manchen Tumoren eine Erfolgsrate von nahezu 100% zu erreichen. Daher gibt es jetzt auch eine neue Patientenpopulation, die Langzeitüberlebenden nach Krebserkrankungen.

Krebs wird heute als eine Gruppe verschiedener, chronischer, maligner Erkrankungen verstanden, die mit einer einzigartig starken Belastung während und nach der Behandlung für den Patienten, dessen Angehörigen und das soziale Umfeld einhergeht [Zebrack 2015]. Mit dem Überstehen der akuten Phase der Krebserkrankung beginnt die Phase der Unsicherheit für den Betroffenen, bezüglich einer Rezidivbildung, Metastasierung, Neubildung sowie den Langzeiteffekten, die sich aus der Therapie ergeben können. In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff „(Langzeit)überlebender“ zu sehen, da unter einem Überlebenden jemand verstanden wird, der etwas Traumatisches, extrem Schwieriges oder Herausforderndes durchlebt hat, sei es nun ein Krieg, eine Katastrophe oder eben eine lebensbedrohliche Erkrankung [Hebdon et al. 2014]. Derartige Situationen setzen sich sowohl aus positiven (z. B. Tumorremission) als auch negativen (z. B. Metastasen) Ereignissen zusammen und schaffen für den Betroffenen zum Teil lebenslang eine ambivalente Gefühlswelt. Mit dem „Überleben“ kehrt der Betroffene also nicht wieder in die Zeit vor seiner Krebserkrankung zurück, sondern bleibt zurück mit physischen, psychischen, sozialen und auch finanziellen Veränderungen, die weiterführender Aufmerksamkeit und Interventionen bedürfen. Insofern wird aus einem „Langzeitüber­lebenden“ nach einer Krebserkrankung, ein „Langzeitüber­lebensfall“, da die Krebserkrankung für den Patienten nicht abgeschlossen ist und einer kontinuierlichen Überwachung und Behandlung bedarf [Kazanjian et al. 2012].

Krebserkrankungen im Erwachsenenalter

In Deutschland stieg die Zahl der Neuerkrankungen zwischen 2000 und 2010 bei Männern und Frauen zwar um 21 bzw. 14% an, korrigiert um die veränderte Altersstruktur blieb die Prävalenz allerdings unverändert. In Zahlen ausgedrückt erkrankten in Deutschland im Jahre 2011 255.318 Männer und 228.259 Frauen an Krebs, wobei die Sterberate von 119.368 bei Männern und 101.564 bei Frauen betrug. Hinsichtlich der altersbedingten Organverteilung der Tumoren ergibt sich ein geschlechtsspezifisches Verteilungsmuster (Abb. 1). Bei den Männern überwiegen Tumoren in der Prostata (26,1%), der Lunge (13,9%) und dem Darm (13,4%) während es bei den Frauen vor allem die Brust (31,3%), der Darm (12,7%) und die Lunge (7,6%) sind.

Abb. 1: Tumorhäufigkeit bezogen auf die Lokalisation der Tumorneuerkrankungen in Deutschland im Jahre 2010 [Robert Koch-Institut 2013]

Nimmt man die Fünf-Jahres-Überlebensrate hinzu ergibt sich daraus heute eine prozentuale Überlebensrate von 61% für Männer und 67% für Frauen [Robert Koch-Institut 2013]. Wie aus Abbildung 2 ersichtlich, ist die durchschnittliche Überlebensrate gemittelt über alle Krebserkrankungen wenig aussagekräftig für den individuellen Patienten, da die Überlebenschancen stark von der Lokalisation des Tumors abhängen. Tumoren der Bauchspeicheldrüse überlebt etwa nur jeder zehnte Patient, während es sich bei Melanomen der Haut genau umgekehrt verhält und nur jeder zehnte Patient innerhalb von fünf Jahren an dem Tumor verstirbt.

Abb. 2: Vergleich der relativen Fünf-Jahres-Überlebensraten von Krebspatienten, nach Lokalisation und Geschlecht, Deutschland 2009 bis 2010 (Periodenanalyse) [Robert Koch-Institut 2013]

Krebserkrankungen im Kindesalter

Eine weitere wichtige Patientenpopulation innerhalb der Krebserkrankungen ist die pädiatrische Onkologie. Im Gegensatz zu den Tumoren im fortgeschrittenen Alter, bei denen es sich vorwiegend um epi- und endodermale Neoplasien (Karzinome) handelt, basieren die Tumoren im Kindesalter größtenteils auf mesodermalen Malignomen. Mit einer Inzidenz von 13,7 pro 100.000 Kindern unter 15 Jahren ergibt sich für Deutschland damit eine Anzahl von etwa 1800 Kindern pro Jahr [Creutzig et al. 2003]. In den vergangenen 50 Jahren ist die Überlebensrate in der pädiatrischen Onkologie von 10 bis 20% auf über 75% gestiegen, so dass im Durchschnitt drei von vier Kindern zu Langzeitüberlebenden nach einer Krebserkrankung werden [Creutzig et al. 2003]. Statistisch gesehen ergibt sich daraus das in der Altersgruppe zwischen 20 bis 39 Jahren 1 in 640 Individuen zur Gruppe der Langzeitüberlebenden nach Krebs gehört [Hogan et al. 2013]. Wie in Tabelle 1 dargestellt, stellen die Leukämien mit ca. 34% den größten Teil der Krebserkrankungen im Kindesalter dar, wobei die Heilungsaussichten bei der akuten lymphatischen Leukämie über 80% betragen, hingegen bei der akuten myeloischen Leukämie lediglich bei unter 50% liegen. Des Weiteren folgen ZNS-Tumoren mit 19%, Lymphome mit 13% und Neuroblastome mit 7% [Kuehni et al. 2012; Creutzig et al. 2003].

Tab. 1:
Prävalenz der Tumorlokalisation im Kindesalter
(nach Creutzig et al. 2003)
Krebslokalisation bei Kindern
prozentualer Anteil
Leukämien
33,8 %
ZNS-Tumoren
20,0 %
Lymphome
12,7 %
Tumoren des sympathischen Nervensystems
8,7 %
Weichteilsarkome
6,4 %
Nierentumoren
6,2 %
Knochentumoren
4,6 %
Keimzelltumoren
3,5 %
andere
4,1 %

Langzeitüberlebende nach Krebserkrankungen

Die Verbesserung der Früherkennung, evidenzbasierte Therapieoptimierungen, die Zunahme der Personalisierung der Therapie und die Einführung neuartiger onkologischer Substanzklassen und Substanzen haben wesentlich zu einer Steigerung der Überlebensraten nach Krebserkrankungen geführt. Zusammen mit der kontinuierlichen Erhöhung der Lebenserwartung, steigt die Zahl Langzeitüberlebender nach Krebserkrankungen kontinuierlich an. Daraus ergibt sich eine geschätzte Zahl von 32,5 Millionen Menschen weltweit, die fünf Jahre und länger mit einer Krebserkrankung leben. Demnach leben ungefähr 13,7 Millionen Langzeitüberlebende nach Krebs in den USA und schätzungsweise 3,4 Millionen Langzeitüberlebende in Deutschland [Hebdon et al. 2014; Robert Koch-Institut 2013]. Bei ca. 80 Millionen Einwohnern in Deutschland entspricht dies zwar nur einem prozentualen Anteil von 4%, allerdings sollte beachtet werden, dass Langzeitüberlebende mit Krebserkrankungen in der Regel älter als 65 Jahre sind. Da drei von vier ehemaligen Krebspatienten zusätzlich an mindestens zwei oder mehr krebsunabhängigen Erkrankungen leiden [Siu et al. 2013], sind Langzeitüberlebende nach Krebs eher der Regelfall als die Ausnahme in der Apothekenpraxis.

Langzeitüberleben nach Krebs als Patienten

Die Krebserkrankung sowie deren Therapie stellen einen erheblichen Eingriff in die Physiologie des Menschen dar. Aufgrund der infiltrierenden und devastierenden Wirkung des Tumors sowie der Behandlung durch chirurgische Eingriffe, Strahlentherapie und Chemotherapie erfolgt die Therapie häufig wenig selektiv bzw. spezifisch und ist auch aufgrund seiner starken „Aggressivität“ mit einer hohen Nebenwirkungsrate behaftet. Die Nebenwirkungen treten dabei während oder unmittelbar nach der Therapie selbst auf, können aber auch erst nach Jahren in Erscheinung treten und sind nicht auf den von der Tumorerkrankung lokalen Bereich eingeschränkt. In Tabelle 2 ist das Spektrum der Nebenwirkungen onkologischer Therapien nach deren medizinischem Formenkreis dargestellt.

Tab. 2:
Nebenwirkungen als Langzeitfolgen
einer überstandenen Krebserkrankung und -therapie
Spätfolgen onkologischer Erkrankungen
psychologische
  • Depression
  • Angstzustände
  • chronische Schmerzen
  • Kognitive Dysfunktionen
  • Ermüdung
  • Schlafstörungen
  • Anpassungsstörungen/Emotionale Labilität
somatische
  • Rezidive
  • Zweittumor
  • somatische Folgeerkrankungen
  • Osteoporose
  • Schrumpfung endokrinen Gewebes (z.B. Keimdrüsen, Schilddrüse)
physische und soziale
  • Selbstmanagement
  • Bewältigung von Alltagsaufgaben
  • Einschränkungen der Beweglichkeit
  • Gangstörungen und Sprachfindungsstörungen
  • Schluckstörungen
  • Kontaktfähigkeit
  • eingeschränkte Erwerbstätigkeit
  • Finanzielle Einschränkungen

Nebenwirkungen des psychologischen Formenkreises

Bereits mit der Krebsdiagnose leiden Patienten unter starker psychologischer Belastung, die auch nach überstandener Krebstherapie bestehen bleibt. Die psychologische Belastung führt bei ungefähr einem Viertel der Patienten zu starken Depressionen mit einem signifikant erhöhten Risiko für eine dadurch bedingte Krankenhauseinweisung. In gleicher Weise treten bei fast einem Drittel der Patienten starke Angstzustände auf [Aaronson et al. 2014]. Sowohl Depressionen als auch Angstzustände treten in gleicher Weise nach Krebserkrankungen bei Kindern als auch bei altersbedingten Krebserkrankungen auf und können über Jahre bestehen bleiben [Prasad et al. 2015]. Die Prävalenz für Depression und Angst bei einer Krebserkrankung hängt auch mit weiteren Faktoren zusammen. So deuten Studien darauf hin, dass Personen die geschieden, getrennt, verwitwet oder ledig sind, Diabetes haben oder physisch eingeschränkt sind, eine höhere Prävalenz für Depression und Angst haben, hingegen Patienten mit einer höheren Bildung und einer physisch aktiven Freizeitgestaltung eher davor geschützt sind [Zhao et al. 2014]. Auch sollte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass bei Patienten mit einem Prostatakarzinom mit niedrigem Risikoprofil und einer „aktiven Beobachtung“ (watchful waiting) als Therapie das Risiko für Depressionen und Angstzustände um den Faktor 2 bzw. 3 höher ist, als in einer gleichaltrigen, gesunden Population [Watts et al. 2015].

Ein weiterer großer Bereich von Langzeitnebenwirkungen betrifft den Einfluss von Strahlen- und Chemotherapie auf neurokognitive Funktionen. Aus Schätzungen geht hervor, dass fast 90% der Langzeitüberlebenden nach Krebs ein Fatigue-Syndrom entwickeln, das sich in einer eingeschränkten Aufmerksamkeit, Erinnerung und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit sowie einer generellen Müdigkeit und schlechten Schlafqualität der Patienten zeigt. Das Fatique-Syndrom kann auch erst Jahre nach der überstandenen Krebstherapie auftreten und die Lebensqualität stark einschränken [Clanton et al. 2011]. Etwa 40% der Langzeitüberlebenden nach Krebs sind von einem Fatigue-Syndrom betroffen und fühlen sich dadurch in ihrer allgemeinen Effizienz als auch in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt [Prasad et al. 2015]. Auch kommt es nach Chemotherapie und Bestrahlung gehäuft zum Auftreten von Taubheits- und Kribbelgefühlen, die für die Patienten sehr belastend sein können [Lewis et al. 2015].

Nicht nur viele Krebserkrankungen gehen mit starken Schmerzen einher, sondern auch die chirurgischen bzw. chemotherapeutischen Interventionen und Strahlenbehandlungen. Während in der akuten Phase fast alle Patienten von Schmerzen betroffen sind, entwickelt sich bei bis zu 40% der Langzeitüberlebenden nach Krebs ein chronisches Schmerzgeschehen [Glare et al. 2014]. Die Prävalenz für chronische Schmerzen hängt dabei von der Art der Krebserkrankung ab. So weisen zum Beispiel Brustkrebs und Kolon-Karzinome eine wesentlich höhere Inzidenz für chronische Schmerzen auf als andere Krebsformen [Glare et al. 2014]. In diesem Zusammenhang sollte allerdings berücksichtigt werden, dass eine Zunahme der Schmerzen bzw. Schmerzintensität bei Langzeitüberlebenden nach Krebs auch auf ein Rezidiv oder eine Zweit-Tumorerkrankung hindeuten kann, die es abzuklären gilt.

Morbidität und Co-Morbidität als Nebenwirkungen

Langzeitüberlebende nach einer Krebserkrankung zeigen ein erhöhtes Risiko an weiteren somatischen Erkrankungen und Co-Morbidität zu erkranken und zu leiden. Eine kürzlich publizierte Studie aus Dänemark zeigte, dass bei ungefähr jedem zehnten Patienten ein Zweit-Tumor auftritt. Allgemein lag die klinisch und sterblichkeitsrelevante Co-Morbidität bei 40%, verglichen mit 16% von gleichaltrigen Patienten ohne Tumorgeschichte [Hovaldt et al. 2015].

Die erhöhte Morbidität und Co-Morbidität von Langzeitüberlebenden nach Krebs ergibt sich häufig aus den therapiespezifischen unerwünschten Nebenwirkungen durch chirurgische, strahlentherapeutische und chemotherapeutische Maßnahmen sowie der Kombinationen aus diesen Therapien. Bei der Behandlung pädiatrischer Tumoren wird bei etwa der Hälfte der Patienten Chemotherapie allein und bei der anderen Hälfte Chemotherapie in Verbindung mit Strahlentherapie angewandt. Bei über 60% der Patienten tritt im Laufe der Zeit eine behandlungsbedingte somatische Erkrankung auf (Tabelle 3), wobei eine Korrelation mit dem Alter der Diagnose, der Bestrahlung des Herzens und dem Vorliegen bereits einer therapiebedingten Co-Morbidität besteht. Besonders betroffen vom Langzeiteinfluss einer onkologischen Behandlung sind die endokrinen Gewebe der Geschlechtsorgane (Hoden, Eierstöcke) und der Schilddrüse [Hogan et al. 2013; Kuehni et al. 2012].

Tab. 3:
Prävalenz für therapiebedingte Folgeerkrankungen bei Langzeitüberlebenden Kindern nach Krebs
[nach Hogan et al. 2013]
therapiebedingte Folgeerkrankung
Prävalenz [%]
Endokrinopathie
73
pulmonare Dysfunktion
33
neurologische Störungen
30
reduzierte Knochendichte
20
Sekundärtumor
17
Dyslipidämie
16
kardiovaskuläre Erkrankungen
11

Physische Leistungsfähigkeit und soziale Folgeerscheinungen

Sowohl die Krebserkrankung selbst als auch die onkologische Therapie stellt einen erheblichen Eingriff in die Physiologie des Betroffenen da, der unmittelbar als auch langfristig zu Beeinträchtigungen der täglichen physikalischen Leistungsfähigkeit führen kann. Die Einschränkung der physikalischen Leistungsfähigkeit betrifft vor allem die Bereiche der Mobilität und Kraft, wie zum Beispiel Aufzustehen, Bücken, Beugen, Knien, über die Kopfhöhe zu greifen, aus dem Bett aufzustehen, längere Strecken zu laufen oder schwere Hausarbeiten zu erledigen. Verglichen mit gleichaltrigen Patienten ohne Krebsgeschichte haben Langzeitüberlebende nach Krebs ein zweifach höheres Risiko an lebensrelevanten physikalischen Leistungseinschränkungen zu leiden [Ness et al. 2006; Hewitt et al. 2003]. Besonders betroffen von physikalischen Leistungseinschränkungen sind dabei Langzeitüberlebende nach Krebs im Kindesalter, wenn sie zwischen 40 und 49 Jahre alt sind [Ness et al. 2006] und Patienten, die eine Behandlung aus verschiedenen Therapiemaßnahmen, wie etwa radikaler Mastektomie in Kombination mit Bestrahlung erhalten haben [Sweeney et al. 2006]. Funktionale Einschränkungen können sich aber auch in anderen neuronalen Störungen äußern, wie etwa Wortfindungsstörungen, Gangstörungen oder Schluckstörungen, die zum Teil erst viele Jahre nach dem Ende der Krebsbehandlung auftreten [Van Ah, Tallman 2015; Snijders et al. 2007; Stegemann et al. 2012].

Aufgrund der psychosozialen Belastung und der Langzeitfolgen der Krebserkrankung und Behandlung wie etwa das Fatigue-Syndrom, chronischer Schmerzen, Depressionen und emotionale Labilität haben Patienten nach Krebserkrankungen oft Probleme im sozialen Umfeld und Schwierigkeiten, am Arbeitsleben teilzunehmen. Daraus können sich dann auch finanzielle Probleme ergeben [Burg et al. 2015]. Gerade aus der Kinderonkologie ist bekannt, dass die Langzeitüberlebenden oft von einer anhaltenden niedrigen Selbstwahrnehmung und einem niedrigen Selbstwertgefühl betroffen sind, die ihre Lebensqualität einschränkt [Hörnquist et al. 2015]. Langzeitüberlebende nach Krebs haben deshalb einen sehr hohen Bedarf an professioneller und glaubwürdiger Unterstützung sowie Information zur Krebserkrankung, den zu erwartenden gesundheitlichen Folgen und einer Langzeitbetreuung und Hilfe [Hörnquist et al. 2015; Burg et al. 2015].

Krebspatienten in der ambulanten Therapie

Neben der steigenden Anzahl der Langzeitüberlebenden nach Krebs entwickelt sich derzeit auch eine weitere onkologische Patientenpopulation: Durch die Einführung innovativer Therapeutika in die moderne Krebstherapie gibt es immer mehr ambulante Patienten, die unter den Nebenwirkungen dieser Therapien leiden. Wie aus Tabelle 4 ersichtlich, wurde in den vergangenen 15 Jahren – und vor allem in den vergangenen fünf Jahren – eine Vielzahl oraler Krebstherapeutika eingeführt. Dadurch verlagert sich die Durchführung der Arzneimitteltherapie bei Tumoren zunehmend vom stationären in den ambulanten Bereich. Die oralen Krebstherapeutika weisen zwar ein besseres Nebenwirkungsprofil auf als die klassischen Chemotherapeutika, haben aber nach wie vor ein sehr hohes Nebenwirkungsprofil, das einer besonderen Aufmerksamkeit und Beratung bedarf. Die Nebenwirkungen, ihre klinische Auswirkung sowie die Häufigkeit ihres Auftretens sind für jeden Wirkstoff und der angewendeten Dosierung spezifisch. Des Weiteren weisen viele der oralen Krebstherapeutika einen erheblichen Food-Effekt auf, der zu deutlich höheren oder niedrigeren Plasmaspiegeln führen kann [Weitschies 2014]. Verglichen mit Arzneimitteln für andere chronische Erkrankungen, wie etwa Bluthochdruck, ist bei oralen Krebstherapeutika mit einer wesentlich größeren Häufigkeit an klinisch und für die Lebensqualität des Patienten relevanten Nebenwirkungen zu rechnen [Brazzelli et al. 2013, Hauschild et al. 2012]. Für Patienten mit einer ambulanten, oralen Krebstherapie ist ein kompetenter und vertrauensvoller Ansprechpartner deshalb sowohl während als auch lange Jahre nach der onkologischen Erkrankung und Therapie dringlich erforderlich.

Tab. 4:
Von der FDA von 1995 bis 2015 zugelassene orale Krebstherapeutika
und deren Darreichungsformen
Arzneistoff
Anwendung
Darreichungsform
2015
Panobinostat
multiples Myelom
Kapsel
Palbociclib
Brustkrebs
Kapsel
Lenvatinib
Schilddrüsenkrebs
Kapsel
Sonidegib
Basalzellkarzinom
Kapsel
2014
Ibrutinib
Leukämie
Kapsel
Olaparib
Leukämie, Lymphom
Kapsel
Ceritinib
Lungenkrebs
Kapsel
2013
Afatinib
Lungenkrebs
Kapsel
Ibrutinib
Lymphom
Kapsel
Trametinib
Melanom
Tablette
Pomalidomid
Myelom
Kapsel
Lenalidomid
Lymphom
Kapsel
Regorafenib
Gastrointestinal-Tumor
Tablette
Dabrafenib
Melanom
Kapsel
2012
Everolimus
Nierenkrebs, Brustkrebs
Tablette
Bosutinib
Leukämie
Tablette
Cabozantinib
Schilddrüsenkrebs
Kapsel
Vismodegib
Basalzellkarzinom
Tablette
Ponatinib
Leukämie
Tablette
Axitinib
Nierenzellkarzinom
Tablette
Regorafenib
Kolonkarzinom
Tablette
Pazopanib
Weichteilsarkom
Tablette
Enzalutamide
Prostatakarzinom
Kapsel
2011
Sunitinib
Pankreaskarzinom
Kapsel
Vandetanib
Schilddrüsenkrebs
Tablette
Crizotinib
Lungenkarzinom
Kapsel
Vemurafenib
Melanom
Tablette
Abiraterone
Prostatakarzinom
Tablette
Everolimus
Pankreastumor
Tablette
2010
2009
Pazopanib
Nierenkarzinom
Tablette
Everolimus
Nierenzellkarzinom
Tablette
2008
2007
Nilotinib
Leukämie
Kapsel
Lapatinib
Brustkrebs
Tablette
2006
Dasatinib
Leukämie
Tablette
Sunitinib
Nieren- und GI-Tumor
Kapsel
2005
Sorafenib
Nierenzellkarzinom
Tablette
2004
Erlotinib
Lungenkrebs
Tablette
2003
Gefitinib
Lungenkarzinom
Tablette
Alfuzosin
Prostatakarzinom
Tablette
2002
Imatinib
Gastrointestinal-Tumor
Kapsel, Tablette
2001
Letrozole
Brustkrebs
Tablette
Imatinib
Leukämie
Kapsel, Tablette
1995 – 2000

Zusammenfassung und Ausblick

Patienten mit ambulanter Krebstherapie und Langzeitüberlebende nach Krebs werden in den kommenden Jahren zu einer wichtigen Patientengruppe in der öffentlichen Apotheke werden. Aufgrund der lebensbedrohlichen Natur der Erkrankung, der Belastung durch die Krankheit und der Therapie benötigen Krebspatienten eine langfristige professionelle und persönliche Unterstützung. Gerade die Apotheker sind prädestiniert, Krebspatienten und Langzeitüberlebende nach Krebs bei der Optimierung der Behandlung und des Therapieerfolges zu unterstützen und damit zur Verbesserung der Lebensqualität des Patienten beizutragen. |

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Autor

Sven Stegemann ist Professor für Patientenzentrierte Medikamentenentwicklung und Produktionstechnologie an der Technischen Universität Graz und Präsident der Geriatric Medicine Society.

Univ.-Prof. Dr. Sven Stegemann, Technische Universität Graz, Institut für Prozess- und Partikeltechnik, Inffeldgasse 13, A-8010 Graz

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