- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 49/2015
- Hauptsache billig
Meinung
Hauptsache billig
Anmerkungen zur Entscheidung des Bundessozialgerichts zum Apothekenwahlrecht
Krankenkassenbeiträge sparen anstatt mitbestimmen zu können, wer bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung die Arzneimittelversorgung leistet – so also gewichtet das Bundessozialgericht die Interessen der Versichertengemeinschaft. Auf Grundlage des im SGB 5 verankerten Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB 5) ist eine Krankenkasse nach Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG) berechtigt, Apotheken von der Erbringung von Sachleistungen auszuschließen: Trifft sie mit einer einzelnen Apotheke eine Vereinbarung nach § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB 5 über die Sicherstellung der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten, so darf dieser Vertrag auch die exklusive Versorgung der Patienten mit Zytostatikazubereitungen vorsehen. Andere Apotheken sind dann nicht mehr zur Versorgung der Versicherten mit solchen Zubereitungen berechtigt. Versorgen sie dennoch, muss die Kasse für diese Zubereitungen keine Zahlung leisten.
Freie Apothekenwahl ja ...
Da die Krankenkassen Abschläge auf die ansonsten geltenden Preise nur realisieren könnten, wenn sie im Gegenzug die Abnahme bestimmter Mengen zusagen könnten, gehöre eine zumindest prinzipielle Exklusivität der Lieferbeziehungen zu den essenziellen Punkten eines entsprechenden Vertrages. Dass Wirtschaftlichkeitsreserven auch dadurch aktiviert werden können, Vertragsärzte davon zu überzeugen, dass eine Vertragsapotheke nach § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB 5 ihre Patienten nicht nur billig, sondern auch gut mit anwendungsfertigen Zytostatikazubereitungen versorgt, weil sie sowohl deren Qualität und zeitgerechte Herstellung als auch die erforderliche Information und Beratung der Ärzte und der Patienten gewährleistet, bleibt unerwähnt.
Und der Patient? Dieser hatte in den Fällen, die der Entscheidung des Bundessozialgerichts zugrunde lagen, schriftlich erklärt, dass er die für die Behandlung in der Arztpraxis benötigten Zubereitungen aus einer anderen Apotheke wünscht. Immerhin hat der Patient nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 SGB 5 Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln und darf unter den Apotheken, für die der Rahmenvertrag Geltung hat, frei wählen.
BSG bestätigt Zyto-Retaxationen
wes | Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 25. November entschieden, dass die AOK Hessen einen Apotheker retaxieren durfte, der Patienten mit Zytostatika versorgte, obwohl er keinen Selektivvertrag mit der Kasse besaß.
In Hessen hatte die AOK die Versorgung mit patientenindividuellen Zytostatika-Zubereitungen ausgeschrieben, zwölf Apotheken erhielten den Zuschlag und übernahmen die Versorgung exklusiv. Obwohl sie nicht unter diesen Vertragspartnern war, versorgte eine Apotheke weiterhin die Krebspatienten einer im selben Haus gelegenen Arztpraxis. Die Patienten hatten zuvor gegenüber dem behandelnden Arzt schriftlich erklärt, von dieser Apotheke versorgt werden zu wollen. Daraufhin retaxierte die AOK Hessen eine Abrechnung in Höhe von rund 70.000 Euro – der betroffene Apothekeninhaber klagte dagegen und bekam in erster Instanz recht. Die AOK Hessen beantragte eine Sprungrevision direkt zum höchsten deutschen Sozialgericht, das ihr nun recht gab.
Während der Vorsitzende des Verbands der Zytostatika-herstellenden Apotheker (VZA), Dr. Klaus Pesterseim, von einem „rabenschwarzen Tag“ für Krebspatienten sprach, hält die AOK das Urteil für „richtig und schlüssig begründet“. Es sei nun höchstrichterlich entschieden, dass Krankenkassen Verträge zur Zyto-Versorgung ausschreiben dürfen und das Apotheken, die keine Vertragspartner sind, diese Regelung nicht aushebeln könnten.
Die AOK kündigte an, solche Apotheken zukünftig zu retaxieren. Gleichzeitig versprach sie, das Urteil „mit Augenmaß“ anzuwenden.
... aber nicht bei Zytostatikazubereitungen?
Das Bundessozialgericht wertet dies anders: Im Falle der Belieferung mit Zytostatikazubereitungen soll das Apothekenwahlrecht grundsätzlich nicht gelten. Nicht, dass das Bundessozialgericht beanstandet hätte, dass alle Patienten ihre „Erklärung zur Ausübung des Apothekenwahlrechts“ formularmäßig auf einem Briefbogen der Arztpraxis abgegeben hatten. Nein, das Bundessozialgericht sieht das Wahlrecht des Patienten vielmehr bereits grundsätzlich als nicht gegeben an: Bei Lieferungen direkt von der Apotheke in die ärztliche Praxis hätten die Patienten nämlich gar kein rechtlich geschütztes Interesse an der Wahl einer bestimmten Apotheke. Dies folge aus § 11 Abs. 2 Apothekengesetz (ApoG), der für die Belieferung der Arztpraxen eine Absprache voraussetze, auf die der Patient aber gar keinen Einfluss habe.
Und das Abspracheverbot?
Diese Argumentation verwundert: § 11 Abs. 2 ApoG regelt einen Ausnahmefall von dem grundsätzlich gemäß § 11 Abs. 1 geltenden Verbot für Apotheke und Arzt, Absprachen u. a. über die Zuführung von Verschreibungen zu treffen. Dieses grundsätzliche Abspracheverbot ist Ausdruck der traditionellen, seit Jahrhunderten praktizierten strengen Trennung der Heilberufe des Arztes und des Apothekers. Es soll sicherstellen, dass sich einerseits der Arzt bei der Auswahl der von ihm verordneten Produkte ausschließlich von fachlich-medizinischen Gesichtspunkten und seinem Gewissen leiten lässt. Und andererseits soll der Apotheker die ihm vom Gesetz an der Schnittstelle zwischen Arzneimittel herstellenden Unternehmen, Ärzten und Patienten zugeordneten Kontrollfunktionen bei der Belieferung von Verschreibungen sachgerecht und eigenverantwortlich wahrnehmen. Das Verbot des § 11 Abs. 1 ApoG steht daher nicht zur Patientendisposition: Selbst wenn der Patient eine Absprache zwischen Arzt und Apotheker über die Zuweisung der für ihn bestimmten Verschreibungen wollte, würde dies das Abspracheverbot nicht außer Kraft setzen. Lediglich bei anwendungsfertigen Zytostatikazubereitungen macht das Gesetz von dem Abspracheverbot eine Ausnahme. Hintergrund hierfür ist, dass nur einzelne Apotheken in der Lage sind, Verschreibungen von Zytostatikazubereitungen ordnungsgemäß auszuführen und dass diese Zubereitungen aus Sicherheitsgründen grundsätzlich nicht den Patienten ausgehändigt werden sollen. Ist aber das Wahlrecht des Patienten ohne Einfluss auf das Verbot des § 11 Absatz 1 ApoG, befremdet die Annahme des 3. Senats des BSG, § 11 Absatz 2 ApoG begründe nicht nur eine Ausnahme vom (berufsrechtlichen) Abspracheverbot, sondern beschränke zugleich die Patienten in ihrem (Grund-)Recht auf freie Wahl der sie mit Arzneimitteln versorgenden Apotheke. Dies ist bedenklich: Dass der Patient nicht mitentscheiden darf, wer ihn mit den benötigten Zytostatikazubereitungen versorgen soll, lässt sich dem § 11 ApoG nicht entnehmen. Schließlich kann der Patient sein Wahlrecht auch dadurch ausüben, dass er im Vertrauen auf die Qualifikation und das Berufsethos seines Arztes diesem die Auswahlentscheidung überlässt und sich damit einverstanden erklärt, dass die für seine Behandlung benötigten Arzneimittel bei der vom Arzt benannten Apotheke besorgt werden. Auch im SGB 5, das in anderen Fällen, in denen eine Einschränkung des Apothekenwahlrechts ausnahmsweise stattfinden soll, dies besonders regelt (wie z. B. bei der Lieferung von Hilfsmitteln oder in der integrierten Versorgung), findet sich keine entsprechende Regelung. § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB 5 regelt nur allgemein, dass die Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten von der Krankenkasse durch Verträge mit Apotheken sichergestellt werden kann und Abschläge auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers und die Preise und Preisspannen der Apotheken vereinbart werden dürfen. Dennoch – so führte der Vorsitzende des 3. Senats in seiner mündlichen Urteilsbegründung aus – benötige der Patient ein besonderes Interesse, um ausnahmsweise einen anderen Leistungserbringer als den von der Krankenkasse bestimmten wählen zu dürfen. Wenn der Arzt eine andere Apotheke als die Vertragsapotheke wählen wolle, benötige er hierfür zwingende (medizinische) Gründe, die eine abweichende Wahl unerlässlich erscheinen ließen.
Kein besonderes Patienteninteresse?
Kein Wort dazu, dass sich der Arzneimittelversorgungsauftrag einer Apotheke nicht darin erschöpft, Zubereitungen zu liefern, dass der Apotheker u. a. gemäß § 20 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) zur Information und Beratung nicht nur der Ärzte, sondern vor allem auch der Patienten verpflichtet ist. Die Erfüllung dieser Pflicht aber setzt ein besonderes Vertrauensverhältnis voraus. Der Patient muss seinen Apotheker daher akzeptieren. Hierin liegt eine zentrale Rechtfertigung der Apothekenwahlfreiheit. Ausgerechnet bei gravierenden, lebensbedrohlichen Krebserkrankungen soll dies nicht mehr gelten? Und lassen sich fortan Sachleistungspflichten der Kassen nach Belieben unter Berufung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot beschränken? Der Senat stützt sich im Rahmen seiner mündlichen Begründung mehrmals auf das in § 12 SGB 5 verankerte Gebot und nimmt wiederholt Bezug auf eine am 8. September ergangene Entscheidung des ersten Senats des Bundessozialgerichts (B 1 KR 27/14 R). Dort ging es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Versicherter die Ersetzung zusätzlicher Kosten von seiner Kasse verlangen kann, die dadurch entstanden sind, dass er nicht den nächstgelegenen Arzt, sondern einen anderen gewählt hat. Der 3. Senat verweist darauf, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot auch in jenem Fall gebiete, dass für die entstandenen Mehrkosten (Fahrtkosten) ein zwingender Grund vorliege. Allerdings sieht das Gesetz die Beschränkung der Leistungspflicht aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes – anders als in dem nun vom 3. Senat entschiedenen Fall – ausdrücklich vor: Der in § 76 SGB 5 geregelte Grundsatz der freien Arztwahl wird nämlich durch § 76 Abs. 2 SGB 5 dahingehend konkretisiert, dass, wenn „ohne zwingenden Grund“ ein anderer als einer der nächsterreichbaren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Einrichtungen oder medizinischen Versorgungszentren in Anspruch genommen wird, der Versicherte die Mehrkosten zu tragen hat. Die Regelung der freien Wahl unter zugelassenen Leistungserbringern (§ 76 Abs. 1 SGB V) erhält so durch die Übertragung des Risikos auf die Versicherten, hieraus erwachsende Mehrkosten selber zu tragen, das erforderliche Korrektiv, um die Gesamtregelung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu harmonisieren (so BSG, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 27/14 R –, SozR 4, Rn. 15).
Sicherstellungs- oder Sparinstrument?
Eine vergleichbare ausdrückliche Regelung fehlt aber in § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB 5. Eine Auslegung dieser Norm dahingehend, dass sie trotz Fehlens ausdrücklicher Regelung eine – sogar noch weitergehende, zum Ausschluss anderer Leistungserbringer (ohne Mehrkostenregelung) führende –Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebotes in Gestalt eines Exklusivvorbehaltes zugunsten der vertragsschließenden Apotheke beinhalte, kann daher nicht überzeugen. Die Bestimmung regelt wörtlich allein die Sicherstellung der Versorgung durch Verträge, nicht aber, dass andere Leistungserbringer als die vertragsschließende Apotheke von der Versorgung der Versicherten mit den parenteralen Zubereitungen ausgeschlossen sind. Im übrigen berücksichtigt eine solche Auslegung nicht, dass nicht nur das Wirtschaftlichkeitsgebot, sondern auch das Gebot der Pluralität der Leistungserbringer (§ 2 Abs. 3 SGB 5) einen allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts darstellt.
Unklar bleibt auch, wie der abweichend mit der Versorgung beauftragte Apotheker davon erfahren soll, dass der Patient/Arzt zwingende Gründe für die Wahl einer anderen Apotheke als der von der Kasse bestimmten (Kassen-Apotheke) hat. Der Apotheker hat keinen Einblick in die zwischen Arzt und Patienten geführten Gespräche und muss die Hintergründe seiner Beauftragung nicht kennen. Ist der Patient nun gezwungen, seine Meinung auch gegenüber dem Apotheker offen zu legen? Oder benötigt er gar eine besondere Genehmigung der Kasse? Hierzu liefern die bislang allein bekannten mündlichen Urteilsgründe keine Antworten. Die Apotheke aber bleibt in der Zwickmühle: Versorgt sie den Versicherten mit der parenteralen Zytostatikazubereitung, so riskiert sie, keine Vergütung zu erhalten. Versorgt sie ihn nicht, riskiert sie wegen der grundsätzlich nach § 17 Abs. 4 ApBetrO bestehenden Pflicht, Verschreibungen in einer der Verschreibung angemessenen Zeit auszuführen, einen berufsrechtlichen Verstoß (und unter Umständen auch die Erfüllung eines haftungsbegründenden Tatbestandes). Eindeutige Regelungen, die einen solchen Konflikt zuverlässig ausschließen, gibt es leider nicht. Darin liegt das Dilemma.
Berechtigte Patientenwünsche berücksichtigen!
Und schließlich ist unklar, wie mit den Fällen umzugehen ist, in denen der Patient in der Onkologie auf Aushändigung des Rezepts besteht, um es in der Apotheke seiner Wahl einzulösen. Der Vorsitzende des 3. Senats stellte die Frage in den Raum, ob man den Arzt überhaupt dazu zwingen könne, mit einer anderen Apotheke zusammenzuarbeiten als derjenigen, mit welcher er Absprachen nach § 11 Abs. 2 ApoG getroffen hat. Zumindest kassenrechtlich hat der Senat die Frage nunmehr beantwortet: Die Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem „Kassen-Apotheker“ wurde ausdrücklich bejaht. Dabei erscheint ein Blick auf die berechtigten (nicht jedoch medizinisch zwingenden) Wünsche des Patienten und sein (Grund-)Recht auf freie Wahl des ihn mit ärztlicher Behandlung oder mit Arzneimitteln versorgenden Heilberuflers sachgerechter. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundessozialgericht alsbald klarstellt, dass das Recht gesetzlich Versicherter, genauso wie privat Versicherte selbstbestimmt die Apotheke aussuchen zu können, die sie im Falle einer Krebserkrankung mit applikationsfertigen Zytostatikazubereitungen versorgt, von der Befugnis der Kassen, Verträge zur Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven abzuschließen, nicht tangiert wird. |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.