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Porträt
Der Dosensammler
Warum Apotheker Matthias Stoeck alte Blechdosen sammelt
Wenn ein Dosensammler über 10.000 alte Blechdosen in seinem Haus untergebracht hat, könnte man vermuten, dass man schon am Eingang über Dosen steigen muss. Doch als mich Apotheker Matthias Stoeck an der Tür seines schmucken Häuschens empfängt und durch den Flur ins Esszimmer bittet, deutet nichts auf seine Sammelleidenschaft hin. Erst als er mich in den Keller führt, fast geheimnisvoll eine Tür öffnet, offenbart sich ein kleines Museum, eine Wunderwelt: ein großer, gepflegter Raum im Souterrain mit Regalen an allen Wänden, dicht vollgestellt mit Dosen in allen Größen, Formen und Farben. Auch auf dem Boden türmen sich große bunte Blechdosen zu kleinen Dosengebirgen auf – ein faszinierendes Bild, wie aus einer anderen Welt. Die Sammlung setzt sich fort im Dachstudio des Hauses, wo er übersichtlich geordnet mehrere Regale aufgebaut hat, die übersichtlich mit flachen, beschrifteten Kartons bestückt sind: Hier bewahrt er die kleinen Blechdosen und Pappschachteln auf.
Die schwarz-gelbe Hipp-Dose
Wie er zu seiner Sammelleidenschaft kam? Seine Begeisterung für alte Dosen und Schachteln war schnell geweckt, wie er mir verrät: „Ich bin in den 70er Jahren über den Flohmarkt gelaufen, habe eine schwarz-gelbe Hipp-Dose für Kinderzwieback gesehen mit einem etwas zweifelhaften Spruch drauf, nämlich ‚Gebt Euren Kindern Kalk zu essen’ oder so ähnlich, und ich dachte, hoffentlich ist der gelöscht. Die Dose hat mir gefallen. Ich hab sie erstanden und in der Küche zu Hause aufs Sideboard gestellt. Beim nächsten Flohmarkt habe ich dann noch eine Dose gekauft – und da hatte es mich gepackt, mein Interesse war geweckt. Bis heute habe ich meinen Spaß daran.“
Kleine Dosenkunde
Stoecks Dosensammlung umfasst die Zeit von 1870 bis 1930, als die Produktion von Dosen eine Blütezeit hatte. „In den späten 30er-Jahren kam dann die braune Soße, die sich über alles ergoß, das ist für einen Sammler nicht mehr interessant. Aber vor 1900 gab es eine interessante Entwicklung“, weiß Stoeck zu berichten, „die für dieses Sujet sehr fruchtbar war: Der Werkstoff Weißblech, der sich gut bearbeiten lässt, hatte seinen Weg in die industrielle Produktion gefunden. Während man früher nur ein bedrucktes Papier um die Dose kleben konnte, hatte man gelernt, auf Weißblech zu drucken. Parallel dazu gab es eine explodierende Markenvielfalt, weg vom Tante-Emma-Laden, der alles offen verkaufte, hin zu abgepackten Waren in Dosen und Schachteln.“ Auch mit kunsthistorischem Blick ist die Dosensammlung interessant: „Man kann an diesen Dosen den schnellen Wechsel der Stilepochen wie Historismus, Jugendstil, Art-Déco, Bauhaus ablesen“, erklärt mir der Apotheker. „In dieser Zeit entsteht auch das Berufsbild des Gebrauchsgrafikers, das man so vorher nicht kannte. Das lässt sich sehr schön anhand solcher Sammlungen, wie ich sie aufgebaut habe, zeigen.“
Ob er besondere Themen bevorzugt, möchte ich von ihm wissen. Spielen beispielsweise alte Arzneiverpackungen eine Rolle in der Sammlung? „Nicht unbedingt“, so Stoeck, „Pharmaverpackungen habe ich jeden Tag. Alte pharmazeutische Verpackungen sind zwar lustig, aber sie sind in meiner Sammlung nur in kleinem Umfang vorhanden.“ Stoeck beschreibt sich eher als Allround-Sammler, der quer durch alle Gebiete sammelt und seinen Spaß daran hat, Neues zu finden.
Die Themen in der Stoeckschen Sammlung haben sich durch die Waren ergeben, die damals in Dosen verpackt wurden, in erster Linie also alles, was aromatisch war und wo man das Aroma schützen wollte: Kaffee, Tee, Kakao, Tabak, Süßwaren. In Dosen verpackt wurden aber auch technische Produkte wie Grammophon-Nadeln, Fahrrad-Flickzeug und vieles mehr.
Die meisten seiner Exponate kommen aus Deutschland, ganz klar, aber auch aus Frankreich: „Die Franzosen haben sehr schöne Art-Déco-Verpackungen hergestellt, z. B. Pralinenschachteln. Die französischen Jugendstil-Verpackungen sind oft viel typischer als die aus Deutschland.“
Das außergewöhnliche Stück
Gibt es für ihn ein Hauptauswahlkriterium? Wann ist eine Dose würdig, in die Sammlung aufgenommen zu werden? Stoeck überlegt kurz: „Es ist wohl eher das Typische für eine Zeit, für einen Kunststil, für einen Entwerfer, das mein Interesse weckt. Es sollte außergewöhnlich sein, nicht durchschnittlich. Eine Reklamedose, die eine schöne Schrift hat und für ihre Zeit typisch daherkommt, findet auf alle Fälle mein Interesse. Natürlich gibt es auch Superstücke, die ein bekannter Grafiker entworfen hat. Auch die alten Bahlsen-Dosen sind ein großer Klassiker, die haben bei mir ein eigenes Regal bekommen“, schwärmt Stoeck, „daneben gibt es bei mir gleichermaßen die Freude an sensationellen Teilen wie auch an der kleinen Ergänzung. Sammeln ist die Freude daran, dass man zu den drei Dosen, die man schon hat, eine vierte findet“, beschreibt der Apotheker seine Leidenschaft, „also das Ergänzen und das Finden von Informationen zu Dingen, die verschüttet sind.“
Die Sammlerszene
Stoeck sammelt bereits seit über 30 Jahren. „Am Anfang war das eine opulente Zeit“, erinnert sich der Apotheker, „von jedem Flohmarkt-Besuch brachte ich mehrere Tüten voll mit Sammelstücken nach Hause. Die Auswahl war groß, es gab wenig Konkurrenz, die Stücke waren relativ preisgünstig. Das hat sich aber ziemlich schnell verändert.“ Als er Mitte der 80er Jahre eine große Ausstellung in Ludwigshafen unter dem Titel „1000 und eine Dose“ organisierte, konnte er etwa 1500 Dosen präsentieren: „Das erweckte Aufmerksamkeit und plötzlich hatte ich hier aus dieser Gegend die Konkurrenz auf den Fersen, weitere Sammler waren infiziert. Das lässt sich nicht vermeiden, wenn man ausstellt.“ Heute stellt er nicht mehr aus und sammelt zu seinem eigenen Vergnügen.
Mittlerweile gibt es eine eigene Dosensammlerszene. „Auf Reklamebörsen präsentiert der Fachhandel, der vorher die Flohmärkte und Auktionen abgegrast hat, den hungrigen Sammlern seine Fundstücke und gibt sie zu Höchstpreisen ab“, erläutert mir Stoeck die Szene. „Daneben gibt es Reklame-Auktionen, wo dann auch Email-Schilder, Plakate oder Werbefiguren gehandelt werden, und da gehört die Verpackung dazu. Die Dosenleute haben auch ein paar Schilder an der Wand hängen und die Schildersammler haben ein paar Dosen herumstehen, das ist bei mir auch so.“
Wie groß ist die Sammlerszene? „Schwer einzuschätzen, große Sammlungen gibt es höchstens eine Handvoll“, so Stoeck, „daneben gibt es jede Menge mittelgroßer Sammlungen. Und von den kleinen Sammlungen gibt es bestimmt hunderte.“ Stoecks Sammlung fällt unter die fünf größten: „Ich habe früh begonnen und konsequent gesammelt, da ist schon einiges zusammengekommen. Man braucht Zeit, seine Sammlung zu ordnen, zu verwalten.“
Der Mann als Jäger und Sammler
Was ihm in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist: „Sammler brauchen kluge Frauen“, lacht der Apotheker, „und natürlich auch umgekehrt, wobei sich in dieser Szene überwiegend Männer finden. Vielleicht hat das mit den genetischen Anlagen zu tun: der Mann als Jäger und Sammler. Und die Frauen müssen das aushalten“, fügt er schmunzelnd hinzu. An dieser Stelle lobt er ausdrücklich seine Frau und seine beiden Töchter: „Sie machen sich zwar schon mal lustig über mich, aber haben schlussendlich viel Verständnis für mein Hobby.“ Möglicherweise funktioniert das im Hause Stoeck so gut, weil Vater Stoeck einen Deal mit seiner Familie vereinbarte: „Wenn ich neue Dosen erworben habe, dann wird ihnen eine gewisse Verweildauer vorne in der Diele zugestanden, ich darf sie dort auspacken und aufstellen und kann mich daran freuen. Dann werden sie noch in der Küche geputzt und schlussendlich wandern sie in die Sammlung. Die großen Dosen kommen in den dafür vorgesehenen Kellerraum, die kleinen Dosen in Kisten. Es sollte nicht so sein, dass die Familie sich der Sammlung unterwerfen muss.“ Und einsichtig fügt er hinzu: „Es gibt noch ein Leben außerhalb der Sammlung.“ Es geht nur so: „Man braucht eine klare räumliche Trennung, einen oder mehrere Räume, die dem Sammler gehören, und: Die Wohnräume und die Kinderzimmer sind dosenfreie Zonen.“
Der Dosenkult
In Stoecks Sammlung finden sich überwiegend Dosen: „Da sind einige dabei, die sind richtig alt“, freut sich der Apotheker. „Die meisten sind aus Blech, aber es gibt auch einige aus Pappe und Papier, wobei die seltener zu finden sind, da diese Materialien im Lauf der Zeit stärker gelitten haben. Es gibt sogar eigene Putzmittel, mit denen man alte Dosen pflegen und aufpolieren kann. Es kommt schon einem Ritual gleich, wenn man eine Dose aus der Vergangenheit wieder zurückholt, das heißt, wenn man die erworbene Dose von Schmutz befreit und behutsam putzt und poliert.“
Stoeck hat seine Dosenpflege und -restauration nahezu perfektioniert: „Ich habe erfreulicherweise zwei freundliche Menschen an meiner Seite, die mir dabei helfen: Eine Dame, die für mich restauriert, wenn es sich um ein qualitativ tolles Stück handelt. Und noch einen Buchbinder, der sach- und fachgerecht Pappschachteln aufarbeitet. Ihn bitte ich beispielsweise um Mithilfe, wenn es darum geht, alte platte Zigarettenschachteln wieder in Form zu bringen.“
Eine schriftliche Katalogisierung hat Stoeck aufgegeben, er hat seine Sammlung im Kopf. Die kleinen Stücke legt er in flachen Schachteln ab und beschriftet den Karton außen: „Ich weiß, was ich habe, es fällt mir nicht schwer zu sagen, hab ich oder hab ich nicht. Aber wenn ich den Deckel öffne, ist es trotzdem jedes Mal ein bisschen wie Neues entdecken.“ Es macht ihm Spaß, ab und an ein paar Schachteln zu ziehen, zu öffnen und sich daran zu erfreuen: „Ich geh’ auch in meinen Dosen-Keller, mindestens einmal am Tag, gucke mal rein, freu mich dran – und wenn es nur ein paar Sekunden sind.“
Stoeck kauft von besonders schönen Dosen auch bewusst mehrere, „das ist schon schick, wenn man zwei, drei gleiche Dosen hat und sie nebeneinander stellt.“ Etwas doppelt zu haben, davor fürchtet er sich nicht, ein Kriterium für den Ankauf einer Dose ist auch der Erhaltungszustand oder die Möglichkeit, sie in einen erhaltenswerten Zustand zurückzuholen. Und ab und an werden auch einige Dosen verkauft.
Auch heute ist er noch auf der Suche nach neuen Stücken, „der Markt gibt immer noch was her“, ist Sammler Stoeck überzeugt. „Das Schöne am Dosensammeln: Im Gegensatz zu Briefmarken weiß man nicht, was es alles gegeben hat. Man kann also irgendwann mal etwas entdecken, was man noch nie gesehen hat, z. B. ein Motiv in einer anderen Farbe. Oder es werden Stücke angeboten, die so vermutlich nicht wieder zu finden sind.“
Es sind noch Wünsche offen
Dass die Sammlung weiter wächst, gehört zum Sammeln. Allerdings, auf Flohmärkte geht er heute nicht mehr, da kommt für ihn nichts mehr bei rum. Er schaut sich eher im Internet um, bei E-Bay, bei ausgewählten Reklamehändlern. Angesichts seiner großen Sammlung kann er gelassen den Markt beobachten: „Ich greife nicht mehr nach allem, das mir angeboten wird. Es müsste schon etwas Besonderes sein.“ Und er weiß auch: „Mein Glück hängt nicht unbedingt davon ab, ob ich dieses oder jenes Stück noch in meine Sammlung nehme. Ich kann warten, wenn’s gerade passt, dann kaufe ich es.“
Natürlich, es gibt noch die eine oder andere Dose, die seine Sammlung bereichern würde, die er gerne hätte, offene Wünsche gibt es. „Und das ist wichtig – wenn es keine Wünsche mehr gäbe, würde das Interesse erlahmen. Außerdem: Es ist immer noch wie ein kleines Ritual Neues zu entdecken, in Besitz zu nehmen.
Der kleine Zauber
Wenn man ihn danach fragt, was ihm persönlich seine Sammlung gibt, was sie ihm bedeutet, kommt an erster Stelle: „Sie ist nicht mit meinem Beruf verknüpft. Wenn ich sie betrachte, kann ich vom manchmal ruppigen Alltag abschalten. Freilich, es ist im Prinzip eine Bildchen-Sammlung, aber man kann sie anfassen, das Dreidimensionale, das Haptische ist etwas Besonderes.“ Und er gesteht: „Die Dinge haben einen kleinen Zauber, und diesen Zauber gibt es in unserer Welt nicht so oft. Ich kann für mich den kleinen Zauber immer abholen, wenn ich eine Schachtel oder meine Kellertüre öffne. Andere würden vielleicht ein Buch lesen, um dieses Gefühl der Entspannung zu bekommen, ich entspanne, wenn ich mir meine Dosen anschaue, sie putze, sie restauriere – dann bekommen sie einen Glanz, den kleinen Zauber.“
Stoeck kann sich nicht vorstellen, seine Sammlung irgendwann einem Museum anzubieten. Für ihn liegt es da schon näher, die schönsten Stücke zu fotografieren und ein Buch darüber zu verfassen oder eine Website zu erstellen, eine Art privates Webmuseum.
Als ich die wunderschöne Dosenwelt verlasse, möchte ich von ihm noch wissen, ob er gerne Apotheker ist. „Auf alle Fälle“, den Apothekerberuf empfindet der 60-jährige Apotheker nach wie vor als schönen Beruf – auch wenn er aufgrund seiner Hauptapotheke mit drei Filialen in erster Linie mit Managementaufgaben zu tun hat. In diesem Zusammenhang freut er sich darüber, dass er gute Mitarbeiter gefunden hat, wie er ausdrücklich betont: „Filialisierungen funktionieren nur, wenn man die Mitarbeiter mit der richtigen Einstellung hat. Da bin ich sehr froh und glücklich darüber, dass ich die habe. Und falls es mal nicht ganz so rund läuft, gibt es immer noch den kleinen Zauber.“ Worüber er sich auch freut: Eine seiner Töchter zeigt bereits Ambitionen für die Pharmazie. |
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