Aus den Ländern

Phytotherapie mit Lücken

Phytoäquivalenz wäre nachzuweisen, aber Grundlagenwissen und validierte Methoden fehlen

du | Immer wieder wird darüber ­gestritten, ob Phytopharmaka basierend auf der gleichen Pflanze bzw. dem gleichen Pflanzenteil auch therapeutisch äquivalent sind. Welchen Einfluss hat das Herstellungsverfahren, welchen haben die Herkunft der Pflanze und die Anbaubedingungen? Wie weist man Phytoäquivalenz nach? Reicht ein Bezug auf Literaturdaten oder ist das wissenschaftlich inakzeptabel?

Auch für Phytopharmaka muss die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Rahmen der Zulassung oder Registrierung nachgewiesen werden. Das kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise geschehen: auf Basis eines vollständigen Dossiers mit vollständigen Studien zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, eines gemischten Dossiers (unvollständige ­Studien plus Literaturdaten) oder auf Basis eines bibliografischen Dossiers, also nur anhand von Literaturdaten. Dann gibt es noch nachzugelassene Arzneimittel auf Basis von bibliogra­fischen und gemischten Dossiers und registrierte traditionelle pflanzliche Arzneimittel, deren Unbedenklichkeit und Wirksamkeit durch tradierte Anwendung belegt ist. Nachdem Prof. Dr. Markus Veit, Planegg, im letzten Jahr in der DAZ diese Möglichkeiten der Verkehrsfähigkeit von Phytopharmaka beleuchtet hatte (DAZ 2014, Nr. 31, S. 44), entbrannte eine Diskussion um das bibliografische Dossier. Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel, schrieb ­damals: „Ein bibliografischer Antrag ohne ausreichenden Beleg der Vergleichbarkeit des Produktes, für das die Zulassung beantragt wird, mit demjenigen, dessen klinische Befunde in der Literatur berichtet wurden, entbehrt einer entscheidenden wissenschaftlichen Rationale.“ Veit entgegnete, dass der geforderte Nachweis bei pflanzlichen Arzneimitteln nicht erbracht werden könne, da auch die Produkte, mit denen die klinischen und nicht klinischen Daten generiert worden seien, keinesfalls im Sinne von chemisch definierten Wirkstoffen ­chargenkonform seien. Die Kontrahenten verständigten sich damals darauf, die Frage nach der Phytoäquivalenz und den notwendigen Anforderungen an sichere Phytopharmaka im Rahmen eines Expertenforums weiter zu diskutieren. Die Diskussion hat am 15. Januar 2015 stattgefunden. Auf Einladung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) und der SocraTec C&S, Oberursel, trafen sich Experten aus Hochschule, Industrie und Zulassungsbehörden sowie Kliniker mit phytotherapeutischen Erfahrungen. Sie diskutierten Rahmenbedingungen für die Zulassung pflanzlicher Arzneimittel und Kriterien, die bei einem bezugnehmenden bzw. bibliografischen Antrag zu berücksichtigen sind.

Konsens bestand, dass weder die Arzneipflanze noch die Arzneidroge der „Wirkstoff“ ist, sondern die Zubereitung der Droge. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sind generell durch klinische Studien zu belegen, es sei denn, man kann Wirkstoffäquivalenz nachweisen. Doch wie geht das bei Phytopharmaka? Nach Ansicht von Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt, könnte man ähnlich wie bei Biologicals und Biosimilars verfahren. Auch für Phytopharmaka gelte: The Product is the Process. Die Herausforderung sei es, unvermeidliche Variationen in einem Produkt in definierten Grenzen konstant zu halten. Dazu müsse entlang definierter Spezifikationen produziert werden und die Produkthetero­genität ausreichend charakterisiert werden. Die Zulassungsbehörde könne dann unter Kenntnis der Charakteristika des Referenzproduktes die Beurteilung übernehmen. Ein Weg, der auch für Prof. Dr. Werner Knöss, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bonn, denkbar ist, allerdings müssten dazu neue Methoden etabliert und validiert werden. Vor dem Hintergrund vorhandener Daten hält Knöss das aktuelle Konzept für sehr schlüssig, die Monografien seien in puncto Gleichheit eindeutig: die gleiche Pflanze, der gleiche Pflanzenteil, die gleiche Stärke, die gleiche Dosierung, das gleiche Auszugsmittel, das gleiche Droge-Extrakt-Verhältnis. Das gesamte historische Wissen sei berücksichtigt. Allerdings spielt die biopharmazeutische Analyse keine Rolle, was für Knöss zunächst einmal kein Problem darstellt. Er warnte davor, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Denn 80 Prozent der Phytopharmaka seien auf Basis des Traditional Use im Handel, und das in „sehr niedrig gearteten Anwendungsgebieten“.

Will man in Sachen „Nachweis der Phytoäquivalenz“ weiterkommen, müsste zunächst feststehen, welche Inhaltsstoffe für welche Wirkungen verantwortlich sind. Das ist in der Regel nicht der Fall, sodass noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten ist. Doch dafür müssten die finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. So würde derzeit vor dem Hintergrund des AMNOG kein Hersteller eine Neuzulassung eines Phytopharmakons anstreben, so Prof. Dr. Michael Habs, Geschäftsführer der Dr. Willmar Schwabe AG. Denn ein ­solches innovatives Phytopharmakon würde zunächst als verschreibungspflichtiges Arzneimittel eingestuft werden, einer frühen Nutzenbewertung unterzogen und mit einem Preis versehen werden, mit dem sich die notwendigen Investitionskosten nicht wieder einspielen lassen könnten. Wer hier etwas ändern wolle, müsse die Spielregeln ändern, so Habs. Wie, das spiegelt sich in dem Statement wider, das im Anschluss an das Treffen verabschiedet wurde (s. Kasten). 

Wissensdefizite abbauen!  Expertenrunde verabschiedet Resolution

Die Sachverständigen der von der DPhG geladenen Experten stellten einvernehmlich heraus, dass bei pflanzlichen Arzneimitteln bis heute teilweise noch beträchtliche Erkenntnislücken bestehen. Im Interesse der betroffenen ­Patienten, aber auch der behandelnden Ärzte und der beratenden Apotheker, sollten diese Wissensdefizite dringend abgebaut werden. Diese können die Wirksamkeit betreffen, die in vielen Fällen nach den heutigen Standards als nicht ausreichend klinisch belegt anzusehen ist, aber auch bisweilen Aspekte der Arzneimittelsicherheit. In diesem Sinne wird ein nachdrücklicher Appell an die verantwortlichen pharmazeutischen Unternehmen, aber auch die Wissenschaftler in Hochschulen und Forschungseinrichtungen gerichtet, hier ihre Anstrengungen erheblich zu intensivieren. Gleichzeitig wurde aber auch herausgestellt, dass die derzeitigen Rahmenbedingungen für entsprechende Initiativen nicht befriedigend sind. Dies gilt sowohl für die wissenschaftlichen Institute, deren beschränkte Forschungsbudgets oft keine ausreichende finanzielle Grundlage für die hier erforderlichen Forschungsprojekte bieten, als auch für die pharmazeutische Industrie, die zwar grundsätzlich zu einem entsprechenden Investment im Rahmen der Arzneimittelentwicklung bereit ist, aber verständlicherweise eine angemessene Refinanzierungsmöglichkeit erwartet. Letztere ist aber nur dann realisierbar, wenn die dabei erarbeiteten Erkenntnisse auch über einen ausreichend langen Zeitraum exklusiv genutzt werden können. Dies kann jedoch angesichts des gesetzlichen Rahmens für die Zulassung pflanzlicher Arzneimittel in Europa derzeit nicht gewährleistet werden, da nach Ablauf der zehnjährigen Phase einer verbreiteten Anwendung des Arzneimittels – und damit dem Erreichen des sog. „Well-established-use“-Status – alle zur Wirksamkeit und Sicherheit des betreffenden ­Arzneimittels öffentlich zugänglichen Informationen unmittelbar auch durch einen Zweitanmelder verwendet werden dürfen, selbst wenn diese Daten tatsächlich erst weniger als zehn Jahre alt sind.

Um diese offensichtlichen Innovationshindernisse zu beseitigen und innovative Forschung auf dem Sektor der Phytopharmaka zu fördern, wurde von den Teilnehmern des Treffens die nachfolgende Resolution verfasst und gefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend zu ändern. Dabei haben sich die Vertreter der Zulassungsbehörden an dieser Konsensfindung nicht beteiligt, um eventuelle Interessenskonflikte durch eine öffentliche Positionierung zu vermeiden.

Resolution

Auf dem Gebiet der Therapie mit pflanzlichen Arzneimitteln besteht nach wie vor ein erheblicher Forschungsbedarf, um diese wichtige Behandlungsoption im Interesse der Patienten durch Schließen der bestehenden Erkenntnislücken zu stützen. Die Entwicklung innovativer Phytopharmaka erfordert erhebliche Investitionen durch die pharmazeutischen Unternehmen. Diese sind jedoch nur zu verantworten, wenn die Rahmenbedingungen auch eine angemessene Refinanzierung durch eine – temporär – ­exklusive Vermarktung der dabei ent­wickelten neuen Produkte bzw. neuen Indikationen ermöglichen. Dies ist zurzeit nicht der Fall.

Die Sachverständigen des Expertentreffens halten daher Änderungen an den derzeitigen gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für dringend geboten, um Anreize für Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet pflanzlicher Arzneimittel zu setzen. Dies könnte dadurch erreicht werden, dass der Innovator die dabei erarbeiteten Erkenntnisse über einen angemessen langen Zeitraum – z. B. wie bei chemisch-synthetischen Arzneimitteln durch zehnjährigen Unterlagenschutz – exklusiv nutzen darf und eine Bezugnahme durch andere Wirtschaftsunternehmen erst nach Ablauf dieser Frist statthaft ist.

Allerdings wird Wert darauf gelegt, dass diese Regelung nur für solche Innovationen gelten sollte, mit denen ein relevanter therapeutischer Fortschritt für den Patienten erreicht wird. Dies gilt z. B. für

  • Nachweise zur klinischen Wirksamkeit pflanzlicher Arzneimittel mithilfe kontrollierter klinischer Studien,
  • klinische Belege zur sicheren Anwendung der Produkte in neuen Indikationsgebieten,
  • Entwicklung rational begründeter ­innovativer Darreichungsformen oder neuer Applikationswege, über die ­Arzneimittel sicherer verabreicht oder andere therapeutische Vorteile erreicht werden können, z. B. in Form einer verlängerten Wirksamkeit oder verbesserten Verträglichkeit.

Ferner wird es als essenziell erachtet, dass eine Bezugnahme auf die innovativen Erkenntnisse auch nach Ablauf einer solchen Schutzfrist nur dann akzeptiert werden kann, wenn für ein daraufhin entwickeltes Nachfolgeprodukt wissenschaftlich eindeutig belegt wird, dass seine Eigenschaften mit denen des Innovatorpräparates weitgehend übereinstimmen und daher die klinischen Erkenntnisse auf das neue Produkt gleichermaßen zutreffen. Aus Sicht der Fachkreise ist schließlich wichtig, dass beides, Äquivalenz der Eigenschaften und Übertragbarkeit der klinischen Erkenntnisse, auch transparent kommuniziert wird, was bislang bedauerlicherweise nur selten der Fall ist.

An diesem Statement haben mitgewirkt:

S. Alban (Kiel), H. Blume (Oberursel), K. Brauer (Essen), T. Dingermann (Frankfurt), F. Donath (Erfurt), S. Fey (Hattingen), M. Habs (Karlsruhe), T. Kempmann (Tettnang), B. Reiken (Hohenlockstedt), B. Röther (Neumarkt), M. Ullmann (München), M. Veit (Planegg), R.-S. Wedemeyer (Oberursel), W. Weitschies (Greifswald)

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