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Null-Retax: Problem mit vielen Facetten

Uwe Hüsgen, Mathematiker und ehemaliger langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbands Nordrhein.

Am Rande der Vorstellung des DAK-AMNOG-Reports äußerte sich der DAK-Vorstandsvorsitzende, Prof. Dr. Herbert Rebscher, jüngst auch zum Thema „Nullretaxationen“, die er für gerechtfertigt hält. „Wer nicht in der Lage ist, eine ordentliche Rechnung zu stellen, kann nicht erwarten, ­ordentlich vergütet zu werden“, so Rebscher. „Das geht jedem Schlosser genauso“, findet er.

Die Antwort des DAV-Vorsitzenden, Fritz Becker, ließ nicht lange auf sich warten: „Wir Apotheker versorgen tagtäglich rund um die Uhr Millionen Patienten mit lebenswichtigen Arzneimitteln, aber einzelne Krankenkassenvertreter glauben offensichtlich, die Zeche dafür prellen zu können. Das ist ebenso unverschämt wie inakzeptabel.“

Starke Worte auf beiden Seiten.

Selbstverständlich muss man dem DAV-Vorsitzenden vom Grundsatz her zustimmen. Wurde der Patient ordnungsgemäß und auf der Grundlage des SGB V versorgt, so ist nicht zu akzeptieren, wenn die Krankenkasse bei kleinsten Formfehlern auf Null retaxiert! Und das, obwohl diese Formfehler nachträglich geheilt werden können.

Das hat auch der Gesetzgeber so gesehen – und reagiert.

Dennoch, so scheint es mir, wird der unbedarfte Apotheker – bewusst oder unbewusst? – hinter die Fichte geführt. Denn viele assoziieren mit Nullretaxation automatisch die Vollabsetzung im Rahmen der Abgabe von rabattbegünstigten Arzneimitteln. Das heißt, die Apotheke wird auf Null retaxiert, weil sie nicht das rabattbegünstigte Arzneimittel abgegeben hat, obwohl dies zulasten (oder besser: zugunsten!) der entsprechenden Krankenkasse angezeigt war.

Ein Blick in den Kabinettsentwurf zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, der an dieser Stelle übrigens mit seinem Vorläufer, dem Referentenentwurf übereinstimmt, schafft Klarheit. Danach soll § 129 SGB V wie folgt geändert werden:

a) Nach Absatz 4 Satz 1 [von § 129] wird folgender Satz eingefügt:

„In dem Rahmenvertrag ist erstmals bis zum … [einsetzen: Datum des ersten Tages des sechsten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats] zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht innerhalb der Frist zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.“

Alles klar, oder? Die Begründung hat es allerdings in sich. Sie lautet:

„Es ist ein legitimes Interesse, dass sie [die Apotheker] vor unsachgemäßen Retaxationen der Krankenkassen ‚auf Null‘ (Vollabsetzung von der Rechnung) und damit vor wirtschaftlicher Überforderung in den Fällen geschützt werden, in denen Versicherte das nach den Regelungen des SGB V abzugebende Arzneimittel erhalten haben, das die Ärztin bzw. der Arzt ausgewählt hat. Dadurch unterscheiden sich diese Fälle von denjenigen, in denen Apotheken anstelle eines Rabattvertragsarzneimittels pflichtwidrig ein anderes Arzneimittel abgeben. Dazu hat die Rechtsprechung entschieden, dass weder ein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse noch ein Anspruch auf Ersatz des Wertes oder der Beschaffungskosten des abgegebenen Arzneimittels besteht (...).

Zwar bleibt es dabei, dass Anforderungen an die ärztliche Verordnung, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit z. B. in der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) genannt sind, im Sinne der sicheren Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln uneingeschränkt gelten. Wenn eine Krankenkasse allerdings letztlich von ihrer Leistungspflicht gegenüber ihrem Versicherten frei wird und der Versicherte trotz unbedeutender formaler Fehler das von der Ärztin bzw. dem Arzt verordnete Arzneimittel unter Berücksichtigung der Regelungen des SGB V erhalten hat, ist es unverhältnismäßig, wenn die Apotheke keine Erstattung für das abgegebene Arzneimittel erhält. Ein solcher Fehler kann etwa die Verwendung einer Abkürzung auf der Verordnung sein. Es ist im Sinne der Versicherten erforderlich, dass die Versorgung mit notwendigen Arzneimitteln nicht durch unnötige bürokratische Hürden behindert wird. Die Schaffung eines geeigneten Interessenausgleichs, der Fehlanreize vermeidet, ist der Selbstverwaltung im Rahmenvertrag nach Absatz 2 zu überlassen. Es können etwa Regelungen zu Heilungsmöglichkeiten für Formverstöße vereinbart werden. Zudem können auch ­Regelungen vorgesehen werden, die lediglich eine teilweise Retaxation ­beinhalten. Bei den Heilungsmöglichkeiten muss jedoch berücksichtigt werden, dass den Krankenkassen kein unverhältnismäßiger, kostenträchtiger Verwaltungsaufwand ­entsteht.

Um die zeitnahe Umsetzung des Regelungsvorschlags sicherzustellen, wird den Vertragsparteien eine Vereinbarungsfrist vorgegeben. Mit Ablauf der Frist geht die Festlegung der Fälle, in denen es nicht zu einer vollständigen oder nur zu einer teilweisen Retaxation kommen soll, auf die Schiedsstelle über.“

Wer dies gelesen – und verinnerlicht – hat, weiß, was – notfalls über die Schiedsstelle – geregelt werden kann, und was nicht!

Dabei stellt sich die Frage, ob man für die gerichtliche Aus­einander­setzung in Sachen Null­retaxation damals nicht ein falsches Beispiel gewählt hat. Wenn ein Apotheker nicht das (vorgeschriebene) Rabattarzneimittel ­abgibt, hat er die Pflicht, die Gründe in Form pharmazeutischer Bedenken (oder „Nichtverfügbarkeit”) per PZN auf dem ­Rezept zu dokumentieren. Was soll daran so schwer sein?

Das kann natürlich, weil menschlich, im Einzelfall übersehen werden. Für diese Fälle wäre mit den Krankenkassen eine Quote zu vereinbaren, wie das offensichtlich die AOK Rheinland/Hamburg bereits gemacht hat. Vor dem Hintergrund des durch die Apotheken erzielten Einsparpotenzials müsste dies, neben einer angemessenen Entlohnung, doch mit den Krankenkassen vereinbar sein.

Selbstverständlich nicht nur in diesem Zusammenhang, dass dabei auf dem Rezept in jedem Einzelfall die PZN des Arzneimittels aufgedruckt ist, das abgegeben wurde. Selbstverständlich und wichtig aus Gründen der Arzneimittelsicherheit (Stichwort: Rückruf) und des fairen Umgangs untereinander. Man denke nur an den gesetzlichen Herstellerrabatt von 7 Prozent (gemäß § 130a SGB V). Denn sonst wäre das – ­gewollt oder ungewollt – Betrug. Selbstverständlich letztlich auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit und des Selbstverständnisses des Apothekers!

Ansonsten kann die Schlussfolgerung mit Blick auf die Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel nur lauten: die Verbände sollten ihre Mitglieder auffordern,

1. gewissenhaft und in jedem notwendigen Einzelfall „pharmazeutische Bedenken“ zu äußern – und zu dokumentieren!

2. problematische Fälle zu dokumentieren und Ihrer Verbandsgeschäftsstelle zeitnah zur Verfügung zu stellen, damit der DAV bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen entsprechend munitioniert ist.

Ein Kommentar von Uwe Hüsgen

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