Wirtschaft

Deutschland nähert sich dem Durchschnitt

AMNOG lässt Arzneimittelpreise sinken – einzelne Präparate bereits unter europäischem Vergleichspreis – neue Arzneimittel werden meist erstattet

ts | Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zeigt seine gewünschte preisdämpfende Wirkung. Die Preise für in Deutschland neu zugelassene verschreibungspflichtige Präparate liegen mittlerweile vielfach auf dem europäischen Durchschnittsniveau, in einigen Fällen sogar darunter.

Der kürzlich zu Ende gegangene Pharmadialog zeigte es erneut: Die Diskussion um Arzneimittelpreise setzt sich ungebremst fort. Derweil geht die Zeit überdurchschnittlich hoher Preise in Deutsch­land zu ­Ende. Insbesondere das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG), Anfang 2011 eingeführt, zeigt Wirkung. Während in Deutsch­land zugelassene Präparate in der Vergangenheit vielfach im oberen Bereich der europäischen Preisskala lagen, orientiert sich das hiesige Niveau mittlerweile am EU-Durchschnitt.

Preise liegen auf Niveau der Vergleichsländer

„Die Preisunterschiede von Arzneimitteln zwischen Deutschland und anderen europäischen Ländern sind mit dem AMNOG kleiner geworden“, stellt Professor Reinhard Busse, Leiter des Fach­gebietes Management im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin, fest. „Es gibt mittlerweile auch Präparate, die in Deutschland billiger als in anderen Ländern sind.“ Gegenüber DAZ.online verweist er auf eine laufende Studie, bei der das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen und sein Fachbereich die Arzneimittelpreise in Deutschland, Frankreich, Österreich, den Niederlanden und Großbritannien vergleichen. Demnach lagen 2015 die Preise für Arzneimittel, die vor Inkrafttreten des AMNOG in Deutschland auf den Markt kamen, im Schnitt rund 30 bis 40 Prozent über dem Niveau der anderen Länder. Dagegen sei der Preis neuer Präparate, die unter AMNOG-Bedingungen auf den Markt gekommen sind, ungefähr so hoch wie in den Vergleichsländern. Details werden die Macher demnächst bei der offiziellen Vorstellung der Studie mitteilen.

Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommen Ulrich Schwabe, emeritierter Professor des Pharmakologischen Instituts der Universität Heidelberg, und Dieter Paffrath im jährlichen Arzneiverordnungsreport. Im Report für 2014 berichteten sie, dass man mit der Einführung der frühen Nutzenbewertung und der anschließenden Verein­barung eines Erstattungsbetrags erreicht habe, dass neue Arzneimittel in Deutschland nicht mehr teurer sind als in den europäischen Nachbarländern. Beispielhaft zeigen die Autoren dies an einem Vergleich mit Frankreich: Bei den meisten deutschen Neueinführungen nach Inkrafttreten des AMNOG waren Nettokosten (nach Abzug der Mehrwertsteuer und gesetzlicher Abschläge) niedriger als die mehrwertsteuerfreien Nettokosten in Frankreich. Auch im ­Report 2015 zeigen die Autoren an einem exemplarischen internationalen Preisvergleich, dass das AMNOG wirkt: Im Vergleich zu den Niederlanden hätten Produkte, die das Nutzenbewertungsverfahren und die Preisverhandlungen durchlaufen haben, im deutschen Markt im Mittel kein höheres Preisniveau.

Streit um Preise hält an

Unverändert gelten die in Deutschland zwischen den Kassen und Pharmaunternehmen ausgehandelten Preise in vielen weiteren Ländern als Referenz. Die sollen künftig jedoch nicht mehr öffentlich gelistet werden, so ein weiteres Ergebnis des Pharmadialogs. Hinter den Kulissen wird allerdings weiter heftig um die Preise verhandelt werden. So kommt Marc Benoff, Vice President der zu IMS Health gehörenden IMS Consulting Group, im „Pricing & Market Access Outlook 2015/16“ zu dem Ergebnis: „Preisfragen sind ein Punkt ständiger Auseinandersetzungen. Das hat mit dem Trend zu teuren Spezialarzneien und der Behandlung seltener Erkrankungen noch einmal zugenommen.“

Die Autoren stellen fest, dass sich die Pharmaindustrie daran gewöhnt habe, immer höhere Preise zu erzielen. Das liege in der Natur der Produkte: Zwei Drittel aller Arzneimittel in präklinischen Phasen zielten heute auf den Spezialmarkt, ein Drittel aller Entwicklungskandidaten seien Biopharmazeutika. Vor zehn Jahren seien die zehn größten Umsatzbringer hingegen noch Arzneien aus dem Niedrigkosten-Sektor für die Grundversorgung gewesen, darunter keine Biopharmazeutika. Der Anteil von Premium-Arzneien, die 100 Euro oder mehr je Packung kosten, ist laut dem IMS-Bericht von 19 Prozent im Jahr 2004 auf 40 Prozent im Jahr 2014 gestiegen. Für die Kostenträger stelle sich damit schlichtweg die Frage der Bezahlbarkeit.

Andererseits würden heute zunehmend Preisdiskussionen auch nach der Markteinführung geführt. Pharmaunternehmen müssten ständig den Wert und die Bedeutung ihrer Produkte rechtfertigen, um den Marktzugang und die Preise aufrechtzuerhalten.

Angesichts dieser Entwicklung spielen laut IMS für Pharmaunternehmen flexiblere Preisgestaltungen und Vermarktungsmodelle eine immer wichtigere Rolle. Dazu gehören direkte Preisverhandlungen mit Abnehmern, die Ausweitung des Sortiments oder die Fokussierung auf den Wert ­eines Arzneimittels anstelle seines Preises.

Nach Meinung von TU-Professor Busse sollte bei grenzüberschreitenden Preisdiskussionen auch berücksichtigt werden, für welche Patientengruppen die Arzneimittelpreise gelten. Zwar würde mittlerweile in fast allen Ländern untersucht, welchen Zusatznutzen ein neues Präparat bietet. Allerdings werde dabei oftmals nicht der Durchschnitt aller Patienten zugrunde gelegt, sondern es würden „Subgruppen“ gebildet. Während in Deutschland der Erstattungspreis für alle Subgruppen gelte, werde er in anderen Ländern nur auf Patienten angewendet, die von der Einnahme der Arznei einen zusätzlichen Nutzen haben. Im Klartext: Das Medikament ist für alle anderen Patienten nicht erstattungsfähig.

Fast alle Präparate in Deutschland erhältlich

Darüber hinaus sei die Frage zu stellen, ob ein Arzneimittel in ­einem Land überhaupt erhältlich ist. Deutschland, so Busse, schneide hier gut ab. Er verweist auf eine Untersuchung von IMS Health, wonach es im Jahr 2014 bei 28 neu zugelassenen Arzneimitteln in Europa mit Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden nur drei Länder gab, in denen fast alle diese neuen Präparate auch erstattet wurden. Anders in Spanien: Hier ­waren 25 der 28 neuen Mittel nicht erstattungsfähig. Busse: „Da verstehe ich das dauernde Jammern der Industrie in Deutschland ehrlich gesagt nicht.“ |

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