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Gesundheitspolitik
AOK: Keine Bedenken bei abgelaufenen Krebsmedikamenten?
Politikmagazin Panorama: AOK-Vertragsapotheke überschreitet Aufbewahrungsdauer / Vertragsapotheke: Kritik Vorwand, um Ausschreibungen zu kippen?
Laut Panorama bekam eine Onkologin im hessischen Erbach von einer AOK-Vertragsapotheke mehrmals Zubereitungen des Krebsmedikaments Velcade® geliefert, deren Aufbewahrungsdauer deutlich über dem vom Hersteller angegebenen Zeitraum von 8 Stunden lag. Das Zytostatikum wurde z. B. erst 16 Stunden nach der Zubereitung angeliefert; die Apotheke verwies, so der Panorama-Bericht, auf Stabilitätsstudien aus dem Ausland, wonach das Medikament deutlich länger verwendbar sei. Auf die Weigerung der Onkologin hin, das Medikament einem schwerkranken Patienten zu verabreichen, habe die AOK schriftlich verlangt: „Bitte behandeln Sie die von Ihnen namentlich benannten Patienten heute wie vorgesehen mit den Ihnen bereits zugestellten und qualitativ einwandfreien Zubereitungen für onkologische Indikationen. Ein erneutes Aussetzen einer solchen Therapie bei unseren Versicherten ist nicht gerechtfertigt.“
Auf Anfrage der AZ bestätigt die AOK Hessen diese Äußerung, schreibt aber: „Allerdings ist die Mail an die Ärztin freilich länger und liefert ein deutlich differenzierteres Bild. Letztlich muss die Ärztin entscheiden, was sie in ihrer Therapie für richtig hält.“
Panorama beschreibt die Zustände sehr anschaulich: Die Onkologin zeigt in dem Beitrag die gegenüberliegende Apotheke, von der sie früher innerhalb von 20 Minuten nach Anforderung mit Zytostatika beliefert wurde. Die AOK-Vertragsapotheke sei dagegen in Ludwigshafen, hier falle schon ohne Stau mehr als eine Stunde Fahrzeit an. Eine Stellungnahme des Ludwigshafener Apothekers findet sich im Panorama-Beitrag allerdings nicht.
Auf Anfrage der AZ äußert Dirk Baur, Inhaber der Lusanum-Apotheke in Ludwigshafen, dass er sehr wohl eine Stellungnahme gegenüber Panorama abgegeben habe und legt diese auch vor. Baur verweist auf den Herstellbetrieb Medipolis in Weinheim, der aufgrund von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu einer von der Fachinformation abweichenden Einschätzung der Haltbarkeit der Zubereitung komme. Ebenfalls legt er einen aktuellen Inspektionsbericht des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung von Rheinland-Pfalz vor. Darin steht, dass die Inspektion anlässlich der Beschwerde einer onkologischen Praxis erfolgt sei und dass bei der Herstellung der fraglichen Medikamente der aktuelle Stand der Wissenschaft berücksichtigt werde.
Zudem gibt Baur an, dass er der Onkologin nach den Reklamationen frisch hergestellte Zubereitungen geliefert habe; er vermutet, dass die Ärztin nur nach Ansatzmöglichkeiten suche, wie sie gegen den AOK-Vertrag vorgehen könne. Er selbst sei auch gegen die Ausschreibungen, aber es sei nicht an ihm, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern.
Sollen kurze Laufzeiten den Umsatz erhöhen?
Die Firma Medipolis, die den Ludwigshafener Apotheker beliefert, legt gegenüber der AZ ausführlich dar, weshalb sie sich bei ihren Laufzeiten nicht allein an die Fachinformation gebunden fühlt. Weiterhin äußert Geschäftsführer Dr. Christian Wegner, dass man „über die Motivation mancher Hersteller, offenbar vorliegende Stabidaten nicht zu veröffentlichen“, nur spekulieren könne. „Offenbar spielen jedoch Marketinggesichtspunkte eine Rolle, da wir beobachten, dass insbesondere nach generischem Markteintritt die Generikahersteller solche Daten erheben und veröffentlichen. Insbesondere Originatoren sind in den seltensten Fällen bereit, Stabidaten zu veröffentlichen. Offenbar gehört das zur Strategie, möglichst große Absätze zu erreichen.“
Beispielhaft sei die Firma Janssen-Cilag zu nennen, die an ihren Festlegungen in der Fachinformation zu Velcade® festhalte, obwohl mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen belegten, dass der Wirkstoff Bortezimib chemisch-physikalisch eine längere Haltbarkeit aufweise. Auch Wegner betont, dass er die Ausschreibungen von Zytostatika rundum ablehne und sich selbst „im Moment extrem in den politischen Prozess“ einbringe mit dem Ziel, die Ausschreibungsmöglichkeit für Kassen abzuschaffen.
Fazit: Die Gemengelage ist kompliziert, aber offenbar sind sich alle Protagonisten außer den Kassen einig darin, dass es keine Zytostatika-Ausschreibungen geben sollte. Gefragt ist die Politik – sie muss verhindern, dass schwer kranke Patienten weiterhin verunsichert werden. |
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