Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Sag mir, wo die Blumen sind

Von Rechtsprechungen und Reflexen

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

Der EuGH hat entschieden. Aus ­europäischer Perspektive mag man dem Urteil noch etwas abgewinnen, für das Exekutieren dessen, was in Deutschland gewollt zu sein scheint, eher nicht. Dem einheit­lichen Preis im rezeptpflichtigen Bereich wird nun ein denkbarer Preiswettbewerb gegenübergestellt. Kann das im Interesse des deutschen Gesetzgebers sein, der ja die Arzneimittelpreisverordnung für den deutschen Geltungsbereich verabschiedet hat?

Dem Versandhandel wird nochmals Auftrieb beschert. Schon mit dem GMG 2004 wurde – initiiert durch die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt – eine Wettbewerbsverzerrung gesetzlich institutionalisiert, indem Versandhändler die gleiche Vergütung bekamen wie Offizinapotheken, obgleich sie nicht die gleiche Leistung erbringen mussten. Das wurde Jahre später durch eine Neuregelung der Nacht- und Notdienstvergütung partiell beseitigt. Gleichwohl deutet sich durch dieses auf europäischer Ebene gesprochene Urteil eine ­neuerliche Ungleichbehandlung bzw. neuerliche Besserstellung des Versandhandels an.

Man mag zu Recht anmerken, dass eine Anpassung der deutschen ­Gesetze möglich ist, aber in welche Richtung? Auf der einen Seite kommt das Urteil während der Erarbeitung eines Gutachtens zur Neuregelung der Vergütung für Apotheken. Die Gutachter werden die Rechtsprechung genauestens studieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Zum anderen erleben wir mit dem Richterspruch die ­üblichen sofortigen Reflexe. Diese schienen von langer Hand vorbereitet, was den Schluss zulässt, dass man nicht unvorbereitet mit dem Ergebnis konfrontiert wurde. Der Apothekerschaft sind die ­Hände gebunden, sie müssen nun Lobbyarbeit betreiben, die Politik aber ist gefordert. Wie ernst können erste Rufe nach einem Versandhandelsverbot in Deutschland genommen werden? Denn passt dies in die Zeit und zu dieser Regierung? Nahezu jedes Bundesministerium hat mehrere Förderprojekte zur Stärkung der Digitalisierung laufen, der Internethandel gewinnt zusehends Geschäftsanteile in nahezu allen Handelsbranchen, für den stationären Einzelhandel werden Geschäftsaufgaben von 50.000 Outlets bis 2020 prognostiziert – und dann soll Internethandel verboten werden? Wie würde dies ­anmuten? Modern? Offensiv?

Schon der Bericht in der Tagesschau am Mittwoch, dem Tag der Urteilsverkündung, zeigte das journalistische Potenzial dieses Urteils. Auf der einen Seite ein ­Patient mit artikulierten klaren Preisvorteilen, auf der anderen Seite der Hinweis des ABDA-Präsidenten auf die Gefährdung der flächendeckenden Versorgung. Leuchtet das Patienten-Argument jedem Zuseher unmittelbar ein, ist der strukturpolitische Hinweis schwer verdaubare Kost. Das macht ihn aber nicht unwichtiger. Denn aus anderen Branchen wissen wir, dass Internethandel vor allem preisaggressive Geschäftsmodelle anlockt. Im rezeptpflichtigen Bereich bekämen wir neben das Geschäftsmodell mit gewollt ethischen Erwägungen ein rein kaufmännisches Modell gestellt. Denn der Internethändler kann den Preis senken, er muss es nicht. Er wird es also davon abhängig machen, wie er die Nachfrage zu steuern gedenkt. Und fatalerweise wird gerade nicht der ländliche Raum davon profitieren können, der auf der Apothekenseite laut ABDA besonders gefährdet ist. Denn in anderen Bereichen der „Fast Moving Consumer Goods“, zu denen Arzneimittel gehören und in denen zeitnahe E-Commerce-Belieferungen ausprobiert werden, rechnen sich diese – wenn überhaupt – nur in Ballungsräumen und werden nur dort ernsthaft angeboten. In ländlichen Gebieten ist der Aufwand der Belieferung naturgemäß deutlich größer und deshalb weniger lukrativ.

Das alles stand aber bei diesem Urteil nicht zur Disposition. Das Gericht hatte den konkreten Fall zu entscheiden. Bedauerlicher­weise wirken sich aber derlei Einzelfallentscheidungen, die dann allgemeingültig werden, auf regulierten Märkten besonders stark aus. Hier stehen unterschiedlichste Regelungen in starkem Wechselspiel zueinander, sodass eine auch nur granulare Änderung der einen Regelung oft weitreichende Auswirkungen auf andere Regelungen hat. Was in Stein gemeißelt erschien, steht nun auf tönernen Füßen.

Den ersten geäußerten Reflexen wünscht man Nachhaltigkeit in ernst zu nehmender Konsequenz. Fensterreden helfen keinem. Nun gilt es, dem Bundesgesundheits­minister schnelle rechtliche Konsequenzen abzunötigen. Tut er dies nicht in dieser Legislaturperiode, ist die neue Rahmenbedingung manifest.

Was dies final bedeutet, kann nicht fundiert abgeschätzt werden. Höhere Marktanteile für den Versandhandel sind wahrscheinlich, Verwerfungen in Graumärkten zu erwarten. Apotheken mit einer Versandhandelserlaubnis können dann eine Preisdifferenzierung der eigenen Art zelebrieren und die Vergütungsdiskussion wird dies nicht nur konstruktiv anheizen. Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben!? |

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