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Interpharm 2016 – Festvortrag
Haarspalterei im Kriminallabor
Erfolgreich auf der Verbrechersuche
Sie prägen unser mediales Bild der Rechtsmedizin, die blutigen Obduktionen und Todesfälle. Aber sie machen nur 6% der Fälle aus, wie Dr. med. Jörg Teske vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover klarstellte. An der Tagesordnung sind in der forensischen Toxikologie diffizile Nachweise von Vergiftungen und Drogen, und dies meist an Lebenden. Dabei ist die unblutige Analytik spektakulär genug: Stoffkonzentrationen wie eine Prise Zucker in einem 50-Meter-Schwimmbad sind mithilfe aktueller Methoden wie Tandem-Massenspektrometrie oder Flugzeit-Massenspektrometrie sicher nachweisbar. Ihr Einsatz in der Forensik nahm in der letzten Dekade rasant zu. Probenmaterial sind neben Blut und Urin z. B. Haare, in schwierigeren Fällen auch Leichen.
Freispruch aus dem Jenseits
So wie im Fall von zwei Eheleuten, die binnen 24 Stunden verstorben waren. Ein Verdacht fiel auf den Krankenpfleger, dem ein Motiv unterstellt werden konnte. Hatte er die beiden mit einer Überdosis ihres Herzmittels vergiftet? Zehn Monate nach der Beerdigung wurden die Leichen exhumiert, marode Proben aus Leber und Nieren gewonnen. Bei der mit Digitoxin behandelten Frau wurden nur übliche Dosen detektiert, bei ihrem Ehegatten keine Spur. Freispruch für den Verdächtigten – und ein Blitzlicht auf das Potenzial der modernen Bioanalytik.
Einem anderen Krankenpfleger wurden ebendiese Möglichkeiten zum Verhängnis. In dem medial sehr bekannt geworden Fall hatte der Täter in Krankenhäusern ihm anvertrauten Patienten Überdosen des Antiarrhythmikums Ajmalin (Gilurytmal®) verabreicht. Nach ersten Verdachtsfällen wurde entschieden, verstorbene Expatienten des Verdächtigen zu exhumieren. Entscheidend für seine Überführung war der Nachweis von Nanogramm-Mengen des Giftes in Hirn und Weichteilen einer Leiche, die erst nach sechs Jahren exhumiert wurde. Der Täter ist mittlerweile wegen zweifachen Mordes verurteilt – die Geschichte aber wohl nicht zu Ende. Derzeit erfolgen weitere Exhumierungen. „Der Pfleger wird wohl als der schlimmste Serienmörder der Nachkriegszeit in die Kriminalgeschichte eingehen“, sagte Teske.
Aufschlussreiches Haarespalten
Ein besonders interessantes Probenmaterial für Forensiker sind unsere Haare. Während Substanzen in Blut und Urin nur für Stunden bis maximal Tage nachweisbar sind, speichert das Haar sie „wie ein Fahrtenschreiber“, so Teske. Haar wächst pro Monat 1 cm. Der Nachweis eines Stoffes in einem bestimmten Haarabschnitt lässt auf die Exposition in dem entsprechenden Zeitfenster schließen. Je nach Haarlänge kann so beispielsweise eine zurückliegende Drogeneinnahme oder Drogenfreiheit nachgewiesen werden. Wie im Fall einer Frau, deren Zeugenaussage aufgrund möglichen Drogenkonsums angezweifelt wurde: In Haarproben wurden per Massenspektrometrie 2,3 ng/mg Cocain und noch kleinere Mengen seiner Abbauprodukte nachgewiesen, gespeichert drei Jahre zuvor. Den Drogenkonsum hatte die Frau bestritten. Wieder einmal lieferten die forensischen Toxikologen gerichtsverwertbare Befunde.
Die Interpretation von Haaranalysen verlangt jedoch viel Umsicht und Erfahrung, sagte Teske. Der Eintrag in die Haarmatrix kann außer über die Blutbahn auch aus der Umwelt erfolgen, aus Staub oder Rauch. Sogar „Fingerabdrücke“ können schuld sein: Eine Studie aus Freiburg wies nach, dass THC-Spuren im Haar von den Händen der Personen stammten, die Joints drehen. Auch fand man Abbauprodukte von Methadon bei Kindern von Opiatabhängigen unter Substitutionsbehandlung. Auf der anderen Seite kann oxidativer Stress Substanzen im Haar abbauen oder zumindest verändern. Doch auch die Zerfallsprodukte können in der Regel nachgewiesen werden, so Teske.
Gut und teuer
Trotz der detektivischen Erfolge und wichtiger neuer Aufgaben, z. B. durch die aktuelle Flut an neuen synthetischen Cannabinoiden, droht der forensischen Toxikologe eine gewisse Gefahr. Mehrheitlich an rechtsmedizinischen Instituten angesiedelt, wird von den Medizinern neben Forschung und Lehre zunehmend „kostenneutrales Arbeiten“ verlangt. Ein Massenspektrometer kostet eine sechsstellige Summe, und will gewartet sein. Die teuren Untersuchungen werden immer häufiger extern ausgeschrieben. „So werden die aktuell existierenden Strukturen der forensischen Toxikologie infrage gestellt“, warnte Teske. |
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