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Arzneimittel und Therapie
Estrogen-Gabe – eine Frage des Timings
Zum Schutz vor Arteriosklerose muss eine postmenopausale Hormontherapie früh begonnen werden
Ziel einer Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause ist es, die durch den Estrogen-Mangel bedingten Beschwerden zu beseitigen, und nicht, die ursprüngliche Hormonkonzentration wiederherzustellen. Die Bezeichnung „Hormonersatztherapie“ findet daher heute nur noch selten Verwendung. Zudem werden positive Effekte von Estrogenen auf das Herz-Kreislauf-System vermutet, darunter Gefäßerweiterungen, die in einer Blutdrucksenkung resultieren. Experten sahen in der Umstellung des Hormonhaushalts während der Wechseljahre auch ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, weshalb die Hormontherapie mit einem präventiven Effekt assoziiert wurde.
Nach der anfänglichen Begeisterung kam es jedoch zu einem drastischen Rückgang der Verordnungszahlen. Grund hierfür war unter anderem eine randomisierte klinische Studie der Women’s Health Initiative (WHI) mit mehr als 16.000 Probandinnen. Diese hatte im Jahr 2002 ergeben, dass eine postmenopausale kombinierte Hormontherapie mit Estrogenen und Gestagenen nicht – wie zuvor angenommen – vor kardiovaskulären Erkrankungen schützt, sondern eher mit einem erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien und Mammakarzinomen einhergeht [1]. Orale Estrogen-Präparate in der Postmenopause werden seither nur noch zur Linderung klimakterischer Beschwerden, nicht aber aufgrund präventiver Effekte verordnet.
Die „Timing-Hypothese“
Etwa 13 Jahre später weisen nun Daten einer Subanalyse der oben genannten Ergebnisse darauf hin, dass die postulierten präventiven Effekte einer Hormontherapie altersabhängig auftreten. Es wurde die sogenannte „Timing-Hypothese“ aufgestellt, wonach die Gabe von Estrogenen zu relativ frühem Beginn nach der Menopause wirksam zu sein scheint, wohingegen ein späterer Therapiebeginn (≥ zehn Jahre) keine relevanten Effekte mehr erzielt. Letzteres ist unter anderem auf die geringere Erregbarkeit von Estrogen-Rezeptoren zurückzuführen, da diese aufgrund eines länger andauernden Hormonmangels zu selten stimuliert wurden und somit an Sensitivität verlieren.
Tipps für die Offizin
Die strenge Indikationsstellung einer Hormontherapie ist dem Arzt vorbehalten. Sollten jedoch leichtere Beschwerden zu behandeln sein, können auch Extrakte von Traubensilberkerze (Cimicifuga) empfohlen werden. Diese können zur Linderung von Hitzewallungen, depressiven Verstimmungen und vaginaler Trockenheit beitragen, jedoch müssen langfristig die Leberwerte überprüft werden. Ebenso kommen Soja- und Rotkleezubereitungen infrage. Gegen übermäßiges Schwitzen können zudem Salbei-Präparate hilfreich sein.
Intima-media-Dicke der Arteria carotis als Surrogatparameter
In der randomisierten, placebokontrollierten ELITE-Studie (Early Versus Late Intervention Trial With Estradiol) erhielten 643 gesunde Frauen in der Postmenopause täglich entweder 1 mg 17β-Estradiol sowie ein Progesteron-haltiges Vaginalgel oder entsprechende orale und vaginale Placebo-Präparate [2]. Die Beobachtungsdauer betrug im Median fünf Jahre. Primärer Endpunkt der Studie war die Veränderung der Dicke der Intima media der Halsschlagader (CIMT, carotid-artery intima-media thickness), die als Surrogatparameter für koronare Herzkrankheit galt. Die Auswertung erfolgte auf Grundlage der „Timing-Hypothese“, wonach die Probandinnen entsprechend des Zeitpunkts der Estrogen-Gabe entweder in „frühe Postmenopause“ (vor weniger als sechs Jahren) oder „späte Postmenopause“ (vor mindestens zehn Jahren) beobachtet wurden.
Die CIMT in der Gruppe der frühen Postmenopause mit Estrogen-Therapie erhöhte sich um 0,0044 mm pro Jahr, gegenüber 0,0078 mm pro Jahr in der Placebo-Gruppe (p = 0,008, siehe Abb.). Die CIMT in der Gruppe der späten Postmenopause zeigte dagegen keine Unterschiede gegenüber Placebo (0,0088 vs. 0,0100 mm pro Jahr; p = 0,29). Ebenso wenig zeigten sich signifikante Verbesserungen bei computertomografischen Untersuchungen arteriosklerotischer Veränderungen. Die Rate an schweren unerwünschten Wirkungen wie Brustkrebs, Lungenembolien oder tiefen Venenthrombosen war in allen Gruppen vergleichbar und insgesamt selten.
Fazit der ELITE-Studie
Die Autoren der Studie sehen es daher als bestätigt an, dass Frauen mit einer weniger als sechs Jahre zurückliegenden Menopause am ehesten von den positiven kardiovaskulären Effekten einer Hormontherapie profitieren. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, die Möglichkeiten einer Hormontherapie besser auszunutzen. Besonders die restriktive Verschreibung von Hormonpräparaten bei jüngeren postmenopausalen Patientinnen könnte auf Basis dieser Studie gelockert und eventuelle Hemmungen der behandelnden Ärzte reduziert werden.
Jedoch ist zu beachten, dass CIMT als Surrogatparameter nicht das tatsächliche Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse widerspiegelt. Bisherige klinische Daten zur „Timing-Hypothese“ sind widersprüchlich. Obwohl die Ergebnisse der ELITE-Studie die Hypothese befürworten, wäre eine einfache Extrapolation von CIMT-Daten auf das Auftreten echter klinischer Ereignisse nicht zulässig. Die bisherige Empfehlung, orale Hormonpräparate in der Postmenopause nicht zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse zu verordnen, sollte daher nicht verfrüht infrage gestellt werden [3]. |
Quelle
[1] Rossouw JE et al. Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results From the Women‘s Health Initiative randomized controlled trial. JAMA 2002;288(3):321-333
[2] Hodis HN et al. Vascular Effects of Early versus Late Postmenopausal Treatment with Estradiol. N Engl J Med 2016;374(13):1221-1231
[3] Keaney JF et al. Postmenopausal Hormone Therapy and Atherosclerosis--Time Is of the Essence. N Engl J Med 2016;374(13):1279-1280
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