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Praxis

„Einmal Aspirin bitte!“

Konstruktiv beraten - auch und gerade bei konkretem Präparatewunsch

In der Selbstmedikation kann das Kunden- bzw. Patientengespräch mit einer Symptomschilderung oder mit einem konkreten Präparatewunsch beginnen – Letzteres laut einer Untersuchung der LAK Baden-Württemberg in ca. 70% der Fälle [1]. Während nach einem ausführlichen Beratungsgespräch die Auswahl der Medikamente meistens durch das pharmazeutische Personal erfolgt, ist dies beim Präparatewunsch des Kunden oder Patienten eher unwahrscheinlich. Doch auch hier ist es möglich und angebracht, besser geeignete Alternativen aufzuzeigen und zusätzliche Empfehlungen auszusprechen. | Von Armin Edalat

„Ein Satz geht immer“ lautet die Devise der Apothekerkammer Niedersachsen, wenn es darum geht, den eigenen Mitgliedern Einstiegshilfen in das Beratungsgespräch mit dem Kunden oder Patienten zu geben. Wer seiner gesetzlichen Beratungspflicht bei der Abgabe von Arzneimitteln gar nicht nachkommt, hat erfahrungsgemäß weniger mit juristischen Folgen als eher mit einer medialen Präsenz im äußerst negativen Sinne zu kämpfen. Wenn Testkäufer von Verbraucherschutzorganisationen und TV-Magazinen durch Apotheken ziehen und die Beratungsleistung mit „eher schlecht als recht“ bewerten, sind die Berufsverbände alarmiert, ihre Mitglieder wachzurütteln und zu mehr Beratungsbereitschaft zu bewegen. ­Eigene Testkaufkonzepte der Kammern – die sogenannten Pseudo-Customer-Besuche – sollen dabei helfen, Beratungsdefizite herauszustellen und diese anschließend im Vier-Augen-Gespräch kollegial und vor allem konstruktiv aufzuarbeiten. Dabei beginnt jeder Testkauf nach einem der beiden folgenden Szenarien: Der Berufskollege, der vorgibt ein Kunde zu sein, trägt entweder ein Symptom oder einen konkreten Präparatewunsch vor. Und genau hier scheint die Ursache zu liegen, ob alles Nachfolgende recht oder schlecht verläuft:

  • Während bei einer Symptomschilderung fast immer (98%) ein Beratungsgespräch folgt,
  • findet es beim Präparatewunsch nur in ungefähr der Hälfte (57%) aller Fälle statt [2].

Um diese Diskrepanz erklären zu können, lohnt sich eine nähere Betrachtung unserer modernen Einkaufskultur.

Ein Blick über den Tellerrand

In der heutigen Welt des Einzelhandels sind Krämer- und Drogistenläden aus den Ortschaften verschwunden. Persönliche Beratung und Bedienung finden nur noch selten und unter besonderen Umständen statt. Das aktive Beratungsangebot beim Einkaufen von Lebensmitteln, Bekleidung oder Elektrogeräten kann der Kunde sogar als lästig oder als Kontrolle empfinden.

Ein (einseitiges) „Verkaufsgespräch“ im klassischen Sinne dauert meist lange, hat häufig einen negativen Beigeschmack; den Verbrauchern ist es von umherziehenden Händlern, Shoppingsendern, Kaffeefahrten und anderen Verkaufsveranstaltungen bekannt. Wenn die Unternehmen Beratungspersonal einsparen und zugleich für niedrigere Preise und eine bessere Verfügbarkeit ihrer Produkte sorgen, nimmt die Kundschaft dies meist dankbar an. Es wird davon ausgegangen, dass sich der Kunde im Vorhinein informiert hat oder durch Werbung auf neue Produkte und Angebote aufmerksam gemacht wurde, die er dann gezielt und in Ruhe selbst auswählt. Diese Art der Einkaufskultur hat sich in gewisser Hinsicht auch auf dem Apothekenmarkt etabliert. Sie betrifft hier nicht nur den Bereich Kosmetik und der übrigen Freiwahl, sondern auch apothekenpflichtige Medikamenten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren auch ein gegenläufiger Trend beobachtet wird: Der persönliche Kontakt mit den Händlern (und auch Apotheken) vor Ort wird vermehrt gesucht, teils um das Einkaufserlebnis aufzuwerten, teils um durch fachliche Beratung effizienter an das gesuchte Produkt oder eine Problemlösung zu gelangen.

Produktwünsche in anderen Branchen

Edward Rensi, ehemaliger Präsident und Geschäftsführer des Fast-Food-Giganten McDonald’s, soll einmal gesagt haben: „Wir glauben, dass unsere Kunden immer recht haben.“ Und nach diesem Leitsatz scheint das gesamte Unternehmen bis in jede Filiale aufgebaut zu sein. Die Kunden stehen Schlange, wählen über eine Sichtwahl ihre gewünschten Produkte aus und äußern ihre Bestellung gegenüber dem Mitarbeiter. Ratschläge, Hilfestellungen oder das Infragestellen der Kundenentscheidungen sind nicht vorgesehen. Denkbar wären in dem Zusammenhang ja durchaus zusätzliche Empfehlungen, Hinweise bei Lebensmittelunverträglichkeiten oder Informationen über Neueinführungen. Die Fast-Food-Gastronomie setzt aber ganz offensichtlich auf die konkreten Wünsche der Kunden, um Zeit und Geld zu sparen. Unvorstellbar wären Symptomschilderungen wie „Ich habe Hunger und Durst“ und ein nachfolgendes Beratungsgespräch.

Ein weiteres Beispiel ist der Vertrieb von Nespresso-Kaffeekapseln in sogenannten Boutiquen, die über einen offizinähnlichen Aufbau verfügen. In der Freiwahl kann sich der Kunde über die Marke informieren und Zubehör auswählen. Erst an einer Art Handverkaufstisch erhält er im Gespräch mit dem jeweiligen Mitarbeiter die gewünschten Kaffee­kapseln. Diese Platzierung soll dem Verbraucher eine gewisse Exklusivität und Aufwertung der Produkte suggerieren. Es wird aber so vor allem gewährleistet, dass es zu einem persönlichen Kontakt zwischen Kunde und Verkäufer kommt, der das Kaufverhalten positiv beeinflusst.

Die Apotheke als außergewöhnlicher Einzelhandel

Auch wenn in diesen Beispielen einige Parallelen zur Apotheke erkennbar sind, lässt sich die Abgabe von Arzneimitteln keinesfalls mit dem Vertrieb von Fast-Food-Produkten, Kaffeekapseln oder anderen Waren gleichsetzen. Apothekenpflichtige Präparate haben durch die gesetzliche Vorgabe, sie nicht in der Freiwahl lagern zu dürfen, immer einen exklusiven und besonderen Charakter. Für eine Vielzahl dieser Arzneimittel existieren durch die Zulassungsverfahren und den klinischen Einsatz zudem wissenschaftliche Belege für ihre Wirksamkeit. Dies trifft aber längst nicht immer zu: Beim apothekenpflichtigen Sortiment alternativmedizinischer Produkte beispielsweise kann der Wirksamkeitsnachweis fehlen. Trotzdem werden sie durch diesen Status bedeutend aufgewertet. Es ist deshalb beabsichtigt, dass es bei der Abgabe dieser Präparate zwangsläufig zum Kontakt zwischen dem Kunden bzw. Patienten und dem pharmazeutischen Personal kommt – lange bevor der Kaufvorgang an sich abgeschlossen wird. Diese Phase ist somit eine wichtige und einmalige Chance, ein professionelles und vertrauensvolles Verhältnis zum Kunden oder Patienten aufzubauen. Und dies gilt natürlich immer – egal, ob es sich um Symptomschilderungen oder Präparatewünsche handelt. Für ein konstruktives Beratungsgespräch in der Apotheke sollte der konkrete Präparatewunsch des Kunden zunächst immer „infrage“ gestellt werden – ohne die Entscheidung des Patienten als total abwegig darzustellen (s. Kasten Präparatewunsch „infrage“ stellen). Diese Fragen dienen einer allgemeinen Orientierung und können je nach Situation variiert werden. Der Kontakt zwischen dem Apothekenkunden und dem pharmazeutischen Personal dient also

  • der Arzneimitteltherapiesicherheit,
  • der eventuellen Empfehlung zusätzlicher medikamentöser und nicht-medikamentöser Maßnahmen sowie
  • der aktiven Kundenbindung.

Das Kassieren, Quittieren und Verpacken der Ware ist dagegen ein Nachspiel und gewiss kein Alleinstellungsmerkmal der Apotheke.

Präparatewunsch „infrage“ stellen

  • Für wen ist das Arzneimittel bestimmt?
  • Entspricht das gewünschte/gewählte Präparat tatsächlich der Indikation?
  • Hat der Kunde oder Patient die Anwendung und die Einnahme­hinweise verstanden?
  • Ist der Patient bestmöglich versorgt? Benötigt er eine begleitende Therapie oder Nachbehandlung?
  • Lässt sich eine mittel- oder langfristige Bindung zum Kunden oder Patienten aufbauen? Ist es möglich, von ihm eine Rück­meldung zu erhalten, ob es zur Symptomlinderung oder Genesung gekommen ist?

Präparatewünsche aus Sicht der Kunden...

Wie entstehen Präparatewünsche bei Kunden oder Patienten, und weshalb kommen sie damit in die Apotheke? Ein Hauptgrund ist wohl das Auftreten akuter Beschwerden (bei sich selbst oder einer anderen Person), deren Behandlung der Kunde aus eigener Erfahrung mit dem konkreten Medikament für die beste Möglichkeit hält. Oder aber er möchte es auf Vorrat kaufen, um beispielsweise die Haus- oder Reiseapotheke mit dem jeweiligen Präparat zu ergänzen. In beiden Fällen kann die Beratung des Kunden über besser geeignete Alternativen oder Neueinführungen seinen Blick erweitern.
Eine weitere Motivation ist die Präparateempfehlung durch eine dem Kunden nahestehende Person. Auch das Testen von kostenlosen Mustern, welche in der Regel von Ärzten ausgegeben werden, ist ein Grund für einen Nachkauf. Während der erste Fall durchaus kritisch hinterfragt werden darf, sollte das Abraten einer vom Arzt vorgeschlagenen Therapie im Interesse der Arzt-Patient-Beziehung natürlich vermieden werden. Ist es für die Apotheke jedoch nicht möglich, das Musterarzneimittel als Verkaufsware nachzubestellen, sollte sie durchaus ähnliche Vorschläge machen. Nicht zu unterschätzen ist die Auswirkung von Werbemaßnahmen auf das Kauf- und Nachfrageverhalten der Kunden. So führt die gezielte Werbung von Sonderangeboten der Apotheke in Zeitschriftenbeilagen oder auch im Internet zu vermehrten Wünschen im Aktionszeitraum. Vor allem werden hierdurch auch Neukunden gewonnen, die nur aufgrund des beworbenen Präparates den Weg in die Apotheke finden. Die Publikumswerbung der pharmazeutischen Hersteller ist hochprofessionell, wird in den Medien geschickt platziert und soll möglichst ein breites Publikum ansprechen. Doch ob die beworbenen Präparate tatsächlich zur Indikation und Erwartung des Kunden passen, kann erst im Beratungsgespräch geklärt werden.

... und aus Sicht der Apotheke

Für die Apotheke kann sich der Kunde mit einem Präparatewunsch in vielerlei Hinsicht von anderen Kunden abheben. Zunächst lässt sich feststellen, dass diese Kunden die Apotheke mit einer konkreten oder auch generellen Kaufabsicht betreten. Damit unterscheiden sie sich von Personen, die das Apothekenpersonal lediglich für eine Empfehlung oder Auskunft kontaktieren, ohne weiteren Umsatz zu generieren.

Darüber hinaus möchte der Kunde das Präparat explizit in der Apotheke erwerben und nicht über andere Vertriebs­wege wie etwa den Versandhandel, wo er häufig größere Preisnachlässe erwarten könnte. Dies kann in manchen Fällen aus Bequemlichkeit oder Unwissenheit erfolgen, in anderen Fällen steckt dahinter durchaus die Absicht, sich durch die Beratung in der Apotheke in seiner Entscheidung beeinflussen oder bestärken zu lassen. Durch das Aussprechen eines Präparatewunsches teilt der Kunde auch unbewusst ein Preisniveau mit, das er bereit ist aufzubringen. Nennt er zum Beispiel das Medikament eines Originalherstellers, welches mehr als doppelt so viel kostet wie ein Generikum, lässt sich durch Vorstellen einer preiswerten Alternative in Kombination mit weiteren für die Therapie sinnvollen und notwendigen Präparaten ein „Komplettpaket“ schnüren, das den Kunden bestmöglich versorgt und zugleich den Gewinn für die Apotheke steigert.

Schließlich kann durch das Verlangen nach einem bestimmten Medikament auch abgeschätzt werden, womit der Kunde unter Umständen zusätzlich versorgt werden muss. Dient das Präparat der Behandlung einer akuten Symptomatik oder lediglich der Prophylaxe für die bevorstehende Reise? Soll der häusliche oder betriebliche Arzneimittelvorrat aufgefüllt werden? Wenn man die Hintergründe des Wunsches erfährt, lassen sich auf dieser Grundlage hilfreiche Ratschläge und weitere Denkanstöße für den Kunden formulieren.

Um konkreten Kundenwünschen möglichst sofort und ohne Bestellung nachkommen zu können, muss der Apotheker sein Lager intelligent und flexibel an die aktuelle Marktsituation anpassen. Um bei Neueinführungen oder Präparaten, die in den Medien plötzlich vermehrte Aufmerksamkeit erfahren, die Nachfrage in nächster Zeit abzuschätzen, empfiehlt es sich, regelmäßig Anzeigen in Kundenmagazinen, Herstellermeldungen in pharmazeutischen Fachzeitschriften oder Branchennachrichten im Internet zu lesen. Alle Kundenwünsche, die aus logistischen Gründen nicht erfüllt werden können, sollten mit dem Status „Neinverkauf“ ins Warenwirtschaftssystem eingepflegt werden, damit sie statistisch erfasst werden und als Vorschlag für die Neuaufnahme auftauchen.

Fazit

Der Apothekenkunde mit einem konkreten Wunsch in der Selbstmedikation hat immer ein „Motiv“, welches das pharmazeutische Personal herausfinden sollte – im Interesse der Arzneimitteltherapiesicherheit, möglicher weiterer Bedürfnisse und der aktiven Kundenbindung. Der Präparatewunsch sollte relativiert und als eine Art therapeutisches Ziel verstanden werden, das der Kunde erreichen möchte. Auf dem Weg dorthin werden im Beratungsgespräch die bestehende Indikation abgeklärt, weitere Empfehlungen angeboten und ein zukunftsweisendes Vertrauensverhältnis aufgebaut. Hierdurch können gewinnbringende Potenziale genutzt werden, die bei diesen Kunden ansonsten im Verborgenen geblieben wären. |

Literatur

[1] LAK Baden-Württemberg. Pressekonferenz Apothekergestützte Selbstmedikation, 18.3.2011; www.lak-bw.de/presse.html

[2] Lind K. Pseudo-Customer-Konzept: In Niedersachsen wird gut beraten. Pharm Ztg 2006;151(41):36; www.apothekerkammer-­niedersachsen.de/pseudo_customer_evaluierung.php

Autor

Dr. rer. nat. Armin Edalat, Jg. 1985, Apotheker und Filialleiter der Schönbuch Apotheke Holzgerlingen.

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