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Erneut Verstöße in Indien

Semler Research im Visier internationaler Behörden – Bioäquivalenz-Studien offenbar manipuliert

REMAGEN (hb) | Schon wieder ist ein indisches Auftragsforschungsunternehmen international ins Zwielicht geraten. Dieses Mal ist es das Semler Research Centre in Bangalore. Sowohl die US-amerikanische FDA als auch die Weltgesundheitsorganisation WHO haben Zweifel an der Integrität von klinischen Daten angemeldet, die bei Semler Research erhoben worden waren. Nach einer Mitteilung der Europäischen Arzneimittel Agentur EMA wird nun auch in der EU geprüft, ob in Europa Arzneimittel betroffen sind.
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Verdachtsfall Das indische Semler Research Centre scheint Studien manipuliert zu haben.

Bei einer Inspektion von Semlers Bioanalytik-Abteilung zwischen dem 29. September und dem 9. Oktober 2015 hatte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA dort mehrere Probleme festgestellt. Dazu gehörten u. a. Austausch und Manipulation von klinischen Proben der Studienteilnehmer. Die Antragsteller/Zulassungsinhaber wurden daraufhin am 20. April schriftlich aufgefordert, die betreffenden Bioäquivalenz-/Bioverfügbarkeitsstudien für ihre jeweiligen Genehmigungsverfahren in einer anderen Einrichtung ­zu wiederholen. Sie müssen nun ­innerhalb von 30 Tagen reagieren.

Die FDA hat im Übrigen sämtliche Pharmakoviliganzdaten zu den betroffenen bereits vermarkteten Arzneimitteln hinsichtlich schwerwiegender unerwünschter Ereignisse ausgewertet. Bislang haben sich hieraus keine Sicherheitsbedenken ergeben.

Außerdem hatte auch die Weltgesundheitsorganisation WHO nach Inspektionen der bioanalytischen und klinischen Einrichtungen des Auftragsforschungsunternehmens zwischen dem 27. und 31. Januar und einem „Follow-up“ zwischen dem 2. und 5. Dezember 2015 kritische und schwerwiegende GLP-und GCP-Verstöße gegen die Good-Laboratory-Practice- (GLP) und die Good-Clinical-Practice-Richtlinien (GCP) festgestellt. Dabei ging es um Medikamente, die in das Präqualifizierungsprogramm der WHO einbe­zogen sind. Im Rahmen dieses Programms stellt die WHO unter anderem durch Inspektionen fest, ob bestimmte Wirkstoffe/Arzneimittel und ihre Produzenten den geforderten Standards für die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit entsprechen. So soll der Zugang zu Arzneimitteln, etwa gegen HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose, vor allem im Rahmen von Beschaffungsprogrammen erleichtert werden. Gibt es nach einer Inspektion Beanstandungen, so werden diese in einer „Notice of Concern“ (Bedenklichkeitserklärung, NOC) niedergelegt.

Manipulationen „mit Methode“

Nach der NOC der WHO vom 12. April 2016 sollen bei mindestens fünf klinischen Studien Manipulationen gefunden worden sein. Als betroffene Wirkstoffe werden Atazanavir, Acetazolamid, Celecoxib, Saquinavir und Lamivudin angeführt. Aufgedeckt hatten die Inspekteure die Ungereimtheiten anhand des Vergleichs von Konzentrations-Zeit-Profilen für spezifische Paare von Studienteilnehmern. Zweifel meldet die WHO zudem an zwölf weiteren Studien mit AIDS-, Malaria- und Tuberkulosemitteln sowie Ophthalmika, Antibiotika und Schmerzmitteln an, die im Rahmen der Präqualifizierung noch nicht abschließend beurteilt wurden, sowie an rund einem Dutzend weiterer Präparate, die bereits präqualifiziert sind.

Die Art der Manipulationen lasse darauf schließen, dass mehrere Beschäftigte auf verschiedenen Ebenen beteiligt gewesen sein müssen. Nur auf eine oder zwei Personen außerhalb des Qualitäts-Management-Systems ließen sie sich nicht zurückführen, so die Schlussfolgerung der WHO. Aufgrund der Vielzahl und der Dauer der Manipulationen hegt sie in ihrer Notice of Concern zudem die Vermutung, dass dies bei Semler gang und gäbe sein könnte. Trotz mehrfacher Aufforderung sei Semler nicht dazu in der Lage gewesen, die Ursache für die Verstöße zu finden.

EMA leitete Prüfung ein

Mit einer Mitteilung vom 29 April 2016 hat auch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA zeitnah auf die Unregelmäßigkeiten reagiert (Dokument EMA/294550/2016). Demnach wird die EMA nun bestimmen, welche Arzneimittel in der EU betroffen sind. Nähere Informationen sind der Mitteilung nicht zu entnehmen, nur so viel, dass es um national erteilte Zulassungen, einschließlich solcher über das dezentrale und das gegenseitige Anerkennungsverfahren geht, die auf Daten von Semler basieren. Auch Präparate in laufenden Verfahren sollen diesbezüglich gecheckt werden. Zentral zugelassene Generika sollen laut Angaben der EMA nicht betroffen sein. Der Review wurde nach einem Ersuchen der Arzneimittelbehörden aus Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Spanien und Großbritannien gestartet.

Anhörung durch BfArM gestartet

Wie auf DAZ-Anfrage vom BfArM zu erfahren war, sind die Anhörungsschreiben an die Unternehmen zur Sichtung des deutschen Marktes bereits verschickt. In die Überprüfung einbezogen seien rund zehn Firmen und eine ähnliche Zahl von Präparaten in mehreren Dosisstärken – eine weitaus kleinere Zahl als im Fall GVK Bio. Beim BfArM ist man zufrieden, dass es im Gegensatz zu dem GVK Bio-Verfahren dieses Mal direkt von Beginn an ein europäisches Referral-Verfahren gibt. Damit gehe alles in geregelten Bahnen, man werde nun die Daten und Rückläufe seitens der Unternehmen sorgfältig prüfen. Mit weiteren Informationen dürfe in den nächsten Wochen gerechnet werden. Derzeit sehe das BfArM keinen Grund für unmittelbare Maßnahmen.

Vor zehn Jahren gegründet

Das Semler Research Center (SRC) gehört zur US-amerikanischen Arnold A Semler Inc, die bereits seit 1946 besteht. Das Forschungszentrum mit heute mehr als 200 Mitarbeitern wurde vor zehn Jahren gegründet. Zu den Dienstleistungen gehören die pharmazeutische und klinische Entwicklung, Bioverfügbarkeits- und Bioäquivalenz-Studien, Biometrie sowie regulatorische und „medical-writing“-Services. Semlers Kunden kommen aus Indien, den USA, Kanada und Europa. Auf der Unternehmens-Webseite wird zugesichert, dass Semler seine Studien im Einklang mit internationalen Standards und mit GLP- und GCP-Vorgaben durchführt.

Zu den Vorwürfen sagte ein Sprecher gegenüber der indischen Zeitung „Economic Times“, man habe ein qualifiziertes Beratungsunternehmen mit der Evaluation der Daten beauftragt und werde eine detaillierte Antwort zu den Mängeln verbunden mit entsprechenden Gegenmaßnahmen vorbereiten.

Weiterer Reputationsverlust

Die internationale Kontrolle des indischen Pharmasektors ist in letzter Zeit härter geworden. Vor allem der GVK Bio-Vorfall, bei dem im vergangenen Jahr Verfälschungen von zahlreichen Studiendaten bekannt wurden, hat die gesamte Branche schwer getroffen. Dazu kam, dass sowohl die FDA als auch europäische Behörden in den letzten Jahren immer wieder Verstöße gegen die Good-Manufacturing-Practice-Richtlinien (GMP) aufdeckten, zuletzt bei Anuh Pharma. Zwar hat die staatliche indische Aufsichtsbehörde CDSCO nach eigenem Bekunden in letzter Zeit ein wachsameres Auge auf die Unternehmen. Die Regierung stärkt der Branche aber auch den Rücken. Anlässlich des GVK Bio-Skandals war in indischen Medien die Rede von gezielten Versuchen, das Image der indischen Pharmaindustrie zu beschädigen.

Die neuerliche „Abmahnung“, die den Ruf der klinischen Forschung in Indien weiter beschädigen könnte, beschäftigt auch die indische Gesellschaft für klinische Forschung (ISCR). „Die Besonderheiten des vorliegenden Falls können wir nicht kommentieren“, wird deren Präsidentin der Suneela Thatte in dem Portal pharmabiz.com zitiert. „Wir möchten aber darauf hinweisen, dass in Indien mehrere Hundert klinische Studien im Einklang mit internationalen und lokalen Richtlinien stattfinden.“ Nun besteht die Befürchtung, dass angesichts dieses Vorfalls alle Studienbetreiber über einen Kamm ­geschoren werden. |

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