Die Seite 3

Luftnummer

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Das tut schon weh: Da steigt man am Sonntagnachmittag gut gelaunt in den ICE, blättert nichtsahnend in der Zeitung, da springt einem groß und rot gedruckt das Wort „Abzocke“ ins Auge, der erste Buchstabe ein gotisches A mit Arzneikelch und Schlange – das Signet der deutschen Apotheken.

Der Artikel selbst (s. „Luftrezepte sorgen für Aufregung“ auf S. 11 dieser DAZ) war dann noch ärgerlicher. Zwei Fälle von Abrechnungsbetrug durch Apotheker werden in dem ganzseitigen Artikel der „Welt am Sonntag“ (WamS) geschildert – und mit den Worten „doch Betrügereien in der Branche sind nicht außergewöhnlich“ verallgemeinert. Dass es noch zu keiner Verurteilung gekommen ist, dass die Betrügereien teilweise schon Jahre zurückliegen, dass sogar der im Artikel zitierte Oberstaatsanwalt (zumindest gegenüber DAZ.online) nur von „Einzelphänomenen“ spricht – geschenkt. Dass munter alle Zahlen durcheinander geschmissen werden – mal geht es um die Schätzungen (!), wie groß die Korruption im gesamten Gesundheitswesen sei, mal um gefälschte Rezepte, mal um Abrechnungsbetrug durch Ärzte (!), Patienten (!) und Apotheker – sei’s drum. Als Abzocker werden die Apotheker hingestellt.

Festzuhalten ist: Abrechnungsbetrug ist Betrug und kriminell. Solche Machenschaften sind leider auch nichts Neues, erinnert sei nur an den sogenannten „Rohypnol-Apotheker“, der mit Junkies „teure“ Rezepte gegen Benzodiazepine tauschte und 2009 aufflog, oder jenen Berliner Apo­theker, der HIV-Patienten ihre Rezepte abkaufte und 2011 zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Offenbar gibt es unter den Apothekern (wie in allen Berufsgruppen) Kriminelle. Doch dafür, dass Abrechnungsbetrug für Apotheker etwas Normales sein soll, darauf gibt es keine Hinweise!

Wer erlebt, mit welcher Akribie die Krankenkassen Rezepte kontrollieren, um selbst Centbeträge zurückzufordern, dem fällt es ohnehin schwer zu glauben, dass massenhaft „Luftrezepte“ nicht auffallen sollen.

Ein solcher Betrug wird den Apotheken auch nicht besonders leicht gemacht, wie die WamS meint. Denn Rezepte sind eben gerade keine „Bar-Schecks“, wie es im Artikel heißt. Gegen Vorlage eines Barschecks bekommt man von der Bank Bargeld, ohne dass irgendwo vermerkt wird, an wen es ausgezahlt wurde. Die Analogie mag bei Privatrezepten ja noch einigermaßen passen. GKV-Rezepte aber sind – um beim Bild zu bleiben – Verrechnungsschecks. Deren Vorteil: Das Geld wird überwiesen, der Empfänger bleibt eben nicht anonym. Hilfreich, wenn es kriminell wird, etwa weil der Scheck gefälscht war.

Und so sind ja auch die Fahnder bei den in der WamS geschilderten Fällen fündig geworden: Sie haben die Aufzeichnungen (!) der Geld- und Warenströme miteinander verglichen und große Diskrepanzen festgestellt. Dass solche Ermittlungen ausgerechnet im Gesundheitswesen besonders schwierig sein sollen, mag sich nicht so recht erschließen. Größere Summen werden hier eben gerade nicht anonym und bar abgewickelt, sondern über Rechenzentren, die alle Daten erfassen, speichern und an die Krankenkassen weitergeben. Jedes Rezept enthält dabei den Versicherten, den Verordner und den Apotheker – alle drei möglichen Betrüger sind also mit Namen und Adresse bekannt.

Selbst der GKV-Spitzenverband geht davon aus, dass es sich um Einzelfälle handelt. Diese sind schlimm genug und sollen keinesfalls banalisiert werden. Die Betrüger schädigen die Versicherten, deren Beiträge steigen, wenn Krankenkassen „fiktive“ Arzneimittel im großen Stil bezahlen müssen. Sie schädigen die Arzneimittelhersteller, die Herstellerrabatte abführen für Packungen, die sie nie verkauft haben. Und sie schädigen die Apothekerschaft, die unter Generalverdacht gerät. Wie schnell das passiert, haben die Presseberichte Anfang dieser Woche eindrucksvoll gezeigt.


Dr. Benjamin Wessinger

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